Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Den Bäumen so nah“ im Deutschen Architektenblatt 10.2023 erschienen.
Von Christoph Gunßer
Natur ist rar im dicht besiedelten Land und wird durch den anhaltenden Flächenverbrauch immer knapper. Im Gegensatz zu fast allen anderen Gütern können wir sie nicht einfach nachbestellen. Natur braucht Zeit, um zu wachsen. Bis ein neu neben ein Haus gepflanzter Baum einen Raum bildet, Charakter bekommt, vergehen Jahrzehnte – das Haus ist dann womöglich schon wieder hinfällig.
Wald wird planungsrechtlich zu Bäumen
So wird der Aufwand verständlich, den die Architekten Sturm und Wartzeck mit den Tragwerksplanern Schlaich, Bergermann und Partner und [f]landschaftsarchitektur beim Bau des neuen Nationalparkzentrums im Nordschwarzwald getrieben haben: Um es ganz dicht neben die alten Stämme zu platzieren, bog man die Baumkronen eigens mechanisch auseinander.
Seine acht Gebäuderiegel ragen nun, konzeptionell einem Stapel hingeworfener Stämme ähnelnd, in den hier stark abschüssigen Wald hinein. Der wurde planungsrechtlich zu Bäumen erklärt, um ihm baulich nahekommen zu dürfen.
Offener Wettbwerb mit 162 Entwürfen
Im offenen Wettbewerb 2015 überzeugte der Entwurf unter 162 Einreichungen, weil er so unaufdringlich wirkt und an der Passhöhe fast beiläufig wahrgenommen wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Vorschlägen mutet der fast fensterlose Baukörper zur Straße hin überhaupt nicht institutionell an und gibt nach außen hin nichts von seiner „Mission“ als Erklärstation und Tor zum rund 10.000 Hektar großen Nationalpark preis.
Vorhandene Infrastruktur genutzt
Das Nationalparkzentrum liegt am Ruhestein, der Passhöhe an der Schwarzwaldhochstraße, auf halbem Weg zwischen Baden-Baden und Freudenstadt. Hier oben auf über 900 Meter Höhe gab es bereits einige Skilifte, sodass die Infrastruktur für das Zentrum nur ausgebaut werden musste.
Wer von der Straße zu dem lagernden „Stapel“ hinabsteigt, findet intuitiv den Weg: Vom zentralen Foyer mit breitem Waldpanorama verläuft der pädagogische Parcours über eine Folge geschlossener, kastenförmiger Brücken hinab zum Boden, darin die Etagen des Waldes widerspiegelnd. Nur leider verbauten die Ausstellungsmacher hier vor lauter populären, crossmedialen Simulationen den Kontakt zum realen Wald, den die Architekten sehr wichtig nahmen.
Nationalparkzentrum im Passivhausstandard
Diesem kommen die Besucher erst wieder nahe, wenn sie über einen ebenfalls schräg im Wald platzierten Turm zum Skywalk hinaufgehen, der genauso gut direkt vom Foyer aus erreichbar ist. Auch er ist weitgehend aus Holz und ragt nach Art eines Baumwipfelpfads weit in den Wald hinein. Hier gibt sich das ansonsten so zurückhaltende, flache Bauwerk erstmals spektakulär, „instagramable“. Die ruhigeren, horizontal lagernden Gebäuderiegel an der Hangkante bergen auf zwei Etagen Gastronomie und Unterrichtsräume, Verwaltung, Kino und Shop. Insgesamt kommt der Bau so auf 3.200 Quadratmeter Nutzfläche – für ein solch raumgreifendes Bauwerk eher wenig.
Hinzu kommt, dass selbstredend höchsten ökologischen Ansprüchen zu genügen war: Mit Wandstärken von einem halben Meter und aufwendiger Lüftungstechnik erfüllt das rund 35 Millionen Euro teure Gebäude den Passivhausstandard.
Anspruchsvolle Tragwerksplanung
Die minimalinvasive Methode der in die Natur hineinragenden Brücken forderte vor allem die Tragwerksplaner. Die Baustelle glich optisch lange einem notdürftig stabilisierten Unfall. Oberflächlich betrachtet, trug das Gebilde Züge eines ungehemmten Dekonstruktivismus. Sollte das der tiefere Sinn sein hinter dem Werbeslogan des Nationalparks „Eine Spur wilder“? Die Collage erweist sich jedoch keinesfalls als zufallsgeneriertes Hirngespinst, sondern ist für den Zweck maßgeschneidert.
