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Was sollen Fassaden sein: Elemente individueller Architektur, Werbemedien oder Bestandteile des gestalteten Stadtraums?

01.10.200812 Min. Kommentar schreiben
Medial: Die PSD-Bank Münster hat Europas größte Medienfassade.

Dr. Hans Stimmann
Seit Alexander Mitscherlichs legendärem Pamphlet von 1965 über die Unwirtlichkeit unserer Städte hat diese sich vielerorts noch dramatisch gesteigert. Nur selten finden sich aber Angehörige unserer Profession, die dafür die Verantwortung übernehmen. Schuld sind immer die anderen, die gerade unglücklichen politischen Umstände, die Wirtschaft, die Verkehrsplaner oder das fehlende Geld. Oft wird der Zustand gar noch beschönigt mit Beschreibungen von der Art der „Schönheit des Fragments, der Brüche“ etc.

Doch einen Großteil der räumlichen und ästhetischen Verwahrlosung hat unsere Zunft sich selbst zuzuschreiben. Immense Bedeutung hatte und hat hierbei auch die Stigmatisierung des Begriffs Fassade als städtebauliches Element (ähnlich erging es zuvor der Säule), das den Übergang vom öffentlichen zum privaten Raum architektonisch markiert. Gliedernde Fenster oder zwischen Öffentlich und Privat vermittelnde Eingänge wurden abgelöst durch Luftschleusen oder irgendwie fließende Übergänge, womöglich in aufgeständerten Gebäuden.

An die Stelle gegliederter Fassaden städtischer Häuser traten durchgehende Glaswände, bereit zur Medienbespielung. Der Eingang verlor seine Bedeutung und man kann ihn näher tretend oft nur noch anhand des Wortes „push“ identifizieren. Aktuell wird die Unwirtlichkeit um eine neue Negativqualität erweitert: der großflächigen Werbung auf „Urban Screens“, die sich frech ins Stadtbild drängen oder sich wie ein Tau auf die Oberflächen der Städte legen.

Nicht medial, aber schon fern von herkömmlichen städtischen Fassaden ist das P&C-Kaufhaus in Köln von Renzo Piano.

Wenn Architektur bewegte Bilder produziert

Fassadenfragen sind nicht nur ästhetische Fragen. Schon Mitscherlich forderte die Kultivierung des Gegensatzpaares von Öffentlich und Privat, ausgedrückt in entsprechend gestalteten und abgegrenzten Räumen. Die Stadt, so Mitscherlich, müsse zwei Erfahrungen erlauben: dass sie zur Gemeinschaft zwingt und zugleich individuelle Freiheit spendet und garantiert. Im Übergangsbereich zwischen Privat und Öffentlich befindet sich bekanntlich die Fassade.

Das Ignorieren ihrer Bedeutung oder die Reduktion auf eine Designeraufgabe ist Teil einer bis heute andauernden grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Zukunft des Städtischen. Auf der einen Seite stehen viele Stadt- und Regionalplaner sowie objektfixierte Architekten. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die als Architekten ausdrücklich die Tradition des Städtebaus der Vormoderne zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen und Bauprojekte machen. Sie propagieren die Renaissance der „europäischen Stadt“ mit ihren Qualitäten und Hauptmerkmalen wie der klaren eigentumsrechtlichen und faktischen Trennung von privaten und öffentlichen Räumen. In der Auseinandersetzung geht es nicht zuletzt um die geistige Lufthoheit im Stadtumbau.

Nun waren und sind Fassaden auch in einer modernen Stadtlandschaft Gegenstand der Entwurfsarbeit. Dabei geht es aber regelmäßig um das Design der Objekte in offenen Stadtlandschaften und nicht um die Summe der Fassaden als begrenzende Elemente des Straßen- oder Platzraums. Das Entwerfen in der Tradition des europäischen Städtebaus hielten und halten viele Architekten für überholt. Am deutlichsten bezog Rem Koolhaas Position mit der Aussage, der städtische Außenraum sei nicht mehr das kollektive Forum, wo „es“ passiert.

Ein kollektives „Es“ existiere nicht mehr. Die Straße sei ein rein organisatorisches Medium geworden, bloßes Segment einer zusammenhängenden, metropolitanen Fläche, auf der die Relikte der Vergangenheit und die Einrichtungen des Neuen einander unsicher belauern.

