Text: Nils Hille
Zahnärzte sind mindestens so schlimm wie Architekten“, sagt Lars-Erik Prokop lachend. Wenn der Stuttgarter Innenarchitekt und sein Büropartner, der Architekt Steffen Bucher, über ihre Auftraggeber sprechen, sehen sie viele Gemeinsamkeiten bei Praxisinhabern und Planern. Mit dem „schlimm“ meint Prokop die Pedanterie bei der Gestaltung sein können: „Beide Berufsgruppen sind Handwerker und Ästheten zugleich. Aber die Zahnärzte bewegen sich in ihrer Arbeit ständig im Millimeterbereich – und so genau betrachten sie auch unser Werk.“ Das sorgt bei den 12:43 Architekten, wie Prokop und Bucher ihr Zwei-Mann-Büro genannt haben, immer mal wieder für schlaflose Nächte vor den Tagen, an denen die Abnahmen anstehen. Und das, obwohl die beiden jungen Planer schon etliche Zahnarztpraxen erfolgreich fertiggestellt haben und als Experten auf dem Gebiet geschätzt werden.
Ursprünglich war diese Nische gar nicht ihr Ziel. Zufall statt Zukunftsplanung brachte Bucher und Prokop dahin, wo und wofür sie heute stehen. Im Studium lernten die beiden sich bei einem interdisziplinären Projekt zum konstruktiven Entwurf kennen. Aus den Kommilitonen wurden Freunde. Und als Bucher nach dem Studium seinen ersten Auftrag für eine Kinderzahnarztpraxis bekam, war es selbstverständlich, dass sein Kumpel Prokop das innenarchitektonische Know-how beisteuern würde. Der Zahnarzt, der den Auftrag gab, war ein Freund von Steffen Bucher, der ihm den Job auch ohne Erfahrung in der Praxisplanung zutraute.
Damit sollte er recht behalten. Nicht nur Arzt und Architekt waren mit dem Ergebnis zufrieden; auch andere Stuttgarter Dentisten würdigten die gelungene Gestaltung und fragten Bucher an. „Eigentlich hatten Lars und ich damals mal fest, mal frei in anderen Büros gearbeitet. Als wir aber den Auftrag für das dritte Zahnarztpraxis-Projekt auf dem Tisch hatten, war die Zeit für ein eigenes Büro reif.“ Prokop ergänzt selbstbewusst: „Seitdem heißt das Motto 12:43 statt nullachtfünfzehn.“
Dieses souveräne Auftreten brauchen die beiden Planer auch. Am Anfang trauten sie sich in der Kommunikation nach außen wenig zu. So sendeten sie nur auf Drängen des Zahnarztes Bilder und eine Beschreibung ihres erstens Projekts an die ZWP, die Fachzeitschrift Zahnarztwirtschaftspraxis. Bucher: „So etwas wie das Deutsche Architektenblatt, nur für Zahnärzte. Jeder bekommt das Magazin, doch dass wir es da hineinschaffen, hätten wir nie gedacht.“ Denn die ZWP biss an und veröffentlichte das Projekt. Das brachte 12:43 Aufmerksamkeit, Anfragen und Auszeichnungen und weitere Aufträge. „Wie in so vielen Branchen läuft gerade bei Zahnärzten vieles über Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt Prokop mit einem Augenzwinkern. Das Duo wurde zum Thema: zum einen unter den etablierten Doktoren, die die typischen großflächig eingebauten weißen Fliesen satt hatten. Und zum anderen in der neuen Generation von Zahnärzten, die sich von Anfang an eine entspannte Atmosphäre wünschen, wenn sie schon zehn bis zwölf Stunden des Tages in der Praxis verbringen. „Sie sagen uns, dass sie nicht nur für die Patienten, sondern auch für sich selbst schön gestaltete Räume haben wollen. Diesen Aspekt hatten wir am Anfang gar nicht auf dem Schirm“, erklärt Bucher. Seitdem verknüpfen sie in den Entwürfen Privates mit Beruflichem. So fragen sie bei einem neuen Auftrag gleich die Hobbys und Interessen der Ärzte mit ab – und bringen so zum Beispiel bei begeisterten Kletterern eine stilisierte Bergwelt mit in ihre Gestaltung ein. Nur zu viel Rot sollte nicht dabei sein, denn das verbinden immer noch zu viele Patienten mit Blut und Schmerz.
