Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Die goldene Mitte“ im Deutschen Architektenblatt 11.2022 erschienen.
Von Christoph Gunßer
Die ehemalige Ackerbürgerstadt Penzlin mit heute 2.800 Einwohnern liegt an der Mecklenburgischen Seenplatte unweit von Neubrandenburg. An ihrem Marktplatz fehlte neben der trutzigen Stadtkirche lange eine aktive öffentliche Nutzung, erzählt Bürgermeister Sven Flechner. Selbst gelernter Gartenbauingenieur und früher Bauamtsleiter, fand er in den städtischen Liegenschaften ein Gebäude am Platz, das zugleich die Bücherei und die Touristeninformation samt Toiletten für das als Konzertkirche genutzte Gotteshaus aufnehmen konnte.
Johann-Heinrich-Voß-Haus Penzlin
Das ehemalige Stadtschulhaus am Südrand des Marktes bot zugleich Gelegenheit, Johann Heinrich Voß ein kleines Museum zu widmen. Der zu seiner Zeit berühmte Aufklärer, Adelskritiker und Übersetzer antiker Texte war nämlich hier zur Schule gegangen.
Als das Raumprogramm später noch um das Stadtarchiv erweitert wurde, machte das vollends einen Anbau an das kompakte Fachwerkhaus nötig. Der Stadtrat konsultierte zwei Architekturbüros, von denen Christian Peters aus Neustrelitz Anklang fand.
Viele öffentliche Funktionen vereint
Im Umgang mit alter Bausubstanz erfahren, schlug Architekt Christian Peter vor, den Anbau als eine Art Remise zu errichten, jedoch „nicht nachgebastelt“ (Flechner), sondern in moderner Formensprache: Verglaste Giebel belichten den Mehrzwecksaal, Schieferschindeln abstrahieren das Dach, ein gläserner Verbindungsbau zum Altbau bekam Voß’ Porträt aufgedruckt. Ein mit Ziegelsteinen verkleideter Sockel, der den Geländeversprung aufnimmt, beherbergt das Archiv. Der Altbau vorn sollte behutsam ertüchtigt, das Fachwerk geschlämmt sichtbar bleiben.
Das Konzept, das respektvoll Nützliches mit Symbolischem verbindet, überzeugte auch den Denkmalschutz, und Fördermittel konnten aufgetrieben werden. Kurz vor der Pandemie wurde das stimmige Ensemble eröffnet. Der rührige Bürgermeister sieht das Haus als Fortsetzung der mecklenburgischen „Literaturhäuser“ und kooperiert bereits mit Schulen in der Region, um es bekannt zu machen. Zudem hofft er, dass die Investition auf das teils recht marode Umfeld im Stadtzentrum ausstrahlt.
Das Dommitzscher Rathaus-Ensemble aus Barock und Jugendstil hat ein erstaunliches Innenleben. (Klicken für mehr Bilder)
Rathaus Dommitzsch
Mehreren Zwecken dient auch die Baumaßnahme am Rathaus in Dommitzsch, einer ebenso kleinen Stadt wie Penzlin, in Nordsachsen am Elbe-Radweg gelegen. Der machte auch hier den Programmpunkt Touristeninformation sinnvoll, ebenso gepaart mit einem Ort für Ausstellungen und Veranstaltungen für die Bürgerschaft.
Ursprünglich sollte nur das Rathaus renoviert werden, ein schmucker Bau von 1911. Die Landschaftsarchitekten Station C23, die gerade den umliegenden Marktplatz neu gestalteten, holten dafür das Leipziger Architekturbüro Schoener und Panzer hinzu, das sich erfolgreich um die Renovierung bewarb. Gemeinsam kamen sie dann aber auf die Idee, der Stadt eine umfassendere Umgestaltung vorzuschlagen.
