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Schön oder nicht schön?

Beteiligungsverfahren boomen. Selbst zu Wettbewerben werden heute Anregungen aus der Bürgerschaft eingeholt. Ganz unterschiedliche Pilotprojekte zeigen, dass sich der basisdemokratische Aufwand meistens lohnt.

31.08.20177 Min. Kommentar schreiben
Bunter Block: Als Ersatz für die Hamburger Esso-Häuser entwickelten NL Architects mit BeL Architekten im städtebaulichen Wettbewerb ein komplexes Cluster aus bezahlbarem Wohnen, (etwas) Kommerz und viel Freiraum, basierend auf einem „St.-Pauli-Code“.

Text: Christoph Gunßer

Hamburg kann gewaltig aufmucken. Nicht nur ein Gipfeltreffen, auch ein unliebsames Bauprojekt kann hier durch Proteste blockiert werden. Mit der richtigen Strategie kann es aber auch bunter und lebendiger werden. Prominentes Beispiel sind die „Esso-Häuser“ im Stadtteil St. Pauli.

Ein Investor hatte das blockgroße Nachkriegs-Ensemble an der Amüsiermeile Reeperbahn gekauft und plante eine Neubebauung von vierfacher Dichte. Er hatte die Rechnung ohne den Kiez gemacht: Das stark von Aufwertung bedrohte Viertel machte mobil gegen die Pläne. Als die Gebäude 2014 mit fadenscheiniger Begründung dennoch geräumt und abgerissen wurden, drohte die Situation zu eskalieren.

Mitmischen: Bereits vor dem Wettbewerb sammelte man in der „Planbude“ basisnah Ideen aus dem Kiez.

„Rennt der Planbude die Bude ein!“

Die Rettung brachte die „Planbude“: Bezirk und Investor ließen sich auf ein umfassendes Beteiligungsverfahren ein. Anwohner, Sozialarbeiter und kritische Planer organisierten, dass auf dem Spielbudenplatz ein Baucontainer aufgestellt wurde, der seither als Ideenwerkstatt für die Neubebauung dient. Die Resonanz war groß: Aus über 2.000 Anregungen wurde ein „St.-Pauli-Code“ entwickelt, der für günstige Mieten, Platz für die stadtteiltypische Subkultur und öffentliche Räume ohne Konsumzwang eintritt.

Auch während des Hochbauwettbewerbs wurden die Arbeitsstände der Architekten mit den Bürgern diskutiert.

Der von zwei Stadtteilversammlungen abgesegnete Katalog dient als Grundlage für den 2015 ausgeschriebenen städtebaulichen Wettbewerb. Um das Raumprogramm wird hart gerungen. „Das wird kein Kirschenessen“, heißt es in der Planbude. Am Ende werden 60 Prozent geförderter Wohnraum, öffentliche Dachterrassen und stadtteilbezogene Nutzungen durchgesetzt, bei nur noch dreifacher Verdichtung.

Der prämierte Entwurf von NL Architects, Amsterdam, und BeL Architekten, Köln, gerät denn auch kleinteilig und bunt. Ein Hochbauwettbewerb verteilt 2016 die einzelnen Bauteile auf die platzierten Büros, darunter Lacaton + Vassal aus Paris und ifau aus Berlin, die für innovative Low- Budget-Projekte bekannt sind. Das Ergebnis findet Anklang auf allen Seiten.

Einmischen lohnt sich

„Auf konventionellem Planungsweg wäre eine so gut vorbereitete Ausschreibung nicht zustande gekommen“, bestätigt Planerin Renée Tribble vom Lehrstuhl für Städtebau und Quartierplanung der HafenCity Universität. „Die Büros hätten vorsichtiger und glatter agiert.“ Aus der Planbude verlautet: „Der gesamte Prozess ist aus unserer Sicht ein großer Erfolg!“ Niemand nimmt mehr das böse Wort von der „Befriedung“ des ansonsten „unregierbaren“ Kiezes in den Mund. Es ist jedenfalls ein Novum, dass ein Beteiligungsverfahren konsequent in die Hände von Menschen aus dem Stadtteil gelegt wurde. Auch der frühe Zeitpunkt der Beteiligung, vor der Ausschreibung des Architektenwettbewerbes, war Neuland für die Behörden. Offenbar rechnet sich selbst eine so aufwendige Beteiligung noch für den Investor. Ende 2016 wurde der B-Plan für das „Paloma-Quartier“ verabschiedet (auch der Name entsprang einem volksnahen Wettbewerb); mit einer Realisierung wird bis Ende 2020 gerechnet.

