Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Kultur und Kommerz“ im Deutschen Architektenblatt 06.2021 erschienen.
Von Gregor Harbusch
Kultur und Geld sind ein schwieriges Paar. Gerade in Berlin klafft die Kluft zwischen den mannigfachen Formaten der viel beschworenen Off-Kultur und den repräsentativen Institutionen der Hochkultur, die oft von umfangreichen Bundesmitteln profitieren, weit auseinander. Rund 140 Millionen Euro flossen beispielsweise in die eben abgeschlossene denkmalgerechte Sanierung von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie am Berliner Kulturforum. Bei dem von Herzog & de Meuron geplanten Nachbargebäude – dem Museum des 20. Jahrhunderts – ist die Kostenschätzung von anfänglich 200 auf mittlerweile 450 Millionen Euro explodiert. Dabei dürfte es erfahrungsgemäß nicht bleiben.
Sparzwang nur bei weniger bedeutenden Bauten?
Weniger repräsentative Bauprojekte, noch dazu, wenn sie aus Landesmitteln finanziert werden, haben es da bedeutend schwerer. Das zeigt der Umbau der ehemaligen Opernwerkstätten zum neuen Zentralstandort der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch durch das Berliner Büro von Ortner & Ortner Baukunst. Seit 1953 waren die Ostberliner Opernwerkstätten in einem eindrucksvollen Gebäude in der Zinnowitzer Straße nahe dem Nordbahnhof untergebracht. Als sie 2010 ihren neuen Standort am Ostbahnhof bezogen, blieb das wuchtige, schmutzig-braune Haus mit auffällig großen Sprossenfenstern zurück, weit abgerückt von der Straße, hinter einer verwilderten Brache.
Ehemalige Opernwerkstätten zwischen Kommerzarchitektur
Heute sind alle Freiflächen rund um die ehemaligen Opernwerkstätten bebaut; nüchtern und streng präsentiert sich nun das gesamte Gebiet. Zwischen einem Hotel, gehobenem Wohnungsbau und Bürohäusern liegen die umgenutzten Opernwerkstätten jetzt fast versteckt im Inneren des Blocks. Allein der neue, 24 Meter hohe und mit Lärchenholz verkleidete Bühnenturm verrät den Passanten, dass hier etwas Besonderes passiert. Im markanten Turm liegen die beiden Studiobühnen, in denen auch öffentliche Aufführungen stattfinden.
Ernst Busch vorher an vier Standorten
Die Vorplanungen zum 2018 eröffneten Hochschulgebäude waren beschwerlich und reichen bis in die Zeit zurück, als unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (2001–14) rigide gespart wurde. Bereits seit den 1990er-Jahren gab es Pläne, die vier Standorte der renommierten Hochschule zusammenzuführen. Schließlich einigte man sich, die ehemaligen Opernwerkstätten zu sanieren und für den Hochschulbetrieb umzubauen. 2010 lobte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Wettbewerb aus, den das Berliner Team von Ortner & Ortner gewann.
Die neue „Ernst Busch“ liegt etwas versteckt im Blockinnern. (Klicken für mehr Bilder)
Streit um das Budget
Doch bevor die Bauarbeiten beginnen konnten, kam es zu einem massiven Streit um das Budget, der das Projekt fast zu Fall gebracht hätte. Bei 33 Millionen Euro (Kostengruppen 200–700) lag das Budget, als der Wettbewerb 2010 ausgelobt wurde. Das sei damals bereits zu knapp bemessen gewesen, betont Projektleiter Tobias Ahlers. Mit der weiteren Planung stiegen die Kosten. Letztlich landeten die Architekten bei einer Schätzung von 34,85 Millionen Euro, nachdem sie sich zusammen mit der Hochschule auf einige schmerzhafte Kompromisse geeinigt hatten. Bibliothek und einige Verwaltungsräume verlagerten sie vom Turm in den Altbau, viele Probenräume wurden kleiner als ursprünglich gedacht, manche von Anfang an für eine Doppelbelegung konzipiert.