Architekten schlagen Neuordnung vor
Tatsächlich versperrte ein Anbau aus der DDR-Zeit den Blick auf die schräg hinterm Rathaus gelegene mächtige Stadtkirche. Die Planer schlugen vor, den Annex abzureißen und stattdessen ein baufälliges spätbarockes Haus auf der anderen Seite des Rathauses für das Raumprogramm zu ertüchtigen. Die Verwaltung ging darauf ein: „Sowohl die Bürgermeisterin als auch die Bauamtsleiterin haben das Projekt mit sehr viel auch persönlichem Engagement eng begleitet“, berichten die jungen Architekten. So entstand hier ein ganz besonderer öffentlicher Ort.
„Die neue Touristeninformation ist die Wundertüte von Dommitzsch“, schwärmte die Jury des BDA Sachsen, die dem Gebäude im vorigen Jahr den Landespreis zusprach und ausführte: „Wer glaubt, das zweigeschossige Gebäude mit Mansarddach bereits von außen verstanden zu haben, sieht seine architektonischen Denkgewohnheiten im Inneren durch einen überraschend großzügigen Raum auf die Probe gestellt.“
Touristeninformation und Versammlungsort in einem
Tatsächlich sieht das – erst im Bauprozess unter Denkmalschutz gestellte – Haus, das direkt an das Rathaus andockt, von außen ruhig und gediegen aus. Allein der lehmfarbene Putz ist so auffällig unauffällig, dass Veränderung in der Luft liegt. Wer das Gebäude vom Platz her durch die rechten zwei der drei Fensterachsen betritt (links liegen die öffentlichen Toiletten), steht in einem Allraum von wirklich erstaunlicher Dynamik.
Die Planer haben das zweistöckige Haus komplett entkernt und eine diagonale Struktur aus hellem, fein bearbeiteten Eschenholz hineingesetzt, die den Empfangstresen, Sitzstufen sowie eine Galerie zu einem Großmöbel integriert. Über allem spannt sich noch der alte, knorrig-dunkle Dachstuhl, von dem sich Tresen, Treppe und Tribüne mit ihrer lebendigen Maserung abheben. Hier ist Information, aber auch Teilhabe oder einfach staunendes Verweilen „drin“ – ein Angebot an die Bürgerschaft, das einlädt und in seiner Spannung zum Bestand herausfordert.
Ortsmitte Gaiberg
Die Überlagerung von Nutzungen liegt offenbar im Wesen gelungener öffentlicher Projekte. Denn auch in der 2.400 Einwohner zählenden Gemeinde Gaiberg südlich von Heidelberg kommen mehrere Nutzungen zusammen, die sich zeitlich und/oder räumlich ergänzen und überlappen.
Ausschreibung ohne Programm
Die originelle Idee einer solchen Mischung im öffentlichen Raum fanden in diesem Fall Ecker Architekten aus Heidelberg. Die Gemeinde hatte die Situation zwischen ihrem Rathaus und der örtlichen Bankfiliale bemerkenswerterweise offen, also ohne ein Funktions- oder Raumprogramm, zur Bebauung ausgeschrieben – nur die Stellplätze waren wichtig, so ist das halt im ländlichen, hier eher suburbanen Raum, wo die meisten Wege mit dem Auto zurückgelegt werden.
Öffentlicher Platz statt Wohnungen
Die Mitbewerber dieser Mehrfachbeauftragung schlugen überwiegend Wohnungen vor. Architektin Dea Ecker indes wollte der Gemeinde an dieser Straßengabelung unterhalb der Kirche endlich einen Platz geben, wo man sich trifft und ein kleiner Wochenmarkt, aber auch mal eine Open-Air-Darbietung stattfinden kann.
