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Oase in Westfalen

Ein Rundgang durch die Bürger-, Beamten- und Bischofsstadt Münster – mit historischen Momenten, moderner Architekturgeschichte und versteckten Ruheinseln.

01.06.200810 Min. Kommentar schreiben
Zwischen modern und historisch: Die Diözesanbibliothek von Max Dudler wirft Schatten auf die Überwasserkirche von 1340.

Nils Hille
Es ist Markt und keiner schreit. Während in anderen Städten die Händler aggressiv um Aufmerksamkeit ringen, kaufen hier die Bürger ohne krakeelende Aufforderung gerne ein. Mittwochs und samstags wird der Münsteraner Domplatz zu einem großen Open-Air-Einkaufsladen, der eine enorme Auswahl und persönliche Beratung bietet. Die Stände reihen sich auch nicht irgendwie aneinander. Wer Käse kaufen will, der geht einen bestimmten Gang entlang, in dem er alle Milchprodukte findet. Den Weg davor gibt’s Fleisch, den dahinter Gemüse.

„Da kommt das Land in die Stadt“, sagt Stefan Rethfeld, der mir heute sein Münster zeigen wird. Der 38-jährige Architekt lebt teils hier und teils in Berlin, wo er studiert hat. Gerade erscheint sein Architekturführer über die Stadt, von der er sagt: „Münster hat einen guten Maßstab: Ruhe und Tempo sind jederzeit möglich. Doch wer hier baut, benötigt viel Feingefühl für eine wiederaufgebaute, in großen Teilen collagenhafte Stadt. Viele Projekte machen es sich heute zu einfach: Sie bedienen nur langweilige Klischees. Das Spezifische droht so an vielen Stellen verloren zu gehen.“

Ganz entspannt schlendern wir durch die Sonne über den Markt und betreten den Dom, der dem Platz seinen Namen gibt. Atmosphärenwechsel. Die großen Steinmauern von St. Paulus verfehlen ihre Wirkung nicht, mächtig und gleichzeitig beruhigend kommen sie daher. „An dieser Stelle wurde 793 Münster gegründet und das Bistum existiert seit 805“, erklärt Rethfeld.

Der Dom ist aus dem 13. Jahrhundert, zweihundert Jahre später wurde er innen ganz dunkel bemalt. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, heller Sandstein prägt das Erscheinungsbild. Die Alliierten hatten den Befehl, die Stufen des Doms mit ihren Bomben zu treffen – und führten diesen mehr als gründlich aus. „In einer Viertelstunde fielen 3000 Bomben auf die Stadt. Große Teile des Doms waren zerstört“, so Rethfeld.

Auch viele andere Gebäude mussten in Münster neu aufgebaut werden – ein Großteil davon wurde wie aus Trotz dem ursprünglichen Erscheinungsbild nachempfunden. Bevor wir weitergehen, hat er noch einen Tipp: Wir betreten den Domhof, der für jeden zugänglich ist. Eine Oase der Stille mitten in der Stadt, die auch als Friedhof für die verstorbenen Domkapitulare dient. Wir genießen den Moment und ziehen weiter – weg vom Domplatz, zu dem jeder Münsteraner, durch die ringförmige Struktur der Stadt, maximal fünf Kilometer fahren muss.

Es geht über die Aa, die mitten durch die Stadt fließt. Auf der Brücke verteilen Bürger pinkfarbene Blumen und Flugblätter. Sie werben für den Bau einer neuen Musikhalle, zu der die Stadt zwölf Millionen Euro zugeben will. Da sie aber sonst an Vielem spart, gibt es Proteste. Die Gegeninitiative erweist sich bald darauf als stärker und erreicht beim Bürgerentscheid über 70 Prozent. Auch der geplante Architektenwettbewerb ist damit geplatzt.

Wir wenden uns wieder dem Vorhandenen zu. Direkt neben der Überwasserkirche von 1340 steht ein Neubau, der in einer Perspektive wie ein Kirchenschiff wirkt: die Diözesanbibliothek von Max Dudler, die 2007 vom BDA Nordrhein-Westfalen mit dem Architekturpreis ausgezeichnet wurde. 70 Meter lang, mit nur einem Fensterformat, kommt sie in der Altstadt mit den vielen kleinen Häusern schon mächtig daher. „Die Bücher sind wie in einer Kammstruktur angeordnet und das Gebäude ist selbst wie ein Regal“, deutet Rethfeld. Wer freundlich fragt, darf auch innen schauen. Vor allem der Lesesaal, der über die oberen beiden Etagen reicht, präsentiert uns angenehme Großzügigkeit und Lichtverhältnisse. Die von Dudler entworfenen Möbel passen ideal.

Kiepenkerl: Das Denkmal zeigt einen wandernden Handelsmann im Münsterland, der für den Waren- und Nachrichtenaustausch sorgte.