Besonders schade ist, dass fast alle doppelgeschossigen offenen Räume entfielen, die die Grundrissstruktur aus Mittelgangerschließung und daran aufgereihten Probenräumen aufbrechen und informelle Aufenthaltsbereiche schaffen sowie Tageslicht ins Innere des Baukörpers bringen sollten.
Moderate Kostensteigerung
Doch trotz der äußerst moderaten Kostensteigerung und einer weltbekannten Nutzerin wollte die SPD (damals Partnerin in einer Großen Koalition) das Umbauprojekt 2012 kippen. Medienwirksame Proteste der Studierenden, die hier auf perfekte Weise ihr theatralisches Handwerk nutzen konnten, verhinderten dies. 2014 begann der Bau, im Oktober 2018 war die offizielle Eröffnung. Letztlich lagen die Investitionskosten des Landes Berlin bei knapp 45 Millionen Euro für insgesamt 8.100 Quadratmeter Nutzfläche.
Unterricht an der Ernst Busch in Corona-Zeiten
Nur eineinhalb Jahre konnte die Hochschule ihr lang ersehntes neues Haus unbeschwert nutzen und im wortwörtlichen Sinne bespielen. Dann kam Corona und der erste Lockdown. Kinos und Theater stehen seither leer. Viele Hochschulen kämpfen sich tapfer durch den Fernunterricht – für eine Schauspielschule ist digitales Lernen freilich keine Option, Körper und Raum sind für sie schlichtweg essenziell. Seit einigen Monaten findet an der „Ernst Busch“ ein eingeschränkter Präsenzbetrieb unter strengen Hygienevorkehrungen statt. Beim Rundgang durch das Haus bekommt man daher durchaus ein gewisses Gefühl dafür, wie das Haus angenommen und benutzt wird.
Monumentalbau wird aufgebrochen
Ich betrete das Haus von der südlichen Stirnseite aus, wohin Ortner & Ortner – anders als die meisten Konkurrenten im Wettbewerb – den Haupteingang verlegten. Damit orientierten sie den Bestandsbau neu, der ursprünglich von Osten aus erschlossen wurde. Den Querflügel an der Südseite bauten sie zurück. Stattdessen findet man hier nun den weißen Flachbau der Cafeteria und den Bühnenturm.
Durch die Neuorientierung brechen Ortner & Ortner die ursprüngliche Axialsymmetrie des Monumentalbaus auf, der zwar kriegsbedingt erst spät fertig wurde und 1953 in Betrieb ging, dessen Entwurf aber bereits von 1941 stammte. Indizien sprechen dafür, dass dieser aus dem Büro Albert Speers stammen könnte, weiß Ahlers zu berichten.
Bühnenturm innen ablesbar
Vorplatz und Außengestaltung des Hauses fielen eher schlicht und sachlich aus, doch wer das Foyer betritt, erlebt einen veritablen Aha-Effekt. Großzügig öffnet sich der Raum, linker Hand befindet sich die Cafeteria, rechter Hand der Bühnenturm mit den beiden übereinanderliegenden, jeweils 300 Quadratmeter großen Studiobühnen. Der Turm bleibt auch innen ablesbar, da sich die Holzverkleidung in das Innere des Hauses hineinzieht: Vorhang, gezimmerte Kulisse, temporärer Pavillon – solche Assoziationen drängen sich mir hier auf. Ein breiter Umgang umfasst den eigentlichen Theaterraum und dient als eine Art einsehbare Hinterbühne. Die schwarzen Stahltreppen für die Technikerinnen und Techniker sind offen geführt.
