Sebastian Sage
Die Studierenden stehen unter Druck. Das Studium ist teuer und zeitintensiv. Das stark verdichtete Studium verlangt eine entsprechende bauliche und organisatorische Ausstattung der Hochschulen. Die Studierenden bekommen zwar CAD-Programme fast umsonst und beherrschen sie besser als manche Professoren.
Aber in der Praxis fehlen oft studentische Arbeitsplätze, einzeln und in Gruppen. Bildschirmgerechte Arbeitsplätze mit entsprechender Beleuchtung und Energieversorgung sind teuer. Sicheres Aufbewahren verlangt abschließbare Behältnisse für wertvolle persönliche PCs und Laptops, Pläne, Bücher und Modelle. Die verbreiteten Container erlauben statt PCs mit großen Bildschirmen nur Laptops, auf denen komplexe Pläne nie im Zusammenhang sichtbar werden. Das Sein bestimmt das Bewusstsein und die Bildschirmgröße den Entwurf. Doch Architektur ist ein raumgreifendes Metier.
Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört das Selbststudium. Das Sich-Zurechtfinden in neuen Materien ist vielleicht das Wichtigste, was Studierende in der Hochschule für ihr Leben lernen können. Das ist Können, das nicht schnell veraltet, im Gegensatz zu aktuellem Wissen. Zum selbstständigen Erarbeiten gehören gut bestückte Bibliotheken.
Was älter als zwanzig Jahre ist, steht meist nicht im Internet. Das Buch hat nicht ausgedient. Aber nötig sind natürlich auch Arbeitsplätze im Empfangsbereich des WLAN der Hochschule und eine entsprechende Zugangsberechtigung. Wenn hierzulande Studierende nicht wie ihre amerikanischen Kommilitonen auf dem Campus wohnen, brauchen sie einen hinreichend ausgestatteten Arbeitsplatz in der Hochschule.
Arbeitsplätze und Bibliotheken sollen möglichst rund um die Uhr zugänglich sein. Da kann nicht mehr der Hausmeister irgendwann den Generalschlüssel herumdrehen. Abgestufte elektronische Zugangssysteme wie in der Wirtschaft müssen den Schlüssel mit dem Bart ablösen.
Die Präsentation der Arbeiten mit Modellen, Prototypen, in neuen und alten Medien wird für die Studierenden im Vorgriff auf spätere Akquise zur Schlüsselqualifikation. Die Anforderungen an die Ausstattung von Werkstätten und besonders eingerichtete Labore wachsen entsprechend. Was in der Modulbeschreibung heute neudeutsch „Social Skills“ heißt, muss eine Probebühne finden: der verbale und nonverbale Ausdruck in Gestik, Wort und Schrift zusammen mit den berufstypischen Darstellungen auf Plänen und Bildern. Ausländische Studierende kämpfen mit der deutschen Sprache und deutsche Studierende mit Fremdsprachen. Es reicht nicht, allein Powerpoint auf den Rechner zu laden. Die Anwendung will geübt und praktiziert werden. Man sehe sich Ausbildungsstätten für Musik und Theater mit ihren Übungs- und Vorführräumen an.
Wenn sich die Hochschulen um die Studierenden bewerben und nicht umgekehrt, darf auch nicht der Hauch eines Verdachts auftreten, dass Personen nach Herkunft, Geschlecht oder Bewegungseinschränkung diskriminiert werden könnten. Die in Grundgesetz und Bauordnung sowieso enthaltenen Gleichstellungsmaximen sind unter dieser Bedingung unzureichend. Barrierefreiheit in physischer und sozialer Hinsicht und deren immanente Grenzen sind in einer demografisch sich verändernden Gesellschaft Lehr- und Lernziel, das in der Praxis gelebt werden muss.
Der Hörsaal ist nur noch eine Form unter vielen. Studentische Arbeitsplätze, Seminarräume, Gruppenarbeitsräume, sichere Räume, Sprachlabor, mediale Präsentationen, Pausenräume; temporäre Übernachtungsmöglichkeiten sind eine Herausforderung für offene und fließende Räume, wie sie Architekten so lieben.
Es gibt sehr interessante Antworten auf diese Herausforderungen. Dabei spielen Altbauten eine große Rolle, insbesondere Bauten, die nicht als Hochschulen konzipiert worden sind. Einige Beispiele: Die Universität Stuttgart richtet in den 60er-Jahren studentische Arbeitsplätze in einer ehemaligen Reithalle ein. Von der Demilitarisierung nach der Wende profitieren die Fachhochschulen in Münster und Wismar durch Umnutzung und Umbau von Kasernen. In Bremen wird der Lange Speicher Hochschulquartier. Die FH Wildau und die FH Winterthur nutzen auf unterschiedliche Weise ehemalige Eisenbahnfabriken. Die FH Bochum nutzt die ehemalige blaue Mensa der Ruhruniversität für studentische Arbeitsplätze. Zur Anpassung der DDR-Platte für die Bedürfnisse der BTU Cottbus erbringen Studenten Planungsleistungen in Verbindung mit Studienarbeiten.
Feste Orte für Studiennomaden
Wenn diese Räume überhaupt etwas gemein haben, dann ist es eine Konstellation, die an ganz andere Nutzungen erinnert. Es gibt offene Raumgefüge mit eingestellten Boxen für die geschützte Privatheit – wie das Bad im Loft in Soho, die Denkbox im Großraumbüro, die Präsentationskiste einer Videoarbeit in einem Museum für bildende Kunst.
Das Pariser Büro Lacaton & Vassal hat zuletzt für die Hochschule in Nantes eine Art Primärstruktur aus Stahl mit Rampen wie in einem Parkhaus gebaut und darin leichte Einbauten als Studien- und Lehrräume gestellt. Selbstverständlich verzichten sie darauf, langlebige Rohbaustrukturen und kurzlebige Installationen untrennbar miteinander zu verschmelzen. Veränderung bleibt möglich. Ganz anders der weiße Würfel der Designschule Zollverein in Essen, der sehr viel edlere Materialoberflächen mit verschleiß- und veralterungsbedrohten haustechnischen Anlagen unlösbar verschmilzt.
Der Fahrzeugbau ist noch weiter in diese Richtung gegangen. Stoßstange, Frontmaske und Beleuchtung werden zu einem gemeinsamen Teil zusammengegossen, das nur gemeinsam entsorgt werden kann, wenn die LEDs ausfallen. Aufs Gebäude übertragen heißt das abreißen, wenn die Technik veraltet ist. Doch Hochschulen sollten vorführen, was sie den Studierenden für eine künftige energie- und ressourcenbewusste Planung mitgeben wollen.Hochschulen können die heutigen Anforderungen aus wirtschaftlichen Gründen teilweise nur mit Kooperationen erfüllen. Dabei sind für Studenten wie Lehrende erhebliche Distanzen zu überwinden.
Da gilt es schon als Erfolg, wenn angehende Statiker die Distanz zwischen Hildesheim und Holzminden oder angehende Architekten die zwischen Augsburg und München oder Nürnberg und Regensburg nur zweimal pro Woche zurücklegen müssen.
Dabei geht es um ganz banale Dinge wie das Fahren, Schlafen und Essen. Die Studierenden sind zeitlich und finanziell sehr angespannt. Wer zehn Stunden am Tag intensiv lernt, kann einer jugendherbergsähnlichen Unterbringung weniger Witz abgewinnen als ein Rucksackwanderer. Studierende und Lehrende haben nicht nur erhabene, sondern auch ganz banale Bedürfnisse. Über ihren Lern- und Lehrerfolg entscheiden nicht nur wissenschaftliche Profile, sondern auch Vorhängeschlösser und preisgünstige Quartiere.
Sebastian Sage ist freier Architekt, Stadtplaner, Mediator und Sachverständiger in Stuttgart und Berlin.