Der Materialauswahl sind ansonsten nur zwei Grenzen gesetzt: Sämtliche Flächen müssen aus Hygiene- und Sterilisationsgründen abwaschbar sein. Und die Werkstoffe sollten nachhaltig im Sinne von robust und langlebig sein, wie Prokop erklärt: „Wenn Sie beobachten, wie oft ein Zahnarzt an einem Tag auf seinem Hocker um den Patientenstuhl herumfährt, dann erkennen Sie sofort, dass der Fußboden extrem belastbar sein muss. Da kommen Sie mit einem edlen Parkett nicht weiter.“
Mittlerweile verstehen die beiden auch Zahnärzte, die sich über ihre Arbeit unterhalten, und verwenden selbst ihre Fachausdrücke und Abkürzungen. Das macht sie in den Augen ihrer Bauherrn erst recht zu einem guten Partner für den Praxisbau und -umbau. Eine Sicherheit gibt das 12:43 Architekten aber trotzdem nicht. „Auch wenn wir regelmäßig Aufträge in diesem Sektor bekommen, können und wollen wir uns darauf nicht ausruhen. Denn meist sind die Projekte allein schon durch die Praxisgröße überschaubar.“
Traumraum-Gestalter
Eine ähnliche Strategie verfolgt Rudi Kassel, Gründer und Inhaber des Büros Herzog, Kassel + Partner aus Karlsruhe. Vier von fünf Aufträgen, die er mit seinen drei Partnern und den zwölf weiteren Planern im Team bearbeitet, liegen im Medizinbereich, darunter vor allem der Bau von Praxen, regelmäßig auch für Zahnärzte. Auch hier arbeiten Innen- und Hochbauarchitekten in einem Büro zusammen. Und sie übernehmen ebenso Aufträge aus anderen Bereichen, etwa Wohnen, Gastronomie und Hotellerie, wie Kassel erklärt: „Wir sind seit der Gründung vor genau 20 Jahren fast immer weitergewachsen, mal schneller, mal langsamer. Damit die wirtschaftliche Lage höchstens mal stagniert, setzen wir nicht nur auf den Praxisbau. Das hat auch mit Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern zu tun.“
Egal, womit sie sich beschäftigen, nie kommt etwas von der Stange, selbst wenn die Abläufe von einer zur anderen Zahnarztpraxis oft vergleichbar sind und ein schlüssiges Raumkonzept woanders ebenso gut funktionieren könnte. Die Planer arbeiten vielmehr mit Namen und Motiven, wie die Praxis von Professor Dr. Schnorbach & Kollegen in Karlsruhe beweist, die eigentlich nur „Traumwolke“ genannt wird. Vor allem um Kinder zu beruhigen und abzulenken, schuf das Büro eine Erlebniswelt in Blau-Weiß, die an vielen Stellen Himmel und Wolken symbolisiert beziehungsweise zeigt. „So ein kreatives, individuelles Konzept lässt sich am besten umsetzen, wenn wir von Anfang an in die Pläne miteingebunden sind – also noch bevor der Zahnarzt einen Miet- oder Kaufvertrag unterschrieben hat“, sagt Kassel.
Zur Gestaltung kommt komplexe Technik. Leitungen für Wasser, Abwasser und Druckluft müssen in allen Behandlungsräumen in den Boden gelegt werden, um die Patientenstühle mit Anschlüssen zu versorgen. Lässt sich dies nur schwer oder über Umwege realisieren, ist die Wahl andere Räume sinnvoll. Schon diese Beratung im Frühstadium leistet das Planungsbüro, wie Kassel erklärt: „Wir führen für den Zahnarzt die Gespräche mit Vermietern und Bauträgern und liefern Baubeschreibungen, bevor er einen Vertrag unterschreibt und sich später ärgert, weil Raumprogramm und Mietfläche nicht zueinander passen.“
Um dauerhaft als kompetenter Ansprechpartner für die Zahnärzte zu gelten, lässt Kassel sich und seine Mitarbeiter regelmäßig fortbilden. Dazu lesen sie nicht nur die Fachzeitschriften der Dentisten, sondern laden zum Beispiel Ärzte vom Gesundheitsamt zu Hygieneschulungen ins eigene Büro ein. Sie selbst diskutieren intensiv Fragen wie die eines möglichst hohen Schallschutzes, damit die unangenehme, vielen Menschen Angst machenden Geräusche im Behandlungsraum bleiben, statt ins Wartezimmer vorzudringen. Und damit auch der Zahnarzt trotz der hochfrequenten Gerätschaften und des Mitarbeiter- und Patiententrubels in der Praxis möglichst entspannt arbeiten und Pausen machen kann. Neben der Geräuschkulisse ist die Lichtgestaltung ein wichtiges Thema. Kassel erklärt: „Die Arbeitsfläche im Mund eines Patienten, auf die der Arzt schaut, ist sehr stark beleuchtet. Wenn er in den Raum schaut, darf der Kontrast nicht zu groß sein, sonst hat er mit sogenannten Adaptionsproblemen zu kämpfen, das heißt, er sieht nur noch Pünktchen vor den Augen.“ Daher müssen Behandlungszimmer von Zahnarztpraxen immer stark beleuchtet sein.
