Berlin 1: Ein Wettbewerb bei Facebook
Die Zeiten, in denen Studenten in WGs im Berliner Stadtzentrum lebten, sind offensichtlich vorbei. Heute wohnt man zum Beispiel im schicken Container-Wohnheim „Frankie & Johnny“ im südöstlichen Stadtteil Plänterwald. Nach einem Vorbild in Amsterdam wollte der Investor Jörg Duske Übersee-Container verwenden, um die Internationalität der Berliner Studenten zu thematisieren und eine Warmmiete von nur 250 Euro (so viel hat ein BAföG-Empfänger durchschnittlich für die Miete übrig) pro Container zu erzielen. Einen über Facebook veranstalteten Wettbewerb hatte das Schweizer Büro Holzer Kobler gewonnen. Auf ungläubiges Fragen, ob Facebook-Wettbewerbe heute üblich seien, räumt auch der Berliner Büroleiter Philip Peterson ein, dass man anfangs unsicher war, ob man das Ganze ernst nehmen sollte.
Aber es ist ernst zu nehmen, denn ein Prototyp und der erste von drei Bauabschnitten gehören mit ihrer rostigen Fassade, großen Fenstern und teilweise sogar Balkonen zum Besten, was im Modulbau-Segment derzeit gebaut wird. Der Prototyp wurde aus 20 Original-Containern hergestellt, was sich als unwirtschaftlich erwies. Durch das Herausschneiden von Öffnungen wurde die Statik der Container geschwächt, die dann mit Stahlrahmen verstärkt werden musste. Für den ersten großen Bauabschnitt fertigte dann eine Firma aus Serbien die Container genau für Wohnzwecke vor.
Dem Einwand, ob das Container-Thema dann nicht irgendwie gemogelt sei, wird geschickt ausgewichen. Stattdessen beginnt der Rundgang über die breiten Außentreppen und Laubengänge, die den Wohnungen als geräumige Vorbereiche dienen. Ganz oben im Prototyp wird eine Studentin wach geklingelt; dann quetschen sich rund 40 Besucher durch das winzige Apartment mit Mini-Entree, Mini-Bad, Mini-Küche und Wohn-Schlaf-Raum. Für diese 26 Quadratmeter sind über 400 Euro fällig, aber immerhin inklusive Internet. Weil man das ehrenwerte Ziel von 250 Euro Warmmiete noch nicht ganz aufgegeben hat, wird für die zwei folgenden Bauabschnitte weiter optimiert.
Heiko Haberle
Hannover: Bei Müllers ganz oben
„Einfach schön, mal keine Container zu sehen“, sagt der pensionierte Architekt Siegfried Hermann. Er besichtigt eine Flüchtlingsunterkunft von kellner, schleich, wunderling architekten (KSW, Foto rechts) in Hannover. Und die ist mittendrin statt außen vor – nämlich in der Nordstadt der niedersächsischen Landeshauptstadt. „Das architektonische Konzept des Gebäudes orientiert sich an den umliegenden Bestandsbauten des ehemaligen Güterbahnhofs“, sagt Eckhard Wunderling von KSW, der vor allem Fragen zum Lebensalltag der Bewohner beantwortet.
In den Wohneinheiten von jeweils 60 Quadratmetern Größe leben jeweils vier bis fünf Personen zusammen. „Die Bewohner sollen so schneller die deutsche Sprache erlernen, Kontakte zu Nachbarn knüpfen und eigenständig für ihr tägliches Leben sorgen“, sagt der Architekt. „Ist es auch umnutzbar?“, fragt Besucherin Michaela Schnackenrath. „Genau das wollten wir erreichen“, berichtet der Architekt. Nach zehn Jahren soll der Bau als Wohngebäude nachgenutzt werden. Insgesamt sollen dann bis zu 20 Wohnungen entstehen – in attraktiver Lage mitten in Hannover. Die Besucher nicken zufrieden. „Mich hat das Konzept überzeugt“, sagt Michaela Schnackenrath. Ein paar Ecken weiter treffen sich viele Besucher wieder – bei einer Aufstockung in der Rehbockstraße. Vier Geschosse, ein spitzer Giebel in Weiß, Grau und Rot: „Das Haus war technisch ein Sanierungsfall, liegt städtebaulich an drei Seiten im öffentlichen Raum und hatte nur drei kleine Wohnungen und kaum Grundstück“, erläutert Christoph Groos von partner & partner architektur, der hier auch Bauherr war. Mit der Stadt und den Nachbarn plante Groos mit seinem Büropartner Ulrich Müller eine Aufstockung für das Haus aus dem 19. Jahrhundert. Die beiden gelernten Zimmermänner hatten das Gebäude bereits 2008 gekauft.
