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Zurück City-Schnellstraße Hamburg

Ost-West-Hin-und-Her

Hamburg wollte seine Innenstadt mit einer Schnellstraßen-Stadtlandschaft auflockern. Die Schnellstraße ist geblieben, doch die Stadtlandschaft längst wieder zugebaut.

01.07.20096 Min. Kommentar schreiben
Luftfoto der Ost-West-Straße
Nördliche Weite: In der Mitte bis zu zehn üppige Fahrspuren, links und rechts viel freie Fläche – ein Stadtkonzept der Nachkriegszeit, das als Kehrseite der Zerstörung die Chance zum Auflockern sah. Foto: Museum der Arbeit Hamburg

Claas Gefroi

Der stark verkehrsorientierte Städtebau der Fünfziger- bis Siebziger-Jahre ist derzeit nicht wohlgelitten. Das gilt auch für Hamburg, obwohl die Spätmodernen hier bis auf wenige Ausnahmen eher moderat planten und bauten. Als größte Sünde der Nachkriegszeit gilt vielen die Ost-West-Straße, inzwischen umbenannt in Willy-Brandt-Straße/Ludwig-Erhard-Straße.

Die Stadt sah kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Chance, durch die kriegsversehrte City eine breite Durchgangsstraße zu bauen, die endlich die innerstädtischen Verkehrsprobleme lösen sollte.

Bereits in den 1910er-Jahren hatten Planer wie der Architekt Wilhelm Fränkel das unübersichtliche Straßengewirr beklagt, das dem wachsenden Auto-, Straßenbahn- und Fußgängeraufkommen nicht mehr gewachsen sei: „Besonders die unzähligen Straßenbahnlinien machen durch allerlei scherzhafte kleine Umwege fast erheiternde Anstrengungen, sich durch das die große Linie verlierende Straßengewirr hindurchzustehlen.“

Straßenbau aus hygienischen Gründen

Fränkel schlug als Erster eine Durchbruchstraße in ­Ost-West-Richtung vor – zunächst folgenlos. Unter den ­Nationalsozialisten wurde wieder über eine Tangente nach­gedacht. Konstanty Gutschow, der „Architekt für die ­ ­Neugestaltung Hamburgs“, sah die umfangreichen Kriegszerstörungen als Chance, die geplante „Ost-West-Durchbruchstraße“ in die Tat umzusetzen.

In der Nachkriegszeit wurde nahtlos an die alten Pläne angeknüpft– die politische Haltung wechselte, die Leitbilder blieben. Der neue Oberbaudirektor Otto Meyer-Ottens gab die Richtung vor: ­„Bislang waren alle bedeutenden Straßen fast immer ­militärischen Ursprungs … Hitler baute seine Achsen, um Aufmärsche für Panzer und braune Bataillone zu haben. Bauen wir endlich Straßen, um eine Gesundung des Stadtbildes zu erreichen, auch wenn entscheidende Eingriffe ­notwendig sind.“

Trotz dieses zeittypischen medizinischen Vergleichs blieb die Ost-West-Straße vor allem ein verkehrstechnisches Projekt mit dem Ziel, den Wallring zu entlasten. Die „Gesundung“ der Großstadt sollte durch die Abkehr von der üblichen „Korridorstraße“ mit ihrer verdichteten, geschlossenen Blockrandbebauung erfolgen. Damit blieb man in Kontinuität zu der Zeit vor 1945, denn auch Gutschow plante „die allgemeine Auflockerung des Großstadtkörpers, Bildung der von Grün umgebenen Siedlungszellen, Verlagerung der Siedlungsentwicklung in bandartiger West-Ost-Richtung“. Gutschows Forderung, „statt seelenloser Steinwüsten würdige Heimstatt der Menschen, statt amorpher Häusermengen einzelne zellenhafte, zu erlebende Siedlungsgebilde, statt formloser Massenhaftigkeit gegliederte Gestalt“ zu schaffen, blieb auch nach dem Ende des Nationalsozialismus aktuell.

Durchstich: Auf die Struktur der Ham­burger Altstadt nahm und nimmt die Straße keine Rücksicht.

In den Fünfzigerjahren wurde die Straße schließlich gebaut. Der Eingriff in die Innenstadt war massiv: Fleete wurden zugeschüttet, intakte Altbauten abgerissen, historische Plätze und Straßen entstellt oder planiert. Hamburgs Alt- und Neustadt wurden in einen Nord- und Südteil getrennt. Um mit dem Bau der Straße möglichst rasch beginnen zu können, wurden unter Gustav Oelsner die Planungsverfahren für den Bau der Straße und der straßenraumbildenden Bebauung voneinander abgekoppelt – ein folgenschwerer Fehler. Denn die Teilung in Verkehrsfläche und Straßenraum verhinderte, dass die Straße sich zu einem kohärenten städtebaulichen Ensemble entwickelte.