Kuh und Kiepenkerl

Zurück in die Sonne. Der winzige, seitlich angrenzende Rosenplatz führt uns ins Kuhviertel mit kleinen Kneipen und gemütlichen Restaurants. „Früher standen hier die Kühe vor der Tür, mit denen auch gehandelt wurde“, erklärt Rethfeld den Namen. Vor allem der Gang durch die Hollenbeckerstraße mit ihren alten Bürgerhäusern, die teils aus dem 18. Jahrhundert stammen, lohnt sich. Doch das Ende des Wegs entzaubert uns ganz schnell – durch den Krach der stark befahrenden Münzstraße, die wir überqueren.

Dafür sehen wir auf der linken Seite „ein Musterhaus des neuen Bauens“: Das 1931 erbaute Wohnhaus Wiedemann von Wilhelm Peter Strupp wurde weder durch den Krieg noch durch „Verschönerungsmaßnahmen“ in seiner rationalen Ursprungsform mit Flachdach zerstört. Und es führt uns zur Promenade, die dahinter beginnt. An der Stelle der einstigen Stadtmauer ist ein fast fünf Kilometer langer Grüngürtel entstanden, der sich um die Altstadt zieht und sich autofrei genießen lässt. Dafür zeigt sich hier, dass in Münster sehr viele Fahrten, nach Statistiken bis zu 40 Prozent, mit Fahrrädern absolviert werden.

Wir folgen dem Grünpfad nur ein kleines Stück in östliche Richtung. Schräg links am Kreuztor liegt die ehemalige Villa Terfloth von 1904, die mit ihrer Burgenform für patriotische Gesinnung und durch ihren Entwerfer für Weltoffenheit steht. Der in Münster geborene Architekt Alexander Cazin hatte sich in Denver (USA) ausbilden lassen und kehrte dann zurück nach Westfalen; sein Vorbild war Henry Hobson Richardson.

Rund herum: Münster ist ringförmig gebaut. Die grüne Promenade umfasst den Innenstadtkern. Einzelne historische Stadttore an dem Ring sind noch erhalten.

Ruhen und Genießen

Zurück in Richtung Stadtmitte. Die Schlaunstraße lädt mit der Fischbrathalle zur Mittagspause ein (siehe „Kulinarisch“), doch wir betrachten nur die gutbürgerliche Stube, in der die Zeit stehen geblieben scheint.

Auf dem Spiekerhof zeigt die Buchhandlung Bitzhenner im Schaufenster ihren Architekturschwerpunkt. Schräg gegenüber führt der kleine Humborgweg an der Aa entlang – eine weitere grüne Oase mitten in Münster. „Viele Ecken wollen hier nichts Besonderes sein. Die sind nur zum Ausruhen da“, sagt Rethfeld. Und er erzählt, dass 80 Prozent der Münsteraner Häuser jünger als sechzig Jahre alt sind, aber meist auf alten Parzellen neu errichtet wurden.

Am Ende des Wegs biegen wir wieder rechts ab und treffen nach ein paar Metern auf den Kiepenkerl. Das Denkmal zeigt einen wandernden Handelsmann im Münsterland, der für den Waren- und Nachrichtenaustausch sorgte. „Die Frühform des Internets“, meint Rethfeld grinsend. Gegenüber befindet sich das Hotel Busche, das er zur Übernachtung empfiehlt (siehe „Entspannend“).
In der Neubrückenstraße liegt das Stadttheater von 1955, das dem jungen Architekten Harald Deilmann den Durchbruch brachte. Er und seine Kollegen Max C. von Hausen, Ortwin Rave und Werner Ruhnau hatten sich gegen einen traditionellen Vorschlag gewehrt und einen zeitgenössischen Bau gefordert. Zur Verwunderung vieler konnten sie sich damit beim Wettbewerb durchsetzen. Rethfeld: „Es war der erste Theaterneubau nach 1945 und damals das modernste Theater Europas. Foyer, Zuschauerraum und Bühnenturm sind von außen ablesbar, wobei Letzterer durch seine elliptische Form gar nicht so mächtig wirkt.“

Deilmann lebte bis an sein Lebensende in Münster; er starb im vergangenen Januar mit 87 Jahren. Die Treppe links neben dem Haupteingang führt zum versteckten Innenhof, in den die Ruine des alten Romberger Hofs sowie zwei große Bäume integriert wurden. Eine Theaterkulisse unter freiem Himmel.

Kaffee und Klänge

In der Nordstraße, nahe der Kirche St. Martini, liegt die „Röstbar“, die mit eigener gläserner Manufaktur für ihre frisch verarbeiteten Bohnen wirbt („Kulinarisch“). Rethfeld schwärmt von dem Kaffee, unterstützt von anderen Architekten, die die Sonne vor dem Café genießen.