Müller lebt mit seiner Frau und Zwillingen ganz oben. Seine Wohnung hat er um einen großen, hellen, komplett offenen Wohnraum im Dach erweitert. „Und das sieht echt super aus“, findet beim Besichtigen der Ingenieur Manfred Bach. Auch Markus Miekmann, der in der Nachbarschaft wohnt, wirft einen Blick in das Haus. „Vielleicht könnte man das ja auch bei uns machen“, überlegt er, wenn auch noch etwas unschlüssig. Groos und Müller geben dem potenziellen Kunden eine Broschüre ihres Büros. Der bedankt sich mit einem Lächeln und zieht zur nächsten Objektführung eine Straße weiter. Bei Groos und Müller stehen die nächsten 20 Besucher vor der Tür.
Stefan Kreitewolf
Berlin 2: Digitalbarock im Hinterhof
Das Grundstück an der Anklamer Straße schien unbebaubar: Es ist weniger als 600 Quadratmeter groß und rechts und links von Brandwänden umgeben, von denen eine auch noch diagonal auf die andere zuläuft, sodass nur ein dreieckiger Hof bleibt. Doch ein kunstsinniger Investor aus Irland ließ das Grundstück dennoch beplanen. Architekt Thomas Hillig, der natürlich die Defizite des Grundstücks erkannte, musste „The House“ also auf andere Weise interessant machen – und zwar mit Kunst an allen Oberflächen. Dafür übersetzte der Künstler Thomas Eller ältere Entwurfsstadien der Straßenansicht in ein grobes Pixelmuster, das in unterschiedlichen Grautönen und auf drei Putzebenen über die Fassade und die gläsernen Balkonbrüstungen gelegt wurde.
Von der anderen Straßenseite beginnt für die Besucher mit zugekniffenen Augen also nun das Suchspiel auf der Fassade, wie denn die früheren Entwürfe ausgesehen haben mögen. Dann geht es in den Hof, wo ob der Enge erst mal der Atem stockt. So was kennt man eher aus Südspanien.Auch hier riesige Pixelbilder an den Brandwänden – eine Projektion der Hof-fassade, die die Flucht der spitz aufeinander zulaufenden Brandwände perspektivisch verstärkt. Architekt Hillig sieht Thomas Ellers Arbeiten, die sich auch noch als Tapete im Treppenhaus finden, nicht als Kunst am Bau, sondern als Teil der Architektur, die unter das Motto „Living in Digital Baroque“ gestellt wurde. Das irritiert nun etwas, hatten doch einige Besucher aufgrund dieses Titels gehofft, im Haus digitale Finessen oder technische Opulenz zu finden.
Doch Hillig erklärt, dass man sich damit auf das für den Barock typische Zusammenspiel von Architektur, Bildhauerei und Malerei beziehe. Weil keine Wohnung zu besichtigen ist, müssen sich die Besucher an eher nebensächlichen Dingen festhalten. Wofür ist das Rohr? Für die Entrauchung der Tiefgarage. Was ist das für ein Schuppen im Hof? Der Notausgang der Tiefgarage. Warum brummt dieser Kasten im Fahrradraum so laut? Das ist ein Funkverstärker für Zigtausende Euro, weil die Feuerwehr nun Digitalfunk besitzt, der in zweigeschossigen Tiefgaragen nicht funktioniert. Jetzt sollte auch dem Bauherrn klargeworden sein, dass er wohl besser auf seinen Architekten gehört hätte, der gar keine Tiefgarage wollte. Nur eine Partei im Haus besitzt ein Auto.
Heiko Haberle
Berlin 3: Normalität im Ufo
Dieses Projekt gab’s schon in „Bild“ und Tagesschau: Das „Living Levels“ ist auf dem Streifen zwischen Spreeufer und jenem Stück Berliner Mauer entstanden, das von Künstlern 1990 zur 1.300 Meter langen „East Side Gallery“ geadelt wurde. Davon sollten für den Bau zeitweise elf Meter geräumt werden – Anlass für Großproteste, für die sogar der US-Star David Hasselhoff eingeflogen wurde. Bekannt wurde das Projekt auch durch seinen flexiblen Bauherrn (erst Stasi, dann CIA, dann Immobilien), als erstes Wohnhochhaus seit dem Mauerfall und als teuerstes der Stadt mit Apartments bis 13 Millionen Euro. Hierher geht man auch am Tag der Architektur der Sensation wegen, nicht so sehr wegen der Gestaltung.
„Nur nach Anmeldung“, hatte das Architekturbüro nps tchoban voss aufs Programm geschrieben – und dann den meisten, die sich anmeldeten, absagen müssen: Nur 30 Leute bekamen die Bestätigung; mehr wollten die Eigentümer nicht. Es kamen mehr als doppelt so viele, von denen einige auf die Einlass-Verweigerung berlinisch-temperamentvoll reagierten und sich zierten, bis sie das drei Etagen hohe Foyer mit Doorman und 42 Quadratmeter großem Pop-Wandbild räumten.
