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Mensch, wie es euch gefällt

Der Kinofilm „The Human Scale“ zeigt bilderstark und berührend die Städteplanung von Jan Gehl

29.09.20134 Min. Kommentar schreiben
Foto: H. Färm
Bürger im Blick: Jan Gehl (hier in Italien) hat erkannt, was Bewohner sich wünschen, um gerne in Innenstädten zu leben.

Text: Nils Hille

In nur einer Nacht kann sich in einer Innenstadt alles ändern. New York im Jahr 2007: Viele Autos, darunter Unmengen an Taxen, schieben sich über den Madison Square, Stoßstange an Stoßstange. Verkehr, Lärm und Abgase bestimmen das Bild dieses bekannten Orts. Fast die gesamte Fläche zwischen den riesigen Hochhäusern steht den Fahrzeugen zur Verfügung. Auf dem mickrigen Rest quetschen sich die zahlreichen Fußgänger. Sie können nur eines: Sich immer weiter fortbewegen, von A nach B hetzen. Kurz mal stehenbleiben oder gar eine Pause einlegen? Keine Chance, dafür fehlt einfach der Platz. Dann wird es Nacht – und schon am nächsten Morgen ist alles anders. Auf einem Teilbereich, wo gestern noch die Straße war, bestimmen jetzt Fußgänger und Radfahrer das Bild. Sie können sich viel freier bewegen, sitzen zwischen Pflanzen gemütlich in der Sonne, essen und trinken gemeinsam unter freiem Himmel – oder verweilen einfach mal.

Was ist geschehen? Jan Gehl war da – und mit ihm kamen gerade einmal ein paar Blumenkübel, Bänke, Stühle und Tische sowie etwas Farbe auf den Madison Square. Der dänische Architekt und Stadtplaner hatte den Auftrag, die City von New York für die Einwohner und Touristen wieder lebenswert zu machen. Und er hat es mit relativ simplen Maßnahmen geschafft. Mittlerweile kommen rund 50 Millionen Touristen pro Jahr nach New York, und wohl kaum einer von ihnen lässt den Madison Square bei seinem Stadtbesuch aus.

Mit hollywoodreifen Kamerafahrten in der Vogelperspektive über Straßenzüge sowie in Vorher-nachher-Bildvergleichen zeigt der Film „The Human Scale“, der am 31. Oktober in den deutschen Kinos startet, eindrucksvoll diese innerstädtische Veränderung – und noch viele weitere. Denn New York ist bei Weitem nicht die einzige Metropole, die das Büro Jan Gehl in den vergangenen vier Jahrzehnten beauftragt hat, um ihre City tagsüber, aber auch nach Feierabend und am Wochenende für die Bürger erlebenswert zu gestalten. Oder wie Gehl sagt: „Eine gute Stadt ist wie eine gute Party – man bleibt viel länger als nötig, weil man sich wohlfühlt.“ Melbourne in Australien, Dhaka in Bangladesch oder Gehls Heimatstadt Kopenhagen in Dänemark – so unterschiedlich die Menschen und Kulturen auch sind, die Dokumentation zeigt eindrücklich, wie ähnliche Wünsche die Bewohner rund um den Erdball verbinden. Immer kommen der projektleitende Planer und der Auftraggeber aus der jeweiligen Stadt zu Wort – Erstere meist mit nachdenklichen Worten, aber auch markanten Sprüchen, Zweitere mit Lobeshymnen. Sie alle setzen die Priorität für Bürger statt für Industrie oder Verkehr.

Und es gibt eine weitere Verbindung: Die Vorgehensweise von Gehls Büros ist immer dieselbe – simpel, aber klug. Die Planer beobachten zunächst die aktuelle Situation in der Innenstadt, zählen Menschen und Autos, schauen, an welchen Stellen sich die Bewohner gerne in der Stadt aufhalten und welche Ecken sie möglichst meiden. Das gibt ein erstes Grundgerüst für die Planung. Dann steht die Beteiligung an, meist in großem Maße. Jan Gehl und Team befragen die Einwohner, lassen sie Wünsche auf große Wände oder online schreiben, animieren Kinder, ihre Traumstadt-Modelle aus Legosteinen zu bauen und diskutieren mit den Erwachsenen Interessen und Ideen. Im vom Erdbeben stark zerstörten Christchurch in Neuseeland kamen unglaubliche 106.000 Vorschläge zusammen. Erst nach der Auswertung der Masse an Eindrücken und Meinungen entwickeln die Städteplaner Lösungsvorschläge. Gehl bestätigt die Einfachheit des Systems: „Es kostet wenig, denn die Menschen wissen, was sie mögen und wann sie sich unwohl fühlen.“

Foto: M. Philp
Bürger mittendrin: Auf dem Madison Square beherrschen die Menschen und nicht mehr die Autos das Stadtbild.

Es macht ihn und seine Kollegen sehr sympathisch, wie sie so wenig eitel und nie im eigenen Saft schmorend, aber trotzdem unglaublich visionär im Film daherkommen. Wie sie förmlich danach gieren, erfassen zu können, was die Menschen für die Innenstadt begeistern und in die Innenstadt bewegen könnte. Der Eindruck wird dadurch verstärkt, dass Regisseur Andreas M. Dalsgaard die Interviews mit den Projektleitern jeweils bei ihnen zu Hause, in ihrem eigenen privaten Lebensbereich, gedreht hat. Der Untertitel des Films darf dann ruhig nach erhobenem Zeigefinger klingen: „Das Maß der Dinge, die wirklich zählen.“

Wer vor allem Planungs- und Projektdetails erwartet, wird nach dem Abspann wohl eher enttäuscht aus dem Kinosaal kommen. „The Human Scale“ ist ein Dokumentarfilm, der eine breitere Masse und nicht nur ein Fachpublikum ansprechen will. Da bleibt für die Fachinformationen nur ein überschaubarer Platz. Wer aber gelungene, gigantische Aufnahmen mag, wer einfach Eindrücke sammeln und sich inspirieren lassen möchte, der sollte sich ein Ticket kaufen – und ruhig eine Tüte Popcorn dazu.

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