Ausblick: Cornelia Dörries
Das Wohnen in Hochhäusern galt in Deutschland lange als zweifelhaftes Privileg. Viele der zumeist aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammenden Wohntürme, oft im Zuge des sozialen Wohnungsbaus errichtet, liegen meist an der Peripherie und haben bis heute mit dem Stigma der anonymen Massenunterkunft zu kämpfen. Auch wenn es hierzulande nicht zu solch tragischen Entwicklungen kam wie in den französischen Banlieues, stehen unsere randstädtischen Hochhaussiedlungen für fehlgeleitete Stadtplanung, die in sozialer Segregation und ästhetischer Verwahrlosung mündete. Die Verbindung von klassischer Hochhausarchitektur und gehobener großstädtischer Wohnqualität verortet man zumindest von Europa aus gesehen immer noch in den vornehmen City-Lagen amerikanischer Ostküstenmetropolen.
Doch jetzt führt die Wohnungsnot in den deutschen Ballungszentren vielerorts zu einer Rückbesinnung auf das Hochhaus und sein ökonomisches Talent, einer relativ geringen Grundfläche ein Maximum nutzbaren Raums abzuringen. Die Qualität der neu entstehenden Türme ist freilich kein rein immobilienwirtschaftliches Thema, sondern auch ein städtebauliches. Die aktuellen Hochhausprojekte werden zumeist in innerstädtischen Lagen realisiert und sollten sich – Fernwirkung hin oder her – in einen bestehenden urbanen Kontext fügen oder selbst einen städtischen Zusammenhang konstituieren. Anders gesagt: Es ist keine Kunst, Etagen übereinanderzustapeln. Damit eine lebendige Stadt zu schaffen und zu bereichern, schon eher.
Die mit dieser Aufgabe verbundenen Fragestellungen sind vielfältig. Nicht nur, weil ein Hochhaus durch lange Schatten und Fallwinde die Aufenthaltsqualität der Umgebung beeinträchtigen kann, sondern auch, weil sich ein Turm-Solitär, zumal in innerstädtischen Gebieten, über seinen Sockelbereich mit der direkten Umgebung in ein Verhältnis setzen muss. Exklusiv im wahrsten Sinne des Wortes wird es dann, wenn sich das Erdgeschoss in Gestalt eines zugangskontrollierten Foyers mit Concierge-Service vom öffentlichen Raum abschottet, während öffentliche oder gewerbliche Nutzungen in diesem Bereich auch einen 170 Meter hohen Einzelgänger als städtischen Mitspieler qualifizieren.
Beim Blick auf die derzeit im Entstehen befindlichen Projekte zeigt sich ein architektonisch diffuses Bild. CAD-animierte, verschmockte Fassaden, wild versetzte Betonkuben und biomorphes Allerlei könnten auch für das Setdesign einer neuen Folge von „Miami Vice“ herhalten. Weil es bei uns an kanonischen Vorbildern für Luxuswohntürme mangelt, scheint die Renaissance der Bauaufgabe Wohnhochhaus derzeit noch zum Spielen einzuladen. Doch wenn sich nach den privaten Investoren aus dem gehobenen Wohnungsbau, die derzeit das Gros des neuen Turmbaugeschehens tragen, zunehmend auch öffentliche und sozial orientierte Bauherren dem Hochhaus zuwenden, ist vielleicht mit mehr Sachlichkeit und Strenge zu rechnen. Wer weiß – vielleicht reden wir dann auch wieder über Plattenbauten?
Frankfurt
Mit den Hochhäusern scheint es wie mit Pilzen zu sein: Wo schon viele stehen, wachsen auch besonders viele nach. Im Luftraum über Frankfurt am Main, der einzigen deutschen Stadt mit einer nennenswerten Skyline, wird es in den nächsten Jahren jedenfalls noch enger. Denn in der Bankenmetropole entsteht derzeit fast ein Dutzend Wohntürme, mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. Das im Europaviertel 160 Meter in die Höhe wachsende Haus mit dem Arbeitstitel „Tower 2“, entworfen vom ortsansässigen Büro Magnus Kaminiarz & Cie., wird nach seiner für 2018 geplanten Fertigstellung mit seinen 47 Geschossen das höchste Wohngebäude Deutschlands sein und gut 340 Eigentumswohnungen beherbergen. Anders als seinen klassisch strengen Artgenossen im Bankenviertel ist dem entstehenden Neubau ein gewisser Unernst eigen: Mit seinem biomorph abgerundeten, rautenförmigen Grundriss und der retro-plastischen Fassadenstruktur erinnert das Haus zumindest im Rendering eher an ein mediterranes Ferienhotel.
Disziplinierter gibt sich der 2014 fertiggestellte Taunusturm (Entwurf: Gruber Kleine-Kraneburg, Frankfurt). Er ist mit seinen 170 Höhenmetern das dritthöchste Gebäude Frankfurts und kann sich nur deshalb nicht mit dem Titel „Höchstes Wohnhaus“ schmücken, weil es sich um einen dreiteiligen Wohn- und Bürokomplex handelt und der Wohnturm lediglich 63 Meter hoch ist. Der Neuling zwischen den Geldhäusern mischt das monofunktionale Bankenviertel auf (und durch). Schon zu Planungsbeginn im Jahr 1999 hatte die Stadt Frankfurt einen obligatorischen Wohnanteil verfügt, um der Knappheit in der City Abilfe zu schaffen. Sah der erste Entwurf noch vor, die Wohnungen in den Büroturm zu integrieren, fanden sie nun in einem separaten Gebäude Platz. Das Angebot vom kleinen Ein-Zimmer-Apartment bis hin zum Penthouse mit Dachterrasse ist genau auf jene Zielgruppe zugeschnitten, die nebenan arbeitet, aber mangels Wohnungen immer in den Taunus pendeln musste. Ein bisschen Taunusgrün bleibt ihr jetzt trotzdem: Bis zum gleichnamigen Park sind es nur ein paar Schritte.