Mehrfachnutzung: Parkdeck, Tribüne, Dach
Die geforderten Parkplätze brachten die Architekten auf einem Parkdeck unter, das zugleich als Dach eines kleinen Saals dient. Unlängst ist hier eine Vinothek eingezogen. Der rechteckige, von einem skulpturalen Beton-Faltwerk (längst ein Markenzeichen des Büros) überspannte Raum öffnet sich über geschosshohe Scheiben zu dem abgetreppten Platz. Wegen der Last der Parkplätze ist die Brüstung massiv und wurde trotz Naturstein-Vorhang recht wuchtig gestaltet. Dieser Balkon in fünf Meter Höhe taugt dennoch als Logenplatz bei Aufführungen, die eine örtliche Initiative regelmäßig organisiert.
Amphitheater: Verkehr spielt nicht mehr die Hauptrolle
Überhaupt hat der Platz etwas von einem Amphitheater, das den Verkehr geschickt ausblendet (die flankierende Straße wurde eigens verschwenkt). Zwei Bäume, die groß zu werden versprechen, spenden über dem hellen wassergebundenen Belag schon etwas Schatten. Die Sorgfalt, mit der diese neue Mitte gestaltet wurde, überzeugt Einheimische wie Fachpublikum. Und sie erhöht die Chance, dass aus der öden „Donut“-Schlafsiedlung wieder ein „Krapfen“ mit lockender Mitte wird.
Das Rathaus von Meerbusch stammt aus der Neurenaissance, seitdem wurde viel an- und umgebaut. (Klicken für mehr Bilder)
Rathaus Meerbusch
Das Ländliche ist auch in Meerbusch nahe Düsseldorf noch nicht ganz verloren gegangen, denn die heute 56.000 Einwohner zählende Stadt mit dem Kunstnamen ging erst 1974 aus neun eigenständigen Dörfern hervor. Im südlichsten davon mit Namen Büderich residierte seit dem frühen 20. Jahrhundert der Bürgermeister in einem stattlichen Neurenaissance-Bau, der indes renovierungsbedürftig war. Man hatte in der Vergangenheit schon viel an- und umgebaut, was der Architektur nicht guttat.
Mehr Büros nötig
Nun wurde endlich denkmalgerecht renoviert, ein hässlicher Anbau aus den 1950ern abgerissen und stattdessen auf der Rückseite ein flacher Saalbau aus Stahl und Glas angefügt. Ziel war „kein Museum“, wie es Projektleiterin Elke Becker ausdrückt, sondern vor allem die Schaffung von mehr Büroräumen. Darum verzichteten die Planer auf restaurierende Eingriffe auch dort, wo etwa Tapeten aus der Bauzeit gefunden wurden. Lediglich einzelne „Fenster“ in die Vergangenheit wurden – ganz im Sinne der Denkmalpflege – belassen, ansonsten dominiert schlichtes Weiß die Innenräume.
Eine gute Stube für den Bürgermeister und seine Gäste
Dank eines guten Brandschutzkonzepts gelang es aber, das historische hölzerne Treppenhaus zu erhalten. Für die speziellen denkmalpflegerischen Arbeiten, etwa an alten Türen und Fenstern, leistete man sich Fachhandwerker und suchte auch nach passenden Ersatzteilen. So bekam die Stadt wieder einen recht prächtigen Repräsentationsbau, wo der Bürgermeister und sein Stab auch offizielle Besuche empfangen können.
Der anschließende Park wird für Feste und Empfänge genutzt. Besonders an diesem Projekt ist auch, wie weit der stadteigene Service Immobilien mit seinen angestellten Fachleuten für Entwurf und Projektsteuerung selbst planerisch tätig war. Erst die Ausführungsplanung vergab man an ein externes Büro, E2 Architekten aus Meerbusch, behielt aber die künstlerische Oberleitung. Das hat offensichtlich prima funktioniert. Alle Beteiligten sprechen von einem „richtig guten Planungsteamwork“.
Alle vier gezeigten Beispiele zeigen, was professionelles öffentliches Engagement im Zusammenwirken mit freien Planerinnen und Planern für kommunale Bauprojekte bewirken kann: Es entstehen Ensembles, die ein Gemeinwesen im besten Sinne repräsentieren können.
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