Diffuse, eher zufällige „Bigness“ sei an die Stelle von Blöcken und Ensembles getreten. „Bigness kann praktisch überall auf dieser Fläche existieren … Bigness ist nicht mehr auf die Stadt angewiesen: Sie konkurriert mit der Stadt, sie vertritt die Stadt; sie belegt die Stadt mit Beschlag; oder, noch treffender: Sie ist die Stadt … Die Fassaden von Bigness werden Orientierungspunkte einer postarchitektoni­schen Landschaft sein – einer Welt, von deren Angesicht alle Architektur weggekratzt sein wird.“ Damit beschreibt Koolhaas zutreffend einen großen Teil unserer städtischen Umwelt. Das für seine „Bigness“ in der Stadtbaukunst gebräuchliche Wort hieß Monument. Unter diesem Begriff waren wichtige öffentliche Gebäude ein zentraler Teil städtebaulicher Planungen, nicht wie bei Rem Koolhaas nur noch hinzunehmende Bigness-Objekte.

Im Kontext solcher Gedanken wurden Prognosen aufgestellt, nach denen die Urbanität als Lebensweise allmählich in die Netze übergehen sollte. So sah der Publizist Florian Rötzer 1995 die Zukunft des neuen Stadttyps in einer „Telepolis“, in der „der private Raum die alte Öffentlichkeit der Städte schluckt“.

Man treffe sich nicht mehr auf Plätzen, flaniere nicht mehr auf Straßen und Promenaden, unterhalte sich nicht mehr in Cafés, sondern im Datenraum. Dabei werde der gebaute Raum aber nicht vernichtet, sondern es verändere sich nur die Art und Intensität seiner Benutzung. Die reale Stadt mit ihren öffentlichen Räumen sollte nach diesen Prognosen tendenziell überflüssig werden. Nach der Befürchtung von Richard Sennett würde sie höchstens noch als „Gegenstand einer nostalgischen Rettungsaktion für ein sich auflösendes soziales Leben“ existieren, als „ein kommerziell interessanter Kulissenraum für eine ins Museale umschlagende Inszenierung von Örtlichkeit, in der nicht mehr gelebt wird, sondern die als touristische Attraktion, gewissermaßen als groß angelegte, immersive und dreidimensionale Kulisse erlebt werden soll … Eine Disneyworld der verschwundenen Urbanität.“

Eine so geartete Disneyworld auf den Inseln traditioneller Stadtbaukunst gelte es zu vermeiden, meinten und meinen Kritiker traditioneller Architektur. Stattdessen müsse man auf die neuen virtuellen Räume reagieren und Fassaden der von Computern gesteuerten Umwelt anpassen – also „intelligente“ Häuser, Medienwände und Medienfassaden entwerfen.

Nur so seien wenigstens Teile der Städte für die neue Welt der digitalen Urbanität noch zu retten. Wer sich auf diese Aufgabe einlässt, will Architektur, die bislang unbewegliche dreidimensionale Bilder produziert hat, nicht nur räumlich isolieren, sondern sie in die Welt der bewegten Bilder des Films, des Fernsehens und des Internets überführen.

Dabei können auch digitalisierte Fassaden die Wand zwar nachts zum Bildschirm oder zum flackernden Kunstwerk machen, nicht aber die Architektur selbst in Bewegung setzen – sondern eben nur die Bilder auf deren Oberfläche. Und die dafür technisch am besten geeignete, spiegelglatte Glasfassade wirkt tagsüber eintönig abweisend.

Urbanes Ensemble: Fleet-Fassaden in Hamburg

Alles für den Kampf um Aufmerksamkeit

So setzen die Medienfassaden nur scheinbar fort, was die Leuchtreklamen in den Zentren der Städte mit Tausenden von Glühbirnen schon in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts begonnen hatten. Doch damals blieb die materielle Architektur noch Ausgangspunkt der nächtlichen Inszenierung.

Sie verschwand nicht in der Aktion der medialen Bespielung und konnte tagsüber ihre Rolle als Teil der Stadtbaukunst spielen. Genau an dieser Stelle sehe ich auch heute die Grenze, die weder von den Architekten noch von den Werbedesignern überschritten werden sollte. Diese Grenze wird aber zumindest durchlässig, wenn Fassaden vor allem in den Innenstädten als Medium künstlerischer Präsentationen und vor allem der Werbung funktionalisiert werden. Wie wir wissen, hat der Kampf um die Aufmerksamkeit der Konsumenten längst die traditionelle Zweckbestimmung der Architektur auch im buchstäblichen Tagesgeschäft verändert.