Als Nächstes geht es zur Stadtbibliothek. Der 1993 fertiggestellte Bau, ein Geschenk an die Bürger zum 1200-jährigen Stadtjubiläum, bietet architektonisch wie nutzwertig beste Qualität. Er stammt von einem Büro, das eigens nach dem Wettbewerbsgewinn dieses Projekts nach Münster zog: „Bolles und Wilson haben ein Gebäude geschaffen, das sich heutzutage finanziell fast keine deutsche Stadt mehr leisten könnte“, sagt Rethfeld. Die Pflasterung vor dem Gebäude zieht sich bis in den Eingangsbereich, innen empfängt uns eine Großzügigkeit und Helligkeit, die im Café, im Lesesaal und zwischen den Regalen zum Verweilen einlädt. Im Kellergeschoss, etwas versteckt neben den CDs und DVDs, liegt die nächste Oase. Sie ist schallgeschützt, in verschiedenen Rottönen gehalten und beherbergt einen Flügel. Für alle Musiker ein Paradies der schönen Klänge.

Beliebt: Immer mittwochs und samstags besuchen die Münsteraner ihren Wochenmarkt vor dem Dom.

Die Bibliothek hat noch eine weitere verborgene Oase, die wir besuchen. Am Ende der Kinderbuchabteilung betreten wir einen Innenhof, der einen Blick auf die Rückseite des Gebäudes und das Nebengebäude mit Dachterrasse zulässt. Rethfeld ist begeistert: „Hier ist alles unter dem Motto geschaffen: Es kann nicht heterogen genug sein.“

Von der späten Moderne zum Barock: Auf der Salzstraße baute Johann Conrad Schlaun Mitte des 18. Jahrhunderts „sein schönstes Werk“, so Rethfeld. „Da das Grundstück sehr klein ist, aber nicht so wirken sollte, baute er es diagonal zu den Straßen. Die Kutschen fuhren dann mitten durch, bis in den Hof.“ Die nahe Clemenskirche wurde ebenfalls von Schlaun gebaut. Sie gehörte zu einem Krankenhaus, steht heute in ihrer runden Form frei da und dient nur für Hochzeiten.

Schließlich zum Prinzipalmarkt, dem Herzen der Stadt. Die historische Kulisse wurde 1945 bis 1952 in vereinfachter Form dem alten Bild nachempfunden und gilt bis heute als gelungener Kompromiss zwischen Rekonstruktion und Erneuerung. Sie ist geprägt durch fast durchgehende Arkaden, dem Rathaus des Westfälischen Friedens, aber auch durch das Café Kleimann („Kulinarisch“). Rethfeld verabschiedet sich mit einem Wunsch für seine Stadt: „Münster sollte in Sachen Zukunft nicht so zögerlich sein und mehr Debatten, mehr Initiativen und Interventionen zulassen. Letztlich wird die Stadt hiervon profitieren.“ Von hier aus sind es nur ein paar Meter bis zu unserem Ausgangspunkt, dem Domplatz mit dem Markt. Noch immer kaufen die friedlichen Westfalen hier ein – und noch immer schreit keiner.

Entspannend

Hotel BuscheKleine Pension mitten in der Stadt. Nur wenige Zimmer, aber alle mit Domblick.

  • Tel.: 0251 284660

Mauritzhof Hotel Münster Designhotel. Jedes der 39 Zimmer ist individuell eingerichtet. Naturhölzer, Farbflächen und exklusives Design sorgen für den besonderen Stil.

Mercure Münster City 4-Sterne-Hotel mit 156 Zimmern, nur fünf Minuten von der Altstadt und dem Hauptbahnhof entfernt.

Kulturell

Picasso-Museum Das Graphikmuseum Pablo Picasso Münster (von Hilmer & Sattler & Albrecht) kann aus seinem Bestand von über 800 Grafiken des Künstlers schöpfen.

LWL-Landesmuseum Das Westfälische Museum für Kunst und Kulturgeschichte zeigt Bilder und Skulp­turen des Früh-mittelalters sowie Glasmalerei und Tafel-malerei der Spätgotik.

Kreativkai Im Hafen formen Kulturein-richtungen, Szenegastronomie, Clubs und Dienstleister kreativer Bereiche ein besonderes Areal.

Kulinarisch

Fischbrathalle Traditionsrestaurant in Münster seit 1926. Bietet jeden Tag frischen Fisch von der Nordsee.

Röstbar Kaffeebar mit integrierter Rösterei. Herrlicher Duft, der ein sehr gemischtes Publikum anzieht.

Café Kleimann Für viele das Traditionscafé Münsters. Der Familienbetrieb wird seit 1934 am Prinzipalmarkt geführt.

Sylvaine Hänsel, Stefan Rethfeld:

Buchtipp

Architekturführer Münster
Die 300 wichtigsten Bauten der Stadt Münster von der Gründung bis zur Gegenwart, ergänzt durch aktuelle Fotos und Grundrisse. Mit ausführlichen Registern und Karten.
Dietrich Reimer Verlag, 280 Seiten, 25 Euro

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