Nils Hille
„Superbieder sind die Camper, ab
er es gibt zehn Prozent Verrückte. Da haben wir angesetzt“, sagt Theresa Kalteis mit einem Lachen vor Freude und vor Stolz. Die Studentin der Technischen Universität Graz hat mit ihrem Kommilitonen Christian Freissling etwas geschaffen, was sie selbst nicht glauben kann.
Eine ganz neue Form von mobilem Wohnen haben die beiden mit ihrem „Mehrzeller“ entwickelt und den Prototyp direkt selbst gebaut. Seitdem die ersten Informationen über den individuell zusammenstellbaren Wohnwagen mit innenarchitektonischem Anspruch an die Öffentlichkeit kamen, können sie sich vor Anfragen von Campern, Herstellern und Presse kaum retten. „Wir sind jede Woche positiv geschockt, was passiert“, sagt Kalteis. Auf der Messe „Caravan Salon“ Anfang September in Düsseldorf gaben sich Kamerateams und Fotografen die Klinke des weißen, eckigen Anhängers in die Hand.
„Morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafen – immer, wenn ich im Hotel den Fernseher angeschaltet habe, sah ich mich darin.“ Kein Wunder. Auf einer Messe, auf der sich sonst optisch sehr ähnliche Wohnwagen und -mobile aneinanderreihen, waren sie die Exoten. Auch die Messebetreiber schienen sich von dem Mehrzeller einiges zu versprechen. Sie schenkten den beiden ihren Standplatz direkt an einem Haupteingang.
Als die Idee entstand, rechnete mit so etwas noch keiner. Kalteis’ und Freisslings Wunsch war eigentlich nur, wieder etwas selbst zu bauen. Vor zwei Jahren hielten sich sie im Rahmen eines Projekts ihrer Hochschule in Südafrika auf. Dort hatten sie mit einigen Kommilitonen in einem Township einen Kindergarten gebaut. Auch sonst stürzten sie sich auf jedes Uniprojekt, in dem nicht nur geplant wurde. „Zum Abschluss wollten wir auch etwas Kleines selbst bauen“, sagt Kalteis, während sie in dem 5,3 mal 2,3 Meter großen Mehrzeller sitzt.
Bloß kein Brett vorm Kopf
Die Idee zum individuellen Wohnwagen hatten sie ein Jahr zuvor auf dem „Caravan Salon“. Bei einer Umfrage erklärten ihnen viele Camper, dass sie mit einer Notlösung durch die Gegend fahren würden. Richtig wohl würden sie sich in ihrem Wagen nicht fühlen, vor allem durch die Enge, die dieser vermitteln würde. „Auch Konstruktionen wie Tische, die zu Betten umgebaut werden, kamen bei den Befragten nicht gut an“, sagt Kalteis. Freissling und sie entschieden, dass der Branche etwas frischer Wind nicht schaden könnte. „In einem Jahr stehen wir hier, haben wir noch gewitzelt“, erinnert sie sich.
Konfigurator konstruiert
Die Realisierung begann aber nicht mit der üblichen Konstruktion per CAD-Programm. Sie entwickelten einen vom Kunden leicht zu bedienenden Onlinekonfigurator, der sich an Tools wie das Küchenbauprogramm von IKEA anlehnt, aber weit darüber hinaus „mitdenkt“. Per Drag and Drop zieht der potenzielle Käufer zuerst die Anzahl der Personen und sogar Tiere, für die der Wohnwagen gebaut werden soll, auf die dargestellte Arbeitsfläche in der Mitte. Daraus errechnet das Programm eine Empfehlung zur Größe des Anhängers.
Nun wählt der Kunde die gewünschten Raumnutzungen, wie Schlafen, Kochen, Arbeiten und/oder Feiern sowie deren Relevanz und deren Transparenz zum Außenraum aus. Das System entwickelt eine Flächenverteilung der -Module, die mithilfe von Kreisen dargestellt wird. Mit einem Klick auf „Wachstum starten“ baut sich nun eine 3-D-Struktur des Modells auf. Durch die Material- und Farbkonfiguration entsteht direkt vor den Augen des Kunden eine -realitätsnahe Darstellung des individuellen Wohnwagens. „Hinter dem Angebot steht ein System aus einem Raumverteilungsdiagramm und der mathematischen Zellteilung. Jeder erhält sein Unikat“, so Kalteis.
Ein Einzelstück ist auch der Prototyp, mit dem die beiden Studenten zeigen, dass die virtuelle Planung auch in die Realität übertragbar ist. Bei ihm verzichteten sie auf eine Nasszelle, dafür ist Platz für eine großzügige Küche inklusive Herd und Kühlschrank sowie eine Couchecke mit zwei übereinanderliegenden Schlafnischen. Hinter den meisten weißen eckigen Flächen der Wände sind Schränke und Stauräume versteckt.
„Wir haben immer gesagt: Wenn wir ein Fahrgestell geschenkt bekommen, dann bauen wir wirklich“, sagt Kalteis. Und nicht nur das erhielten die Studenten. Für alle Bauteile konnten sie Sponsoren gewinnen. Nachdem die ersten größeren Firmen zugesagt hatten, zogen viele nach. Insgesamt 36 Unternehmen haben die beiden bei ihrer Idee unterstützt. Jetzt haben sie auch „einen Hersteller, der sich traut, mit dem Mehrzeller in die ‚individuelle Serie‘ zu gehen“, gefunden. Gemeinsam wickeln sie nun die ersten größeren Aufträge ab. Nur eine kleine Reihe hätten die Studenten selbst stemmen können.
Rad ab
Nicht nur wegen der Unterstützung und der vielen positiven Reaktionen verfolgen sie ihre Idee konsequent weiter. Die beiden Grazer sehen dadurch die Chance zur erfolgreichen Selbstständigkeit direkt nach dem Studium, so Kalteis: „Der Arbeitsmarkt ist in Österreich wie Deutschland verheerend. Ich möchte nicht 1 000 Euro netto verdienen und als technische Zeichnerin arbeiten. Ich will einen Job finden, der mich zufriedenstellt.“
Der von den Studenten selbst zusammengebaute Prototyp war vor der eigentlichen schriftlichen Abschlussarbeit fertig. Beide Modelle werden zur Benotung dienen, vor der die Studenten aber keine Angst haben, sagt Kalteis entspannt: „Unser Professor ist begeistert. Er fragte nur immer wieder: ‚Wieso muss es auf Rädern stehen?‘“ In ihren neusten Visionen setzen die beiden den Onlinekonfigurator schon für Wohnungen und Häuser ein.