Von Myrta Köhler
Deutschland bricht seine Warenhäuser ab. Die Konsumtempel waren eine Welt für sich, eine Stadt in der Stadt, die sich oft architektonisch abschottete. Es gab nur noch Schaufenster, keine Fenster mehr. Werden sie heute umgebaut, geht dies fast immer mit einer Öffnung einher – zum Beispiel in Andernach bei Bonn, wo nach den Plänen des Düsseldorfer Büros RKW ein leer stehendes Kaufhaus bis 2009 in das Einkaufszentrum „Stadthausgalerie“ mit zentralem Durchgang verwandelt wurde. Bei der Fassade wurde großflächig Glas eingesetzt, um das Gebäude einladend zu gestalten und harmonisch in die Umgebung einzufügen.
Center statt Kaufhaus – das scheint oft die nächstliegende Lösung. Doch viele Städte sind mit Handelsfläche übersättigt. Deshalb entwickeln sich mittlerweile ganz andere, teilweise handelsferne, neue Nutzungen wie Büros und Kulturstätten. Die Grundstrukturen mit großen Deckenhöhen, wenigen Stützen und weiten ebenen Flächen bieten oft gute Voraussetzungen für eine andere Verwendung. Technisch allerdings sind die Gebäude meist veraltet, Heizungs- und Sanitäranlagen werden grundsätzlicbh bei allen Gebäuden erneuert, die älter als zwanzig Jahre sind.
Häufig erleben ausgemusterte Kaufhäuser eine Renaissance als Verwaltungszentren. Vor zwei Jahren zog die AOK-Bundeszentrale in ein ehemaliges Wertheim-Gebäude aus dem Jahr 1903. Als „Prototyp von Alfred Messel“ bezeichnet es der Architekt Klaus Schuwirth aus Hannover, der das Haus gemeinsam mit seinem Büropartner Erol Erman umgestaltete. Die schon zu DDR-Zeiten ihres Schmucks weitgehend beraubte Fassade wurde neu gegliedert und gestaltet; für den Einbau von Tiefgaragen wurden Stützen entfernt und das Fundament wurde verstärkt. Darüber hinaus legte die AOK Wert auf „Kombibüros“ – die Architekten nahmen also eine Dreiteilung des Grundrisses vor und richteten in der Mitte eine etwa fünf Meter breite „Kommunikationszone“ ein, zu der hin sich die Büros öffnen. Die fünf oberirdischen Geschosse umgeben ein verglastes Atrium.
Kaufhäuser aus der Kaiserzeit bieten sich zum Umbau geradezu an, meint Wolfgang Christ, Architekt und Einzelhandelsexperte in Darmstadt. Bauphysikalisch und bautechnisch seien sie einfach gehalten: „Die typische Stahlskelettbauweise bietet viel Raum und – die Gebäude haben Flair. Bei vielen Gebäuden aus den 1970er-Jahren ist die Substanz aber so miserabel, dass der Besitzer eigentlich noch Geld für den Abriss bekommen müsste.“
Doch auch sie können neu belebt werden: Das Rathaus-Center in Bochum, 1978 bis 1982 gebaut, wurde nach langem Leerstand der Handelsflächen von Giese + Giese aus Bremen umgestaltet und 2009 von der Stadt als Technisches Rathaus in Betrieb genommen. „Die geringe Anzahl der Fenster und die nicht vorhandene Dämmung waren die größten Probleme“, erklärt Reiner Giese. „Im Winter war es zu kalt, im Sommer zu heiß.“ Um zukünftigen Nutzern ein angenehmes Arbeiten zu ermöglichen, war ein neues Lichtkonzept vonnöten. Die großen geschlossenen Flächen wurden also buchstäblich „aufgebrochen“: Die braune Alufassade musste weichen, Wände wurden weggerissen und Fenster eingebaut. In Zusammenarbeit mit der Albrecht Projektentwicklungsgesellschaft mbH entstand die Idee, die vorhandenen beiden Lichthöfe um zwei Stockwerke weiter hinunterzuziehen; drei neue Höfe wurden zusätzlich angelegt. Schließlich wurde das Gebäude gedämmt und mit champagnerfarbenen Aluminiumplatten verkleidet – so wird mehr Licht ins Innere gelenkt.
Kaufhäuser der Nachkriegszeit sind häufig gekennzeichnet durch eine hermetische Abriegelung nach außen, die Abwendung von der Stadt. Die Verkaufsstrategie jener Konsumbunker basierte auf riesiger Fläche und künstlicher Beleuchtung. Doch obwohl die typische Vorhangfassade der Horten- oder Centrum-Häuser einen hohen Wiedererkennungswert besaß und sogar ein Markenzeichen darstellte, waren die kastenförmigen Gebäude in ihrer Umgebung Fremdkörper. Diese aufzubrechen ist eine ästhetische und städtebauliche Herausforderung.
Theater, Museum und Künstlerclub
Einen ganz neuen Weg beschritten vor gut zehn Jahren in Neuss die Architekten Ingenhoven & Ingenhoven aus derselben Stadt. Als über die Schließung des damaligen Horten-Hauses aus dem Jahr 1962 nachgedacht wurde, erarbeiteten sie einen Plan für eine geteilte Nutzung. Seit dem Jahr 2000 beherbergt das Gebäude das Rheinische Landestheater und den Sitz der Kreisverwaltung. Die charakteristische Fassade von Egon Eiermann ist verschwunden; eine Ecke des heutigen Theatertrakts wurde zur Stadt hin abgerundet, was die Architekten als einladende Geste verstehen. Verwaltungs- und Kulturtrakt werden durch die Mittelachse getrennt, beide Hälften sind ein Stück weit gegeneinander verschoben. Aufgrund der riesigen Stützenweiten und Geschosshöhen sowie der hohen Betonqualität eignete sich das Gebäude laut Oliver Ingenhoven ideal zum Umbau. Stützen und Decken blieben zum großen Teil erhalten, die alten Treppenhäuser werden heute als Fluchttreppen genutzt. Die Gebäudetiefe war, ebenso wie in Bochum, für das Einrichten von Büros hinderlich – der Verwaltungstrakt erhielt also einen Lichthof, und die gesamte Fassade wurde großzügig mit Fenstern versehen.
Für Kultur entschied man sich auch in Chemnitz: Aus Erich Mendelsohns legendärem Kaufhaus Schocken von 1928 formen die Büros knerer und lang aus Dresden sowie Auer+Weber+Assoziierte aus Stuttgart und München das Haus der Archäologie, das 2012 eröffnet werden soll. Dabei sind sie bestrebt, in vielerlei Hinsicht den Urzustand wiederherzustellen – „dem Geist von Mendelsohn nachzuspüren“, wie ein Mitarbeiter von knerer und lang sagt. Auf jeder Etage liegt hinter der geschwungenen Hauptfassade ein großer Empfangs- oder Ausstellungsraum, der sich trichterförmig nach hinten verjüngt und dem seitwärts Räume für Technik sowied Nebenräume anliegen. Die historische Fensterfront im Erdgeschoss wird unter Berücksichtigung aktueller Bauvorschriften wiederhergestellt und ermöglicht als „Schaufenster“ einen großzügigen ersten Einblick in das Museum. Um den Besuchern ein „fließendes“ Erlebnis von Geschichte zu ermöglichen, haben die Architekten für das Innere eine Rampe entworfen, die die einzelnen Etagen miteinander verbinden wird.
Nicht ganz so einig ist man sich beim Kaufhaus am Brühl in Leipzig: Hier ist die Geschichte der Fassade selbst Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Unter der von Harry Müller gestalteten Aluminiumhülle von 1968 verbirgt sich eine prunkvolle, wenn auch stark beschädigte Jugendstilfassade von Emil Franz Hänsel aus dem Jahr 1908. Vorgabe des 2007 vom Berliner Büro Grüntuch Ernst gewonnenen Wettbewerbs für ein modernes Einkaufszentrum war der Erhalt der Aluminiumhülle. Beim Umbau wurde die dahinterliegende Fassadenschicht sichtbar.
