Christine Mattauch
Es ist fast so etwas wie eine Wiederauferstehung. In Manhattan zieht es an einem Freitagabend über 800 Leute zum „Buckminster Fuller Symposium“ in die Cooper Union, ein auf Kunst und Architektur spezialisiertes College. Andächtig lauschen sie „Buckys“ Tochter Allegra Fuller Snyder, die daran erinnert, dass sich ihr Vater bereits Jahrzehnte vor der Ökobewegung um knappe Rohstoffe sorgte und effizientes Bauen forderte. „Mein Vater sagte: Wenn wir das nicht schaffen, erleben wir einen kosmischen Bankrott.“ Die Zuhörer nicken, und der Moderator wundert sich: „Warum haben wir so lange gebraucht, um seine Bedeutung zu würdigen?“
Buckminster Fuller, Erfinder, Denker, Philosoph, Ingenieur und Visionär, erlebt in den USA eine Renaissance. Allein im vergangenen Jahr gab es in New York zwei große Fuller-Ausstellungen im Whitney Museum of American Art und im Center for Architecture; das Museum of Modern Art (MoMa) erinnerte an „Buckys“ Wichita-Haus, den Prototyp eines Hauses aus Aluminium. „Seit Jahren prophezeihe ich, dass Buckminster Fuller wiederentdeckt werden wird. Jetzt ist es passiert“, sagt sein Schüler Michael Ben-Eli, der ganz in der Tradition seines einstigen Lehrmeisters ein „Nachhaltigkeitslabor“ betreibt.
Green Buildings sind schick
Inspiriert wird die Fuller-Welle durch das erwachende Umweltbewusstsein in den USA. Spät, aber enthusiastisch wird dort energieeffizientes und ressourcensparendes Bauen entdeckt. Wärmedämmung, Grasdächer, Isolierfenster, Solarenergie – das alles ist in den USA zwar noch keineswegs Alltag, aber „Green Buildings“ sind populär und schick. Da besinnt sich die intellektuelle Avantgarde darauf, dass die Grundidee viel älter ist – und einer ihrer wichtigsten Propagandisten Buckminster Fuller war. „Nahezu jeder amerikanische Architekt, der sich mit umweltbewusstem Bauen beschäftigt, ist von Fuller beeinflusst“, sagt Ben-Eli.
Zum Beispiel der New Yorker Planer und Erfinder Chuck Hoberman, der sich auf intelligente Dach- und Fassadentechnologie spezialisiert hat und mit internationalen Architekten wie Sir Norman Foster und der japanischen Architekturgruppe Nikken Sekkei zusammenarbeitet. „Fullers Ideen der Transformierbarkeit und der Entfaltung hatten einen unglaublichen Einfluss auf meine Arbeit“, bestätigt er. So hat er das Dach für Fosters neuen Justizcampus in Madrid nach dem Vorbild von Baumkronen konzipiert, nach derem Spiel mit Licht und Schatten. Variable Durchlässigkeit von Sonnenlicht, flexible Verschattungen – „die nächste Generation von Gebäuden muss anpassungsfähig sein, sie darf der dynamischen Außenwelt keine Unbeweglichkeit entgegensetzen“, sagt Hoberman. Das klingt doch sehr nach „Bucky“.
Ganzheitlich antizipieren
Fuller lebte von 1895 bis 1983 und prägte insbesondere in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Diskussionen über Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauch. Er war ein ruheloser, interdisziplinär denkender Erfinder und Konstrukteur, besessen von der Idee, die Welt effizienter und humaner zu gestalten. Vorbilder dafür suchte und fand er in der Natur, etwa in den Strukturen von Pflanzen. „Fuller thematisierte die wirklich wichtigen Fragen wie Nahrung und Wasser und Unterkunft“, sagt der britische Architekt Nicholas Grimshaw. „Und die sind heute hochaktuell. Alles, was er damals verfasst hat, könnte er heute noch genauso schreiben.“ Fuller selbst fasste sein Wirken unter dem Oberbegriff „ganzheitliche antizipatorische Designwissenschaft“ zusammen.
Der Grundgedanke eines effizienten Energie- und Materialverbrauchs ließ sich eigentlich auf jede Planungsaufgabe anwenden, und Fuller tat das auch – ob er 1933 das erste energieeffiziente Auto („Dymaxion Car“) erfand, sich in den 40ern preiswerte und reproduzierbare Notunterkünfte ausdachte oder mit den „geodätischen Kuppeln“ („Domes“) eine hocheffiziente Struktur entwickelte, die er 1954 patentieren ließ. Sie war in den 60ern und 70ern gedanklicher Ausgangspunkt für experimentelle Wohnprojekte.
Zu Fullers Antworten auf Platzmangel, Klimaveränderung und Ressourcenknappheit zählen zum Beispiel die „Floating Cities“, die den Landverbrauch minimieren sollten, indem die Wasseroberfläche als Wohnstandort genutzt wird. Oder die mehrere Kilometer große „Kuppel über Manhattan“, die die Stadt vor Wetterunbilden schützen und den Energieverbrauch reduzieren sollte. Oder das „Redesign“ des New Yorker Stadtteils Harlem durch konische Riesenhochhäuser mit über 100 Geschossen, untereinander verbunden durch Autobahnen. Einige seiner Visionen muten ein wenig verrückt an, doch ein Spinner war „Bucky“ nicht. „Er suchte wissenschaftliche Lösungen für Probleme, die er auf die Menschheit zukommen sah“, sagt Linda Henderson, Fuller-Kennerin und Kunsthistorikerin an der Universität Texas.
Für seine Anhänger war er ein Guru, gleichwohl blieb er ein Außenseiter, zumal in den USA. Das dortige Architektenestablishment bekämpfte Fuller, weil er keine Ausbildung als Architekt hatte und es trotzdem wagte, sich in die Diskussion über das Bauen von morgen einzumischen. „Als ich 1965 in Cambridge Architektur studierte, durfte Fuller an unserer Fakultät keinen Vortrag halten“, erinnert sich Anthony Vidler, heute Professor an der Chanin School of Architecture in New York. Das American Institute of Architects distanzierte sich damals sogar mit einer Resolution vom „reproduzierbaren Design“ à la Fuller.
Fulleristen
Trotzdem wurden viele Studenten und junge Architekten begeisterte Anhänger von Fuller, nicht wenige blieben es ihr Leben lang. Ihre Zeit ist jetzt gekommen. Der Umweltarchitekt Bill Browning beispielsweise half dem greisen Fuller beim Bau seiner letzten experimentellen Struktur. Heute arbeitet er mit Rick Cook und Robert Fox zusammen, den beiden Architekten, die gerade den grünsten Wolkenkratzer der USA errichten: den Bank of America Tower in Midtown Manhattan. Das 55-stöckige Haus stößt 60 Prozent weniger Kohlendioxid aus als ein konventionelles Gebäude. Fast die Hälfte der Baustoffe ist Recyclingmaterial; durch die Wiederverwendung von Grauwasser sparen die Nutzer jährlich fast 30 Millionen Liter Frischwasser.
Nachts wird mit Überschussenergie in 44 Großtanks Eis gefroren. Tagsüber schmilzt es, die Kaltluft kühlt das Gebäude. Eine Tiefgarage gibt es nicht, weil die U-Bahn-Anbindung so gut ist. „Nicht einmal der Vorstandsvorsitzende hat einen Parkplatz“, sagt Robert Fox. Angeboten wird dafür „Bicycle Storage“ – der Fahrradstellplatz ist ein Novum im bisher nicht gerade fahrradfreundlichen Manhattan. Nach Fertigstellung wird der Tower die begehrte Platinauszeichnung der Amerikanischen Vereinigung für umweltbewusstes Bauen erhalten – die erste dieser Art für ein Hochhaus.
Der New Yorker William McDonough ist ebenfalls bekennender Fullerist. Vor einigen Jahren gab der Architekt zusammen mit dem deutschen Chemiker Michael Braungart das Manifest „Cradle to Cradle“ (C2C) heraus, in dem sich die beiden für eine lebenszyklusbasierte, in den natürlichen Kreislauf integrierte Materialverwendung einsetzen. Gerade baut McDonough die School of International Service in Washington. Dort wird nur Material eingesetzt, das dem C2C-Gedanken einer kompletten Recyclingfähigkeit entspricht. Die Nutzung von Sonnenwärme, der Einsatz von Fotovoltaik und Grauwasserverwendung sind schon fast selbstverständlich.
Freilich gibt es eine Gegenrichtung, die weniger der Effizienz, als vielmehr Design und Ästhetik oberste Priorität einräumt. Für viele Fuller-Anhänger wird sie zum Beispiel von Frank Gehry und Zaha Hadid verkörpert. Deren spektakuläre Entwürfe mögen Besuchermagneten sein – für sparsamen Umgang mit Ressourcen stehen sie nicht. „Ästhetisch aufregend und heroisch, aber enttäuschend auf sich selbst bezogen, mit wenig Beachtung für Umgebung, Umwelt und langfristige Konsequenzen“, urteilt das US-Avantgardemagazin „Good“. Womöglich geht die Ära der Stararchitekten in dem Maße zu Ende, wie Fuller wiederentdeckt wird. Für „Good“ jedenfalls steht fest: „Der wahre Held unserer Zeit ist Buckminster Fuller!“
Christine Mattauch ist freie Journalistin und lebt in New York.