Der Plattenbau der Zollverwaltung bekam zwei neue Etagen (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Mit der Platten punkten“ im Deutschen Architektenblatt 12.2020 erschienen.
Von Michael Kasiske
Architektur, das wird im Gespräch mit dem Kommunikationsstrategen Edzard Brahms rasch klar, ist zwar zentral für Funktion und Gestaltung eines Gebäudes, doch davor liegt ein Prozess: Anglizismen wie „Placemaking“ und „Brand“ fallen, wenn der geschäftsführende Partner der Agentur Realace seine Aufgabe umreißt, nämlich für oft „schwierige“ Orte und ihren herausfordernden Gebäudebestand integrierte Konzepte zu verfassen, die Kommunikation, Projektentwicklung und Architektur gleichermaßen beinhalten. Ein solcher Ort ist das Entwicklungsprojekt „Marina Marina“ in Berlin, wo im Schatten des Kraftwerks Klingenberg eine einstige Brache in einen Campus für „Freidenkende“ an der Spree verwandelt wird. In seiner Mitte prunkt ein reaktivierter Plattenbau, der um einen Dachaufbau erweitert und visuell veredelt wurde.
Flussbad und Plattenbau der Zollverwaltung
An einem der letzten Sonnentage des Septembers sitzen wir auf der großen Terrasse vor der „Platte“. Vor uns liegt eine Wiese, hinter den Büschen am Ufer der Spree kann die namensgebende Marina erahnt werden. An diesem Ort befand sich von 1927 bis 1950 das Städtische Flussbad Lichtenberg, in dem sich bis zu 10.000 Besucher getummelt haben sollen; nach der Schließung wegen zunehmend verschlechterter Wasserqualität wurde die gesamte Anlage bis auf zwei Massivbauten abgerissen. Im folgenden Jahrzehnt errichtete der Flussschifffahrtszoll an der südlichen Grenze zunächst Garagen und Werkstätten, später das dreigeschossige „Dienstgebäude“ in Großtafelbauweise.
Nach dem endgültigen Wegzug der nachgefolgten Bundeszollverwaltung 2002 geriet die Liegenschaft in Vergessenheit. Die Köpenicker Chaussee, eine stark befahrene Ausfallstraße, war in diesem Abschnitt seinerzeit von heruntergekommenen Bauten gesäumt, in die sich keine Investition zu lohnen schien. Dass ausschließlich gewerbliche Nutzung gestattet ist, tat ein Übriges. Ein mutiger Entwickler erkannte schließlich das Potenzial der Liegenschaft und seiner Bauten am Ufer an der breitesten Stelle der Spree und entschied 2011 den ausgeschriebenen Verkauf des Areals für sich.
Garagen und Werkstätten werden zu Spreestudios
Ein Jahr später legte er mit Unterstützung von Realace das Projekt „Spreestudios“ auf, mit dem die erste Gewerbebaugruppe Berlins geboren wurde. In den ehemaligen Garagen und Werkstätten entstanden nach den Entwürfen der Berliner Architekten Thomas Baecker und Bettina Kraus durch versetzt aufgesetzte Pultdächer sowie eine Aufstockung am Ufer räumlich differenzierte Ateliers mit Größen zwischen 70 und 250 Quadratmetern.
Dank der großen stählernen Einfahrtstore blieb der funktionale Ursprung sichtbar, erst die zweite Ebene der Glasflächen sowie die Aufbauten zeugen von der neuen Nutzungsschicht. Die Eigentümer bekamen „Rohlinge“, deren Innenausbau sie selbst vornahmen. Das Umwandeln in ungewöhnliche Arbeitsräume wertete die zuvor banalen Nebengebäude auf, auch hebt sich das an Readymade erinnernde Aussehen der Spreestudios wohltuend von den glatten Gewerbebauten der Gegenwart ab.
Plattenbau mit Masarddach
Im nächsten Schritt nahmen sich die Berliner „Hospitality“-Agentur Slow und Realace gemeinsam mit dem aus Dortmund stammenden Büro Petersen Architekten des einstigen Dienstgebäudes an. Unter dem Brand „Platte“ begannen sie 2016 die Revitalisierung des leer stehenden Baus.
„Worin kann die Bereicherung eines Plattenbaus für das Umfeld liegen?“, fragt Brahms rhetorisch, und: „Wie bekommt man eine solche Immobilie zum Leben?“ Seine Antworten sind das Bewahren des rauen Charmes – „Platte brutal“ – und das Nutzen der klaren konstruktiven Struktur des Fertigteilbaus, in dem Eingriffe auf technisch oder brandschutzrechtlich notwendige Bereiche beschränkt wurden. Damit kamen als Mieter nur Firmen in Betracht, die eine solche Ästhetik zu schätzen wissen und sich als Teil dieser „Arbeitslandschaft“ begreifen, sei es in Büros, sei es in Ateliers, sei es in Ausstellungs- und Veranstaltungsbereichen.
Plattenbau-Aufstockung aus Stahl und Holz
Zunächst wurde das gesamte Gebäude entkernt und das ursprüngliche Flachdach abgetragen. Der neue, zweigeschossige Aufbau ist eine Mischkonstruktion aus Stahl und Holz, je nach Anforderungen des Brandschutzes, ausgesteift durch Treppenkerne und Querwände. Die steilen schrägen Wandflächen sind einem Mansarddach nicht unähnlich und lassen, wie bereits im 17. Jahrhundert von den beiden Mansarts intendiert, zwei Vollgeschosse hinter einer Eindeckung, hier aus hellen Tondachziegeln, verschwinden. Die Fensterflächen sind erfrischend unregelmäßig gesetzt, eine leichte Überhöhung bildet die Brüstung für die Dachterrassen. Das hohe Dach gibt dem Bau über den Abschluss hinaus eine eigentümlich klassische Wirkung, ohne auf konventionelle Formen zurückzugreifen.
Aus der Bestandsfassade wurden die Brüstungen herausgenommen, die ursprünglich rosa besandete Tragstruktur der Fassade durch Sandstrahlung auf das bekannte Betongrau zurückgeführt. Das scheinbar nur oberflächliche Subtrahieren führt zu einem einschneidenden Gestaltwechsel und verhalf, verbunden mit den einheitlich bodentiefen Öffnungen auf allen Etagen, dem einstmals spröden Bau zu einer überraschenden Eleganz. Zwischen dem Betonraster und den Schiebefenstern wurde auf der Flussseite ein Sonnenschutz installiert.
Rückbau auf die Struktur
Auch im Innern bleibt es in den entstandenen sechzehn Gewerbeeinheiten jenseits des gewohnten Büroflairs: Bei den bestehenden Treppenläufen wurde ressourcenbewusst der Bodenbelag der einstigen Zollverwaltung beibehalten, die Wände und mächtigen Unterzüge zeigen den freigelegten Beton, hier und da sind – gleichsam wie Spolien – noch Reste von Tapete oder Farbe zu erkennen. Die Grundrisse sind, wie im Gewerbebau üblich, offen gehalten, sodass ein individueller Ausbau ermöglicht wird. Der offene Einblick von der Terrasse, auf der wir sitzen, zeugt von dem Willen der Nutzer, ihren Wandel zu zeigen. Der Plattenbau ist in der Gegenwart angekommen.
Brahms erwähnt das Werben der Firmen um gute Mitarbeiter, das inzwischen auch einen attraktiven Arbeitsplatz beinhaltet. Wenngleich sich dieses Jahr viele über weite Teile ihrer Zeit im Homeoffice befinden, ist die Relevanz des Ortes, an dem man sich ansonsten einen Großteil des Tages aufhält, nicht von der Hand zu weisen. Gern verbringt man hier die Pause am Wasser oder geht zum Telefonieren auf die Terrasse – abgesehen von der Distinktion, in einer besonderen Architektur beheimatet zu sein.
Ausgesucht weiterbauen
Der Ausbau der Liegenschaft geht weiter. Neben der „Platte“ ist inzwischen nach den Entwürfen von Baecker Kraus mit Petersen Architekten die ehemalige Zollkantine wiederhergerichtet und aufgestockt. Nördlich soll an einem bereits angelegten Kreisverkehr ein Hotel-, Büro- und Gewerbebau errichtet werden, für den der Berliner Architekt Arno Brandlhuber verantwortlich zeichnet. Im Garten, zwischen Platte und Spree, errichtet Slow einen im Boden versenkten „Ritualraum“ für Präsentationen oder Firmenseminare, der von der österreichischen Architektin Monika Gogl entworfen wird; seine Betonkonstruktion soll nach oben von einem großem Reetdach abgeschirmt werden, das Teil des noch ungestalteten Landschaftsraums werden soll.
Quartier für Bootsbauer
Selbstverständlich werden auch die beiden Relikte des Flussbads wiederhergerichtet. In den einstigen Verwaltungs- und Restaurationsbau etwa wird erneut Gastronomie einziehen, was den Ort erfreulicherweise nicht nur weiter ins öffentliche Bewusstsein rufen wird, sondern auch die ursprüngliche Nutzung im Sinne der Denkmalpflege reaktiviert. Darüber hinaus sollen auch Möglichkeiten für den Bootsbau sowie für Restaurierung und Handel von historischen Schiffen geschaffen werden.
Der anfängliche Entwickler hoffte damals auf eine „Tate Modern“ im Kraftwerk Klingenberg. Ob er der Vision noch nachhängt? Dann wäre es mit der Idylle wohl schlagartig vorbei. So sehr die Erinnerung an das einst gut besuchte Flussbad fasziniert, der heutige Ort überzeugt durch Vielfalt und Ruhe. Der Wert von „Marina Marina“ liegt darin, ihn wieder zum Leben erweckt und gleichzeitig als kreative Oase der Stadt bewahrt zu haben.
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Das Gebäude ist, wie man an der Vorhang-Fassade und den Innenraumfotos erkennen kann ein typischer Ostberliner Stahlbetonskelettbau; Typ SBK Ost; wie er z.b. in einigen Varianten in Unter den Linden in den 60er gebaut wurde, aber klar. Es war der westdeutsche Immobiliennarrativ und der Architekt der im 1.Semester bei Baukonstruktion geschlafen hat für die oberflächliche Story „wichtiger“ das es ein „“PLATTENBAU““ ist. Der schmudelige Osten wird kolonisiert und die „barbarischen“ Hinterlassenschaften werden in ihrem vermeintlichen Exotismus und den Kopfbildern der westdeutschen Investoren veredelt und „geadelt“ durch smarte Materialbliblablubb usw., Aufstockungenweilzuwenigplatz und überhaupt.
Echt peinlich.