Text: Ansgar Oswald
Das erste Bauwerk, das nach dem Entwurf des Architekten entsteht, ist klein und in seiner Wirkung groß. Es besteht aus Holz, Metall, Kunststoff, Gips, vielleicht auch aus Kork und macht die Proportionen eines beabsichtigten Bauwerks auf einen Blick begreiflich. Es entscheidet über Zustimmung oder die Ablehnung einer Gestaltungsidee. Aber es kommt nicht vom Architekten, sondern aus der Werkstatt des Modellbauers.
Im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt läuft noch bis zum 16. September die Ausstellung „Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie“. Sie rückt das Modell als Instrument der kreativen Ideenentwicklung, Planung und Präsentation sowie als eigenständiges Bauwerk ins Rampenlicht – und mit ihm den Modellbauer. Ganz beiläufig belegt die Ausstellung die unersetzliche Rolle des haptischen Modells für eine souveräne Begutachtung einer Bauidee durch das eigene untrügliche Auge – und das in einer Zeit, in der viele meinen, es genügten der Entwurf und die Darstellung in der virtuellen Dreidimensionalität des Bildschirms. Wer durch die Ausstellung geht, sieht Menschen, die sich bücken, die sich recken und strecken, verbiegen und krümmen, gucken und vor allem staunen. Die maßstäbliche Verkörperung ist auf verführerische Weise beeindruckend und anziehend. Die Modelle werden den Besuchern nahegebracht als Objekte der Formfindung, so das Hängemodell Frei Ottos für die Gitterschale der Mannheimer Multihalle; als Objekte so notwendigen schöpferischen Experimentierens im Verlauf der Entwicklung eines Entwurfsgedankens ebenso wie als faszinierende Eigenwelten im Kleinformat mit suggestivem Charakter. Oft sind sie die einzigen Bauzeugen großer Ideen, weil diese nie verwirklicht wurden.
Begehrte Sammlerstücke
Der Modellbauer Frieder Grüne aus Wolfratshausen beschreibt die Erwartung an die Qualität so: „Das Modell muss eine perfekte handwerkliche Performance sein, genauso wie die gebaute Architektur.“ Perfekt, das heißt funktional und ästhetisch formvollendet und daher gestochen scharf für jede multimediale Wiedergabe. Waren dafür einst die Schreiner zuständig, ist der Modellbauer heute Ingenieur, vielleicht selbst Architekt. Er hat eine handwerkliche Ausbildung und sein Handwerkszeug sind computergesteuerte Maschinen, die mit CAD-Daten arbeiten. CNC-Frästechnik, Wasserstrahltechnik bis hin zu einer Vielfalt von 3D-Techniken, die vom Lasersintern über die Stereolithografie bis zum 3D-Drucker reichen, prägen etwa die Ausstattung im Oldenburger Unternehmen von Wolfgang Hannemann.
Von der Tradition geblieben sind die unersetzlichen handwerklich-menschlichen Leistungen von der Planrecherche bis hin zur Umsetzung der Entwurfsidee aus dem Erfassen und Begreifen räumlicher Zusammenhänge. Erst sie ermöglichen die Fertigung eines Produktes in ästhetischer Formvollendung aus vorzüglichen Materialien. Den Gipsmodellen von Bernd Grimm in Köln, dem einstigen Modellbauer im Büro Oswald Mathias Ungers, oder den Modellen des letzten Korkbauers Europas, Dieter Cöllen in Wesseling, wird geradezu ein Kultstatus zuteil. Dank ihrer Arbeitsweise, ihrer Ästhetik und ihres Materials sind sie Ausstellungs- und begehrte Sammlerstücke, die zuweilen in Auktionshäusern hohe Preise erzielen.
