Text: Roland Stimpel
Wer war Ludwig Leo? Der 2012 im Alter von 88 Jahren verstorbene Berliner Architekt ist anderswo kaum bekannt und hat Zeit seines Lebens nur neun Projekte realisiert; die aber reichen posthum für euphorische Worte. Als „einen der eigenwilligsten deutschen Architekten nach 1945“ bezeichnet ihn die „Bauwelt“. Für den Architekturhistoriker Gregor Harbusch ist Leo „der ungewöhnlichste Architekt im West-Berlin der Nachkriegszeit“, für den Kritiker Dieter Hoffmann-Axthelm gar der „einzige Mythos der Nachkriegsarchitektur“.
Die beiden wichtigsten Bauten Ludwig Leos haben Wasser als Thema: der für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und der für Schiffbau-Versuche der Technischen Universität. Beide sind Unikate der Architektur – unorthodox und einzigartig in ihrer Gestalt, funktional ausgetüftelt bis ins letzte Detail. Es sind perfekte Maschinen mit höchst einprägsamer Form. Aber sie zeigen auch die Grenzen eines solchen Bauens der Extreme. Und sie zeigen die Widersprüche, an die die Denkmalpflege beim Versuch der Konservierung solcher Bauten stößt.
Großbau auf Eigenheim-Parzelle
Beide Bauten entstanden in der aufbruchsfreudigen Zeit von Mondfahrten und Studentenrevolte, von Technik-Euphorie und der Lösung von Konventionen. Für den Schrägturm der DLRG lobten die Lebensretter 1968 einen Wettbewerb aus und entschieden sich laut ihrer nüchternen Chronik „für den ungewöhnlichsten Entwurf“ – einen Bau, der optisch Assoziationen vom rechteckigen Schiffssegel bis zur Raketenabschussrampe auslöst. Mit ihm brachte es Ludwig Leo fertig, auf einem nur 413 Quadratmeter kleinen Grundstück das Funktionsprogramm eines Großbaus unterzubringen – für Büroarbeit, Versammlungen, Übernachtung, Funktechnik und Werkstätten, Labor-, Sport- und Lagerraum.Und nicht zuletzt für eine ganze Flotte von Booten.
Dazu trickste er die damalige Bauordnung aus: Die maß Geschossflächenzahlen nur in Etagen mit senkrechten Wänden; solche mit 45-Grad-Schrägen zählten nicht. „Danach hatten wir eine GFZ nahe null“, freut sich heute DLRG-Landesgeschäftsführer Marcus Raasch. Der Rampenbau durfte zwischen den niedrigen Bauten der Havelufer-Landschaft 30 Meter in die Höhe ragen – plus 20 Meter massive Antenne. Es bedurfte aber auch toleranter Nachbarn und Behörden, die damals nicht Einpassung, sondern ausdrücklich „städtebauliche Kontrapunkte“ wünschten. Drinnen bezog die DLRG Büros und Seminarräume und installierte einen Tauchturm mit zwölf Meter hohem Schacht für Trainings- und Versuchszwecke, mit Druckkammern für die Opfer von Tauchunfällen und der Möglichkeit, Tauchgänge bis in 50 Meter Tiefe zu simulieren. Dazu kamen Schlafkajüten für einheimische Retter und auswärtige Tauchgäste, Kombüsen und Waschräume.
Das alles klingt nicht nur nach Schiff, sondern hat auch dessen Design bis hin zum bullaugenförmigen Türeinstieg – und es hat dessen Enge. Sie entstand notgedrungen, und sie war gewollt: Ludwig Leo sah sich nicht nur als funktional perfekten Baumeister, sondern auch als sozialen, der durch zwangsläufige Begegnung Gemeinschaft erzeugen wollte. Das galt damals als gesellschaftlich nützliche Bau-Pädagogik.
Tragisch gescheitert ist ausgerechnet das Prägendste und Pfiffigste an dem Bau: die Anlage zur winterlichen Einlagerung der Rettungsboote. Diese gelangten vom Ufer auf Schienen oder in einem engen Kanal direkt vors Haus, wurden dort an Seilen die Rampe hinaufgezogen und schließlich in luftigen Räumen bis zum Frühling deponiert – bis zu 80 Schiffe zugleich. Im Sommer dienten die Bootsgaragen als Matratzenlager für Retter und Taucher. Doch gerade hier wurde Ludwig Leos Bau ein Opfer seiner viel gerühmten Präzision und Perfektion: Nach wenigen Jahren erforderten neue Rettungs-Anforderungen größere Boote, und die passten in die allzu genau bemessenen Depots nicht mehr hinein. Dem Bau war die Grundlage seiner spektakulären Gestalt entzogen. Seitdem werden die Boote winters in einer Halle der Bundeswehr eingelagert.
Ein überforderndes Denkmal
Für Berlins Rettungsschwimmer ist der Bau heute Lust wie Last. Sie wissen, was sie an der exklusiven Architektur haben. Aber sie leiden laut Geschäftsführer Raasch unter ihrer „Energieschleuder ohne Ende“, unter den immensen Kosten für den Unterhalt, unter der Enge in Büros und Schlafräumen mit ihrer 2,10-Meter-Höhe und unter der Sperrigkeit, die der allzu genau bemessene Bau Veränderungen entgegensetzt.
