Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Orientierung oder Hindernis“ im Deutschen Architektenblatt 10.2019 erschienen.
Von Yorck Förster
Mitten in Frankfurt, das ansonsten auf seine Hochhäuser stolz war, lockt als aktuelles Must-see die Neue Altstadt, die so stark polarisiert hat. „Kein Zombie“ und „Bitte richtig alt!“ forderten völlig ironiefrei wohl von eingefleischten Rekonstruktionsfans stammende Graffiti auf dem Bauzaun. Einem Zauberkunststück gleich, wünschten sich die einen die Wiederkunft der alten Stadt, während die anderen einen Historienpark befürchteten.
Weder das eine noch das andere geschah. Entstanden ist ein Stadtquartier (sofern sich das bei rund 7.000 Quadratmetern sagen lässt), das sicherlich vieles über Sehnsüchte und Wünsche an Städte und damit auch über die realen Defizite sagt, das aber keineswegs nur Rekonstruktion ist.
Auf dem Areal befand sich vormals das Technische Rathaus von 1974. Drei wuchtige, mit Waschbeton umkleidete Türme bildeten eine dominante Großstruktur im historischen Zentrum der Stadt. Nach einem ersten (gescheiterten) städtebaulichen Wettbewerb 2005 für eine Ersatzbebauung und einer Planungswerkstatt mit Bürgerbeteiligung war eine Wiederherstellung der Stadtfigur vor der Zerstörung von 1944 als Ziel gesetzt: Eine am historischen Zustand orientierte Parzellierung sollte die Kleinteiligkeit der Altstadt wieder erfahrbar machen, stadtgeschichtlich wichtige Bauten sollten rekonstruiert werden.
Nachbauten und Neubauten
Schließlich entstanden 15 „schöpferische Nachbauten“ (weitgehende Rekonstruktionen) und 20 Neubauten. Für Letztere galt eine reichlich detaillierte Gestaltungssatzung (siehe Textende. Auf ihrer Basis wurde 2010 ein Realisierungswettbewerb für die neue Bebauung mit einer Mischnutzung aus Wohnen und Gastronomie oder Einzelhandel im Erdgeschoss ausgelobt. Mit den Rekonstruktionen als Leitbauten zusammen sollten die Neubauten ein Ensemble bilden, gleichwohl sollte Spielraum für Interpretationen und Weiterentwicklungen bleiben.
Entlang des Markts – des historischen Krönungswegs –, an dem sich die aufwendigen Rekonstruktionen des spätgotischen „Neuen Roten Hauses“ und des prunkvollen Renaissancebaus der „Goldenen Waage“ befinden, sind dann tatsächlich – trotz oder gerade wegen der Gestaltungssatzung – selbstbewusste Neubauten entstanden. Johannes Götz und Guido Lohmann haben hier mit dem Haus „Neues Paradies“ (1) den traditionellen Typ des spitzgiebeligen Dachs mit der Gebäudehülle in der einheitlichen Materialität eines Schieferkleids verschmolzen. Zueinander versetzte Fensterachsen geben der Fassade Dynamik, die Auffaltung der Schieferhülle und die Kastenfenster schaffen Plastizität. Guido Lohmann erinnert sich: „Der Entwurf ist ja zu einem Zeitpunkt entstanden, an dem über die zukünftige Nachbarschaft nichts bekannt war, außer deren parzellierte Volumen und deren Standpunkt im öffentlichen Raum. Die Frage war also, wie ein Gebäude aussehen kann, das in die Atmosphäre dieser Straßenszenen passt und zweifellos zeitgenössisch und selbstbewusst ist. Wir wollten eben nicht nur eine Art Passepartout zu den Rekonstruktionen sein, sondern uns auf Augenhöhe begeben.“
Spolien von Barock bis Brutalismus
Möglich und sogar erwünscht für die neuen Gebäude war die Einbeziehung von Spolien historischer Häuser. Das „Alte Kaufhaus“ von Morger + Dettli (2) folgt zum Krönungsweg hin der Gestaltungssatzung gewissermaßen buchstabengenau. Präzise und rational ist die Fassade gestaltet. Auf der anderen Seite des zur rückwärtigen Gasse durchgesteckten Hauses aber bildet ein in das Erdgeschoss eingeschobenes dreiachsiges barockes Portal – Relikt eines 1906 für die neue Schillerstraße im Norden der Innenstadt abgebrochenen Gebäudes – den Schmuck des Hauses. Der Entwurf macht eigentlich genau das, was die Befürchtung gegenüber einer Gestaltungssatzung ist: In einer Art Schematismus werden in abstrakter Form die Elemente historischer Gebäude wiederholt. Das gilt für die Fassade zum Markt in einer minimalistischen Überhöhung, die ebenso perfekt gesetzte zweite Fassadenseite aber umspielt und steigert visuell das historische Schmuckportal, das nur eingestellt ist und vom Gebäude nicht berührt wird.
