Text: Cornelia Dörries
Es ist noch gar nicht so lange her, da galten Lokale ohne Sperrstunde als verruchte Reservate für ziellos herumstreifende Nachtschwärmer, unbehauste Großstadtexistenzen und schlafgestörte Bohemiens. Doch mittlerweile haben sich diese übel beleumundeten Adressen zu Örtlichkeiten des bürgerlichen Zeitvertreibs gemausert und ihren Rotlicht-Charme ebenso abgeschüttelt wie die schäbige Halbwelt-Ästhetik. „Diese Entwicklung weg von der sinistren Spelunke hin zu einem Schauplatz von Barkultur, also dieser spezifischen Einheit von Genuss, Raum und Publikum, hat vor etwa 15 Jahren begonnen“, resümiert Markus Orschiedt. Der Chefredakteur des in Berlin erscheinenden Barkultur-Fachmagazins „Mixology“ ist ein intimer Kenner der deutschen und der europäischen Barszene und hat selbst schon eine Reihe von Bars gegründet und betrieben sowie zahlreiche Konzepte für Clubs entwickelt. Über all die Jahre hat er dabei beobachtet, wie das urbane Nachtleben zu einem eigenen Kosmos wurde, in dem das Dunkel der späten Stunden nicht bloß schwarz ist, sondern so facettenreich wie das städtische Leben selbst schimmert. Im Zuge dieser Entwicklung wurden die Zutaten für Drinks und Cocktails zahlreicher, qualitativ hochwertiger und differenzierter; und parallel dazu auch die Architektur und Gestaltung der Lokale.
„Heute ist es nahezu selbstverständlich, dass ein Barbetreiber mit Architekten zusammenarbeitet“, so Orschiedt. Denn gerade in Großstädten mit einer vibrierenden Club- und Bar-Szene ist die Konkurrenz um das nächtliche Publikum unerbittlich, und Nachlässigkeit in gestalterischen Fragen rächt sich. Stimmt die Atmosphäre eines Lokals nicht, bleiben die Gäste fern.
Doch gibt es überhaupt grundsätzliche Regeln für die architektonische Verwandlung von ganz normalen Laden- und Gastronomie-Räumen in eine stimmungsvolle Nachtbar? Was muss ein Architekt beachten, der mit der Planung eines solchen Orts beauftragt ist? „Es kommt in erster Linie darauf an, eine Atmosphäre der Intimität herzustellen“, sagt Bar-Kenner Orschiedt. „Der Raum muss den Gast mit Wärme und dem Versprechen der Abgeschiedenheit empfangen. Der Architekt muss eigentlich nur einen Grundsatz beherzigen: Wer in eine Bar geht, will die Welt hinter sich lassen.“
Wie Planer zu diesem Zweck mit Raumstrukturen, Materialien, Licht und Oberflächen umgehen, folgt freilich keiner Norm, sondern hängt davon ab, welches Publikum sich angesprochen fühlen soll. Die Vielzahl der Einrichtungen und Gestaltungsstile lässt sich jedoch grob kategorisieren. Da wäre der genreprägende Typus der klassischen amerikanischen Bar, den Adolf Loos schon 1908 mit seinem Entwurf für die bis heute existierende „American Bar“ in Wien erfolgreich nach Europa importierte (und damit der im K.-u.-k.-Pomp schwelgenden Donaumetropole so ganz nebenbei ein erstes Element moderner Großstadt implantierte). Das raumbildende Gefüge aus transluzenten Onyxflächen, dunkel-hölzerner Wandvertäfelung, einer gläsernen Lichtdecke, Spiegeln und Messingdetails rahmt hier einen sehr kleinen Bereich, der neben dem Tresen nur mit Ledersitzen und schlichten Barhockern ausgestattet ist.
Diese geradlinige, auf jedes Chichi verzichtende Ästhetik charakterisiert auch die wohl bekannteste Bar Deutschlands, das „Schumann’s“ in München. Für diese 1982 ebenfalls als „American Bar“ eröffnete Institution entwarf das ortsansässige Büro Boesel Benkert Hohberg damals eine Inneneinrichtung, die sich so ähnlich wie Loos’ Wiener Institution allein auf das zurückhaltende Zusammenspiel von Holz, Naturstein und Leder verließ und das Funkeln den Gläsern und Gästen überantwortete. Als das Lokal im Jahr 2003 an eine neue Adresse am Münchner Hofgarten umzog, beauftragte Barbetreiber Charles Schumann die Architekten seines Vertrauens wieder mit der Gestaltung der Räume. Während Linienführung und Formen dezent modernisiert erscheinen, blieben die klassischen Zutaten – Naturstein, Holz und Leder – im Grunde genommen die gleichen: Bodenbelag aus bläulichem Kirchheimer Muschelkalk, Wandverkleidung aus hellem Naturstein, Einbauten, Möbel und Tresen aus amerikanischem Nussbaum und Sitzpolster aus rotem Leder.
