Gespräch: Roland Stimpel
In Berlin, Frankfurt und Dresden gab und gibt es um Rekonstruktionsprojekte starken Lärm. Der Neuaufbau des 1960 gesprengten Potsdamer Stadtschlosses für den Landtag geschah vergleichsweise still. In diesem Monat zieht das Parlament in einen Bau, der außen und im Hof mit einigen Einschränkungen dem von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff aus dem Jahr 1751 entspricht, im Gebäudeinneren aber die Handschrift Peter Kulkas trägt.
Um das Raumprogramm zu erfüllen, hat der Plenarsaal-Trakt eine breitere Front und eine größere Tiefe zum Hof als der frühere Schlosstrakt in diesem Bereich. Zudem ist die Südfront wegen einer angrenzenden Straße um 90 Zentimeter zurückgesetzt. Der Innenhof ist verkürzt; im Dach sind Büros und andere Räume untergebracht.
Im Inneren ist der frühere Grundriss fast nirgendwo rekonstruiert. Hier knüpft nur der Eingangsraum zwischen Schlosshof und Landtagsfoyer an den Vorgängerbau an. Schlichtes Weiß und eine manchmal demonstrative Kargheit dominieren auch die wichtigsten Räume, bis hin zum weißen Wappenadler im weitgehend weißen Plenarsaal. Die Barockfassade und das Kupferdach finanzierte Hasso Plattner, Mitbegründer des Software-Konzerns SAP. Geführt von Peter Kulka, besichtigten die Architekturkritiker Nikolaus Bernau und Dankwart Guratzsch Ende November den Bau. Beide sind Preisträger des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz sowie Mitglieder in Denkmalkuratorien und -beiräten.
Das Potsdamer Schloss ist rekonstruiert…
Bernau: Wieso rekonstruiert? Was wir hier sehen, ist ein Parlamentsneubau in den nachgebauten Fassaden eines Gebäudes, das im Wesentlichen aus dem 18. Jahrhundert stammte. Allerdings sind diese Fassaden nicht eins zu eins nachgebaut.
Guratzsch: Ja, da ist einiger Pfusch dabei. Es gibt bedauerliche Kompromisse, zum Beispiel die verbreiterte Fassade, den eingeengten und um drei Fensterachsen gestauchten Hof, der jetzt eng und viel zu kurz wirkt. Die alte Flucht ist nicht neu entstanden. Wo das Dach den Hauptbau überdeckt, ist es viel zu breit. Das stimmt vorn und hinten nicht.
Bernau: Die ganze Außenarchitektur Knobelsdorffs folgt klassischen Regeln, die seit der Renaissance entwickelt wurden. Das gilt auch für das Hauptgebälk des Daches. Es ist ein in sich geschlossenes Element, das auch eine Aussage hat: Da lastet etwas drauf. Nach diesen Regeln ist die Vorstellung völlig absurd, dass man in so ein Gebälk Fenster einbricht. Hier aber wollte man auch noch in die Dachräume Büros stopfen, also sind im Gebälk Felder regelrecht aufgebohrt. Damit bricht die Architektur formal in sich zusammen. Auch zur Überbreite des Plenarsaalflügels gebe ich Ihnen recht. Da stimmen die Proportionen einfach nicht.
Stört das alles die Masse der Betrachter?
Guratzsch: Man wird es als Laie nicht bewusst feststellen. Aber dass etwas nicht stimmt mit dem Gebäude, dass es nicht erste Sahne ist, das wird sich vermitteln. Der eine oder andere wird sagen: Ich bin enttäuscht; das hatte ich mir anders vorgestellt.
Bernau: Diesem Gebäude sieht man auf den ersten Blick an, dass es von heute ist. Man kann ihm vieles vorwerfen – aber nicht, dass es darüber hinwegtäuscht.
Ist es ein Kompromiss zwischen alter Hülle und neuer Nutzung wie bei Denkmälern?