Sie (und nicht nur die Fassade) wurde so selbst zu einem Medium der Massenattraktion. Ihr mediales Poten­zial bildete die Grundlage für den Erfolg des architektonischen Pop und Blob von Cook, Graves, Gehry, Venturi, des Dekonstruktivismus von Eisenman, Libeskind, Coop Himmelb(l)au und Hadid sowie der holländischen Schule der zweiten Moderne mit Koolhaas und van Berkel.

Individualistische Großplastik: Guggenheim-Museum von Frank Gehry in Bilbao

Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer gebauten Produkte sind sie im Kern doch nur Varianten dieses „Funktionalismus der Auffälligkeit“. Solange dieses Phänomen für herausragende öffentliche Gebäude galt, also für Museen, Opernhäuser, Theater, Bahnhöfe, Stadien, mag dies noch als Fortsetzung der städtebaulichen Kultur der europäischen Stadt und ihrer Monumente gelten. Doch darauf ist es längst nicht mehr beschränkt. Der Gestus der demonstrativen Auffälligkeit, des effektvoll Deformierten, bemächtigt sich seit einigen Jahren der ganz gewöhnlichen Bürobauten und Wohnhäuser, also der zur Erzeugung städtebaulicher Räume notwendigen Füllmasse.

Hinterm Medium sieht keiner mehr das Haus

So ärgerlich und bedrohlich dies ist, handelt es sich dennoch nur um die architektonische Anlaufstrecke eines weiteren Sprungs in die Auffälligkeit, die darauf verzichtet, der Stadt eine Form zu geben. Dabei werden aus Fassaden frei bespielbare Medienwände. Ihre ehemalige Bildlichkeit wird von den Medien verschlungen und bekommt damit die Bedeutung von Monitoren im XXL-Format. Diese nächtliche Verselbstständigung der medialen Funktion von der Aufgabe, die das Haus samt Fassade als Teil des städtebaulichen Raumes hatte, überschreitet damit eine bisher noch gar nicht vorstellbare Grenze. Sie stellt nämlich die Rolle der Architektur als materielle Struktur der Stadt und damit den Charakter des öffentlichen Raumes infrage.

Dabei dient die Medienfassade ganz gezielt der Erzeugung von Atmosphäre (wenn auch vor allem nächtlicher), also einer zentralen Aufgabe der Architektur. Das Bedrohliche an reinen Medienfassaden ist nun aber die Verselbstständigung des Atmosphärischen vom Tektonischen. Zwar gehört Werbung, wie Walter Benjamin formuliert hat, zum „Idiom der modernen Großstadt“. Der Moderne der 20er-Jahre ging es aber immer um Werbung quasi als ­Ornament des Kapitalismus.

Sie sollte die Architektur der Waren- und Bürohäuser nicht auslöschen, sondern in der Nacht zur Sprache bringen. Der heute immer größer werdende Anteil an Fassaden und Fassadenteilen, die für Medien und Werbung genutzt werden, bedroht nun die ­Architektur in dieser traditionellen Rolle. Man kann dieser Bedrohung städtischer Räume durch Gestaltungsregeln der Kommune begegnen und sich damit dem Vorwurf staatlicher Bevormundung aussetzen oder aber sich als Architekt dem Medium ergeben und Objekte mit Medienfassaden entwerfen.

Die damit beförderte Transformation des öffentlichen Raumes zum Markeninnenraum, in dem man sich kollektiv, unterbrochen durch Werbepausen, unterhalten lässt, birgt die Gefahr des Verlustes des kollektiven Gedächtnisses vom Bild der Stadt und bedroht die Urbanität als städtische Lebensform. In unseren Tagen begegnen sich drei widerstreitende Kräfte: die Renaissance des ­Städtischen, die um Aufmerksamkeit kämpfende Objekt­architektur sowie die Digitalisierung und Werbung in den Räumen der Stadt.

Die aktuelle Bedrohung geht aber leider nicht nur von den Werbe- und Lichtdesignern, sondern von der Zunft der Architekten selbst aus. Bekanntlich ist diese Trennung der Fassade vom Tektonischen das Spezifikum eines großen Teils zeitgenössischer Architektur. Und auch die Fachpublizistik – die Massenmedien sowieso – steht im Bann derjenigen, die als Stararchitekten mithalten wollen und hier und da auch mithalten können beim Kampf um die kurzzeitige öffentliche Aufmerksamkeit.