Den Modellbauer beschreibt Wolfgang Hannemann darum als „Konstrukteur und Gestalter“ und trifft damit das Selbstverständnis einer Zunft, die sich für den traditionell handwerklichen Anspruch an das Architekturmodell auch die neuen digitalen Techniken zunutze gemacht hat. Sie rationalisieren das Arbeiten und machen zudem neue Ansprüche an Formen, Materialien und Maßstäbe erst möglich. Die fortschreitende Bearbeitungstechnik unterstützt Modellbauer gegen ihre Hauptkonkurrenz: die computergrafische 3D-Visualisierung der Wirklichkeit in Renderings.
Lichteffekte inklusive
Die eigentliche Sorge besteht laut Hannemann aber darin, es in Zukunft mit einer nachwachsenden Architektengeneration zu tun bekommen zu können, welche keinen Sinn mehr für das Handwerkliche habe. Die Modellbauer halten mit moderner Technik gegen den Trend der Computersimulation: Längst arbeiten sie mit CAD-Daten in computergesteuerten Maschinen; ihre Modelle werden zum raffinierten und eleganten Designerstück.
Beispielhaft dafür sind die Modelle der von Christian Monath geleiteten Berliner Firma Monath + Menzel, die sich dem Betrachter durch die Wahl kontrastreicher Materialien rasch erschließen. Ähnlich verhält es sich beim Braunschweiger Modellbauer Christian Werner, der sich auf Miniaturstadtmodelle im Maßstab von bis zu 1 : 20.000 spezialisiert hat – meist in Holz oder invers in Plexiglas. Sein Oldenburger Kollege Wolfgang Hannemann setzt indes auf das Wechselspiel von Material und Lichteffekten, um die Proportionen eines Entwurfs packend in Szene zu setzen. Mit diesen Attributen bleibt das maßstäbliche Modell nicht nur jenes unschlagbare Werkzeug in der Urteilsfindung, das es seit der italienischen Frührenaissance des 14. Jahrhunderts in Wettbewerbspräsentationen ist, sondern es wird zugleich zu einem eigenen Objekt der Begierde.
Ende der persönlichen Handschrift?
In einer anderen Liga spielen die 3D-Drucker, die vermehrt in der Bau- und Planungsbranche Einzug halten. Allerdings weniger in den Büros selbst. Modellbauer Christian Werner spricht von einem Anschaffungspreis von mindestens 100.000 Euro und beachtlichen Betriebskosten. Daher stehen sie vor allem in großen Architekturfirmen wie denen von Zaha Hadid oder Norman Foster, in denen schon lange in 3D gezeichnet wird und bei denen kompliziert gekrümmte oder unförmige Entwürfe zum Alltag in der Entwurfspraxis gehören. Im 3D-Druckverfahren werden die Modelle in Schichten aus pulverförmigen oder flüssigen Werkstoffen von einem bis maximal zwei Zehntel Millimeter aufgebaut. Das 3D-Drucken zählt neben dem Lasersintern, der Stereolithografie und dem 3D-Plotverfahren zu den additiven Fertigungsverfahren. Mal schnell ein Bauwerk wie eine Textdatei auszudrucken, das ist nichts Ungewöhnliches mehr.
Die Kölner Architektin Birgit Legge wagt sogar die Behauptung, dass es „die persönliche Handschrift des Modellbauers bald nicht mehr geben wird“, weil diese Technik den klassischen Modellbau weitgehend ablösen könne. Birgit Legge hat die Firma Kubikwerk gegründet – nach ihren Angaben die erste in Deutschland, die sich ausschließlich auf Architekturmodelle mittels 3D-Drucktechnik spezialisiert hat. Als Vorteil dieses Rapid-Prototyping-Verfahrens nennt sie Material-, Zeit- und vor allem Kostenersparnis. Zugleich könne man „höchst präzise“ bauen.
Mit der Technik des 3D-Druckens bietet Kubikwerk Produkte vom Detailobjekt über das Architekturmodell bis hin zum Stadt-, und Gelände- und Landschaftsmodell für Wettbewerbe und Präsentationen. Die Modelle werden bei verschiedenen Dienstleistern gefertigt. Legge will so „die neuesten und umfassendesten Technologien“ anbieten. Sie prophezeit, dass die nächste Architektengeneration mit den 3D-Druckern so selbstverständlich arbeiten werde wie heute mit Renderings und Animationen. Modelle könnten schon in frühesten Entwurfsphasen ohne großen Kostenaufwand per Mausklick erzeugt werden.
