Das Lehrschwimmbecken im Ludwigshafener Nordbad dient heute als Vortragssaal. (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Trockenschwimmen“ im Deutschen Architektenblatt 01.2022 erschienen.
Von Christoph Gunßer
Ein Bad ohne Wasser, geht das oder muss das weg? Ausgerechnet Ludwigshafen, das mit dem Titel „Germany’s Ugliest City“ kokettiert, bietet einen architektonischen Lichtblick in Sachen Schwimmbad-Weiternutzung: das Nordbad, 1956 vom Architekten Heinrich Schmitt als elegant-filigrane Hofanlage errichtet und durch Helmut Kohls Sauna-Besuch mit Michael Gorbatschow 1990 zu kurzer Berühmtheit gelangt. Es schloss bereits 2001 seine Pforten.
Bis heute eine der am höchsten verschuldeten Kommunen bundesweit, sah die Stadt keine Perspektive für die Einrichtung, die immerhin von täglich bis zu 600 Badegästen besucht wurde. Die müssen nun fürs Schwimmvergnügen seit Jahren über den Rhein nach Mannheim pendeln, denn auch das Südbad wird derzeit (dank eines einschlägigen Förderprogrammes des Bundes) saniert.
Nordbad Ludwigshafen: Event-Location und Gründerzentrum
Das noble Nordbad bekam erst nach zehn Jahren Leerstand wieder einen profanen Zweck zugewiesen: Das rund eine Million Liter fassende Schwimmerbecken dient seither als Löschwassertank für die benachbarte Müllverbrennungsanlage. Umrahmt wurde diese Not-Maßnahme, die immerhin den Abriss verhinderte, durch eine Dauerausstellung zur Entsorgungswirtschaft und gelegentliche Ausstellungen und Konzerte. Das Hallenbad ist heute in Ludwigshafen eine „LUcation“.
Für die unter Denkmalschutz stehende Fünfzigerjahre-Preziose konnte das aber noch nicht alles gewesen sein. Den Rest des Gevierts, die zweigeschossige Eingangshalle und die Seitenflügel mit den Umkleiden und Büros der Verwaltung, übernahmen schließlich 2016 die Stadtwerke. Um Optionen auszuloten, ließen sie verschiedene Architekturbüros Studien erstellen.
Denkmalgerechter Erhalt durch Nutzung
Der Karlsruher Architekt Boris Milla, in Ludwigshafen aufgewachsen, war mit seinem Team der Einzige, der an einer Weiternutzung der wertvollen Substanz festhielt (andere schlugen zum Beispiel den Ersatz durch Wohnungen vor). Solch ein „Erhalt durch Nutzung“ gefiel vor allem den Denkmalpflegern, und so entstand das Konzept eines Gründerzentrums mit dem treffenden Namen „Freischwimmer“.
Behutsam erneuerte man dafür die feingliedrigen Fassaden aus Stahl und Glas, arbeitete Fliesen, Mosaike und Steinböden auf. Wo früher die Umkleiden waren, öffnen sich heute große, flexibel nutzbare Räume über große Fenster zum grünen Hof. Einige der Kabinen, gefliesten Wände und sogar die Seifenschalen blieben erhalten, und auch die neu verkleideten Decken (mit Tieftonabsorbern in verschiedenen Schwarztönen) sollen an das amphibische Ambiente erinnern. Im Lehrschwimmbecken stehen heute Stuhlreihen auf hölzernen Decks – ein origineller Ort für Vorträge oder kulturelle Darbietungen.
Umbau noch nicht komplett
„Architektur weiterdenken“ nennt Milla diese Vorgehensweise, die nicht streng zwischen Alt und Neu trennt, aber durchaus rückbaubar wäre. Leider wurden dem Bauherrn die Baukosten am Ende zu hoch, sodass Milla das Konzept nicht in Gänze umsetzen konnte. Sauna und Wellness-Bereich blieben bislang unrealisiert, die Milchbar im Foyer ist verwaist, eine Anwaltskanzlei zog in den zweiten Flügel. Dennoch gelang es, das bemerkenswerte Schwimmbad als (potenziell) öffentlichen Ort zu bewahren.
Volksschwimmbad Schwerin: Wohnen mit Wasser
Auch in der ehemaligen Volksschwimmhalle in Schwerin-Lankow schwappte schon eine Weile kein Wasser mehr, als 2016 die Abrissbagger anrollten und das Ende drohte. In letzter Minute rettete sie der Schweriner Architekt und Bauunternehmer Ulrich Bunnemann. Der Chef der örtlichen Schelfbauhütte, die sich seit Langem vorbildlich für alte Bausubstanz engagiert, erstand das Bad für einen symbolischen Euro. Anwohner hatten ihn dazu gedrängt, denn viele hingen an dem Bauwerk. Auch Bunnemanns Kinder hatten hier das Schwimmen gelernt.