Es gäbe viel zu sanieren und zu modernisieren. Aber da ist nicht nur die Kassenlage vor, sondern auch der Denkmalschutz. Außendämmung kommt nicht infrage; für Innendämmung ist der Raum zu knapp. Drinnen ist sogar der kleine Eingriff verboten, den Raasch als „Überführung in den Jugendherbergs-Standard der 80er-Jahre“ bezeichnet: der Umbau von Sechs- in Vierbett-Kajüten und der Einbau geschlechts-getrennter Duschen. „Hier kommen auch Schulklassen her“, sagt Raasch. „Lehrern können Sie den Zustand nicht so leicht vermitteln.“
Pure Zierde ist heute die Antenne auf dem Haus: Seit sie Digitalfunk haben, brauchen die Wasserretter sie nicht mehr für die Koordinierung ihrer Boote. „Wir stehen zu dem Gebäude“, beteuert Raasch. „Aber letztlich überfordert es einen Verein wie unseren, der rein vom Idealismus und den Beiträgen seiner Mitglieder lebt.“ Dass Denkmalschutz funktionale Anpassung erschwert, kommt immer wieder vor. Dass er es hier tut, um einen funktional grandios gescheiterten Baus zu bewahren, gibt ihm eine etwas bizarre Note.
Frei von solchen Sorgen ist Ludwig Leos zweiter Wasser-Großbau: ein 3,5 Meter dickes und 120 Meter langes Rohr in der Form eines Rechtecks, das an den Schmalseiten gerundet ist. Es liegt zwischen Technischer Universität und Tiergarten, wo Leo hat es keineswegs dezent verkleidet, sondern sichtbar gelassen, hochkant gestellt und mit der denkbar schrillsten Farbe versehen hat: Rosa. Obendrauf sitzt ein drei Etagen hoher, kobaltblauer Stahlkasten. Das Ganze dient Versuchen zur Strömungstechnik: Reedereien oder TU-Wissenschaftler bauen Modelle geplanter Großschiffe, die maßstabsgetreu verkleinert sind, und legen sie im Stahlkasten in ein Wasserbecken, an dessen Enden der Rohrring einmündet. In ihm treibt ein Propeller 3.500 Kubikmeter Wasser an, die mit einem Tempo von neun Metern pro Sekunde durch das Becken rauschen. Die Ingenieure erkennen, wo es sich am Rumpf reibt oder wie die Propellerform noch optimiert werden kann.
Die Reaktionen von Passanten auf den Rohrbau reichen von Entsetzen bis Euphorie. Experten fällt alles Mögliche ein: Laut Gregor Harbusch sahen frühe Rezensenten ein „geniales Fortschreiben der konstruktivistischen Tradition der Zwischenkriegszeit“, spätere den Bau dagegen als „frühes postmodernes Landmark“. Leo passt in keine Schublade, aber Stilexperten versuchen ihn immer wieder hineinzustopfen – Peter Cook in die der eigenen „Archigram“-Projekte und zugleich in die jüngere der Bauten von Rem Koolhaas. Die Wüstenrot-Stiftung sieht Bezüge zu „Frühwerken von Sterling, Foster und Piano“; der amerikanische Autor Charles Jencks nahm ihn in sein Buch „Bizarre Architekturen“ auf. Das wiederum ist für die „Spiegel“-Autorin Ingeborg Wiensowski „ein völliges Missverständnis, denn Leo war ein kompromissloser Verfechter des sozialen Wohnungsbaus“. In diesem hat er sich allerdings nur einmal versucht, und der Bau im Märkischen Viertel trägt zu seinem Nachruhm eher nicht bei.
Der Umlauftank erfüllt auch 40 Jahre nach der Fertigstellung seine strömungstechnische Kernfunktion. Draußen sind die Pop-Farben verblasst und abgeblättert. Jetzt aber nimmt sich die Wüstenrot-Stiftung des Umlauftanks an, der für sie „zum ersten Rang bundesweit schützenswerter Gebäude der Nachkriegszeit“ zählt. Die Stiftung will hier „denkmalpflegerisches Neuland betreten; handelt es sich doch um ein Unikat der 1970er-Jahre im spannenden Grenzbereich zwischen Architektur, Industriebau und Maschine“. Die Sanierung wird mit 3,5 Millionen Euro Stiftungsmitteln finanziert.
Hin zur gepflegten Skulptur
Wie üblich im Denkmalschutz steht „materielle Authentizität“ obenan. Das stellt neue Herausforderungen im Anbetracht von Materialien wie dem Polyurethan-Bauschaum, der das rosa Rohr umhüllt. In wenigen Jahren ist der Bau wieder eine gepflegte, sogar zu seinem Ursprungszweck genutzte Riesenskulptur. Das Projekt ist aber so paradox wie viele Konservierungen von Moderne-Bauten: Einst waren sie experimentell, dynamisch und als Loslösung von Früherem gedacht – und kalkulierten ihre eigene Veralterung durch technischen Fortschritt ein. Jetzt wendet auf sie der Denkmalschutz Regeln an, die für überzeitlich konzipierte Monumente vormoderner Zeiten erdacht waren. Damit konserviert er, was am allerwenigsten zum Konservieren gedacht war. Aber das rosa-blaue Bild ist so extravagant, dass der Nebenwiderspruch dahinter verblasst.