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Zurück Passivhaussiedlung Wien

Passiv und massiv

Wien plant Europas größte Passivhaussiedlung. Der ökologische Ansatz wirkt innovativ – der Städtebau hinkt noch nach.

01.01.20085 Min. Kommentar schreiben
Kompaktes Konzept: Das Teilprojekt von Cornelia Schindler und Rudolf Szedenik verdeutlicht die in den Aspang-Gründen geplante hohe Dichte.

Dr. Reinhard Seiß

Die Aspang-Gründe sind eines der attraktivsten Stadterweiterungsgebiete Wiens. Das 22 Hektar große Areal des 1971 aufgelassenen Aspang-Bahnhofs liegt keine zwei Kilometer von der Innenstadt entfernt, umgeben von gründerzeitlichen Wohnvierteln, erschlossen durch die Schnellbahn und mittelfristig auch durch die U-Bahn. Der erste Bauteil mit 740 Wohnungen soll 2008 bis 2010 entstehen – laut stadteigenem Wohnfonds als größte Passivhaussiedlung Europas. Wien, das sich selbst das Attribut „Umweltmusterstadt“ verliehen hat, setzt damit endlich auch einmal bei einem größeren Stadtentwicklungsprojekt zählbare Schritte in Richtung Ökologisierung.

1998 hatten private Projektentwickler Norman Foster für einen Masterplan zur Urbanisierung der Brache engagiert. Den Intentionen der Investoren entsprechend, sah sein Entwurf eine dicht gestaffelte Bebauung mit sieben Hochhäusern vor, wie sie für Wien seit geraumer Zeit symptomatisch sind. Zwei geplante Bürotürme mit bis zu 110 Metern Höhe bildeten dabei eine Torsituation, sinnstiftend für den marketingtauglichen Namen des neuen Stadtteils: Eurogate.

Hoher Preis erzwingt hohe Dichte

Trotz der bemühten Euphorie lag das Projekt danach jahrelang auf Eis – bis der Wohnfonds Wien 2005 einen großen Teil des Geländes für die Errichtung überwiegend geförderter Wohnbauten ankaufte. Der Preis war von den wertsteigernden Dichten des Foster’schen Masterplans bestimmt, die der Wiener Gemeinderat drei Jahre zuvor beschlossen hatte – was nicht weniger bedeutet, als dass die öffentliche Hand nun die von ihr verursachte Grundkostensteigerung selbst bezahlte. Ebenfalls 2005 wurde das Resultat des städtebaulichen Wettbewerbs präsentiert, der zur notwendigen Überarbeitung und Präzisierung des Masterplans von 1998 ausgelobt worden war. Zum Sieger kürte die Jury den Architekten ­Albert Wimmer, ohne den hierzulande scheinbar kein Großprojekt mehr auskommt – seien es Fußballstadien, Bahnhöfe oder eben ganze Stadtteile.

Seit Oktober dieses Jahres liegen nun auch die Ergebnisse des Bauträgerwettbewerbs für die ersten 740 Wohnungen vor. Mit Dietmar Feichtinger, Adolf Krischanitz sowie dem Team Schindler & Szedenik erhielten drei ­versierte Büros (respektive deren Bauträger) den Zuschlag für je ein Baulos. Drei weitere Bauplätze gingen außerhalb des Wettbewerbs an Albert Wimmer, Silja Tillner und Johannes Kaufmann.

Die präsentierten Entwürfe zeigen sich architektonisch auf der Höhe der Zeit. Das ist bei Passivhäusern keine Selbstverständlichkeit; denn noch vor Kurzem kamen sie als relativ klobige Blöcke mit möglichst wenigen Fensteröffnungen daher.

Teilplan: Die Zeichnung wirkt auf den ersten Blick von Grün dominiert; in der Realität dürften eher die massiven Baukörper das Stadtbild prägen.

Städtebaulich verheißt das gesamte Ensemble allerdings kaum Neues – nämlich eine vage Mischung aus ­Zeilenbebauung und offenen Höfen, die im Rendering zwar recht modisch wirkt, aber ­keinerlei Garantie für stadträumliche Qualität bietet. Diesbezüglich scheinen die Hoffnungen auf den Künsten der hinzugezogenen Landschaftsplaner zu ruhen. Das allerdings erscheint heikel, da Wiens Bauträger im obligatorischen Einsparungsprozess zwischen Planung und Fertigstellung zuvorderst die Freiraumgestaltung zu opfern pflegen.

