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Zurück Umstrittene Rekonstruktionen

„Sehr aktuelle Bauaufgabe“

Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär im Bundesbau- und Verkehrsministerium, fordert im Berliner Stadtschloss „eine Synthese von Funktionalität und Erinnerungskultur“.

01.09.20077 Min. Kommentar schreiben
Demokratie als Bauherr: ­Staatssekretär Lütke Daldrup will eine „kreative Auseinander-setzung“

Interview: Roland Stimpel

DAB: Eine Republik im 21. Jahrhundert baut ein Schloss des frühen 18. Jahrhunderts. Ist das nicht ein Widerspruch?

Kern der Angelegenheit ist nicht der Aufbau des Schlosses, sondern die Schaffung des Humboldt-Forums als Ort des Weltwissens, der Weltkulturen und des Austauschs darüber. Zur Baugestaltung hat der Deutsche Bundestag 2002 und 2003 beschlossen, dass die Kubatur des Stadtschlosses für das neue Gebäude maßstabsbildend sein und dass drei Außenseiten und der Schlüterhof „unter Berücksichtigung der historischen Fassaden“ wieder entstehen sollen. Das ist durchaus ein interpretationsfähiger Begriff.

Heißt das: Wie viel Schloss am Ende herauskommt, steht noch nicht fest?

Der Bundestagsbeschluss stellt einen abgewogenen Kompromiss dar – zwischen Architekturpositionen, die eine Eins-zu- eins-Rekonstruktion des gesamten Baukörpers vor­sahen, und solchen, die in weniger eng definierter Form an historische Bauzustände erinnern wollten. Die Vorgaben des Bundestages ermöglichen in gewissem Umfang eine architektonische Bearbeitung der Fassaden. Hier muss der bevorstehende Architekturwettbewerb Antworten geben – und das werden wohl sehr unterschiedliche Antworten sein.

Gibt es eine Minimalquote für Fassadenbarock – oder reicht so etwas wie das Eosanderportal am einstigen DDR-Staatsratsgebäude?

Das ist keine Frage von Quoten. Die vom Bundestag geforderte Berücksichtigung der historischen Fassaden ist Wettbewerbsbedingung. Zunächst wird die Jury beurteilen müssen, ob ein Entwurf diesen Vorgaben in hoher Qualität Genüge tut. Dabei wird die Jury natürlich auch die politische Intention des Bundestages im Blick haben.

Es haben schon Architekten gesagt: Die Vorgaben sind uns zu eng; da machen wir nicht mit.

Es gibt beim neuen Humboldtforum eine ganze Reihe von Architekturaufgaben, deren Lösung völlig offen ist. Größte Herausforderung ist die Stimmigkeit zwischen den Fassaden und dem Gebäudeinneren und die Frage, wie man das Fassadenthema mit dem definitiv vorgegebenen Raum­programm in Einklang bringt. Da gibt es in einigen der jüngsten Rekonstruktionen Brüche und Widersprüche, die wir vermeiden wollen.

Soll auch das Innere rekonstruiert werden?

Wir werden sicherlich Wettbewerbsentwürfe mit sehr unterschiedlichen Haltungen beim Umgang mit den historischen Bauzuständen bekommen. Aber es gibt eine Minimalvoraussetzung: Nachdem der Bundestag die Berücksichtigung der Fassadenstruktur beschlossen hat, sollte man im Inneren nicht gegen diese Struktur arbeiten. Fragen der Geschosshöhen, der Raumfolgen und -inszenierungen spielen eine große Rolle. Es ist schwer vorstellbar, dass sich etwa hinter einem Schlüter-Tor Nutzungen befinden, die nichts mit einer Torsituation zu tun haben.

Die Fassaden sollten ursprünglich mithilfe ­privater Spenden errichtet werden. Jetzt ist von staatlicher „Vorfinanzierung“ die Rede. Wer spendet dann noch?

Die Fassaden sollen nach wie vor privat finanziert werden. Notfalls wird die öffentliche Hand vielleicht Teile vorstrecken. Wir werden aber nicht eine unbedingte Ausfallbürgschaft geben, sondern nach den Erfordernissen der baulichen Kon­struktion zu entscheiden haben, ob eine Vorfinanzierung in bestimmten Bereichen erforderlich ist. Es ist auch denkbar, dass Teile des Bildschmucks erst später realisiert werden.

Die bisherigen Spenden reichen bei Weitem nicht.

Die Spendenbereitschaft der nächsten Zukunft wird nicht nur starken Einfluss auf den Fortgang der Fassadengestaltung nehmen. Sie wird auch das Gewicht des Fassadenthemas bei der weiteren Entscheidung beeinflussen. Es ist durchaus von Bedeutung, ob durch Spenden deutlich wird, dass breite Kreise der Bevölkerung ein bestimmtes Anliegen haben.

Überspielt Geld die umstrittene Frage, ob man überhaupt in der heutigen Zeit Häuser mit Barockfassaden bauen sollte?

Zunächst gebietet es der Respekt vor dem Bundestag, dessen Beschluss zu akzeptieren. Er wurde mit Dreiviertelmehrheit und parteiübergreifend getroffen, weit über die heutigen Regierungsfraktionen hinaus. Ihm ging eine lange öffentliche Debatte voraus, mit Verfahren in den 90er-Jahren wie etwa dem Spreeinsel-Wettbewerb und vielen weiteren Äußerungen und Entwürfen. Da hat sich gezeigt, dass eine städtebauliche Grundfigur in der Kubatur des Schlosses sehr tragfähig für die weitere Entwicklung ist. Es ist die städtebaulich sinnvolle Ausgangssituation auch im Kontext der benachbarten Bebauung – dem Forum Fridericianum Unter den Linden, dem Lustgarten und dem Alten Museum, dem Dom, dem Staatsratsgebäude und dem wieder aufgebauten Kommandantenhaus. Auch die von vielen befürwortete historische Wiedererrichtung der Bauakademie gehört in dieses Umfeld.

