Eine regelrechte Licht-Welle hat das Land erfasst: Selbst kleinste Städte stellen kommunale Lichtpläne oder gar Licht-Masterpläne auf. Lichtfestivals boomen. Öffentliche Fördergelder fließen reichlich, die Lampenindustrie und private Sponsoren besorgen oft den Rest. Woher rührt die neue Lust auf Licht?
Die technische Entwicklung ist dafür gewiss ein Hauptgrund: Es gibt heute weit raffiniertere und sparsamere Lampen als früher. LED-Leuchten sind Alleskönner, und sie sind erschwinglich geworden. Ihr Betrieb kostet nur einen Bruchteil dessen, was herkömmliches Urban-Design-Inventar verschlingt. Die Straßenlaternen aus den Siebzigern und Achtzigern, als die letzte Modernisierungswelle kleinteilige Fußgängerzonen schuf, sind technisch wie stilistisch veraltet. Die noch älteren Quecksilberdampflampen, langlebig und daher nach wie vor weit verbreitet, bergen Umweltrisiken. Und selbst Gaslaternen gibt es beispielsweise in Berlin weiterhin in großer Zahl – 36.000 Stück will der Senat dort zunächst austauschen lassen.
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Geringer Aufwand, rasche Wirkung
Die anstehende Umrüstung wird vielerorts auch als Gestaltungsaufgabe begriffen. Vorbei die Zeit, da eine undifferenzierte Lichtsoße aus Peitschenlampen und Kugelleuchten den Stadtraum nächtens nüchtern erhellte. Das war zwar DIN-gerecht, doch heute gilt es, Akzente zu setzen und Atmosphäre zu schaffen. Die Spaß- und Erlebnisgesellschaft verlangt nach besonderen, einmaligen, emotionalisierten Orten.
Vor allem die durch den Online-Handel arg in die Enge getriebenen innerstädtischen Einzelhändler setzen auf den urbanen Mehrwert, den ausgeklügelte Lichtkonzepte bieten. Umweg-Rentabilität lautet das Zauberwort, wenn sich Händler und Gastronomen besonders für neues Licht engagieren – und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Das Argument des großen Effekts bei vergleichsweise geringen Kosten mag auch die kommunalen Planer bewogen haben, den Lichtplänen Priorität einzuräumen vor dem komplexen Klein-Klein von Sanierung und Leerstandsmanagement. Hier wird endlich rasch sichtbar, was die Verwaltung leistet!
Gut möglich, dass manchem Planer auch noch die alte Idee von der Stadt „aus einem Guss“ vor Augen steht, wo Lichtbänder und -achsen Ordnung schaffen im urbanen Durcheinander. Was bei Tage eher als banales Stückwerk erscheint, bekommt nachts im entsprechenden Licht die große, verbindende Linie. Licht erscheint so als letzte gemeinschaftliche Vision in Zeiten des neoliberalen „anything goes“.
In der Praxis der Lichtplaner geht es dabei selbstverständlich um „ganzheitliche“ Konzepte. Da werden Bürgerversammlungen abgehalten, Anrainer einbezogen und Einzelhändler geschult, damit deren Schaufenster nicht ungebührlich leuchten. Auch die Außengastronomie muss gestalterisch mitziehen. Was in der Mediengesellschaft hängen bleibt, ist aber letztendlich doch die klassisch von oben nach unten geplante „gute Stube“ Innenstadt. Daran riecht vieles nach Symbolpolitik.
Wenn Licht das Elend ausblendet
Tatsächlich war das künstliche Licht in der Öffentlichkeit immer eine bevorzugte hoheitliche Aufgabe und diente stets auch der Kontrolle der Untertanen. Nur dass die Technik inzwischen weiter ist: Mit den neuen „intelligenten“ Leuchtkonzepten hält vielerorts auch eine ausgeklügelte Überwachungstechnik Einzug. Ein fernsteuerbares Kamera-Modul passt heute in jede der schicken Lichtstelen.
Kritiker ätzen denn auch, wer sich in Zeiten von Flüchtlingsandrang und Wohnungsnot nur um die „Stadt als Bühne“ kümmere, bekomme wenigstens so die unerwünschten, da wenig zahlungskräftigen Existenzen vom Rand der Stadt ins Bild – um sie bei Gefahr im Verzug zu vertreiben.
Die meisten Gute-Stuben-Fraktionen stehen indes einfach in der Tradition der städtischen „Verschönerungsvereine“ braver Bürger von eher vorgerücktem Alter. Schon deren Kinder brauchen keine gute Stube mehr, sie schätzen eher den Laser-Beamer, der ihnen im Nachthimmel den Weg zur Disco weisen würde – wenn der nicht per städtische Licht-Satzung verboten wäre. Statt nostalgischer Gemütlichkeit wünscht man sich daher öfter eine Inszenierung auch der Brüche und Gegensätze im Stadtbild. Warum nicht „Wunden“ im Stadtbild für – möglicherweise nur temporäre – Installationen nutzen?
Und es erscheint fragwürdig, räumliche Prioritäten in den ohnehin meist relativ gepflegten Alt- und Innenstädten zu setzen. Vielmehr als sie hätte die im Alltag wild wuchernde „Zwischenstadt“ eine Halt und Orientierung gebende Lichtplanung bitter nötig. Hier Räume schaffen, wo keine sind, sondern nur zusammenhanglose Objekte – das kann Lichtplanung zumindest nachts leisten. Leider geschieht dort mangels politischer Lobby wenig.
Und das Dunkel, ohne das jedes Licht nichts ist als ein verlängerter Tag? Es bekommt mit den neuen Leuchttechniken immerhin wieder eine Chance. Die allgemeine Verunsicherung macht es den Verantwortlichen zwar schwerer denn je, dunkle Zonen um der effektvolleren Inszenierung (oder auch nur der Vermeidung von Lichtsmog) willen einzusetzen, aber Beispiele zeigen: Wo ein gestalterischer (oder ökologischer) Wille ist, ist auch ein Weg, der in der DIN vorgegebenen Lux-Leuchtkraft zu entgehen.
Entgegen landläufiger Meinung bringt mehr Licht nämlich nicht mehr Sicherheit. Der Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof war in der Silvesternacht bestens ausgeleuchtet. An solchen Orten greifen räumliche und soziale Vorkehrungen weit besser (siehe Ausgabe 9/2015, Seite 16). Dezentes Licht, das nicht blendet und verfremdet, gewährleistet nach Ansicht von Experten am besten, dass Gesichter erkannt werden – eine wesentliche Bedingung für ein Sicherheitsempfinden von Passanten.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor in Bartenstein (Baden-Württemberg)
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