Interview: Roland Stimpel
Was soll ein Architekt für Sie sein: kreativer Vorreiter oder Dienstleister?
Ich finde es geradezu notwendig, dass der Architekt mit jeder Menge interessanter Ideen vorangeht. Aber er muss sich am Ende einem ökonomisch-rationalen Kalkül beugen, auch wenn ein Gutteil seiner Ideen nicht berücksichtigt wird. Gestaltung ist eine Qualität, aber sie kann nicht Vorrang haben. Dinge bauen, die wunderschön sind und sonst nichts – das kann man in einer Welt, in der Leute nicht für das Geld verantwortlich sind, das sie ausgeben.
Erwarten Sie von Architekten mehr Sinn für Ökonomie?
Unbedingt. Manche sehen sich in erster Linie als Künstler und nicht als Dienstleister im komplexen Immobilienumfeld. Aber Letztere spielen oft eine viel größere Rolle als Mitgestalter und Mitschöpfer wichtiger Gebäude. Manche sind sogar selbst erfolgreiche Projektentwickler geworden.
Die Qualität des Architekten als Entwerfer ist für Sie zweitrangig?
Nein, natürlich nicht! Aber mit Kreativität allein ist es nicht getan. Viele Architekten meinen doch, dass ökonomische Realität und Ästhetik nicht zusammen passen. Ich sehe diesen Gegensatz nicht. Wer als Immobilienunternehmer Erfolg haben will, muss einschätzen, wie ein Gebäude in zehn oder 15 Jahren bewertet wird – also auch, wie es dann angesehen wird.
Also hat Gestaltung doch Priorität?
Sie ist eine wichtige Komponente, neben vertretbaren Baukosten, Funktionalität, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit im Betrieb. Auch die Gestaltung muss nachhaltig sein. Das bedeutet oft gerade das Gegenteil von aufwendig. Wer vorausschauend baut, muss sich vor vergänglichen Moden in Acht nehmen und eher zurückhaltende Formen wählen, die später auch anpassbar sind. Das Haus soll ja 50 und mehr Jahre mit Anstand dastehen. Das gebietet es, modischen Aperçus einer kurzlebigen Gegenwart mit Zurückhaltung zu begegnen.
Führt das nicht zu einer uniformen grauen Masse an Gebäuden – alles sieht gleich zurückhaltend, gleich langweilig aus?
Selbst bei hoher Rationalität und Betonung der Nachhaltigkeit müssen ja nicht alle Bauherren den gleichen Geschmack und Stil haben.
Widersprechen sich ästhetische, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit?
Im Gegenteil: Sie ergänzen sich in vielfältiger Weise. Wir haben die Verpflichtung gegenüber Gesellschaft und Umwelt, Betriebskosten niedrig zu halten und die Umwelt zu schonen. Da erwarte ich von Architekten Vorlagen, gerade weil sie sich als Vordenker für das Zusammenspiel von Form, Material und Technik verstehen.
Wie sehr stören Sie die Vorgaben durch Städtebauer, etwa für Höhen, Baulinien und Fassadengestaltung?
Allzu bürokratisch sollten die natürlich nicht sein. Aber einfache, klare und für alle gleiche Regeln sind auch für Immobilienfirmen von Vorteil. Zum Beispiel die, die Hans Stimmann in Berlin erlassen hat. Seine Traufhöhe stellt ein wichtiges Element der Kontinuität dar. Für Investoren bedeuten solche Regeln Klarheit und raschere Entscheidungen der Ämter, als wenn in jedem Einzelfall neu über Höhe und Ausnutzung entschieden werden muss. Das treibt übrigens auch die Bodenpreise, weil sich jeder für sein Grundstück mehr Geschossfläche erhofft.
Haben für Sie alte Häuser einen Wert?
In London, Paris und Budapest oder Madrid habe ich für die IVG über 100 Jahre alte Häuser einkaufen dürfen – mit großem Vergnügen. Dort hat man klassische Linien entwickelt, die in allen Epochen nie langweilig geworden sind.
Welche Rolle spielt für Sie Baukultur?
Baukultur ist ja viel mehr als ein ökonomischer Topos. Kultur ist über Generationen geprägte und weitergegebene Lebensform. Sie hat großen Einfluss auf das Wohlbefinden der Menschen und damit auch auf Vermietung und Verkauf von Immobilien. Aber sie steht trotzdem im Spannungsfeld zu Kosten und anderen Kriterien.
Sie waren vor drei Jahren beim Gründungskonvent der Bundesstiftung Baukultur in Potsdam. Zugleich lief in Berlin ein großer Immobilienkongress. Zwischen beiden Veranstaltungen gab es fast keinen Austausch. Warum leben Architekten und Immobilienleute nebeneinander statt miteinander?
Wir haben sicher alle die Neigung, uns in unserem jeweiligen Spezialgebiet einzumauern. Und wir müssen uns immer ermahnen, die jeweils andere oder angrenzende Seite zu sehen und mitzubedenken. Das muss aber auch gerade für Architekten gelten, denn ich wundere mich schon, warum sie sich so isolieren. Das fängt schon bei äußeren Merkmalen an. Damals auf dem von Ihnen zitierten Konvent fiel mir auf, dass 90 Prozent der Leute uniform gekleidet waren. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, das gehört offenbar zum Selbstverständnis von Architekten. Mir kam es in Verbindung mit den Debattenbeiträgen eher wie Isolierung vor einer als feindlich und unverständig betrachteten Umwelt vor.
