Text: Cornelia Dörries
Bis zum Jahr 2050, so das erklärte politische Ziel, will Deutschland den größten Teil seines Energiebedarfs nur noch aus regenerativen Quellen decken. Die Energie, die für die Strom- und Wärmeerzeugung sowie die Mobilität einer hoch entwickelten Industrienation mit etwa 80 Millionen Einwohnern nötig ist, soll dann zu 80 Prozent aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse gewonnen werden – und nicht mehr aus Kohleflözen, Ölfeldern oder Kernbrennstäben. Das ehrgeizige Vorhaben, im Jahr 2011 parteiübergreifend als Energiewende verabschiedet, soll helfen, die schädlichen CO2-Emissionen zu reduzieren und den dadurch verursachten Klimawandel mit seinen verheerenden Folgen für Mensch und Natur zumindest in beherrschbaren Grenzen zu halten. So weit, so konsensfähig. Doch was sich vernünftig und tröstlich-vage nach „Zurück zur Natur“ anhört, ist bei genauerer Betrachtung ein Programm, das Landschaft und belebte Umwelt eben nicht aus dem Dienst einer Gesellschaft entlässt, die auf expansivem Wirtschaftswachstum und stetig steigendem Energiebedarf gründet. Vielmehr muss die dafür weiterhin erforderliche Ausbeutung natürlicher Ressourcen auf neue und mitunter verstörend sichtbare Weise organisiert werden. Denn bei allem Gerede von einer Wende – um echte Umkehr, also um nicht wachstumsfixierte ökonomische Alternativen und eine verzichtsbereite Lebensführung, geht es dabei nicht. Man könnte das Ziel der Energiewende denn auch so zusammenfassen: Weiter so, aber mit Öko-Strom.
Die technischen Strukturen – Wind- und Solarparks, Biogasanlagen, Stromtrassen – werden längst geschaffen; vor allem in den schwächer besiedelten Regionen im Norden und Osten prägen die Windräder in weiten Teilen schon heute das Panorama. Der für die Energiewende notwendige weitere Ausbau dieser Anlagen, insbesondere zur Gewinnung von Windenergie, stößt indes unüberhörbar auf Widerstand. Denn erst allmählich wird deutlich, dass die Energiewende kein abstraktes politisches Projekt ist, sondern wie jede umfassende technische Erneuerung einer sozioökonomischen Grundlage das Bestehende verändert, überformt oder gar zerstört. Und das Bestehende, das von der laufenden Umstellung von fossilen oder atomaren Energieträgern auf regenerative Quellen sichtbar in Mitleidenschaft gezogen wird, ist die Landschaft. Für ihren Schutz engagieren sich landauf, landab unzählige Bürgerinitiativen, die gegen Windkraftanlagen und Solarfelder mobil machen, ohne im Gegenzug für den Erhalt von Kernkraftwerken oder Kohleverbrennung zu plädieren. Dagegen sind sie nämlich auch. Alles Verrückte? Ein schwerer Fall von Realitätsverlust?
Die Proteste ließen sich kurzerhand mit dem kühl-nüchternen Verweis abtun, dass der Ausstieg aus umweltzerstörerischen Technologien ohne Windräder und Solarfelder eben nicht geht – und damit basta.
Allerdings scheint es um etwas zu gehen, das sich einem streng rationalen Pro und Contra entzieht und das auf einer Ebene von Unbehagen und Verlustangst spielt. Denn man hat es beim Begriff der Landschaft mit einem eigentümlichen Konstrukt zu tun. Landschaft ist nicht identisch mit Natur, also biologischen Zusammenhängen, sondern lässt sich nur als Kategorie fassen, die natürlichen und physischen Faktoren einen ästhetischen und emotionalen Wert zuordnet. Doch weil diese Zuordnung nicht nach rationalen oder messbaren Kriterien erfolgt, sondern subjektiv und damit abhängig von Herkunft, Sozialisation, Prägung und Geschmack, lässt sich mit dem Begriff Landschaft nur schwer sachlich argumentieren. Wer jenseits der möglichen Risiken für Flora und Fauna eine technizistische Überformung und Verunstaltung von Landschaft anprangert, wird schnell als heimattümelnder Wutbürger abqualifiziert, dem Neues grundsätzlich ein Graus und daher schon aus Prinzip abzulehnen ist.
Zerstört Umweltschutz die Landschaft?
Der Geograf Olaf Kühne von der Universität Weihenstephan erforscht Entwicklungen im ländlichen Raum und beschäftigt sich unter anderem mit sozialen Landschaftspraktiken im Wandel der Zeiten. Er führt das gegenwärtige Unbehagen angesichts der sichtbaren Nebenwirkungen der Energiewende auf den ästhetischen Bruch mit der Industriemoderne zurück, die über die Jahrhunderte bestrebt war, über eine „Ästhetik des Verbergens“ die sinnlich unerfreulichen Begleiterscheinungen der Industrialisierung ästhetisch zu neutralisieren oder an bestimmten Orten zu konzentrieren. In großen Teilen des Landes konnten so gerade die mehr oder weniger landschaftsverheerenden Strukturen der Energiegewinnung aus dem Blick verschwinden – sie waren nun auf unwirtliche Regionen wie das Ruhrgebiet oder die Lausitzer Braunkohlereviere begrenzt.
Die dezentrale Struktur der regenerativen Energieversorgung rückt nun die dafür nötige Maschinerie wieder in das Blickfeld und in das Bewusstsein: Was zum Schutz der Natur nötig ist, führt in den Augen der Gegner zu einer Zerstörung von Landschaft. Und leider fehlt es noch an überzeugenden Konzepten, Ansätzen oder guten Praxisbeispielen, die zeigen, dass landschaftliche Qualitäten mit innovativer Technik durchaus harmonieren können.
Doch warum sollte das, was der Industriemoderne mit der Verschmelzung von technischen Strukturen und Landschaft zu erhabenen, schützenswerten Panoramen gelang – sei es die Völklinger Hütte oder die Zeche Zollverein – , nicht auch einer Ära mit neuen Formen der Energieausbeutung glücken? Es wäre deshalb fatal, die Energiewende allein den Ingenieuren und Verwaltungsfachleuten zu überlassen. Denn bei Landschaft geht es um Schönheit. Ein zugegebenermaßen diffuser Begriff. Aber es gibt ja Experten, die sich damit auskennen.
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