Messehallen in Leipzig werden zu Archiv und Fahrradmarkt
Messehallen sind robust, aber nicht unbedingt leicht umzunutzen. Zwei Sanierungsprojekte in Leipzig schreiben bewegte Baugeschichten erfolgreich um ein Kapitel weiter
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Noch nicht die letzte Messe lesen“ im Deutschen Architektenblatt 12.2020 erschienen.
Von Gregor Harbusch
Im Jahr 1996 zog die traditionsreiche Leipziger Messe auf ihr neues Gelände ganz im Norden der Stadt. Damit wurde das alte Messegelände südöstlich des Stadtzentrums frei, auf dem seit 1913 internationale Leistungsschauen stattgefunden hatten, für die vor allem in den 1920er-Jahren einige bemerkenswerte Hallen errichtet worden waren. Die Entwicklung der Alten Messe zog sich hin. Lange war unklar, welche der historischen Hallen erhalten werden konnten und sollten – und wie viel denkmalpflegerische Sensibilität bei den Umbauten zu erwarten sei.
In einem Strategiepapier aus dem Jahr 2013 bekannte sich die Leipziger Entwicklungs- und Vermarktungsgesellschaft LEVG, die für die Zukunft der Alten Messe verantwortlich ist, schließlich dazu, die noch leer stehenden und denkmalgeschützten Bauten tragfähigen Nutzungen zuführen zu wollen. Doch das Papier legte sich nur bei zwei Gebäudeteilen auf den unbedingten Erhalt fest. Darüber hinaus sollten alle Denkmäler „verstärkt am Markt angeboten“ werden, was getrost als Hinweis auf die Konkurrenz von ökonomischen und baukulturellen Werten gelesen werden darf, die bei riesigen, nicht unbedingt leicht umnutzbaren historischen Messehallen natürlich gefährlich werden kann.
Im letzten Jahr wurden nun zwei Sanierungsprojekte abgeschlossen, die zeigen, was man aus den alten Hallen machen kann: der Umbau von Halle 15 zum Fahrrad-Center der Firma Stadler durch Westphal Architekten aus Bremen und die Transformation des sogenannten Sowjetischen Pavillons (Halle 12) zum Stadtarchiv durch die Arbeitsgemeinschaft der beiden Dresdner Büros Pfau Architekten und Peter Zirkel Gesellschaft von Architekten.
Die Dachkonstruktion von Halle 15 wurde 1928 innerhalb der Mauern einer bestehenden Halle von 1923 errichtet. (Klicken für mehr Bilder)
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Zweirad-Center in Messehalle 15
Außerhalb von Fachkreisen dürfte wenig bekannt sein, dass Halle 15 zu ihrer Bauzeit ein echter Superlativ war. Die Dachkonstruktion aus sieben Zweigelenk-Fachwerkrahmen wurde in wenigen Monaten durch das Büro Crämer & Petschler innerhalb der Außenmauern einer bereits bestehenden Halle aus dem Jahr 1923 errichtet. Mit einer Stützenweite von knapp 100 Metern stellte der Bau einen weltweiten Spannweitenrekord auf, als er im Frühjahr 1928 eröffnete. Die strenge Ingenieur-Ästhetik mit den langen Oberlichtern und den schmalen, vertikalen Fassadenplatten aus Beton beeindruckt bis heute, doch der Kontrast zum fünf Jahre älteren Sockelbereich mit seinen expressionistischen Fenstern dürfte die Zeitgenossen vermutlich irritiert haben.
Vielleicht ist das der Grund, warum die Halle nicht die architekturhistorische Bekanntheit erlangte, die ihr eigentlich zustünde, mutmaßt Jost Westphal. Im Krieg wurde die Halle teilzerstört. Nur vier Fachwerkrahmen blieben erhalten. Sie wurden kurz nach Kriegsende durch Zwischenstützen abgesichert, außerdem baute man umlaufende Galerien ein. Der imposante Raumeindruck der Halle ging damit verloren, sie wurde aber bis nach 1996 genutzt, zuletzt als Restpostenmarkt.