Bernau: Bei einem Denkmal wären solche Veränderungen nie zugelassen worden. Da verschiebt man keine Außenmauern; man verkleinert keine Schlosshöfe und setzt nicht hinter nachempfundene Fassaden Gebäudeteile, die es in dieser Form nicht gab.
Guratzsch: Ich würde es nicht als Kompromiss bezeichnen. Hier hat sich ein Bauherr in ein Paar Schuhe gestellt, das für ihn qualitativ zu groß ist. Die Landespolitiker haben es nicht geschafft, mit dem Ort und mit seiner Geschichte angemessen umzugehen.
Als märkische Adler gestartet, als bauhistorische Suppenhühner gelandet?
Bernau: Sie sind ja gar nicht von sich aus gestartet. Dieses Schloss ist die Frucht einer Bürgerbewegung, die es zurück haben wollte. Der Landtag wollte lange nicht hierher, sondern mal sein bisheriges Provisorium ausbauen, mal in die Speicherstadt südlich des historischen Potsdam, mal an die Schiffbauergasse nordöstlich davon. Hierher ist das Parlament letztlich den Bürgern gefolgt.
Guratzsch: Aber das Parlament hat Vorgaben ans Raumprogramm gemacht, die dem Geist des Bauwerks widersprechen und zu einer anderen Form geführt haben. Da fehlt die Konsequenz, und da fehlt die Raffinesse, die ein solcher Bau haben könnte. Zur Kuppel oder zur Breite des Hauses gab es kleinliche, unendliche Streitigkeiten und am Ende lächerliche Einschränkungen, die dem Architekten auferlegt wurden.
Bernau: Es fällt deutlich auf, dass den Landtag irgendwann der Mut verlassen hat, wenn er ihn je hatte. Er hat sich noch aufgerafft, zu sagen: Wir bauen uns jetzt diesen Parlamentssitz. Aber er hatte nicht den Mut, sich eine entsprechende Innenausstattung zu leisten. Die Qualität, die es außen trotz allem gibt, und die Qualität drinnen fallen extrem auseinander. Es gibt nur zwei Räume, die da halbwegs mithalten: die Eingangshalle an der Stelle des ehemaligen Treppenhauses und der Plenarsaal. Aber für die Lobby zwischen beiden, für Räume wie die Bibliothek und die Cafeteria ist das Wort „bescheiden“ noch ein vornehmer Ausdruck. Eigentlich ist das ärmlich.
Hätte der Großspender Hasso Plattner weniger für die Barockfassade und mehr fürs Innere geben sollen?
Guratzsch: Plattner hat tief in die Tasche gegriffen, und nicht nur einmal. Er hat ja noch nachgelegt, zum Beispiel für das Kupferdach, und damit dem Bau ein unsägliches Zinkdach erspart.
Bernau: Plattner hat das finanziert, wozu sich das Land und die Stadtgesellschaft nicht in der Lage sahen. Er hat konsequent gesagt: Wenn man schon an diesem Ort historisierend baut, dann aber richtig.
Guratzsch: Das Innere sehe ich auch nicht so kritisch wie Sie. Hier ist ein neuer Gedanke in eine alte Hülle eingezogen, und diesen neuen Gedanken finde ich sympathisch. Die Fensterfront im Plenarsaal wirkt fast wie eine transparente Wand. Man sieht alles, was draußen passiert. Und man guckt von draußen in den Saal – zum Glück hat er keine Spiegelglasscheiben. Mir gefällt die Reinheit und Exaktheit in diesem Bau. Peter Kulka lässt sich in keine Schublade stecken. Er ist souverän im Umgang mit Denkmälern, aber er ist kein Nostalgiker oder Historist. Er wollte hier demonstrieren: Mein Horizont ist viel weiter, als die Hülle suggeriert; ich kann mit ihr umgehen und kann ganz bei mir bleiben.