Auch wenn die meisten Bars in dieser etablierten Tradition der „American Bar“ stehen, setzen sich nach und nach alternative Konzepte durch. Sie beziehen ihre Attraktivität weniger aus der Interpretation der klassischen Gestaltungsrezeptur – Tresen, Barhocker und tiefe Fauteuils – als vielmehr aus einer absichtsvollen Abkehr von diesem Paradigma. Das „Buck and Breck“ in Berlin-Mitte ist so eine Bar, die nicht nur auf weiche Polster verzichtet, sondern ihre auf maximal 18 Personen beschränkte Gästeschar ausnahmslos an einen Tresen zwingt, hinter dem keine illuminierte Flaschen-Front glitzert, sondern die geheimnisvollen Ingredienzen der hochpreisigen Drinks in der Versenkung verschwinden. Gonçalo de Sousa Monteiro, der verschwiegene und einschlägig erfahrene Betreiber der Bar, hat selbst Architektur studiert und ging mit der Einrichtung seines Lokals bewusst ein Wagnis ein. Der verhältnismäßig kleine Raum, eingerichtet nach dem Entwurf des Büros motorberlin.com ( Entwurf: Ingo Strobel/motorberlin.com, Räumliche Konzeption: Nicolas Kretschmann/BASK Architektur Städtebau GmbH) wird von einem wuchtigen, mit schwarzem Krokolederimitat bezogenen Element ausgefüllt, an dem die Gäste auf hohen Holzlehnstühlen nebeneinandersitzen und hinter dem der Barkeeper ernsthaft seinen Dienst versieht. Hinterleuchtete Aussparungen an der Rückwand sowie runde Lichtfelder über der Bar tauchen den Raum in schummriges Zwielicht; dank eines ausgeklügelten Soundsystems scheint selbst die Luft niederfrequent zu vibrieren. Das „Buck and Breck“ ist keine Bar für kichernde Prosecco-Runden; es spricht ein Connaisseur-Publikum an, das Wert auf ruhigen, diskreten Genuss und eine bis ins letzte Detail distinkte, stimmige Atmosphäre legt.
Einer ganz anderen Idee folgt das „Le Croco Bleu“, das im Mai 2013 auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg eröffnet wurde. Die Inspiration für diese Einrichtung lieferte die Geschichte des Ortes selbst: In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, so die Legende, wurden hier die Krokodile aus dem Berliner Zoo vor den Bomben in Sicherheit gebracht. Innenarchitektin Anja Müller-Penzkofer aus dem bayerischen Eggenfelden hat den einstigen Maschinenraum mit seinen ausgedienten Rohren und Turbinen in eine Szenerie verwandelt, in der nichts an eine klassische Bar erinnert: Ausgestopfte exotische Tiere grüßen von Wänden und Decken, großflächige Dekorationen mit Pflanzen- und Dschungelmotiven lassen sich weder Naturkundemuseum noch Filmkulisse zuordnen und die schweren Kronleuchter sind auch auf einem Ozeandampfer der Jahrhundertwende vorstellbar. Selbst der Tresen, an dem sehr edle und teure Getränke gemixt und ausgeschenkt werden, ist keine Bar, sondern eigentlich eine primitive Kirmesbude, bei der man sich angesichts der zahllosen Überraschungen im Raum schon gar nicht mehr fragt, wie sie wohl hierhergekommen ist. Denn im „Le Croco Bleu“ sollen offenbar nicht nur die Cocktails berauschen, sondern auch das Interieur. Seine Gestaltung spielt mit dem Berlin-typischen Charme des Improvisierten und reagiert damit in sehr spezifischer Weise auf das unfertige, noch rohe Umfeld des historischen Brauereigeländes, das in den kommenden Jahren in ein neues Stadtquartier umgewandelt werden soll.
Denn auch das ist ein Kennzeichen guter Bars: Selbst wenn sie oft ohne direkte Blickbeziehung zu ihrer Außenwelt auskommen, stehen sie doch in einem Wechselverhältnis mit ihrer Umgebung. Ein schönes Beispiel dafür ist die nicht mehr ganz neue „Newton Bar“ am Gendarmenmarkt der Hauptstadt mit der Innenarchitektur von Hans Kollhoff. Sie geriert sich bei allem Streben nach intimer Atmosphäre nicht als blickdichtes Etablissement, sondern spielt ihre erstklassige Stadtlage als eigene Qualität aus. Der zweigeteilte Gastraum ist im vorderen Bereich mit seinen Glasfronten zum Platz dem Sehen-und-gesehen-Werden beim schnellen Drink im Stehen vorbehalten, während der hintere Teil mit seinen tiefen Polstern die introvertierten Qualitäten einer intimen Nachtbar offeriert. Der Tresen im vorderen Raum lässt sich in den Sommermonaten in den angrenzenden Straßenraum verlängern – dann wird unter freiem Himmel mit Blick auf Schinkels Schauspielhaus und die Türme von Gontard gerührt und geschüttelt.
Die Berühmte: die "Schumann's"-Bar in München von Boesel Benkert Hohberg (Foto: Peter Bonfig)
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