Text: Christoph Gunßer
Eigentlich wäre er gern Dirigent geworden, Musiker. Er geht häufig in die Oper, hat fast nur Musikerfreunde. Bei manchen Kollegen ist er indes weniger beliebt. Das hat viele Gründe, nahe liegende und eher untergründige. Warum ist er Architekt geworden, und woher kommt sein persönlicher Ruf? Das ist eine lange Geschichte.
Sein bester Freund war schon früh sein Vater, der Kunsthistoriker Wolfgang Braunfels, in der Nachkriegszeit Autor viel gelesener Werke zur Stadtbaugeschichte. Er nahm seinen Ältesten regelmäßig mit an die Uni, wo er mit den Studenten Modelle baute, und auf Reisen. Die Ferien verbrachte man am Stammsitz der arrivierten Künstlerfamilie in Florenz, das für ihn zur „Vaterstadt“, zur „schönsten Stadt der Welt“ wurde.
Die Stadträume der oberitalienischen Republiken, das konnte der Vater damals nachweisen, waren keineswegs planlos gewachsen, sondern Ergebnis „hartnäckiger Dauersitzungen“.
Debattiert wurde denn auch in der Familie Braunfels viel, man engagierte sich seit jeher in öffentlichen Dingen: „Sobald du in einen Raum hinaustrittst, bist du dafür verantwortlich, was darin geschieht“, resümiert der Sohn die Stimmung.
In den Siebzigerjahren studierte er in München Architektur – „das Klavier habe ich einfach zu spät bekommen“. Bald danach mischte er sich selbst ein. Zur geplanten Überbauung des Unteren Hofgartens durch Franz-Josef Strauß’ opulente Staatskanzlei fertigte er unaufgefordert einen Alternativentwurf an, der sich auf historische Planungen des frühklassischen Stadt- und Landschaftsplaners Friedrich Ludwig von Sckell berief – und trat erst damit eine öffentliche Debatte los, an deren Ende nicht der Verzicht, aber eine modifizierte Überbauung stand. Stephan Braunfels war fortan der „junge Wilde“, der den Großkopferten die Stirn bot.
Doch genutzt hat ihm das keineswegs, denn bauen, realisieren durfte er fortan in München sehr lange nichts. So wurde das Engagement zu seiner Lebensaufgabe: „Der junge Wilde bin ich immer noch. Es wachsen ja keine jungen nach“, klagt der heute 64jährige. „Ich kritisiere, wenn öffentlicher Raum nicht sorgfältig diskutiert, gedacht und geplant wird. Aber das interessiert heute keinen mehr. Das Hauptproblem ist, dass wir keine Bürgerschaft haben, die ihre öffentlichen Räume verteidigt. Mich ärgert, dass, wer sich für solche Belange engagiert, als Querulant gesehen wird.“
Das Schweigen der Kollegen
Schon in der Hofgarten-Debatte fühlte er sich besonders von Architektenverbänden im Stich gelassen. Er sei damals als „Greenhorn“ regelrecht angefeindet worden. Seitdem wiederhole sich das, weil seine unaufgeforderten Einmischungen das übliche Prozedere verletzen würden. Dieses kommt ihm wie Filz und Vetternwirtschaft vor. In Braunfels’ Augen hätscheln allenthalben Stadtbauräte oder Senatsbaudirektoren eine Entourage von Architekten: Diese bekommen in seinem Weltbild Aufträge zugeschanzt, sitzen in Beiräten und Jurys, werden Investoren empfohlen, während eigenständige Köpfe wie er leer ausgehen.