Bürger liefern Entscheidungshilfen

Kurz zuvor hatte die Stadt Wolfsburg bereits eine neuartige Bürgerbeteiligung im Wettbewerb für das geplante Bildungshaus durchgeführt. Hier konnten Interessierte die eingegangenen Entwürfe eine Woche lang kommentieren – und zwar vor der Jurysitzung.

Meinungsbildung: Die Wettbewerbsbeiträge zum Wolfsburger „Haus der Bildung“ durfte die Öffentlichkeit noch vor der Jurysitzung beurteilen.

Die 850 Kommentare hingen dann neben den Plänen, als das Preisgericht tagte. Um dabei die Anonymität des Wettbewerbes zu wahren, hatte das den Wettbewerb betreuende Büro Luchterhandt aus Hamburg die Spielregeln so formuliert, dass sie mit dem Vergaberecht kompatibel sind: Handys waren abzugeben, es durfte in der Ausstellung nicht fotografiert werden, und auch Berichte in der Presse waren tabu. Das Reglement wurde eingehalten.

Die drei gleichrangig prämierten Entwürfe wurden nach einer honorierten Überarbeitung abermals der Bürgerschaft präsentiert, ehe die Stadt die Endauswahl traf. Erneut kommentierten 250 Wolfsburger. Die Stadt „verzettelte“ sich nicht. Sie beauftragte 2015 das Team um Esa Ruskeepää Architects aus Helsinki, dessen Entwurf auch beim „Volk“ beliebt war.


Wer die Kommentare liest, wundert sich über die Kompetenz der meisten Betrachter. Es ging ganz überwiegend nicht um Geschmacksfragen, „schön“ oder „nicht schön“, sondern um eine unabhängige, mit den örtlichen Gegebenheiten vertraute Sicht der Dinge.

Bedenkt man, dass möglicherweise auch mancher geladene Experte von Betriebsblindheit betroffen ist, sollte ein derartiges bürgernahes Korrektiv Schule machen. Anders als in Hamburg hält sich der Aufwand dafür in Grenzen. Der Identifikation Menschen mit „ihren“ Bauten es sicher gut. Wolfsburg zeigt auch, die nötige „Masse“ nicht nur in den Metropolen lebt.

Gut bedacht: Das multifunktionale Jugendhaus in Biberach entstand aus einem kooperativen Verfahren, das von 500 Jugendlichen digital kommentiert und am Ende ganz analog angemalt wurde.

Jugendhaus mithilfe von Facebook

Auch die Digitalisierung öffnet bekanntlich neue Kanäle, um dem Bürgerwillen Gehör zu verschaffen. Richtig eingesetzt, macht das Web 2.0 Teilhabe an Entscheidungsprozessen möglich, auch im öffentlichen Bauwesen. Das erprobte unlängst ein Pilotprojekt im schwäbischen Biberach, das immer wieder mit neuen Beteiligungsformen experimentiert (siehe DAB 01.2014, „Die Stadt als Geschmacksverstärker“); „jugend. beteiligen.jetzt“ heißt das Programm des Bundesfamilienministeriums, das hierfür Fördermittel bereitstellte.

Geschmacksverstärker: Beim gemeinsamen Planen lernten die Jugendlichen viel über Architektur. Die beteiligten Architekten wurden dabei von professionellen Moderatoren unterstützt.