Auch hinsichtlich der Bebauungsdichte sind die durchweg achtgeschossigen Projekte ein Spiegel der Wiener Planungsphilosophie der letzten 15 Jahre: Wohnbau- und Planungspolitik, Bauwirtschaft und auch namhafte Baukünstler haben Anfang der 90er-Jahre jegliche Zurückhaltung abgelegt und seither die einst verrufenen Dichten gründerzeitlicher Wohnblöcke im wahrsten Sinn des Wortes in den Schatten gestellt.

Zwar wird die Verdichtung auf den Aspang-Gründen nicht so extrem ausfallen wie bei manchem Prestigeprojekt der jüngsten Vergangenheit: Im Hochhausviertel „Wienerberg City“ etwa ließ die dichte Staffelung der 1 100 mehrheitlich geförderten Wohnungen von Coop Himmelb(l)au, Albert Wimmer, Delugan_Meissl und anderen keinen einzigen Kinderspielplatz mehr zu. Doch werden auch die Aspang-Gründe nicht eben locker bebaut. Hier sollen bis 2016 weitere 1 000 Wohnungen, 8 000 Arbeitsplätze, Schulen und Kindergärten sowie ein Einkaufs- und Kinozentrum hinzukommen.

Dabei ist die Qualität des Städtebaus ebenso maßgeblich für die ökologische Gesamtbilanz wie die hochbauliche Qualität. Denn der Energieverbrauch eines Haushalts wird nicht nur von der Stärke der Wärmedämmung bestimmt, sondern in noch höherem Maß von dessen Autoabhängigkeit. Der Verkehrsclub Österreich hat errechnet, dass ein Haushalt in einem Niedrigenergiegebäude mit Pkw durchschnittlich neun Prozent mehr Energie benötigt als ein Haushalt in einem herkömmlich isolierten und beheizten Gebäude ohne Pkw. Neben der Nahversorgung, der sozialen Infrastruktur und der Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist vor allem die Aufenthaltsqualität eines Quartiers von zentraler Bedeutung für das Mobilitätsverhalten seiner Bewohner: Laden Wohnung und Wohnumfeld dazu ein, Freizeit und Wochenenden hier zu verbringen?

Über die Nachhaltigkeit einer Siedlung ent­scheidet auch die Aufenthaltsqualität. Um sie zu steigern, muss hier noch einiges passieren.

Oder animieren sie dazu, ins Auto zu steigen, um ins Grüne oder an den Zweitwohnsitz zu flüchten?Dies vermögen die bisher vorliegenden Pläne für die Aspang-Gründe noch nicht zu beantworten. Zumal besagte Aufenthaltsqualität des Stadtraums nicht nur von der Attraktivität der privaten und öffentlichen Freiräume sowie der Gemeinschaftseinrichtungen abhängt, sondern auch davon, ob es Architekten und Bauträgern gelingt, in einem neuen Viertel Kommunikation und soziales Leben zu induzieren – sprich, jene „community“ zu generieren, die sich das geschaffene Freizeitangebot tatsächlich aneignet. Dies zu begünstigen, ist letzten Endes Aufgabe der Politik, die hierfür mit Stadtplanung, Infrastrukturinvesti­tionen, Wohnbauförderung, Quartiersmanagement und anderen Instrumenten über ausreichend Möglichkeiten verfügt.

Dr. Reinhard Seiß ist Stadtplaner und Fachpublizist in Wien.


Buchtipp

Reinhard Seiß: Wer baut Wien? Sittenbild aus der Boomstadt

Der Autor unseres ­Berichts seziert in seinem neuen Buch den seit Anfang der 90er andauernden Bauboom in Österreichs Hauptstadt.

Er ­beleuchtet die damit einhergehenden architektonischen, urbanistischen, verkehrs- und landschaftsplanerischen Fehlentwicklungen ebenso wie die dahinterstehenden politischen und wirtschaftlichen Motive – und zeichnet ein Sittenbild der demokratischen Kultur im Bereich Stadtentwicklung.

Verlag Anton Pustet, 216 Seiten, 20 Abbildungen, 22 Euro

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