Braunfels fühlt sich offensichtlich wohler „in zeitloser Gesellschaft mit Kollegen aus mehreren Jahrhunderten“, wie er es ausdrückt – im Hofgarten-Streit verstand er sich ja als der Vollender von Sckells, der einst Münchens Englischen Garten schuf. Wo andere Brüche sehen, denkt er in Kontinuitäten: „In der Stadtbaukunst kann man gar nichts erfinden. Man kann aber jede Menge finden. Das Aufnehmen gescheiterter Planungen und Utopien ist eine Fundgrube. Man muss nur tief genug schürfen.“ Braunfels ist überzeugt: „Ich will die Brüche kitten. Ich bin ein Harmonisierer. So bin ich einfach sozialisiert.“
Den Außenraum zum Innenraum zu machen, das ist sein Anliegen – wie in Florenz. Für den feinsinnigen Idealisten Braunfels bedeutet dies „glückhafte Gestaltung“. Moderne Planung hingegen produziere Vorstädte, keine Innenstädte. „In Vororten ist alles Außenraum, dort lebt man hinter Wänden. In der Innenstadt aber sollte ein Großteil des Lebens in der Öffentlichkeit stattfinden.“ Er beklagt jedoch das Fehlen der großen Masterpläne: „Die Städte werden so wie in den USA zu einer Ansammlung möglichst interessanter Gebäude. Nennen Sie mir einen gelungenen Platz in Amerika!“
Urbaner Minimalismus
Erst mit Anfang vierzig bekam Braunfels die Gelegenheit, alles anders zu machen: Kurz nacheinander gewann er 1992 und 1993 die Wettbewerbe für die Pinakothek der Moderne in München und für die Funktionsgebäude des Bundestages in Berlin, das Paul-Löbe-Haus und später das angrenzende Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Mit über 25.000 Quadratmetern Raumprogramm in München und mehr als 100.000 Quadratmetern in Berlin war er nun plötzlich in der Lage, selbst ein Stück Stadt, ein Gesamtkunstwerk in seinem Sinne zu erschaffen. Stephan Braunfels war endlich Dirigent, Dirigent der Räume!
Die Ergebnisse sind bekanntlich respektabel. Die Pinakothek, 2002 eröffnet, wird auch international als großes Tageslichtmuseum geschätzt. Braunfels selbst nennt sie unbescheiden „eines der besten Museen“, gleichsam ein Anti-Guggenheim. Während Frank Gehry nämlich kurz zuvor in Bilbao eine schlecht nutzbare, stadträumlich isolierte Skulptur lieferte, schafft die Pinakothek urbane Bezüge, würdevolle Aufenthaltsräume wie die halböffentliche Passage und die 25 Meter hohe, Schinkel zitierende Rotunde und nicht zuletzt einen lichten, ruhigen Plafond für die Kunst. Hier zeigt sich, dass ein Harmonisierer nicht „gestrig“ bauen muss, um das Stadtgefüge zu kitten. Braunfels’ Architektur ist lesbar, indem sie auf tektonische Archetypen verweist. Formal frönt sie dabei einem kühl-reduzierten Minimalismus im Geiste Louis Kahns und Tadao Andos.
Unerwiderte Liebe zu Berlin
Auch in Berlin bekamen das Paul-Löbe- und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags durch Braunfels eine kühle, klare Ausgestaltung, die im Gegensatz zu anderen Wettbewerbsbeiträgen jede neudeutsche Retro-Ästhetik meidet. Eine integrierte Doppelbrücke über die Spree und ein Platz am Fluss schaffen öffentlich zugängliche, symbolisch aufgeladene Außenräume. Schließlich baute er quer zu zwei Diktatoren: Als Teil des von Axel Schultes geplanten „Bandes des Bundes“ durchschneiden seine Bundestagsbauten sowohl den einst von Albert Speer geplanten Verlauf der Nord-Süd-Achse als auch den späteren Todesstreifen zwischen Ost und West.
In der historischen Berliner Innenstadt kam Braunfels dagegen nicht zum Zuge: Beim Stadtschloss-Wettbewerb 2008 sortierte die Jury seinen Entwurf bereits im ersten Rundgang aus. Entgegen den Auslobungsbedingungen schlug er eine Öffnung des zu rekonstruierenden Baukörpers gen Osten vor, zur Spree und in Richtung Alexanderplatz. Das rechtfertigt er mit Analogien zum Pariser Louvre, der seit seiner Orientierung auf die Tuilerien auch „umgestülpt“ sei – hier hören wir wieder den Sohn des Historikers mit dem Blick für die großen Linien.