Es ging um den Neubau eines Jugendhauses. Die Entscheidungen über dessen Gestaltung sollten nicht hinter verschlossenen Türen in einem Expertengremium fallen. Also wurde eine geschlossene Facebook- Gruppe eingerichtet, wo sich Jugendliche aus Biberach im Alter zwischen 13 und 21 Jahren einbringen konnten. Der wesentliche Input an Ideen für den 2013 intensiv betriebenen Prozess kam aus einem kooperativen Verfahren mit vier örtlichen Architekturbüros, die ihre Konzepte mehrmals öffentlich vorstellten, diskutierten und überarbeiteten. Immer eine Woche, bevor die Jury die einzelnen Projekte im Kolloquium diskutierte, wurden die Entwürfe auf Facebook präsentiert und standen dort für Kommentare und Votings zur Verfügung. Die dafür eigens engagierte Beratungsfirma moderierte die Diskussion, wertete aus und präsentierte die Wünsche am Beginn jedes Kolloquiums der Jury.

Schon bei der ersten Diskussionsrunde waren über 700 Jugendliche auf der Facebook-Gruppe registriert, rund 500 Mitglieder der Gruppe haben mehr als 1.000 Kommentare verfasst. Begleitend dazu gab es „offline“ klassische Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Auch deren Ergebnisse flossen in den Prozess ein.

Das unlängst eröffnete, knapp vier Millionen teure Haus ist auf diese Weise eindeutig „anders“ geworden als üblich: Formal meidet es jede institutionelle Anmutung – ein Wunsch, der in den Debatten immer wieder geäußert wurde. Es wirkt teilweise verspielt, erweist sich im Alltag aber als durchaus funktional und flexibel. Am recht peripheren Standort im Gewerbegebiet am Bahndamm fallen insbesondere die abgerundeten Kanten und die – trotz des engen Grundstücks – fein abgestuften Freiräume auf, die das Ensemble zu einem skurrilen Hangout machen: Hof und Dachterrasse sind sehr beliebt und eignen sich auch als Bühne. Die Außenhaut der zunächst an Hans Scharoun erinnernden organischen Skulptur wurde zuletzt noch – auf Wunsch der Jugendlichen – von Graffiti-Künstlern dekoriert. „Soziokulturelle Passung vor Funktionalität“ lautete das Motto der intensiven Jugendarbeit.

Erik Flügge von der moderierenden Agentur Squirrel & Nuts aus Köln zieht die dass „ein solcher grundsätzlich planbar ist und sich durchführen lässt“. Allerdings sei Verfahren hochgradig von der Stadtverwaltung, die bereit muss, die Ergebnisse ernst zu nehmen.

„Wie erkläre ich das?“

Die Biberacher Architektin Christine Reck lieferte den von Jury und Jugendlichen einmütig erwählten Entwurf. Sie bedauert zwar, dass die Stadtverwaltung die Genehmigungsplanung und Ausführung aus Kostengründen an sich zog, ist aber für die Erfahrungen mit der Beteiligung dankbar. Sie zollt dem Prozess Anerkennung als „erstem Versuch, Jugendlichen eine Stimme zu geben“ bei der Gestaltung ihrer Umwelt.

„Wie erkläre ich etwas so, dass Laien es verstehen?“, fragte sie sich immer wieder und nutzte vor allem 3-D Animationen, um ihre Vorstellungen zu vermitteln. Sie schätzt die Jugendlichen indes als leicht manipulierbar ein. „Ohne Fachleute, die Haltung zeigen, geht das nicht“, ist sie überzeugt.

So erscheint die Kombination aus Partizipation und Architektenwettbewerb durchaus praktikabel. Ob klassisches Streetworking, Medienarbeit oder neue interaktive Tools – „niedrigschwellige“ Angebote können Betroffene und Interessierte einbeziehen und Bauvorhaben konsensfähig machen. Immer mehr Architekten und interdisziplinäre Beratungsbüros spezialisieren sich auf die Begleitung partizipativer
Planungsprozesse, die oft mühsam und zeitaufwendig sind, am Ende aber die Chancen für eine nachhaltige Akzeptanz steigern.

Christoph Gunßer ist freier Fachautor. Er lebt in Bartenstein (Baden-Württemberg).

Mehr Informationen und Artikel zum Thema „wählerisch“ finden Sie in unserem DABthema wählerisch

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