Mit dieser Kombination aus Fachwissen und Kreativität können sich die Architekten auf dem Markt behaupten – gegen ihre größte Konkurrenz, die sogenannten Depots. Sie bieten den Zahnärzten die Organisation und den Einbau einer kompletten Praxiseinrichtung inklusive Behandlungsstühle und Gerätschaften, Versicherungen und Briefpapier. Die Raumplanung gibt es dann angeblich kostenlos obendrauf. Doch Individualität ist bei den Praxen vom Fließband nicht vorgesehen. Und die Kosten für das Gesamtpaket sind häufig enorm. „Wir schreiben die Inneneinrichtung aus und erzielen damit meist deutlich günstigere Preise im Vergleich zu den Depots – obwohl wir eine auf den Arzt oder die Ärztegemeinschaft zugeschnittene Praxis geplant haben“, so Kassel.
Die Praxis als Marke
Mit Konkurrenz musste sich Christine Detering bei ihrem ersten Zahnarztpraxisbau nicht herumschlagen. Ganz im Gegenteil: Die Architektin aus München wurde gezielt um Hilfe gebeten, als die Kieferorthopäden Christian und Heike Charlotte Sander mit der Gestaltung ihrer Praxis nicht weiterkamen. Sie hatten schon einen ersten Logo-Entwurf und ein Farbspektrum, in dem die Räume gestaltet werden sollten. Doch irgendwie war das alles für die Sanders noch nicht stimmig, wie Detering rückblickend erklärt: „Jeder hatte für sich gebastelt, doch das Gesamtkonzept fehlte.“ Sie hatten zuvor einen anderen Planer beauftragt, dem aber dann die Zeit davonlief. Detering verfolgt hier wie anderswo ihren ganz eigenen Ansatz: Nach dem Architekturstudium hat sie bei einer Filmproduktionsfirma gelernt, in Bildern zu erzählen, denkt darin jetzt auch für ihre Kunden und schafft dadurch Marken – egal, ob für einen freien Tankstellenbetreiber, für einen Club oder eben für eine Zahnarztpraxis.
„Ich denke gerne quer, hinterfrage Dinge und will Geschichten erzählen“, sagt die Architektin. Den beiden Ärzten stellte sie dazu zentrale Fragen: Wofür stehen Sie? Was zeichnet Sie aus? Was spricht Ihr Herz an und was Ihr Hirn? „Daraufhin haben wir gemeinsam einen Wertekanon definiert: Qualität, Sicherheit und Modernität waren die drei Hauptaspekte, die die Innenarchitektur der Praxis ‚Doc Sander’ vermitteln sollte“, erklärt Detering. Sie definierte mit Pink und Grau zwei Farbräume, die die weibliche und die männliche Komponente der Praxis widerspiegeln, und passte zudem das Logo so an, dass beide Ärzte farblich darin vorkommen. Außen weiblich, innen männlich – so erstrahlt nun das Signet direkt über dem Tresen im Empfangsbereich und so wurden auch die Behandlungsbereiche gestaltet. Die drei definierten Werte setzte Detering auch in den weiteren Räumen um. „Die Patienten sollen sich nach dem Betreten der Praxis wohlfühlen, sie sollten klar erkennen, wo sie langgehen müssen, und sie sollten unterschwellig durch die Farbgestaltung und die Qualität von Design und Materialien wahrnehmen, dass hier ein großes Bewusstsein für Hygiene herrscht.“
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