Letzteres bestätigen auch die klassischen Modellbauer. Sie bezweifeln aber, dass die 3D-Drucktechnik alle bisherigen Verfahren ablösen wird. Vor allem Qualitätsgründe führt Christian Monath ins Feld. Auch er sieht zwar Vorzüge bei strukturlosen Objekten oder auch sehr filigranen Teilen, die auf konventionellen Maschinen nicht mehr fixierbar sind. Doch dem stünden Schwächen gegenüber, vor allem eine poröse Haptik der Oberflächen und eine ungenaue Verarbeitung – Absätze zwischen den aufgetragenen Schichten seien in der Regel erkennbar. Ästhetisch liefere die Technik Produkte, die in den Augen der klassischen Modellbauer gemanscht und gebastelt wirken und vor allem Kitscheffekte erzeugen. „Sie erinnern an Playmobil-Figuren“, formuliert es Christian Werner. Und Monath meint: „Der Vorteil der Schnelligkeit wird durch den Nachteil fehlender Präzision und einer aufwendigen Nachbearbeitung der Teile wieder eingebüßt.“ Nützlich sei der 3D-Drucker aber für Arbeitsmodelle während der Entwurfsphase.
Nicht jedoch für Präsentations-Modelle, findet Werner: „Die leben von der absoluten Präzision, und Architekten stehen deshalb auf pures Material.“ Sein Oldenburger Kollege Hannemann hat sich allerdings einen 3D-Drucker angeschafft, um seinen Kunden zu signalisieren: „Wir können alles.“ Er sieht in diesem aber nur „eine ganz winzige Unterstützung im Bereich Modellbau, welche die Grundformen für Modelle liefert“. Das Gerät sei zwar „ein Hingucker bei Kundenbesichtigungen“, aber nach seinen Erfahrungen „mit hohen Anschaffungskosten und den hohen Unterhaltskosten ein wahnsinniger Kostenfaktor, der sich nie rechnet“.
Technische Alleskönner gibt es nicht
Doch die 3D-Drucktechnik wird sich verbessern – und sie wird wohl in der komplexen Welt des Modellbaus ihren Platz finden. Die Bandbreite an 3D-Techniken ist bereits groß – es gibt das Lasersintern (SLS), die Stereolithografie (STL), das 3D-Plotverfahren und das 3D-Fräsen. Christian Monath: „Ein Allround-Verfahren im 3D-Bereich existiert aber nicht, sondern jedes Verfahren ist an einer bestimmten Stelle optimal einsetzbar. Zudem gibt es kein Verfahren, das alles kann und dann noch schöne Teile liefert.“ Dafür sei der Architekturmodellbau zu komplex.
Christian Monath weist darauf hin, dass Verfahren wie Stereolithografie und entsprechende 3D-Drucktechniken, die mit flüssigen Stoffen arbeiten, eine Stützkonstruktion erfordern. Die Teile müssen anschließend mit Kunstharz ausgehärtet werden, um stabil zu sein. Die Stereolithografie liefere aber gegenüber dem 3D-Druck eine extrem hohe Auflösung und reine Beschaffenheit. Das Lasersintern wiederum sei als pulverisierndes Verfahren den gleichartigen 3D-Drucktechniken überlegen, weil die filigranen Strukturen durch das Lasern festgefügt würden. Die Teile weisen laut Monath eine sehr hohe Maßgenauigkeit und Detailtreue und nur leicht poröse Oberflächen auf, derentwegen sie aber nachbearbeitet werden müssen.
Ansgar Oswald ist studierter Historiker und Autor in Berlin. Sein Buch „Modellbau für Architekten. Handbuch und Planungshilfe“ präsentiert Arbeiten renommierter Werkstätten und zeigt die Bedeutung des Handwerks von der Renaissance bis heute (DOM Publishers Berlin, 439 S., 68 €).