Hypar-Schale mit Denkmalwert
Heute bringen allein die Hypar-Schalen der Dachlandschaft mit ihrer Wellenbewegung noch den ursprünglichen Zweck des Baus in Erinnerung. Die besondere Konstruktion aus Betonfertigteilen, vom DDR-weit tätigen Architekten Herbert Müller 1976 geplant, war der Grund, dass die Halle zuletzt – auf Drängen der Schweriner Architektenschaft – noch unter Denkmalschutz gestellt wurde.
16 Wohnungen und 1 Startblock
Aber was tun mit dem Ein-Euro-Haus? „Wohnen geht immer“, sagte sich Bunnemann, nachdem er die Verantwortung für das Denkmal übernommen hatte. „Aber das wird eine schwierige Übung!“ Die große Bautiefe erschwerte die Belichtung im Inneren. Am Ende gelang es dem Architekten, sechzehn Wohnungen auf zwei Etagen in der Halle unterzubringen, davon acht Maisonettes, erschlossen über eine große zentrale Halle, in der die Kinder bei schlechtem Wetter spielen und sogar noch ein Startblock am alten Platz steht.
Das große Schwimmbecken dient heute als Keller – es wurde mit einer Betonplatte abgedeckt. Das Lehrschwimmbecken auf etwa einem Viertel der Grundfläche blieb aber erhalten und dient heute wieder dem Schwimmenlernen und für Therapiezwecke.
Holzbau im Inneren
Bunnemann, der in Kassel beim experimentierfreudigen Gernot Minke studiert hat, ist ein Pionier in der Verwendung nachwachsender Rohstoffe. Seine Bauteams haben schon etliche Wohnhäuser aus Holz und Stroh errichtet.
Nachdem die Innenwände der von den HP-Schalen frei überspannten Schwimmhalle entfernt waren, übernahmen also Decken und Wände aus Holz das Interieur. Aufs Dach packte man hier allerdings vorgeformte Polystyrolplatten als Dämmung.
Photovoltaik und Regenwassernutzung
Innen sind die markanten Dach-Schwingungen nun erstmals sichtbar und sorgen für einen ganz besonderen Wohnhimmel. Das Denkmalamt legte einzig Wert auf die äußere Erscheinung, die sich mit der Wohnnutzung gut vertrug: Alle EG-Wohnungen haben bodentiefe Fenster. Um flache Photovoltaik-Module auf dem Dach musste der Architekt kämpfen, doch nun speisen sie die Infrarot-Heizpaneele an Decken und Wänden. Das Regenwasser, das in die Mittelzone des Daches fließt, gelangt von dort in einen Grauwasserkreislauf.
Preisgünstige Mietwohnungen mit Pool
Nachdem Bunnemann rund 2,5 Millionen Euro in den Umbau investiert und dafür keine Denkmalgelder, aber immerhin KfW-Fördermittel bekommen hatte, vermietet er die Wohnungen in schöner Seelage für menschenfreundliche 8,50 Euro pro Quadratmeter. Für Schwimmkurse und Therapien darf die Öffentlichkeit weiter ins Haus. Und natürlich haben alle Mieter einen Schlüssel zum Schwimmbecken.
Volksschwimmhalle wird zur Attraktion
Der Umbau ist eindeutig ein Erfolgsprojekt. „Das Haus findet wahnsinnig viel Aufmerksamkeit“, sagt Bunnemann stolz. „Zum Tag der offenen Tür war die umgebaute Volksschwimmhalle voll.“ Auf dem Parkplatz daneben hat Bunnemann inzwischen ein strohgedämmtes Mehrfamilienhaus im KfW40-plus-Standard mit 18 Wohnungen gebaut. Mit seiner Schelfbauhütte fungiert er durchaus öfters als Bauherr, Planer und Vermieter: „Ich bin mein beliebtester Bauherr“, scherzt der 58-Jährige.
Oderberger Stadtbad Berlin: Schmuckstück mit Doppelnutzung
Die originellste Alternative zum Abriss ist indes nicht die Umnutzung, sondern die Doppelnutzung, wie sie mitten im Berliner Szene-Kiez Prenzlauer Berg realisiert wurde. Hier stand schon seit den Achtzigerjahren das Oderberger Stadtbad leer. Erbaut wurde es um die vorletzte Jahrhundertwende als Armenbad – darum gibt es neben dem Schwimmbecken 125 Bade- und Duschkabinen.
Der Bezirk fand lange keinen Käufer für das blockgroße Neorenaissance-Gebäude. Das lag nicht nur am Denkmalschutz, sondern vor allem daran, dass eine Übernahme an die Auflage geknüpft war, das prächtige Stadtbad mit seinem zentralen 20-Meter-Becken wieder öffentlich zu betreiben, und zwar zu erschwinglichen Preisen.