Archivrecherche und Tragwerksprüfung
2015 erwarb der Fahrradhändler Stadler das denkmalgeschützte Haus und sprach Westphal Architekten an, die in der Bremer Überseestadt bereits ein Fahrrad-Center für das Unternehmen gebaut hatten, die Halle zu einem großzügigen Verkaufsstandort umzubauen. Das Ziel der Architekten war so simpel wie einleuchtend, erforderte aber Engagement, Archivrecherchen und technische Untersuchungen: Sie wollten alle späteren Einbauten zurückbauen und den inneren Raumeindruck der Halle weitestgehend wiederherstellen.
Mut machte den Planern nicht zuletzt ein historisches Foto der kriegszerstörten und ausgebrannten Halle, auf dem eine Pendelleuchte zu sehen ist, die an einem der bestehenden Träger hängt. Wenn diese Lampe nach dem Brand infolge der Bombardierung noch hing – so die Überlegung –, dann kann die Hitze in 20 Meter Höhe nicht so groß gewesen sein, dass das Stahlfachwerk ernsthaft Schaden genommen hätte. Jens Ritter vom Ingenieurbüro pb+ lieferte schließlich die notwendigen statischen Nachweise, sodass die 1947/48 eingebauten Zwischenstützen demontiert werden konnten.
Rückbau an den Außenseiten
Rückgebaut wurden auch diverse, bis zu vier Geschosse hohe Anbauten an den Außenseiten der Halle. Stattdessen entstand ein schlichter, geschlossener Sockelbau, der als reduzierte Interpretation des ursprünglichen Erscheinungsbildes begriffen werden kann. Dem weitgehenden Verzicht auf Fenster im Sockelgeschoss stehen die beiden riesigen Glasflächen an den Stirnseiten des Gebäudes gegenüber, die erst beim Wiederaufbau nach dem Krieg entstanden und der Halle seither eine deutliche Axialität verleihen. Die rundum sanierte Halle spiegelt also verschiedene Zeitschichten und deren architektonische Präferenzen wider – darunter auch das gegenwärtige Streben nach energieeffizientem Bauen, denn sie wurde komplett neu gedämmt und erfüllt die einschlägigen EnEV-Anforderungen.
Auch wenn das ein oder andere Detail den Kostendruck verrät, der bei einem solchen privatwirtschaftlich getragenen Sanierungsprojekt immer herrscht, so haben Bauherr und Planer überzeugend gezeigt, wie eine denkmalgeschützte Halle für eine zukünftige Nutzung fit gemacht werden kann.
Halle 12 stammt von 1925 und wurde 1950 zum sowjetischen Pavillon (Klicken für mehr Bilder)
Stadtarchiv in Messehalle 12
Hinter der schlichten Bezeichnung „Halle 12“ verbirgt sich das Wahrzeichen des ehemaligen Messegeländes: der Sowjetische Pavillon mit seiner steil aufragenden goldenen Spitze, die von einem roten Stern bekrönt wird. Die Baugeschichte der Halle ist komplex und spiegelt eindrucksvoll den Wandel der Repräsentationsformen wider, mit denen die Sowjetunion ihren Auftritt auf dem Messegelände inszenierte. Der Ursprungsbau wurde 1923/24 errichtet und stammt von den Architekten Oskar Pusch und Carl Krämer. Er bestand aus einem zweigeschossigen Eingangsgebäude mit einer strengen Kolonnade aus natursteinverkleideten Pfeilern. Hinter diesem sogenannten Portikus lag die eigentliche Ausstellungshalle, die in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch eine untergeordnete Rolle spielt.
Austtellungspavillon der Sowjetunion
Nach dem Krieg wurde die Halle zum nationalen Ausstellungspavillon der Sowjetunion. Die markante goldene Spitze und ein repräsentatives Portal entstanden. Dreimal wandelte die Fassade Anfang der 1950er-Jahre ihr Erscheinungsbild. Der Personenkult um Stalin gipfelte 1952 im Bau einer Kuppelhalle, die zwischen Portikus und Ausstellungshalle vermittelte und für die ungefähr ein Fünftel der eigentlichen Halle abgetragen wurde. 1979 folgte der letzte wichtige Umbau zu DDR-Zeiten. Die verspielte Fassade aus der Stalin-Zeit wich schlichten, abstrahierten Repräsentationsformen, die Kuppelhalle wurde zu einem simplen Durchgangsraum umgestaltet.