Die dreißig Glücklichen führte nps-Projektpartner Philipp Bauer direkt auf die Dachterrasse. Hier legt man sich die Stadt zu Füßen, wahrt aber durch getönte, elementweise bewegliche und übermenschenhohe Glaswände Distanz: Harter Wind und grelle Sonne mögen bitte draußen bleiben. Wer hier ausguckt, soll und will Berlin sehen, aber nicht zu sehr spüren. Der ganze Bau ist ein Ufo: Er steht bisher ziemlich isoliert am Fluss; Philipp Bauer spricht von einer „ziemlich spektakulären Alleinlage“.
Etwas mehr Umgebungskontakt als die Dachterrasse bieten die Wohnungsbalkons und dazu ein Stück technisch perfektionierte Heim-Natur: kubikmetergroße Pflanzkästen mit vom Bauherrn schon eingesetzten Felsenbirnen, elektronisch gesteuerter Bewässerung und sturmfesten Sicherheiznetzen um die Wurzelballen. Ein Experiment, bei dem sich die Architekten am stark eingegrünten Mailänder „Bosco verticale“ orientiert haben.
Der Gang durch eine erst mal im Rohbau belassene 300-Quadratmeter-Wohn-etage regt Besucher an: Wie richtet man das nur ein? Der unausgebaute, weitgehend stützenfreie Raum mit mehr als vier Metern Deckenhöhe und Rundum-Aussicht ist jedenfalls mit keinem ordinären Wohnungs-Equipment zu füllen. Hier oben in der zwölfte Etage weist Bauer auf Bodenständiges hin: Ganz unten, an Mauerkante, Schnellstraße und Touristenströmen, lagen die Quadratmeterpreise unterm Berliner Neubau-Durchschnitt. Und für die 56 Wohnungen gibt es nur 29 Parkplätze unterm Haus, denn auch wohlhabende Städter brauchen nicht unbedingt einen. Das sensationsträchtige Haus vermittelt seinen Tag-der-Architektur-Besuchern vor allem eine Überraschung: Es hat auch ziemlich viel Normalität.
Roland Stimpel
Rheinland-Pfalz: Feinfinger und Weinbau
„Wo der Wein herb und die Architektur bieder ist“ hieß vor genau 30 Jahren ein Bauwelt-Heft, in dem ich nicht ohne Häme die Baukultur meiner alten Heimat zusammengetragen hatte. Aus Berlin nahm der Jungredakteur eben einen anderen Blick auf die Provinz von Helmut Kohl. Ein Novum war immerhin, das unterhalb der Star-Schnitte Gebaute zu veröffentlichen.
Mittlerweile hat sich in der Pfalz einiges geändert. Architekten von außerhalb haben gebaut, die Uni hat neue Lehrer angezogen und gute Absolventen entlassen. Jetzt baut eine andere Generation. Am Tag der Architektur gab es einiges zu entdecken, hinter dem man früher den Gottseibeiuns vermutet hätte. Zum Beispiel die kleine Festhalle in Dirmstein (Bau Eins Architekten), mitten im Dorf, ein Flachbau aus Massivholz, verkleidet mit Zementtafeln und Streckmetall – ohne den Stallgeruch aus Fachwerk, Schieferdächern, rotem Sandstein und Schmiedeeisen. Wurde anstandslos genehmigt und lagert vorzüglich neben der Barockkirche.
Bei der klassizistischen Lateinschule in Grünstadt (dichtl architektur + energieberatung) wurde die Denkmalpflege mit einer ingeniösen Fachplanung überrumpelt; Bohrpfähle und Stahlbinder gaben der fragilen Hülle neuen Halt. In Forst entstand aus einem Dreiseithof ein Tagungszentrum (Schöne Architekten/Jörg Kühn): Neues Material und technische Details fügen sich solidarisch in das alte Gemäuer; hier erlaubte das Budget einen längeren Atem. Überhaupt muss man das Handwerk würdigen, bei vielen Bauwerken sieht man: Da waren keine Grobfinger am Werk.
Eine besondere Aufgabe sind Vinotheken, spätestens seit der Initiative von Architektenkammer, Ministerium und Weinbauverbänden zählen sie zu den Bijouterien der regionalen Baukunst. Auch hier keine Fassdauben und Wagenräder. „Wir bauen mit Cortenstahl“, erläutert der Architekt Peter Rheinwalt sein Werk in Hainfeld, als sei es das Selbstverständlichste. Vor wenigen Jahren hat sich die Denkmalpflege in Rheinhessen gegen ein Abfüllgebäude mit Edelrostfassade noch heftig engagiert. Im Zellertal gibt es gleich einige Neuzugänge, „und das werden noch mehr“, verspricht ein junger Winzer. „Wir bauen gerne und packen mit an.“ Das Publikum flaniert, degustiert, diskutiert die schlanken Stahlstützen hinter der Dreifachverglasung und den sortentypischen Chardonnay. Heute würde ich meinen Beitrag überschreiben: „Wo der Riesling trocken und die Architektur sympathisch ist.“
Wolfgang Bachmann
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