Der Wettbewerbsgewinner Franco Stella, für Braunfels „ein italienischer Provinzarchitekt“, realisiert hier nun nach seinen Worten eine „Nazi-Halle“. 2013, als das Humboldt-Forum längst im Bau war, präsentierte er seinen fünf Jahre zuvor gescheiterten Entwurf der stirnrunzelnden Öffentlichkeit noch einmal als das Nonplusultra. Hier gossen Medien und Politik kübelweise Spott und Häme über ihn aus. Das Kunstmagazin „Art“ bezeichnete ihn als „Trotzkopf“ mit einer Mischung aus „Sanftmut, Eitelkeit, Rechthaberei“. Der Entwurf fand auch Sympathien – doch zu spät. Braunfels gibt zu, dass dies wohl ein Auftritt zur Unzeit war. Doch als er noch etwas hätte bewegen können, habe er kein Geld für teure Renderings gehabt…
Schon einen Monat zuvor hatte er sich mit dem Berliner „Kulturforum“ auseinandergesetzt und für dessen leere Mitte einen großen Kreisverkehr mit Fontänen und umgebenden Hochhäusern vorgeschlagen. Heute beschäftigt ihn die avisierte Erweiterung der Neuen Nationalgalerie. Bevor der Bau geplant wird, hält Braunfels hier zunächst die stadträumliche Situation für klärungsbedürftig. Damit an diesem disparaten Ort nicht nur ein weiteres isoliertes „sig-nature building“ entsteht, fordert er vorab einen Städtebauwettbewerb – aus seiner Sicht konsequent, doch wie so oft mit geringer Aussicht auf Erfolg.
Zwischen allen Stühlen
Braunfels hadert selbst mit seinem größten Berliner Erfolg: Dass er seine Bundesbauten nicht als „Speersche Kolonnaden“ plante, hätten ihm viele wichtige Leute in Berlin übel genommen. Noch heute ist in seinen Augen eine „neoneoneoklassizistische Bauweise“ auf dem Vormarsch: „Ich sehe mit Grausen, dass in Berlin nur noch historisierend gebaut wird. Und die meisten knüpfen wieder ungeniert beim Dritten Reich an.“ Da werde, schon aus Kostengründen, nicht „ge-Schinkelt“, sondern „ge-Speert“. Braunfels betont: „Das würde ich nie tun. Ich bin da sehr sensibel.“ Dennoch werde in Berlin heute wenigstens solider gebaut als in München. In seiner Heimatstadt sieht er aufgrund der hohen Baulandpreise nur noch „Schrott“ entstehen. Doch hier wie dort steht er „vor verschlossenen Türen“, wenn es um öffentliche Aufträge oder Wettbewerbe geht.
Das kränkt ihn nicht nur, es geht auch an die berufliche Substanz: Dirigierte Braunfels in den späten Neunzigern noch zwei Büros mit fünfzig Leuten, so musste er sein Team zwischenzeitlich auf zehn Mitarbeiter verkleinern. Das Münchner Büro wurde ganz geschlossen.
Hinzu kommt die schlechte Zahlungsmoral der öffentlichen Hände. Baukostensteigerungen und Baumängel ließen Braunfels schon in München vor Gericht ziehen, in Berlin kämpft er nun gegen die „Killer-Bürokratie“ in Gestalt des Bundesamtes für Bauwesen (BBR), für das er gerade die abschließenden 44.000 Quadratmeter seines Bundestags-Komplexes realisiert. Doch als freier Planer sitzt er juristisch am kürzeren Hebel: „Die wollen den Architekten ausbluten lassen, bis er nicht mehr kann.“
Von Rechthabern und Machthabern
Von wichtigen Aufträgen weitgehend abgeschnitten, führt Stephan Braunfels seit Jahren immer wieder Prozesse gegen öffentliche Bauherren. Seine Klage gegen die Direktvergabe der Hamburger Elbphilharmonie an Herzog & de Meuron scheiterte 2006 – für Braunfels „eine ganz schlimme Geschichte“: Das Gericht konzedierte zwar, dass die Vergabe nicht korrekt gelaufen sei, konnte der Stadt dabei aber keinen Vorsatz nachweisen. Braunfels fühlte sich erneut von seiner Zunft alleingelassen und blieb auf den „gigantischen“ Prozesskosten sitzen. Sein frustriertes Fazit: „Die Architekten sind viel zu wenig solidarisch. Wenn jemand sich frei äußert, wird er sogar von unbeteiligten Kollegen angefeindet.“
2004 hatte er bereits gegen das beschränkte Wettbewerbsverfahren um das Dresdener Kunstdepot geklagt, weil es junge und einheimische Architekten unrechtmäßig bevorzuge. Den Zuschlag erhielt allerdings der ebenso aushäusige und gut etablierte Volker Staab. Braunfels gewann zwar in erster Instanz vor der Vergabekammer. Das Verfahren wurde deshalb neu ausgeschrieben; Staab gewann auch jetzt. „Da habe ich mir nur Feinde gemacht.“
Auch weitere Klagen brachten ihm eher Feindschaft als Freundschaft ein: Er verlangte vom Freistaat Bayern 1,2 Millionen Euro Schadenersatz, weil auf einer Freifläche neben seiner Pinakothek nicht er zum Zuge kam, sondern das Berliner Büro Sauerbruch Hutton das Museum Brandhorst bauen durfte. Braunfels’ Argumente, das sei der Bruch eines Versprechens und verletze zudem sein Urheberrecht, zogen vor Gericht nicht.