Vom Bild zum Bauwerk war es trotzdem ein weiter Weg. Denn wenn tote Baumstämme übereinanderfallen, ist das etwas anderes, als wenn Hunderte Besucher in luftiger Höhe stabil durch den Wald geführt werden sollen. Das in drei Dimensionen schräg verschachtelte, kühn auskragende Bauwerk an einem extremen Standort mit Anhäufungen von bis zu vier Metern Schnee und 200 Nebeltagen im Jahr wurde zum konstruktiven Kraftakt. Hinzu kamen der mögliche Anprall von Bäumen und die Lage in einer Erdbebenzone.
Skelettkonstruktion aus Stahl und Baubuche
Um den Waldboden zu schonen, ruhen die bis zu 65 Meter langen Riegel auf nur wenigen, zumeist punktförmigen Auflagern (Betonpresspfähle, Treppenhaus). Obwohl die Hülle der Riegel aus relativ leichten Brettsperrholz-Hohlkastenelementen gefügt ist, die zugleich der Aussteifung der Röhren dienen, belasten 500 Tonnen das über die zwei geneigten Riegel streichende Zugpendel.
Dieses „Schweben“ im Wald, von dem man beim Durchschreiten ohne Ausblick auch kaum ein Schwingen bemerkt, ließ sich nur mithilfe von Stahl verwirklichen. 300 Tonnen davon verstärken die Skelettkonstruktion, die überwiegend aus Baubuche besteht. Im Innenausbau findet sich viel heimische Weißtanne, die Schindelverkleidung besteht überwiegend aus Fichte. 1.500 Kubikmeter Holz wurden insgesamt verbaut und werben für eine im Schwarzwald noch unterentwickelte moderne hölzerne Baukultur.
Gute Ausstellung, leider als Blackbox
Von all diesem baukonstruktiven Aufwand merken die Menschen beim Besichtigen eher wenig. Sie werden von der schlichten, unprätentiösen Architektur durch eine Inszenierung geleitet, in der tatsächlich die Natur die Hauptrolle spielt – beziehungsweise das, was sich hier entwickeln wird aus einem Forst, den man nach Jahrhunderten der Bewirtschaftung erstmals in Ruhe lässt (was in der Region immer noch umstritten ist). „Die Natur Natur sein lassen“ ist denn auch das Motto des Nationalparks.
Auch wenn es architektonisch schade ist, dass die Blackbox-Ausstellung den Kontakt zum realen Wald kappt, vermittelt sie in ihrer Abgeschlossenheit doch gut, wie sensibel das Ökosystem ist: Ganz im Sinne des populären Försters Peter Wohlleben wird der Wald als System kommunizierender Sphären und Organismen dargestellt, bis hin zum hier raumhoch modellierten Schleimpilzgewirr im Boden.
Bessere Anbindung an den ÖPNV
In prächtigen Dioramen begegnen sich Luchs, Tanne und vielerlei Flora und Fauna als Nachbildungen, und ein Flugsimulator lässt einen wie ein Adler über den einsamen Wipfeln kreisen. „Ein Augenblick ist für mich gleichzeitig auch Ewigkeit“, haucht die Animationsstimme beim Durchschreiten und: „Alles fließt durch mich hindurch.“
Die Inszenierung verfängt offenbar. Im Jahr der Eröffnung des Zentrums 2021/22 verzeichnete der Nationalpark erstmals über eine Million Besuche. Damit die Waldesruhe durch die an- und abreisenden Touristen nicht mehr als nötig gestört wird, sorgten die beteiligten Landkreise mittlerweile für eine bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.
Bleibt zu hoffen, dass sich die mit einem enormem baulichem Aufwand verbundene Investition in das Nationalparkzentrum – allein für den Erdaushub waren beispielsweise 1.130 Lkw-Fahrten erforderlich – am Ende in einem wachsenden Umweltbewusstsein niederschlägt.
Von in Jahrhunderten aus den im Schwarzwald vorhandener Substanz wie die aus ökologischem und ökonomischem Wissen wie z. B. dem Schwarzwaldhaus zeigten die Planer gar nichts; nur modernen Stahlbau. Den Stahlbau kannte man im Schwarzwald NIE. Die Blöcke als Baukörper sind wie hingeworfen, aber von der Optik hingeworfener Baumstämme weit entfernt. Der richtige Standort für diese Architektur wäre in Gegenden mit Mono-Fichten- und Kiefernwäldern gewesen, weil man dort durch Windbruch einfach hingeworfene Bäume kennt. Zur Historie der vor Anpflanzung der Fichte im Schwarzwald des dort vorhandenen Mischwaldes zeigt die Architektur nichts. Der Gipfel der Fehlleistung sind die Baukosten von ca. € 11.000,00 m2; diese sollten gleich am Eingang jedem Besucher mit denen eine Wohnhauses offenbart werden. Am 18.01.2024