Theatermachen wird räumlich anschaulich
Hier wird deutlich, dass die Architektinnen und Architekten das Erlernen des Theatermachens räumlich anschaulich machen wollten: Was hinter den Kulissen passiert, soll ein Stück weit nach außen gekehrt werden. Deswegen besteht die eigentliche Hülle des Bühnenturms hinter den Holzlatten aus Polycarbonatplatten, sodass das Geschehen im Inneren des Hauses bei Dunkelheit nach außen scheint. Sehr überzeugend in diesem Zusammenhang ist auch der Einfall, den Theater- und den grandiosen Puppenfundus mit Glaswänden zum Foyerbereich zu öffnen.
Sanierung nur bis 2,30 Meter Höhe
So charmant der Bereich der Studiobühnen gelöst ist: In erster Linie sieht man sich im Foyer mit der rohen Struktur der hohen Räume des Bestandsgebäudes konfrontiert. Denn aus konzeptionellen, aber auch budgetären Gründen entschieden sich die Architektinnen und Architekten, oberhalb einer von ihnen als „Wasserlinie“ bezeichneten Höhe von 2,30 Metern den Bestand weitgehend im vorgefundenen Zustand zu belassen. Neu hinzugefügte Elemente sind nur minimal behandelt, Trockenbauwände beispielsweise nur grob verspachtelt, alle Leitungen offen geführt.
Robuste Materialien, ordnende Elemente
Dieses Konzept zieht sich durch das gesamte Haus. In den oberen Etagen (in denen die Proberäume liegen, wo der Großteil des regulären Unterrichts stattfindet) arbeiteten Ortner & Ortner unterhalb der Wasserlinie an den Wänden mit grauem Tafellack, der zum Beschreiben mit Kreide einlädt. Scheuerleisten, Türen, Fenster und Zargen sind aus Lärche und fielen relativ massiv aus. Robust sollen sie sein und als ordnende Elemente wirken. Der harsche Kontrast zu den rohen Oberflächen oberhalb der Wasserlinie entbehrt nicht einer gewissen Manieriertheit.
Umso aufschlussreicher ist es, nach über zwei Jahren Nutzung zu sehen, dass auf den grauen Wänden tatsächlich reichlich Texte und Hinweise zu finden sind und dass der Umgang mit dem Haus im Hochschulalltag tatsächlich immer wieder ruppig zu sein scheint.
Kreative Impulse
Wie entscheidend die Nutzung gerade für dieses Haus ist, wird beim Rundgang hinter der Studiobühne plötzlich deutlich, als ein Moment echter Irritation aufblitzt. Eine mit schwarzem Stoff verklebte Tür, daneben die Rückseite einer Kulisse und darüber eine schnell verspachtelte Rigipsfläche – was ist hier Theater, was Architektur? Dass Ungeschliffenes und Ordnung aufeinandertreffen, macht die „Ernst Busch“ interessant, aber nicht unbedingt gefällig – trotz der fantastischen neuen Haupttreppe in Sichtbeton.
Kostendruck sichtbar
Dass dem Haus der Kostendruck immer wieder anzusehen ist, macht die Sache nicht einfacher. Doch letztlich geht es hier nicht um Wärmedämmverbundsystem und Detaillierungen, sondern um die weitaus wichtigere und grundsätzlichere Frage nach Kultur und Kommerz in einer Gegend von Berlin, die in den Nachwendejahren Freiräume für Kreativität und Improvisation bot, von denen so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist außer ein legendärer Ruf.
Oberhalb der Wasserlinie haben Ortner & Ortner diese Vergangenheit als Erinnerungsfragment inszeniert. Unterhalb der Wasserlinie haben sie Räume geschaffen, aus denen hoffentlich eine neue Kreativität über die geradezu sterile, dicht herangedrängte Nachbarschaft hinausstrahlt. Dass das Äußere des Hauses seiner Umgebung nicht stärker widerspricht, ist schade. Trotzdem war das Projekt völlig zu Recht einer von vier Finalisten beim DAM Preis 2021 und erhielt unter anderen den Deutschen Hochschulbaupreis 2020.
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