Das Büro Jordi & Keller hat gleich zwei Gebäude entlang des Marktes realisiert. Beim Haus „Zu den drei Römern“ (3) hat es sowohl im Giebelfenster eine Säule, die der verstorbene Architekturkritiker Dieter Bartetzko rettete, wie auch Reste eines Sockelgeschosses aus der Saalgasse implementiert. Beim „Großen Rebstock“ (4), der delikat den U-Bahn-Eingang überspannt, sind wiederum Waschbetonfragmente des Technischen Rathauses in die „Kapitelle“ des Erdgeschosses eingearbeitet. Für Marc Jordi und Susanne Keller war das eine naheliegende Entscheidung: „Da uns grundsätzlich alle Zeitschichten interessieren, waren wir dankbar, dass der Bauherr unsere Idee, Fragmente des Technischen Rathauses einzubauen, unterstützte. Es ging uns darum, an einen verschwundenen Ort zu erinnern, ihn sichtbar zu machen. Dennoch kann das Ergebnis auch mit Ironie gelesen werden“ – eine Anspielung auf den in Sandstein geschnittenen Aschenbecher am Eingang, der die zeittypische Kontur des Technischen Rathauses besitzt.
Postmoderne als neuer Anfang der Frankfurter Altstadt
Das Konzept einer gemischt genutzten neuen Bebauung auf kleinteiligen Parzellen im Bereich der Frankfurter Altstadt ist nicht ganz neu. Nur wenige Meter entfernt entstanden Mitte der 1980er-Jahre die Stadthäuser entlang der Saalgasse. Die Gebäude sollten viergeschossig und giebelständig sein, mit Läden oder Büros im Erdgeschoss. Das war im Verhältnis zur Gestaltungssatzung für die Neue Altstadt ein lockeres Anforderungsprofil. Die gelungensten Saalgassen-Häuser thematisieren das Spannungsverhältnis aus traditionellen und neuen Gebäuden; in der damaligen Diskussion der Postmoderne im Sinne einer „Doppel- oder Mehrfachkodierung“ der Bauten und ihrer narrativen Qualität mag das nicht überraschen. Wohl aber, dass es genau diese Vielschichtigkeit ist, die dreißig Jahre später unverändert aktuell ist und die besondere Qualität auch der neuen Gebäude in der Altstadt ausmacht.