Berlin
Auch die bescheidene Skyline der deutschen Hauptstadt wächst. Bot Berlin mit seinen vielen Brachen und Lücken in zentralen Lagen bislang kaum Anlass für raumsparendes Höhenwachstum, zeitigt die anhaltende Nachfrage nach Wohnungen nun auch erste Hochhausplanungen. Direkt an der Spree wurde mit „Living Levels“ ein 14-geschossiger Wohnturm (Entwurf: nps Tchoban Voss) fertiggestellt, der seinen solventen Bewohnern im Schatten der ehemaligen Hinterlandmauer – heute East Side Gallery – eine Mischung aus kühler Architekturmoderne und ungeschlachtem Brachenkult (außen) sowie Oligarchen-Chic (innen) bietet. In Sichtweite wachsen mit „Max und Moritz“, entworfen vom Berliner Architekten Tobias Nöfer, gleich zwei Wohnhochhäuser mit 23 beziehungsweise 26 Stockwerken in den Himmel, die mit ihrer Fassadengestaltung an die klassische Moderne von Emil Fahrenkamps Berliner Shell-Haus oder Erich Mendelsohn erinnern. 420 Wohnungen sollen hier bis 2017 bezugsfertig sein.
Hamburg
Hamburg reckt sich hauptsächlich an seiner Wasserfront – in der Hafencity. Dort entstand nach den Entwürfen des Kölner Büros ASTOC in Zusammenarbeit mit Kees Christiaanse ein gläsernes Wohnhochhaus, das seine bevorzugte Wasserlage mit viel Glas und Außenaufzügen an der Nordseite der Turmfront ausspielt. Die 9.000 Quadratmeter Nutzfläche stehen 37 üppig dimensionierten Wohnungen zur Verfügung, die ihren Bewohnern allerdings auch eine gewisse Klassenzugehörigkeit bescheinigen. So teilen sich drei Einheiten die weniger attraktiven unteren Geschosse, während die Ebenen bis zur 13. Etage nur zwei Wohnungen beherbergen. Wer es ganz nach oben geschafft hat, muss weder Ausblick noch Geschossfläche teilen und genießt 360 Quadratmeter Loft ganz für sich allein. Doch Hamburg hat auch andere Wohnhochhäuser. Zum Beispiel den in den 1970er-Jahren entstandenen Wohnkomplex an der Eckernförder Straße in Altona. Die Modernisierung durch das ortsansässige Büro Cerner Götsch hat das graue Plattenbauensemble mit seinen 373 Wohnungen und Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss wieder zu einem Stück Großstadt gemacht. Weithin sichtbar präsentiert sich das Haus mit seinen 18 Stockwerken jetzt mit Goldkante.
Düsseldorf
Auch in Düsseldorf wird man in absehbarer Zeit auf über 100 Metern wohnen können. Dafür wurde sogar der Bebauungsplan geändert. Sollte am Mörsenbroicher Ei im Norden der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt zunächst ein Hotel- und Bürostandort errichtet werden, ließ die wachsende Nachfrage nach Wohnraum erst den Investor und dann die Kommune umdenken. Jetzt entsteht mit dem Upper Nord Tower nach den Entwürfen des Berliner Büros Sauerbruch Hutton ein 125 Meter hohes Wohngebäude mit etwa 430 Einheiten, die in ihrem Zuschnitt Singles, Pendler, Familien und Senioren ansprechen sollen. Neben Büro- und Gewerbeeinheiten in den Sockelgeschossen entsteht ganz oben ein gemeinschaftlich zu nutzender Fitness- und Freizeitbereich, in dem alle Bewohner die Vorzüge eines Hochhauses genießen können.
Köln
Ungeachtet der ins Kraut schießenden Wolkenkratzer in Frankfurt oder Berlin – noch darf Köln das höchste Wohnhochhaus des Landes für sich beanspruchen: Schon 1972 wurde in Köln-Riehl das Colonia-Hochhaus, entworfen von Henrik Busche, fertiggestellt. Seine 147 Meter mit 45 Etagen werden erst von dem jetzt entstehenden Tower 2 in Frankfurt (siehe oben) überboten. Die Konkurrenz in der eigenen Stadt bleibt weit darunter. Doch Hochhauskriterien erfüllt auch ein zu Wohnzwecken umgewidmetes Bürogebäude im neuen Gerling-Quartier (Masterplan: Kister Scheithauer Gross, Köln). Das denkmalgeschützte 15-geschossige Haus, Anfang der 1950er-Jahre von Hartmut Hentrich für den Versicherungskonzern entworfen, bildet nach dem Umbau (Entwurf: ebenfalls Kister Scheithauer Gross) nun den Höhe- und Mittelpunkt des 4,6 Hektar großen Wohn- und Geschäftsviertels.
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: