Szymon Syrkus ist zwischen den beiden Weltkriegen Polens führender avantgardistischer Architekt. 1928 gründet er die polnische CIAM-Sektion, 1932 gehört er zu den Mitverfassern der Charta von Athen. Nach dem deutschen Überfall tarnen er und seine Frau Helena mit Hilfe gefälschter Papiere ihr Judentum, 1942 wird er als Intellektueller verhaftet und nach Auschwitz verschleppt. Er muss zunächst in einer Kiesgrube arbeiten, später als Zeichner im Baubüro. Zweimal im Monat darf er seiner Frau auf deutsch schreiben. Seine Liebesbriefe aus der Hölle gehören zu den anrührendsten Schriftzeugnissen aus Auschwitz: „Wie Edelsteine sind Deine Gedanken auf dem gelblich-grauen Kriegs-Briefpapier zerstreut. Göttliche Definitionen über Deinen frohen Mut, Dein weises Herz, unsere Geistesart und Arbeitswillen habe ich darin in Fülle gefunden.“ Und zu ihrem Geburtstag im Mai 1944: „Ich wünsche mir, dass nicht nur jene Leute, die Dich umgeben, aber auch ich, der Entfernte, vom Reichtum Deines Herzens, vom Glanze Deines Geistes genießen kann. Als ich in diesem Frühling zum ersten Male das leuchtende Grün des jungen Rasens sah, habe ich mir Dich in solche einem grünen Kleid vorgestellt. Aus dem Stoff der blauen Stiefmütterchen, die so zart wie Dein Teint sind, hätte ich ein passendes Gewand für Dich genäht. Aus den Veilchen, aus den hellblauen Blümchen des Immergrüns, dessen Blätter ich von Dir im Paket bekam, habe ich mir ein Aprilkleid für Dich ausgedacht und komponiert.“
Und inmitten des alltäglichen Terrors, in Baracken mit Hunderten anderen zusammengepfercht, bar jeden Wohnkomforts und jeder Privatsphäre pflegt Syrkus weiter seine Profession: „Liebe Helenko, die Bemerkungen, die ich in Deinem 32.Brief fand, sind eine weitere Bestätigung dafür, dass ihr fruchtbar architektonisch denkt. Es ist klar, dass die Kleinstwohnung mit einer differenzierten Raumaufteilung mehr Wohnfläche erfordert als jene mit gemischter Benutzung ihrer Räume. Es ist ein Vergnügen, wenn man es versteht, ihr Format genau, weder zu klein noch zu groß, zu bestimmen. Das Wohnzimmer, z.B., ist durch den schon gebrauchten Esstisch nie gestört, weil der Tisch in der Essnische verborgen bleibt.“ Der Zensur wegen muss er manches verschlüsselt schreiben, so dass er zum Beispiel Le Corbusier in einem Brief als „den Korbflechter“ andeutet.
In den letzten Kriegsmonaten deportiert ihn die SS nacheinander in drei andere Lager; im Mai 1945 wird er befreit. Im August kehrt er in das zerstörte Warschau zurück und wird stellvertretender Leiter des Wiederaufbau-Büros. Als Notunterkünfte für Bauleute dienen auch Holzbaracken, die aus dem Lager Auschwitz hergeschafft sind. Im Jahr darauf eröffnet Syrkus mit Walter Gropius in Washington die Ausstellung „Warschau lebt“. In der Baugesellschaft WSM plant er Wohnungen und Produktionshallen, 1949 wird er Professor, wird aber im Zuge der stalinistischen Verfolgung 1951 entlassen. 1960 erhält Syrkus noch einmal einen Lehrstuhl; vier Jahre später stirbt er.