Das Parlament zieht von einer Offiziersschule, die später SED-Sitz war, in ein Schloss. Ändert das die Politik?
Bernau: Ich glaube nicht, dass der Bau den Inhalt der Politik prägt; so optimistisch bin ich nicht. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass der Ort der Macht ganz wichtig ist für die Art, wie sie ausgeübt wird. Der Brandenburger Landtag hat sich in den letzten 20 Jahren durch unendliche Fraktionskämpfe und kleinliche Zerlegungskämpfe ausgezeichnet. Das wird jetzt so kaum mehr möglich sein; das Ambiente toleriert so etwas nicht. Architektur hat schon ihre Wirkung!
Guratzsch: Ich fürchte, das ist eine schöne Illusion. In den 80er-Jahren habe ich viele Debatten im hessischen Landtag verfolgt. Auch das war ein Schloss, aber der damalige Saal war stickig und unter aller Würde. Es wurde da mit harten Bandagen gekämpft, aber es war auch oft ein Niveau zu erleben, das es nicht in vielen Landtagen gab. Ein schlechter Raum erschwert anspruchsvolle Politik, aber er verhindert sie nicht. Ein guter erleichtert sie, aber er garantiert sie nicht.
Bernau: Bisher zeigt das Innere, dass die Parlamentarier noch gar nicht wissen, wie sie mit diesem neuen Raum umgehen sollen. Aber wenn sie einmal drin sind, werden sie es lernen. Oder wenigstens ihre Nachfolger. Als vor 20 Jahren das Berliner Landesparlament umzog, wussten die Abgeordneten am Anfang auch nicht, was sie mit dem großen Mantel des einstigen Preußischen Landtags machen sollten. Aber inzwischen sind sie ganz prächtig hineingewachsen.
Sie machen aber die gleiche Politik?
Bernau: Es ist schon mal eine sehr politische Aussage, dass der Landtag letztlich der Bevölkerung gefolgt ist – und es ist eine zweite, dass er sich an den Ort wagt, an dem einst Preußens Könige residierten. Große Monarchie-Sehnsucht gibt es in Brandenburg nicht. Aber es ist klar: Wenn der Landtag an diesen Ort zurückgeht, bedient er sich auch der Form, die es dort einmal gab. Ein Bau, der die Historie ganz und gar ignoriert, ist hier einfach nicht denkbar. Hier hat die DDR mehr als genug ignoriert.
Guratzsch: Ja, es ist ein Pendelschlag, nachdem dieser Ort über viele Jahrzehnte eine völlige Neutralisierung durchlitten hat.
Bernau: Potsdam hat als Stadt überhaupt nur Relevanz, wenn es so etwas wie Residenz ist – ob das nun Königssitz, DDR-Bezirksstadt oder Landeshauptstadt heißt. Ohne das wäre es nur ein Anhängsel Berlins. Dieses Schloss ist der sichtbare Beweis: Es gibt uns, wir sind wer, und wir machen etwas her.
Konsequent wird das nicht gelebt. Wo früher der Schlossgarten begann, ist jetzt eine Hauptverkehrsstraße. Dahinter steht ein Hotelturm aus DDR-Zeiten.
Bernau: Die Lage der Straße ist katastrophal – ganz abgesehen von dem dummen Hotel, das da nur noch rumsteht. Aber die Straße kriegt man so bald nicht weg. Da ist die Autolobby vor.
Guratzsch: In ostdeutschen Städten stoße ich immer noch auf ein Trauma aus der DDR-Zeit, weil man sich nicht so bewegen konnte wie im Westen. Da sieht man immer noch Nachholbedarf im Verkehr. Das erklärt einen Bau wie die Waldschlösschenbrücke in meiner Heimatstadt Dresden und es erklärt das Festhalten an einer solchen Straße. Man kann natürlich über einen Tunnel nachdenken. Das Fatale ist aber, dass so etwas gar nicht im Denken der ostdeutschen Städte ist.