Gar zehn Millionen Euro verlangte er vom Freistaat wegen Rufschädigung nach Auseinandersetzungen um die Pinakothek selbst. Er sei als Nörgler und Querulant dargestellt worden und habe Aufträge verloren. Auch mit dieser Klage hatte er keinen Erfolg. Ebenso wenig mit einem Verfahren gegen die Regensburger Familie Thurn und Taxis. Für diese hatte er ein Kongresszentrum mit Hotel geplant, das dann nicht realisiert wurde. Braunfels verlangte drei Millionen Euro Honorar; das Gericht sah keinen Anspruch darauf.
Resignation liegt ihm trotz aller Misserfolge fern: „Ich werde meinen Weg so weitergehen. Ich kann mir ja gar nichts mehr verderben.“ Und für seine geliebten Masterpläne bezahlt ihn sowieso niemand: „Die Aufgaben muss man sich selbst stellen. Meine Gedanken kosten mich ja nichts.“
In letzter Zeit plant Braunfels für ausländische Interessenten, in China, Nepal, Mexiko. Und wenn ihm hierzulande sonst niemand folgen will, spricht er vor seinen Studenten an der Beuth-Hochschule Berlin – von der Wichtigkeit der Zwischenräume. Er tröstet sich damit, dass selbst seine historischen „Helden“ von Sckell, Pöppelmann oder Semper oft unverstanden blieben, gar Opfer von Intrigen wurden: „Selbst Klenze hatte ständig Probleme.“
Christoph Gunßer ist freier Fachautor in Bartenstein (Baden-Württemberg).
DAB, Ausgabe 03-2015, Seiten 26 ff.
Es mag ja sein, dass Herr Braunfels ein Querdenker ist, nur bei seiner eigenen Person scheint dies nicht sehr weit zu führen – da ist er sich ganz sicher, mit allen Koryphäen der Baugeschichte in einer Linie zu stehen.
Und wie kann man sich ernsthaft über die mangelnde Kollegialität unter Kollegen beschweren, nur um wenige Sätze später Franco Stella als „italienischen Provinzarchitekten“ zu diffamieren, der eine „Nazi-Halle“ plant.
Egal wie man zum Projekt Humboldt-Forum steht – dumpfer und stupider kann man Architektur-Diskussionen doch gar nicht mehr führen und das hat dann auch nichts mit Querdenkerei zu tun sondern allenfalls mit pubertärer Kraftmeierei…oder ist das die typische aber nicht minder peinliche Art des (immer noch) „jungen Wilden“ , der verzweifelt ist, weil da „niemand nachwächst“?
Und ist es angesichts der zahlreich geführten Prozesse und damit verbundener Kosten wirklich glaubhaft, dass Herrn Braunfels zwischen 2009 und 2013 kein Geld für auch nur ein Rendering zur Verfügung stand, um die Debatte über das Humboldt-Forum erneut zu führen…?
Erklären sollte Herr Braunfels doch einmal, warum sich denn in seiner „Alternative“ für das Humboldt-Forum nun gar kein modernes (Fassaden-)Element mehr findet….will er sich etwa damit auch noch vom kühl reduzierten Minimalismus im Geiste Louis Kahns verabschieden und dem von ihm verachteten Zeitgeist der Rekonstruktion bzw. Historisierung anbiedern ?
Unverständlich ist mir auch, warum das DAB diesen in weiten Teilen völlig unkritischen Artikel veröffentlicht und Herrn Braunfels eine – wahrscheinlich sogar kostenfreie – Bühne für seine Ausfälle bietet.
P.S: Hoffentlich geht dieser Beitrag als freie Meinungsäußerung durch und Herr B. sieht von juristischen Schritten ab…
Peter Solhdju, Architekt, Berlin