Der frühere Stadtbaurat Niels Gormsen schlug kürzlich vor, die Blechfassade samt ihrem charakteristischen Schwung an das andere Ende des neuen Gebäudekomplexes zu versetzen und die Jugendstilfassade so gut als möglich wiederherzustellen: „An dem Objekt könnte man das Bauen des 20. Jahrhunderts ablesen.“ Nach letztem Stand der Dinge sollen 15 Meter der Altfassade erhalten bleiben.
Ein einstiges Berliner Kaufhaus in der Torstraße/Prenzlauer Allee erlebt in seiner stürmischen Geschichte jetzt schon die fünfte Nutzung: Es begann 1929 als Kreditkaufhaus Jonaß & Co, entworfen von Gustav Bauer und Siegfried Friedländer. Die Nationalsozialisten beraubten seine jüdischen Besitzer und richteten hier ihre „Reichsjugendführung“ ein. Nach dem Krieg wurde es zunächst Parteizentrale der SED, dann deren Institut für Marxismus-Leninismus. Jetzt wurde es vom Büro JSK für rund 300 Millionen Euro zum „Soho House Berlin“ umgebaut – als Privatclub und Hotel, laut Investor für „aufgeschlossene Menschen aus der nationalen und internationalen Kreativszene“.
Wie das ehemalige Wertheim-Kaufhaus stand auch dieses Gebäude unter Denkmalschutz. „Der Umbau war komplizierter als erwartet“, erklärt Gunter Bürk von JSK. „Technikstränge mussten durchs ganze Haus geführt werden, um Sprinkler- und Klimaanlage einzurichten.“ Die Stützen und Unterzüge sind naturbelassen, außen wurden die alten Fenster durch teure Holzfenster ersetzt, im Erdgeschoss erinnern große Bronzefenster an die frühere Schaufensterfassade – hier sollen Ende Oktober zwei Restaurants eröffnen. Das dunkle Dach wurde wiederhergestellt, die Muschelkalkfassade im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss wurde gesäubert, Bruchstellen wurden ersetzt. Die Klinker für die Fassade zum Hof wurden teilweise neu gebrannt und zitieren ein Stück Berliner Geschichte: Wegen Lichtmangels waren die Innenhöfe üblicherweise hell verklinkert.
Doch Kaufhäuser werden mittlerweile sogar in Wohnungen verwandelt. So wurde in dem Schweizer Städtchen Wetzikon ein viergeschossiger Bau aus den 1960er-Jahren zur Hülle für zwölf Loftwohnungen mit je vier Metern Deckenhöhe. Das Dach war stark genug für sechs weitere Maisonettes. In Castrop-Rauxel wurde ein ehemaliges Hertie-Gebäude aus den 1960er-Jahren zum Einkaufszentrum „City Center Castrop“ umgebaut. Im dritten Obergeschoss ist die Stadtbibliothek, darüber entstehen sechs Penthousewohnungen. Für ihre Mieter und die Mitarbeiter des Centers plante der Architekt Wolfgang Mertens aus derselben Stadt einen Autoaufzug vom Erd- zum Untergeschoss ein: „Aus reiner Notwendigkeit, da für eine Rampe einfach kein Platz war.“
Eine gelungene Alternativnutzung ganz anderer Art wird im Neuen Mohnhof in Hamburg–Bergedorf vorbereitet. Die unteren Etagen des früheren Penndorf-Kaufhauses wurden für einzelne Läden aufgeteilt, das zweite Obergeschoss beherbergt Arztpraxen und das oberste Stockwerk demnächst eine Kita.
Beim Umbau mussten PSP Architekten berücksichtigen, dass der Rohbau in mehreren Bauabschnitten in der Zeit von 1956 bis 1988 entstanden war. Es gab unterschiedliche Deckenhöhen, Stützweiten und Bausubstanz. Zwar ist der Rohbau zum Großteil erhalten geblieben; Leichtmetallfassade, die nicht tragende Klinkerfassade und der Innenausbau aber wurden erneuert. Die Arztpraxen erhielten eigene Sanitärkerne, Tageslicht fällt über die neu geschaffenen Lichthöfe ein. Während Einkauf oder Arztbesuch können Eltern ihre Kinder auch für kurze Zeit in Betreuung geben: „Himmel und Erde“ heißt der „Erlebnisgarten“ über den irdischen Ladenräumen.
Myrta Köhler ist freie Journalistin in Berlin.