Vielmehr zog sich die Bebauung über Jahrzehnte hin und war so den wechselnden städtebaulichen und architektonischen Leitbildern unterworfen. 1996 schrieb der Buchautor Michael Wawoczny: „Als Oelsner im Oktober 1952 sein Amt als Referent für Aufbauplanung niederlegt, hat schon ein Wandel der städtebaulichen Anschauungen eingesetzt. Unter dem Schlagwort der gegliederten und aufgelockerten Stadt wird nun die Auflösung des Stadtraums vorangetrieben.“ Oelsner, ein entschiedener Verfechter geschlossener Straßen- und Platzräume, konnte dies nicht mehr verhindern. Oberbaudirektor Werner Hebebrand forcierte gemäß den Leitlinien der Charta von Athen die Gliederung der Stadt in überschaubare, in Grünflächen eingebettete Ortsteile, die Auflockerung der Stadt durch eine Herabsetzung der Dichte und die Abkehr von geschlossen bebauten Straßenräumen.

Die Auflösung der „Baumasse Stadt in eine Abfolge von Räumen“ wurde zum Paradigma der Ost-West-Straße: Der sich sachte durch die Innenstadt schwingende, sechsspurige Straßenraum besaß eine unaufdringliche Schönheit und Eleganz dank seiner Gliederung durch eindrucksvolle Bürosolitärbauten: Deutscher Ring, IBM- und Spiegel-Hochhaus, Condor Versicherung und Hamburg Süd. Doch dieses Erscheinungsbild ging allmählich verloren: Immer mehr Unternehmen siedelten sich an und erweiterten sich, sodass selbst für die in der Neustadt ursprünglich geplanten Wohnbauten kein Platz blieb.

Schließlich stiegen Grundstücksausnutzung und Dichte über das Maß der so gescholtenen vormodernen Stadt. Im Zuge des spätmodernen Leitbilds einer „Urbanität durch Dichte“ wurde der Straßenraum weiter geschlossen, freilich nur mit weiteren Bürosolitären. Und die Fußgänger wurden auf Brücken verbannt, damit sie nicht länger den Autoverkehr störten.

Stadtreparatur als Todeskuss

Der Paradigmenwechsel der Siebzigerjahre hin zum „behutsamen Städtebau“ und der „Stadterneuerung“ hatte ganz eigene Auswirkungen auf die Ost-West-Straße. Die dortigen „Stadtreparaturen“ glichen eher Todesküssen: Im Rahmen der Stadterneuerung fielen 1984 noch einmal zehn Altbauten einem Erweiterungsbau der Hamburger Sparkasse zum Opfer. Am Zeughausmarkt wurden wertvolle Bauten aus dem 18. Jahrhundert abgerissen und durch nachempfundene Neubauten ersetzt. Und sogar noch im Jahre 1990 wurden für den „Neuen Dovenhof“ zwei als Kulturdenkmäler eingestufte Gebäude vernichtet. Unter Oberbaudirektor Egbert Kossak wurde die Bildung eines geschlossenen Straßenraums systematisch vorangetrieben. Letzte Freiräume der aufgelockerten Stadt wurden zu Baulücken uminterpretiert.

Dichte und Enge: kein fließender Stadtraum mehr – und zur Stoßzeit auch kein fließender Verkehr

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass die Ost-West-Straße, ein Fanal des modernen Städtebaus in Hamburg, immer mehr in einen Straßenraum nach dem Muster des 19. Jahrhunderts umgestaltet wurde. Städtischer, urbaner wurde sie dadurch nicht. Zwar bildeten die hinzukommenden Neubauten nun wieder Blockstrukturen, aber die beibehaltene Monofunktionalität und die fußgängerfeindliche Umgebung verhinderten nachhaltig den von Kossak versprochenen „lebendigen Straßenraum“. Ja, die konsequente Schließung des Straßenraums verstärkte eher den Lärm und die Konzentration von Abgasen. Konsequent, aber auch desillusionierend war im Jahr 2002 die Konzeption des letzten großen Bauprojekts der Straße, des Michaelis-Quartiers von Steidle + Partner: Ein lang gestreckter Büroriegel schirmt die dazugehörigen, im Hinterland angesiedelten Wohnbauten von der unwirtlichen Straße ab.

Was bleibt? Eine Straße, die heute kein Kunstwerk mehr ist, aber alle städtebaulichen Leitbilder und architektonischen Stile versammelt, die das 20. Jahrhundert geprägt haben. Und wer ein wenig sensibel ist, spürt die Tragik einer städtebaulichen Idee: Sie verdankt ihre Realisierung planerischem Rigorismus – und fiel ihm unter umgekehrten Vorzeichen nur wenige Jahrzehnte später zum Opfer.

Claas Gefroi ist Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Architektenkammer Hamburg und freier Autor.

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