Sprachschule mit Hotel und Schwimmbecken
Gekauft hat das Anwesen schließlich 2015 die benachbarte Sprachschule, die es für ihre betuchte Klientel zu einem Vier-Sterne-Hotel samt Restaurant umnutzte. cpm Architekten aus Berlin planten den stilgerechten Umbau, der viel von der alten Stimmung des Bades bewahrt hat: Hotelzimmer in einstigen Nassräumen, das ist originell. Ein Restaurant im alten Heizhaus – großartig. Über 70 Zimmer und fünf Suiten verfügt das Haus.
Beckenboden wird zum Tanzparkett
Doch der Clou ist das eigentliche Schwimmbad: Die haushohe Halle lässt sich in einen Festsaal verwandeln, indem der Boden des Schwimmbeckens mittels Hydraulik auf das Niveau des Beckenrandes angehoben wird. Das Wasser strömt dabei durch Klappen im Boden und muss so nicht abgelassen werden. Der Umbau dauert nur einige Minuten, die Möblierung wenig länger. Der sakrale Saal ist längst eine gefragte Location.
Darum dürfte sich dieser raffinierte „Ablass-Handel“ auch trotz seiner erklecklichen 18 Millionen Euro Baukosten rentieren. Die sechs Euro Eintritt, die Badegäste entrichten, sind wenig mehr als in anderen städtischen Bädern und decken nach Aussage der Betreiberin nicht einmal die Reinigungskosten. Zwar ist das Wasser mit 22 Grad auch historisch kühl (angeblich, weil es sonst den Festgästen von unten zu warm wird), und die Halle gilt bei Badegästen als etwas zugig. Doch beweist der Deal, dass sich öffentliche und private Interessen durchaus vereinbaren lassen.
Trotzdem: Schwimbäder nutzen statt schließen!
Am Ende ist Altsubstanz auch bei öffentlichen Bädern nicht nur sehr viel erhaltenswerte „graue Energie“, sondern kann sogar Inspiration sein für Umbau und Neunutzung. Viele der mit Mitteln des „Goldenen Plans“ in den 1960ern errichteten Hallen stehen derzeit ähnlich desolat da wie unsere Beispiele. Mögen sie auch nicht so attraktiv sein wie die jüngeren Freizeitbäder – erschwinglicher und wohnortnäher sind sie, und schwimmen lernen kann man dort allemal. Ist ihr Weiterbetrieb aber gar nicht mehr möglich, haben sie doch ein zweites Leben verdient – nass, auf dem Trockenen oder irgendwo dazwischen.
Wir brauchen eine Umbauordnung!
Nach Ansicht der Bundesarchitektenkammer ließen sich große Energiesparpotenziale heben, wenn sich der Bausektor stärker auf Umbau statt auf Neubau ausrichten würde. Zur nachhaltigen Weiterentwicklung unserer gebauten Umwelt gilt es, die Nutzung von Primärrohstoffen und den damit verbundenen Energieverbrauch grundlegend einzuschränken. Umbau ist Nachhaltigkeit per se. Wer umbaut, führt die in der Substanz gespeicherte Energie neuen Nutzungen zu.
Nicht nur energie- und ressourcenbezogene Aspekte, sondern auch baukulturelle Erwägungen liefern das Motiv für die Forderung „Umbau vor Neubau“. Historisch gewachsener Bestand ist zugleich unsere wichtigste Ressource für die bauliche Weiterentwicklung. Dem Umbau des Vorhandenen wächst aus dieser Perspektive eine besondere Bedeutung zu. Dafür braucht es Kreativität, planerische Kompetenz und Gestaltungswillen, aber auch das Bewusstsein für den bleibenden Wert guter Architektur. Kurzum: Dafür braucht es die Architektinnen und Architekten aller Disziplinen.
Doch der nach wie vor auf Neubau ausgelegte Rechtsrahmen erschwert die Umsetzung innovativer Umbau-, Umnutzungs- und Weiternutzungskonzepte und trägt dem längst vorhandenen Problembewusstsein innerhalb des Berufsstands nur bedingt Rechnung. „Wir brauchen dringend eine Änderung der Musterbauordnung in eine Umbauordnung. Gemeinsam mit den Kommunen müssen wir endlich eine Umbaukultur erarbeiten und bauordnungsrechtliche Hürden beseitigen“, fordert BAK-Präsidentin Andrea Gebhard. Die BAK unterstützt daher einen von Architects for Future erarbeiteten Vorschlag zur Weiterentwicklung der Musterbauordnung. Außerdem unterbreitet die BAK in ihrem im Juni 2021 veröffentlichten Papier „Zukunft ist eine Frage der Planung“ Vorschläge, wie der Umbau gegenüber dem Neubau rechtlich auf Augenhöhe gebracht werden kann.
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Verwandelt.
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