Leerstand nach der Wende
Nach der Wende stand das Haus leer, seit 1993 genießt es Denkmalschutz. 2004 erfolgte schließlich ein mit Bauschäden begründeter und nutzungsunabhängiger Rückbau des Portikus in Richtung Rohbauzustand. Pragmatismus und ideologische Vorbehalte gingen scheinbar eine eigenwillige Mischung ein und führten dazu, dass in Abstimmung mit der Denkmalpflege die architektonischen Spuren aus der DDR-Zeit zu großen Teilen ausgelöscht wurden. Seither ist die Fassade des Portikus deutlich zweigeteilt. Das Portal und der untere Teil des Turms in der Hauptachse, die einst kräftig dekoriert waren, zeigen sich nun als grauer und wuchtiger Gebäudeteil; die flankierenden Kolonnaden erscheinen wieder in ihrem ursprünglichen Zustand von 1924.
Verschiedene Zeitschichten sichtbar
Vor dem Hintergrund dieser Baugeschichte bekam die Arbeitsgemeinschaft der beiden Dresdner Büros von Eberhard Pfau und Peter Zirkel im Januar 2015 nach einem vorgeschalteten VOF-Verhandlungsverfahren den Zuschlag, das Haus zum Stadtarchiv zu transformieren. Der Kuppelsaal wurde abgerissen und durch ein Magazingebäude ersetzt, das sich mit seiner Fassadengestaltung und den beiden Staffelgeschossen an der historischen Ausstellungshalle orientiert. Historischer Bezugspunkt bei der Sanierung des Portikus war in erster Linie der Zustand von 2004 in all seinen Ambivalenzen. Die vorgefundene Gebäudesubstanz wurde gesichert und fehlende Bauteile wurden rekonstruiert.
Das Vestibül in der Hauptachse konnte aus wirtschaftlichen Gründen nicht in seiner ursprünglichen Funktion erhalten werden. Es wurde zum Lesesaal umgebaut, indem im Erdgeschoss zwischen die historischen Pfeiler raumhohe Glaswände gesetzt wurden. Mit seiner überraschenden und äußerst prominenten Lage direkt hinter dem Eingangsportal trägt der Lesesaal nun viel dazu bei, das Archiv als öffentlichen Ort zu begreifen. Foyer und Veranstaltungssaal schließen seitlich an. Das Projekt umfasst 15.500 Quadratmeter BGF und schlug mit 15,3 Millionen Euro brutto für die beiden Kostengruppen 300 und 400 zu Buche.
Gebäude selbst wie ein Archiv
Wer den heutigen Portikus mit strengem architektonischen Auge betrachtet, den mag die Uneinheitlichkeit der Fassade und der Fokus auf den Zustand von 2004 stören. Stadt und Denkmalpflege wollten das Fragmentarische, betont Projektleiter Conrad Lohmann aus dem Büro Peter Zirkel. Sicherlich hätte man auch die neue Identität des Ortes stärken und so einen stringenteren Umgang mit dem Denkmal finden können, gibt Lohmann außerdem zu bedenken. Anderseits passt das Interpretative und Fragmentarische des Hauses zur Nutzung. Denn Archivforschung schafft selten Eindeutigkeiten und erlaubt oft nur indirekte Blicke auf das Vergangene. Ganz ähnlich zeigt sich nun auch die sanierte Halle. Die Spitze mit dem roten Stern markiert zwar einen deutlichen Bezugspunkt, doch letztlich lässt die rohe Kubatur in der Hauptachse die Überformungen der Vergangenheit nur noch erahnen und fordert zur historischen Recherche auf.
Buchtipp: Sowjetischer Pavillon
Im Zusammenhang mit der Sanierung des Sowjetischen Pavillons erscheint Anfang 2021 ein Buch, das die Geschichte des Hauses dokumentiert. Anhand vergleichender zeichnerischer Darstellungen, zeitgenössischer Fotografien sowie Texten und Interviews werden die ideologischen und formalen Wandlungen des Pavillons greifbar gemacht.
Peter Zirkel, Till Schuster, Tanja Scheffler Sowjetischer Pavillon. Substanz oder Erscheinung M BOOKS, 2021
104 Seiten, 18 Euro
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