Eine zeitliche Gebrochenheit, die komplexer ist als die Vorstellung einer vollständig vormodernen Altstadt, ist dem Areal ohnehin eingeschrieben. Den nördlichen Teil bildet die Braubachstraße, die 1905 durch die Altstadt gelegt wurde. Peter Eingartner von Eingartner Khorrami äußert zu dem wuchtigen, mit expressionistischen Op-Art-Effekten überraschenden Haus Braubachstraße 23 (5): „Was in der Braubachstraße auffällt, sind die zahlreichen expressionistisch geprägten Häuser vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie haben uns schon inspiriert. Auf der anderen Seite, Richtung Süden, sind da natürlich die extrem starken Bilder der untergegangenen, mittelalterlich geprägten Altstadt. Und vielleicht findet man an unserem Haus ja sowohl mittelalterliche als auch expressionistische Züge.“ Das Gebäude als Mittler zwischen einer Straße des 20. Jahrhunderts und dem dahinterliegenden weitaus älteren Gefüge der Stadt. Entsprechend sieht Eingartner auch die Aufgabe der Gestaltungssatzung: „Gute Gestaltungssatzungen dienen der Stimmigkeit des Gesamtbildes im städtischen Kontext. Als solche sind gut formulierte Satzungen wünschenswert, schlechte allerdings ein Hindernis.“
Sichtbeton anno 1913
Zumindest wann eine Gestaltungssatzung hakt, lässt sich ebenfalls in der Braubachstraße ablesen. Die Vorkriegs-Stadthäuser in der Straße hatten nicht nur Fassaden aus Putz und Sandstein, sondern auch aus Beton. Für die heutigen Bauten jedoch gilt die Gestaltungssatzung. Mit dem „Glauburger Hof“ (6) hat das Büro Knerer und Lang mit einer Sichtbetonfassade (!) einen verloren gegangenen Zwillingsbau wiederhergestellt, bei dessen originalem rechtem Nachbarn am sandsteinrot gestrichenen Erker unverkennbar die Spuren der Schalungsbretter von 1913 zu sehen sind. Entsprechend meint Thomas Knerer: „Wir haben die Gestaltungssatzung eher als hinderlich empfunden, weil die Satzung sehr exklusiv auf die mittelalterliche Bebauung fokussiert war und der Materialität und Typologie in der Braubachstraße nicht gerecht wurde. Um die von uns geplante Materialität zu bestätigen (die ja der des Vorgängerbaus entspricht), war eine Sondergenehmigung des Gestaltungsbeirates erforderlich.“
Dass eine umfassende Gestaltungssatzung kreative Entwürfe womöglich erschwert, mag bisweilen sein. Jedenfalls entsteht aus Regulierung nicht automatisch eine vorhersehbare Tristesse, die nur ein Passepartout ohne Eigenschaften bildet. Manchmal wird die Kreativität sogar beflügelt, weil man um die Ecke denken muss. Solange nicht das Bild einer historisch homogenen Stadt übermächtig wird, kann es gelingen, ein komplexes Gefüge aus traditionellen Elementen der Architektur, Spuren vergangener Bauten, historischer Kontexte und – nicht zuletzt – der Gegenwart zu entwickeln.
Die Gestaltungssatzung der neuen Frankfurter Altstadt
Die Gestaltungssatzung für das Dom-Römer-Areal hat gerade einmal acht knapp gehaltene Paragrafen, die auf zwei DIN-A4-Seiten passen (plus acht Seiten bebilderte Begründung). Sie gilt sowohl für die Neubauten wie auch für spätere Umbauten und Sanierungen. Ausgenommen sind die rekonstruierten Gebäude – die zum Teil deutlich von den Vorgaben abweichen (!). Gefordert wird unter anderem eine geschossweise Gliederung der Außenwände durch Gesimse, Auskragungen oder vertikale Elemente, höhere Erdgeschosse und stehende Fensterformate. Die Materialität der Fassaden ist definiert mit einem Sockel aus Basaltlava, rotem Sandstein für das Erdgeschoss und Obergeschosse, die entweder verputzt, mit Naturschiefer oder Holz zu verkleiden sind. Die Farbgebung wird durch einen eigenen Leitplan definiert. Die Dächer sollen altstadttypisch steil geneigte Satteldächer mit einer Eindeckung aus Naturschiefer sein.
Hier finden Sie die Gestaltungssatzung der neuen Frankfurter Altstadt, ihre Begründung hier. (Bitte auf der Karte zum Bereich der Altstadt zoomen und das Gebiet anklicken)
Auf der Website des DomRömer-Areals finden Sie alle 35 Häuser im Porträt.
Mehr Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Orientierung
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: