Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Kleine Kompromisse“ im Deutschen Architektenblatt 12.2024 erschienen.
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Streiferhof in Ergertshausen, Meier + Murr Architekten: Substanzerhalt statt Abriss
Der denkmalgeschützte Streiferhof in Ergertshausen wurde 1652 erstmals urkundlich erwähnt und befindet sich seit rund 200 Jahren in Familienbesitz. Seit einigen Monaten strahlt seine Putzfassade wieder in frischem Weiß. Die Fensterläden bestehen teils aus neuem, teils aus erkennbar aufgearbeitetem Holz. Auf der Nordseite des Gebäudes sind zwei große Lamellenfenster im Rhythmus der Biber in das Satteldach integriert.
Sanierung hat zehn Jahre gedauert
Rund zehn Jahre hat die Sanierung des Gebäudes mit einer Bruttogrundfläche von 390 Quadratmetern gedauert. Wie hoch die Kosten waren, möchte die Familie nicht veröffentlichen.
„Im Zuge der Sanierung wurden wir immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob die schlechte Substanz den Aufwand denn überhaupt wert ist. Aber wenn man die Arbeit reingesteckt hat und sieht, welche Qualitäten entstehen, dann weiß man: Es hat sich gelohnt“, berichtet Sebastian Murr von Meier + Murr Architekten.
Handwerklich hervorragender Dachstuhl
Als größte Herausforderung beschreibt er die Sanierung des Dachstuhls: „Sämtliche Balkenköpfe und Anschlüsse an die Traufe waren nicht mehr existent. Der Dachstuhl hat in den letzten Jahrzehnten nur zusammengehalten, weil er handwerklich hervorragend gearbeitet und die Ziegeleindeckung ineinander verkeilt war. Wir haben den halben Dachstuhl demontiert und im Trockenen wieder aufbereitet.“
Heute legen die gewaltigen offen liegenden Balken im lichtdurchfluteten Dachgeschoss Zeugnis ab von Reparaturen und Ausbesserungen, Aufarbeitungen und Ergänzungen.
Nach zehn Jahren liebevoller Kleinarbeit ist der bauzeitliche Zustand des Streiferhofs in Ergertshausen nahe Ingolstadt wieder erlebbar.
Stefan Müller-Naumann
Versteckte Kriegsschäden am Mauerwerk
An der Westfassade musste das nachträglich angebaute Austragshaus angesichts seines miserablen Zustands zurück gebaut werden. Doch auch dahinter verbargen sich Überraschungen: Ein Teil des Giebels des Haupthauses war auf dieser Seite nach Beschädigungen im Krieg in minderer Qualität durch Ziegelmauerwerk ersetzt worden.
Kalksteinmauern wurden stabilisiert
Im Anschlussbereich hatte sich das bauzeitliche Kalksteinmauerwerk in zwei Schalen aufgespalten und klaffte auseinander. „Wir vernadelten stärkere Risse und Hohlräume im inneren und äußeren Mauerwerk und stabilisierten die gesamte Westfassade, indem wir von außen eine neue Ziegelwand vorsetzten und mit Edelstahlankern mit der Bestandsfassade verbanden“, erläutert Sebastian Murr. Die ursprünglich vorhandenen Fenster- und Türöffnungen konnten wiederhergestellt werden.
Alte Materialien kombiniert mit Fußbodenheizung
Im Innern des Gebäudes ist die alte Raumstruktur weitgehend erhalten. Hier galt es, Oberflächen und Materialien zu bewahren. Steinplatten wurden durchnummeriert, kartiert und dann auf einen neuen Fußbodenaufbau inklusive Fußbodenheizung nach dem ursprünglichen Verlegemuster platziert. Die historischen Dielen hingegen waren nicht mehr zu retten. In diese Räume kamen komplett neu aufgebaute Böden. Die Wände aus Bruchsteinmauerwerk blieben ungedämmt.
Handwerker sollten nicht zu sauber arbeiten
Lose Farbstellen an den Wänden entfernten die Handwerker und brachten einen neuen Kalkanstrich auf. „Maurer und Verputzer sind es heute gewohnt, wie mit dem Lineal zu arbeiten. Bei einer solchen Sanierung muss man genau hinschauen, dass sie nicht zu sauber arbeiten“, schmunzelt der Architekt.
Justizzentrum Braunschweig, Krekeler Architekten: Neuer Glanz in alten Mauern
Eine solche Aufarbeitung der Oberflächen stand auch im Mittelpunkt der Sanierung des 1908 bis 1913 nach Plänen von Baurat Ernst Wiehe errichteten ehemaligen Sitzes der Bezirksregierung in Braunschweig (Gesamtvolumen: 15,4 Millionen Euro).
Hauptaufgabe von Markus Loschinsky und Barbara Haßelmann von Krekeler Architekten war es, die bauzeitliche Beschaffenheit der rund 140 Räume im Innern mit einer Nutzfläche von etwa 4.600 Quadratmetern wiederherzustellen.
Fliesenspiegel aufgearbeitet und ergänzt
Charakteristisch für das Verwaltungsgebäude sind unter anderem die Fliesenspiegel in den repräsentativen Foyers und Treppenhäusern. Vermutlich durch Erschütterungen während der Bauphase hatte sich in Braunschweig eine Fliesenbahn gelöst.
„Nach eingehender Archivrecherche haben wir vier verschiedene Glasurverläufe nachbrennen lassen. Dank des changierenden Farbspektrums und des Mischens mit intakt gebliebenen Bestandsfliesen gliedern sich diese gut in die Flächen ein“, erläutert Markus Loschinsky. Sämtliche Ornamentfliesen waren glücklicherweise wieder verwendbar.
Asbest im Steinholzestrich gefunden
Bei den Beprobungen des Fußbodens stellte sich heraus, dass vielfach mit Asbest versetzter Steinholzestrich verwendet worden war. Mit Blick auf mögliche spätere Maßnahmen entschied der Bauherr – das Staatliche Baumanagement Braunschweig –, den Estrich herauszunehmen. Er wurde durch Gussasphalt ersetzt, sodass die Aufbauhöhe des Fußbodens beibehalten und sogar ein besserer Trittschallschutz erreicht wurde.
Im Rahmen der Sanierung der Fliesenspiegel wurden vier verschiedene Glasurverläufe nachgebrannt.
Krekeler Architekten / Stefan Melchior
Großer Gerichtssaal wiederentdeckt
Für eine positive Überraschung hingegen sorgte die Untersuchung der Wandoberflächen. „Als wir dort einen mutmaßlich bauzeitlichen Teil eines Lambris mit Rosetten an der Wand vorfanden, haben wir genauer hingeschaut“, sagt Barbara Haßelmann.
Tatsächlich setzte sich die Innenwandverkleidung in benachbarten Räumen fort, ein Hinweis auf einen ehemals vorhandenen, zwischenzeitlich stark verbauten großen Saal. Den konnten die Architekten wiederherstellen, indem sie die Trennwände herausnahmen, die abgehängten Decken entkernten und die Stuckdecke restauratorisch überarbeiteten.
Eichenparkett nach historischem Vorbild
Das stark beschädigte Parkett wurde nach originalem Vorbild aus Eichenholz nachgebildet. Die dokumentierte ursprüngliche Wandgestaltung mit einer Tapete ließ sich nicht mehr wiederfinden. Der neue monochrome Anstrich nimmt nun einen Blauton auf, der in den Fensterlaibungen gefunden wurde.
Heute größere Räume und mehr Sicherheit erforderlich
Im Zuge der Sanierung galt es auch, das Gebäude für die künftige Nutzung durch das Oberlandesgericht und die Generalstaatsanwaltschaft tauglich zu machen.
Zum einen gab ein Raumplan für Gerichtssäle größere Raumstrukturen etwa mit Besprechungszimmern vor. Sie wurden so angeordnet, dass das Achsraster des Gebäudes berücksichtigt und die Türstellen erhalten wurden. Zum anderen mussten im Eingangsbereich Sicherheitsanforderungen erfüllt werden.
Auf dem Treppenabsatz ließen die Architekten eine Stahl-Glas-Konstruktion einbauen, in die neben zwei Fluchttüren zwei Vereinzelungsanlagen integriert werden konnten. Um Gewicht zu sparen und damit die erforderliche konstruktive Verstärkung der lastabtragenden Decke zu verringern, wurde darauf verzichtet, die Wand bis in den Gewölbescheitel zu führen.
Sandsteinfassade nicht angetastet
Von dem Bauvorhaben ausgenommen war ein kompletter Gebäudetrakt mit Archivräumen, für die bislang keine Brandschutz-Lösung gefunden werden konnte. Und auch die Sandsteinfassade mit diversen neogotischen Elementen wurde – bis auf die Optimierung einzelner Fenster – nicht angetastet.
Kunsthalle Rostock, buttler architekten: dank Toleranzen im Kostenrahmen
Ganz anders bei der Generalsanierung der Kunsthalle Rostock durch buttler architekten (Leistungsphase 1–8, ab Leistungsphase 3 in Zusammenarbeit mit matrix architektur): Bei dem Museumsbau aus dem Jahr 1968/69 (Architekten: Hans Fleischhauer und Martin Halwas) musste der gestaltgebende obere Teil der Fassade, ein umlaufendes Band aus Kunststein-Reliefplatten, umfassend aufgearbeitet werden.
Betonreliefplatten restauriert und nachgeformt
Die Architekten ließen sämtliche rund 1.200 Betonreliefplatten abnehmen und begutachten. Etwa 40 Prozent konnten die Restauratoren aufarbeiten, indem sie die Überreste von asbesthaltigem Morinolfugenkitt entfernten und Aussprengungen an den Rändern ausbesserten.
Auf die Rückseite der Platten kamen eine stabilisierende Betonschicht und spezielle Dübelsysteme zur Aufhängung an einer Aluminiumkonstruktion. In diese Ebene wurde neu eine Dämmschicht integriert. „Bei den Platten, die wir mithilfe von Formabnahmen neu herstellen ließen, wurde die Oberfläche mit Ethanolsäure behandelt, um eine Vergleichbarkeit der Porigkeit zu erreichen“, erzählt Architekt Maik Buttler.
Sichtklinkermauerwerk von innen gedämmt
Das Sichtklinkermauerwerk im Erdgeschoss wurde gereinigt und von innen gedämmt. Mehrere geschosshohe Glasflächen öffnen den Blick in den ehemaligen Skulpturensaal und heutigen Veranstaltungsraum und in den zentralen, vor mehr als zehn Jahren mit Glas überdachten Innenhof.
Ihn bildeten die Architekten mit einer reversiblen Schale aus Leichtbauwänden dauerhaft als White Cube aus. In dem weißen, zweigeschossigen Raum mit einheitlicher Helligkeit finden künftig große Kunstobjekte Platz.
Glasschleuse garantiert kunstfreundliches Raumklima
Den Ausstellungsbereich im Innern des Gebäudes – ursprünglich eine einzige fließende Einheit über zwei Ebenen – gliedert seit der Sanierung eine Glas-Klimaschleuse am Kopf der Treppe.
Sie erhält die Offenheit optisch, ermöglicht aber unterschiedliche Nutzungen – eine „strategische Entscheidung“ von Bauherren und Nutzern gemeinsam mit der Denkmalpflege, sagt Maik Buttler: „Für die Sonderausstellungen mit teurer Leihkunst im Obergeschoss müssen erhöhte Anforderungen bezüglich Temperatur und Feuchtigkeit eingehalten und nachgewiesen werden. Im Erdgeschoss, wo auch viele Veranstaltungen stattfinden, ist die Toleranz etwas größer.“
Oberlicht-Verglasung war nicht zugelassen
Ein wenig Spielraum war ebenso bei der Aufarbeitung der reduzierten natürlichen Materialität der Oberflächen vonnöten. Die historische Verglasung, aus der die Decke zwischen dem Obergeschoss und dem darüberliegenden Technikgeschoss bestand, war für Über-Kopf-Anwendungen nicht zugelassen und wurde ersetzt.
Die neuen, in größtmöglichen Maßen angefertigten Oberlichtdecken orientieren sich an der originalen Aufteilung. Die erheblich abgenutzten oder stark schadstoffhaltigen Böden mussten erneuert werden. Im Obergeschoss durfte das neu verlegte Eichenmosaik-Parkett einschließlich des darin abgebildeten Trennwandrasters geringfügig von den Millimeter-Maßen der Original-Stäbe abweichen.
Dank Kompromissen im Kostenrahmen
Im Erdgeschoss konnte die originale Klinker-Farbigkeit mit neu hergestellten Klinkerplatten genau beibehalten werden. Dafür nahmen die Planer in Abstimmung mit der Denkmalpflege auch hier leichte Abweichungen bei den Klinker-Maßen in Kauf.
„Diese Toleranzen haben letztlich dazu beigetragen, dass sich die Sanierung dieser Bauteile im vorgegebenen Kostenrahmen umsetzen ließ“, betont der Architekt. Schließlich standen für das Projekt nur insgesamt 10,2 Millionen Euro zur Verfügung.
Sanierung und Denkmalschutz: gemeinsame Lösungen
Ob Toleranzen bei den Maßen von Parkett und Klinker, Wandfarbe statt Tapete oder ein abgerissenes Austragshaus: Ohne minimale Veränderungen wie diese geht es eben bei der Sanierung von Denkmalen kaum. Im besten Fall finden – wie in unseren Beispielen – Architekten, Denkmalpflege und Bauherren gemeinsam gute Lösungen.
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