Text: Nils Hille
Gezweifelt hat bei ihm noch kein Bauherr, ob er der richtige Architekt für barrierefreie Bauten oder Umbauten sei. Spätestens wenn die potenziellen Kunden zum ersten Mal auf Frank Opper treffen, wissen sie, dass er ihnen sicher keine halbgare Lösung planen wird. Denn Opper sitzt im Rollstuhl und erlebt tagtäglich selbst, wo und wie schnell es schwer oder gar nicht überwindbare Hürden gibt. Vor 21 Jahren hatte der Planer einen Unfall, da war er 22 Jahre alt. Seitdem ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Doch das Schicksal brachte ihm und seinem Vater Kurt, mit dem er zusammen in Kaarst das Architektur- und Ingenieurbüro Opper betreibt, auch etwas Positives: die erfolgreiche berufliche Spezialisierung auf das barrierefreie Bauen. Denn seit dem Unfall setzt Frank Opper sich für schwellenlose Zugänge ein – und das nicht nur aus eigenem Interesse. „Die Infrastruktur in Deutschland ist nicht für die Gesellschaft geeignet, die wir durch den demografischen Wandel haben. Aus vielen Wohnungen, in denen Menschen seit 40 Jahren leben, kommen sie als bewegungseingeschränkte Senioren gar nicht mehr ohne Hilfe raus.“
Und Opper kommt wiederum allein gar nicht rein. Doch das schreckt den 43-Jährigen nicht ab, sondern spornt ihn an: „Von anderen Menschen, die mit einer Behinderung leben, weiß ich, dass sie nur dahin fahren, wo sie sicher sind, dass sie auch problemlos alles erreichen können. Ich habe bisher immer eine Lösung gefunden.“ Zu Hause war das relativ einfach: In sein Büro im Untergeschoss gelangt er mit einem Treppenlift. Autofahren kann er dank Gasgeben und Bremsen per Hand statt Fuß ebenfalls ohne fremde Hilfe. Wenn er eingestiegen ist, zieht er den relativ leichten Rollstuhl über sich hinweg auf den Beifahrersitz. Da seine Arme und Hände voll funktionsfähig sind, ist das in dem umgebauten Auto machbar. Doch bei Terminen kann es schwierig werden. So erlebte Opper bei den Bauämtern der Region ganz Unterschiedliches: „In Neuss kam ich erst nur beschwerlich hoch. In Krefeld ging es über die Hintertür. Mittlerweile haben aber alle Ämter irgendwie nachgerüstet“, sagt Opper. „Irgendwie“ heißt, dass er meist nicht komplett selbstständig vom Parkplatz bis zum Büro seines Ansprechpartners gelangen kann, auch wenn er es gerne würde. „Fast überall muss ich den Hausmeister rufen, der mir erst den Zugang zu Aufzügen und Treppenliften ermöglicht.“ Barrierefreiheit sieht anders aus. Doch für Opper bedeutet dies in erster Linie nicht eine Diskriminierung, sondern ganz pragmatisch, dass er einen deutlich größeren Zeitaufwand einplanen muss als die Kollegen, die mal eben die Treppe nehmen können.
Wo Oppers Wille ist, ist auch ein Weg für ihn – das gilt selbst auf Baustellen, wobei deren Begehungen „schon problematisch“ sind, wie er zugibt. Hier profitiert er von technischen Möglichkeiten wie Digitalkameras, mit denen Mitarbeiter oder Handwerker für ihn in den oberen Etagen Bilder machen können, die er anschließend im Erdgeschoss direkt auswertet. Ist etwas nicht eindeutig erkenn- oder bewertbar, lässt er sich von den Handwerkern auch schon mal hochtragen. „Die wollen ja nun auch von mir Antworten und helfen gerne.“ Antworten wünschen sich auch andere Planer und Industrievertreter, die meist viele Fragen zum Thema haben. So schreibt Opper als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger Gutachten zu barrierefreiem Bauen und hält regelmäßig Vorträge für Kammern und Firmen.
Selbstversuche gegen Irrtümer
Beides macht auch Architekt Dirk Michalski aus Neunkirchen-Seelscheid südöstlich von Köln. Er sitzt wie Opper im Rollstuhl – und platziert auch gerne mal Kollegen ohne Behinderung hinein. In seinen Seminaren zum barrierefreien Bauen erleben die Planer, wie schnell sie mit dem rollenden Gefährt an ihre Grenzen kommen. So sollen sie zum Beispiel mit dem Rollstuhl über eine gerade mal zwei Zentimeter hohe Dachlatte fahren – und scheitern meist daran. „Aus solchen Erfahrungen entstehen nachhaltige Erkenntnisse. Die Kollegen achten nun darauf, dass sie ab der nächsten Planung sämtliche Schwellen und andere Hürden vermeiden“, sagt Michalski. Dazu arbeitet er auch mit Brillen, die die Architekten schlechter sehen lassen, und mit speziellen Anzügen, die ihnen nur noch die Kraft und Beweglichkeit eines durchschnittlichen 75-Jährigen erlauben. Auch diese Experimente zeigen ihre Wirkung.
An Michalski, der sich als sehr selbstbewussten Menschen bezeichnet, prallen komische Blicke und blöde Kommentare, die er als Rollstuhlfahrer immer wieder erleben muss, ab: „Je souveräner ich selbst bin, desto positiver sind die Wahrnehmungen und Reaktionen von anderen.“ Das weiß er schon aus Hochschulzeiten. Als er in der FH Köln sein Architekturstudium begann, wurde rasch eine behindertengerechte Toilette für ihn gebaut. Und er selbst plante für sich noch während der Ausbildung ein barrierefreies Haus mit Büro. Wie Opper ist Michalski mobil. Auch seine Hände sind voll funktionsfähig, sodass er Auto fahren kann. Mit der barrierefreien Planung hat er schnell seine berufliche Nische gefunden und wird als Experte in diesem Bereich geschätzt.
Doch das Thema ist bei Weitem noch nicht überall angekommen, wie Michalski immer wieder beobachten muss. In diesem Jahr hat er zum Beispiel bei einer Behörde eine Fortbildung gegeben, deren Verantwortlichen gemerkt hatten, dass ihr Gebäude alles andere als barrierefrei ist und sie da eigentlich mal etwas daran ändern könnten. Könnten? Gesetze sehen dies eigentlich schon seit 2004 vor. „Die Lobby derjenigen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, ist schwach“, kommentiert Michalski. So erlebt er auch viele halbherzige Lösungen – wie in einem Hotel, das zwar für einen Rollstuhlfahrer genügend Bewegungsfreiheit in einem speziellen Zimmer bietet, wo der Spiegel im Bad aber auf der Standardhöhe für Stehende hängt und so für ihn nicht nutzbar ist. Da konnte Michalski nur noch den Kopf schütteln. Genauso wie vor nicht allzu langer Zeit bei dem prämierten Entwurf eines Wettbewerbs: In das Gebäude wurde eine schön gestaltete Wohnung für Rollstuhlfahrer eingeplant – eigentlich eine gute Sache. Doch leider liegt sie im Dachgeschoss und in dem Entwurf war kein Aufzug vorgesehen, sodass kein Mensch mit Gehbehinderung dort oben selbstständig hingelangen, geschweige denn einziehen könnte. Der Jury war das gar nicht aufgefallen.