Wenn es so ist, stoßen sich zwei Rückwärts-Bewegungen im Raum: eine zum barocken Lustgarten, eine zur DDR.
Bernau: Potsdam ist aber strukturkonservativ bis in die Knochen, monarchistisch wie sozialistisch. Hier hat die DDR als politische Erinnerung überlebt. Dieser Hotelturm hatte seine städtebauliche Berechtigung in ihrem Konzept, die Potsdamer Innenstadt neu zu planen – und zwar gegen die alte Stadt. Aber seit die Betonwände des Schlossrohbaus hochgezogen sind, sieht man: Das stimmt hier. Und der Turm stört hier.
Was lehrt uns all das für andere Wiederaufbauten – speziell für das Berliner Schloss?
Bernau: Jedes Projekt dieser Art ist individuell und keins mit den anderen vergleichbar. In Potsdam hängen Inhalt und Form untrennbar zusammen. In Berlin wird die Schlossfassade immer darunter leiden, dass sie etwas aussagt, was nichts mit dem Inhalt zu tun hat. Und Schultes oder Braunfels haben gezeigt, dass das Berliner Projekt auch städtebaulich keineswegs zwingend ist.
Guratzsch: Doch! Man hat doch an der Fassaden-Simulation von 1993 gesehen, wie alle Gebäude ringsherum auf das Schloss ausgerichtet waren. Da kommt vieles zusammen: Ströme der Geschichte, aber auch die ästhetischen Belange und der auf diesen Ort fixierte Städtebau.
Waren denn für Berlin wie für Potsdam keine äußerlich modernen Lösungen denkbar?
Bernau: Man hat hier in Potsdam den armen Oscar Niemeyer dazu getrieben, ein Spaßbad zu planen. Dabei wäre ihm doch ein Parlament viel angemessener gewesen. Aber so sehr ich Niemeyer verehre – die angemessenere Lösung für diesen Ort war dann doch der Nachbau der Fassaden. Hier stimmen Funktion, Symbolik und Außenansicht überein, hier kommt alles zusammen. Das verhunzte Gebälk, der aufgeblasene Plenarsaalflügel und der Geiz beim Foyer sind da fast nebensächlich.
Wie ist es mit der Stimmigkeit in Berlin?
Bernau: Hier ist nichts so zwingend wie in Potsdam; hier wären viele Lösungen vertretbar gewesen. Hier war das Schloss zwar im Zentrum, aber es war nicht so zentral wie in Potsdam. Und Berlin hat eine ganz andere Mentalität: Es definiert sich immer über das Neue, nicht wie Potsdam über die Historie.
Guratzsch: Wenn die alten Fassaden erst wieder da sind, wird man sie auch dort für die zwingende Lösung halten.
Eine Fixierung des Blicks nach rückwärts?
Guratzsch: Ich halte die Annahme für einen der großen Irrtümer in der Rekonstruktionsdebatte, hier seien Leute am Werk, die in die Vergangenheit zurückwollen. Dabei sind doch Leute führend beteiligt, die mit den modernsten Technologien hantieren. Nehmen Sie nur Hasso Plattner, der das für die Potsdamer Fassade gespendete Geld mit Software verdient hat…
Bernau: …und der moderne Kunst sammelt!
Was treibt solche Leute?
Guratzsch: Man will sich nicht in eine Schublade stecken lassen. Man will nicht nur Computerfachmann sein, man will zeigen, dass man auf Geschichte aufbaut und von dieser Basis aus in die Zukunft blickt. Wir wollen nicht nur die Maschinenmenschen sein, die Le Corbusier propagierte, wir wollen nicht nur die autogerechte Stadt haben. Wir wollen die Freiheit haben, mehr zu sein. Deshalb lieben wir den Widerspruch. Genau das ist die Aussage von Kulkas Bau.
Bernau: Völlig d’accord.