Das ist der Städtebau. Und die Fassaden?

Auch da gibt es einen Bezug zur Umgebung. Und es gibt die Auseinandersetzung, wie man mit den verschiedenen Zeitschichten umgeht. Natürlich hätte die Möglich­keit bestanden, eine Weiterentwicklung des Ortes vom früheren Palast der Republik ausgehend zu betreiben. Ich habe das früher für einen durchaus erwägenswerten Anknüpfungspunkt gehalten. Doch das Gebäude war sehr stark mit Asbest kontaminiert; mittlerweile ist der Abriss im Gange. Insofern ist diese Frage Geschichte. Heute müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen: Welche Zeitschichten sollen an diesem symbolträchtigen Ort in die Zukunft transportiert werden?

Kann man Zeitschichten rekonstruieren, von denen physisch nichts mehr da ist? Gerade Denkmalpfleger lehnen das ab.

Auch die Denkmalpflege debattiert intensiv darüber, wie weit die (Teil)Rekonstruktion untergegangener Zustände zu ihren Aufgaben gehört. Ich denke, wir werden im Wettbewerb eine Spannbreite von Entwürfen bekommen, vom denkmalpflegerischen Purismus bis zur Teilrekonstruktion. Andere werden die Fassaden mehr als Spolien be­trachten, die in ein komplett neues Haus „integriert“ werden.

Es gibt da den Vorwurf der Geschichtsfälschung – die geschehene Zerstörung werde sogar verleugnet.

Eine 100-Prozent-Rekonstruktion des Schlosses würde in der Tat so tun, als wenn es die Geschichte seit dem Abriss 1950 nicht gegeben hätte. Demgegenüber soll das Humboldt-Forum ein Ort sein, der die verschiedenen Schichten der Historie sichtbar macht und sie nicht verleugnet. Es gibt aber einen großen gesellschaftlichen Konsens, der auch in den Bundestagsbeschlüssen zum Ausdruck gekommen ist: Eine bestimmte Zeitschicht, nämlich die des Barockschlosses, soll ein Ankerpunkt des Entwurfsprozesses sein.

Und die Geschichte seit 1945?

Auch hier sind die Wettbewerbsteilnehmer gefordert: Welche Facetten der Abriss- und Palastgeschichte sollen im Gebäudekonzept „sichtbar“ gemacht werden – der Palast als Volkshaus, aber auch als Ort einer vorgetäuschten Öffentlichkeit und Offenheit, der Volkskammersaal, in dem die deutsche Wiedervereinigung beschlossen wurde?

Wie soll das gehen – Barockfassaden, ein Humboldt-Forum und dann noch ein bisschen Palast?

Man kann an die Brüche und verschiedenen Phasen der Transformation des Ortes vor allem in den Gebäudeteilen erinnern, bei denen nicht die Barockfassaden zu berücksichtigen sind. Etwa bei der Gestaltung des Eosanderhofs und der gesamten Ostfassade, wo ja der einstige „Apothekerflügel“ ausdrücklich nicht unter das Thema Rekonstruktion fällt.

Last, not least gibt es da noch die Zeitschicht Gegenwart. Gibt es für die keinen Ort?

Doch: In den eben genannten Gebäudeteilen. Hier können und sollten meines Erachtens deutliche Zeichen gesetzt werden für eine Architektur des 21. Jahrhunderts.

Die würden viele lieber im ganzen Gebäude haben. Ist die Entscheidung für Barockfassaden eine Misstrauenserklärung an die Moderne?

Der Beschluss des Bundestags lässt die Vermutung zu, dass es in der Gesellschaft eine gewisse Skepsis im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit moderner Architektur gibt. Andererseits gibt es kein grundsätzliches Misstrauen – denken Sie nur an die vitale Moderne im jungen Parlaments- und Regierungsviertel. Beim Schloss ist auch nicht eine Negativhaltung ausschlaggebend, sondern das große Bedürfnis nach Verwurzelung in einer Gesellschaft, in der sich sehr vieles sehr schnell verändert. Dafür sind in unserem kollektiven Bewusstsein Ankerpunkte vorhanden, die eine starke Bindungskraft auslösen können – auch wenn sie seit Jahren oder Jahrzehnten baulich untergegangen sind.

Keine Chance für Gegenwartsarchitektur?

Die Moderne ist jetzt herausgefordert, mit diesen Fragen umzugehen und die verschiedenen Schichten und Brüche der Geschichte mit Respekt vor diesem Grundbedürfnis zu artikulieren. Sie kann hier deutlich machen, dass ein Haus des 21. Jahrhunderts durchaus auch historische Zitate verarbeiten kann, die mit Erinnerungskultur und Stadtbildpflege zu tun haben, wenn auch nichts mit Denkmalschutz. Das ist eine schwierige und gleichzeitig sehr aktuelle Bauaufgabe. Die Moderne kann hier zeigen, wie sie sich mit historischen Schichten produktiv, kreativ und vielleicht sogar avantgardistisch auseinandersetzt.

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