Ade, Stadt: Die Lichtsäulen „Unit M“ in Linz (Dietma Offenhuber) verstehen sich als „Prototyp eines interaktiven Gebäudes als vernetztes Medienkunstprojekt“.

Das Internet stärkt die traditionelle Stadt

Es gibt jedoch ein gegenläufiges Phänomen: Ausgerechnet bei Angehörigen der individualisierten Computergeneration haben vorhandene und neu entstandene öffentliche Räume eine Bedeutung erlangt, die wohl auch die größten Optimisten unter den Anhängern traditioneller europäischer Stadträume nicht erwartet hatten. Das Internet hat die traditionellen Stadtstrukturen gestärkt, anstatt neue zu schaffen. Es verbindet das Globale mit dem Lokalen, die virtuellen Räume mit den realen Plätzen.

Diese Renaissance traditioneller öffentlicher Räume in einer spezifischen „räumlichen Doppelexistenz“, wie Günter Anders es nennt, hat viele Stadt- und Architekturtheoretiker genauso überrascht wie einige Jahrzehnte zuvor die Beliebtheit der sogenannten Altbauwohnungen. Spiegeln doch traditionelle Parkanlagen, Plätze und Promenaden wie die Wohnungen der Vormoderne längst überwunden geglaubte Gesellschaftsordnungen wider. Da wir in einer vielfach verbauten, fragmentarisierten, digital vernetzten, oft auch hässlichen Umwelt leben, verdient die Suche nach architektonischen Konventionen, traditioneller Schönheit und städtebaulich angelegter Kooperation der Disziplinen dringend einen höheren Stellenwert.

Und sie verlangt ein anderes Selbstverständnis von vielen Architekten. Wenn ihnen angebliche Bürokraten in Bau- und Planungsämtern eine Straßenrandbebauung auf einer Baulinie vorschreiben und die Gestaltung einer Wand erwarten, die mit ihrem Material und ihren Öffnungen die öffentlichen und privaten Räume, Straße und Haus in einem Akt gleichermaßen trennt und verbindet, dann ist das keine Schikane, die die Gestaltungsfreiheit unzulässig einschränkt. Sondern dann geht es ganz altmodisch um das Einfügen der Architektur eines einzelnen Hauses in den Rahmen der Gemeinschaft der Häuser der Stadt.

Mit der städtebaulich begründeten Vorgabe für eine straßen- und platzbegleitende individuelle Bebauung und mit dem gleichzeitigen Beharren auf der Bedeutung des Stadtgrundrisses ist eine alte Aufgabe der Architektur neu belebt: das Haus in der Reihe, das Haus als Element eines von Städtebauarchitekten definierten und dimensionierten Raumes der Straßen und Plätze. Dies passte weder objektfixierten Architekten noch den vom Leitbild offener Stadtlandschaft träumenden Planern und Politikern – und oft auch nicht den Bauherren und Investoren, die sich in ihren Möglichkeiten zur obsessiven Selbstdarstellung und zur Ausdehnung des Maßes der Nutzung eingeschränkt sahen. Aber warum sollten die Wünsche individueller Bauherren und Architekten Vorrang haben vor dem baukulturellen Bedürfnis der Allgemeinheit nach einer schöneren, urbaneren, weniger unwirtlichen Stadt?

Dr.-Ing. Hans Stimmann war Senatsbaudirektor von Berlin. Der Text ist eine gekürzte und teils bearbeitete Fassung der Antrittsvorlesung Hans Stimmanns als Honorarprofessor am Dortmunder Institut für Stadtbaukunst. Der vollständige Text der Vorlesung wurde abgedruckt in: ach. Ansichten zur Architektur, Nr. 33, Mai/Juni 2008, Universität Stuttgart.


Medienfassaden im Architekturzentrum

Optimistischer als unser Autor sieht das Deutsche ­Architekturzentrum in Berlin das Thema Medien­fas­saden. Es veranstaltet dazu ab dem 17.10. einen Kongress und eine Ausstellung. Die Organisatoren meinen: „Medienfassaden eröffnen neue Möglichkeiten der Kommunikation im Stadtraum. Gebäude, deren Oberfläche und damit auch ihr Charakter verändern sich permanent, schaffen neue Beziehungen der Stadtbewohner zu ihrem lokalen Umfeld und laden zur interaktiven Mitgestaltung ein.“

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