Banker und Immobilienleute kleiden sich mindestens ebenso uniform.
Zu Zahlenmenschen passt das ja auch, bei denen es im Beruf nicht so sehr um Individualität geht. Aber es ist doch ein merkwürdiger Widerspruch, wenn Architekten Anspruch auf Originalität, Eigenwilligkeit und Offenheit gegenüber Neuem erheben, sich aber andererseits so stark gruppenspezifisch vorstellen und sich demonstrativ von anderen abgrenzen.
Sie haben in vielen Ländern Europas Häuser gebaut, gekauft und verkauft. Haben Sie Architekten überall so empfunden?
Vor allem in London habe ich Architekten mit großer Offenheit und großem Dienstleistungsverständnis angetroffen. Dort schien mir Teamplay verbunden mit einem gewissen Sichzurücknehmen, ein Akzeptieren gegebener Zwänge ausgeprägter als bei uns. Das war durchaus mit Stolz und Selbstbewusstsein verbunden – aber gleichzeitig mit der Bereitschaft, anzuerkennen, dass die Qualität eines Hauses nicht nur aus seiner Architektur besteht, sondern aus der Optimierung der Teilbereiche. Übrigens sehen die Häuser dort nicht schlechter aus als bei uns.
Von deutschen Architekten halten Sie weniger als von Briten und Niederländern?
Deutsche Architekten sind so gut wie deutsche Ingenieure und Kaufleute. Aber manche haben doch gewisse Eigenheiten – am ausgeprägtesten diejenigen, die sich vor allem als Künstler verstehen und ein gewisses Maß an Autismus nicht verbergen wollen.
Wenn Sie einen Architekten für ein bestimmtes Projekt gesucht haben: Haben Sie Wettbewerbe veranstaltet, in denen Sie den devotesten Dienstleister suchten?
Devotheit sicher nicht. Bei der IVG haben wir viele Wettbewerbe veranstaltet. Ich nenne nur den für unsere Bonner Hauptverwaltung vor gut zehn Jahren. Der Wettbewerb war mit dem damaligen Stadtbaurat Sigurd Trommer abgesprochen, der großen Wert auf solche Verfahren legte. Es haben bedeutende Leute wie Ingenhoven und van den Valentyn teilgenommen, aber gewonnen hat am Ende das relativ junge Büro Steves & Borsum aus Köln, das einen sehr schönen und auch in der Umsetzung gut gelungenen Entwurf vorgelegt hat. Wettbewerbe kosten natürlich Zeit und Geld und sind erst mal lästig. Aber auf lange Sicht sind Wettbewerbe allemal gut für den Wert des Gebäudes.
Im Bundesverband der deutschen Industrie gibt es einen Kulturkreis und darin einen Bereich Architektur, den Sie leiten. Suchen Sie dort die Dienstleister von morgen?
Ich finde es immer wieder eindrucksvoll, wie junge Leute, die ja nicht zuerst auf Kosten achten müssen, unbekümmert eine Situation völlig neu interpretieren, wie sie Schneisen durch bestehende Agglomerationen schlagen oder eine Firma räumlich komplett reorganisieren. Das wird man nie eins zu eins umsetzen, aber es bringt immer eine Fülle neuer Gedanken, auf die man ohne diese Radikalität des jugendlichen Denkens nicht gekommen wäre.
Warum veranstaltet ein Industrieverband so etwas?
Dass eine graue Hütte reicht, in der die Menschen ans Fließband gefesselt sind – das ist doch eine Vorstellung von 1860. Heute werben doch Unternehmen auch mit ihrer Architektur um die besten Mitarbeiter und Kunden. Immer mehr Firmen wollen mit ihren Gebäuden auch in ihrer Außendarstellung attraktiv sein. Schon das Bild einer Firmenzentrale sagt viel darüber aus, was dahinter geschieht. Corporate Culture findet oft genug mit herausragenden Architekten interessante und zugleich kostenbewusste Ausdrucksformen.
Sie sind auch Aufsichtsratschef des Berliner Unternehmens GSW, das 55 000 Wohnungen mit meist nicht sehr hoch verdienenden Mietern besitzt und nicht neu baut. Ist da Architektur überhaupt ein Thema?
Auch im Bestand ist architektonische Kreativität gefragt, ob bei der energetischen Sanierung oder bei Substanzeingriffen, die aber erhebliche ästhetische Verbesserungen bewirken können. Manchmal reicht ja schon eine neue Eingangsgestaltung.
Geht gute Architektur für eher ärmere Mieter?
Ein guter Entwurf muss nicht teurer sein als ein schlechter, auch seine Ausführung nicht. Günstige Mietwohnungen ästhetisch zu verbessern, kostet nicht unbedingt mehr Geld. Es kostet vor allem mehr Nachdenken.
Wenn Sie jetzt nach München auf die Immobilienmesse Expo Real gehen: Interessieren Sie da allein wirtschaftliche Erfolge oder gucken Sie auch nach guter Architektur?
Ich schaue mir gerne die Modelle an, aber ich frage mich auch: Was kostet das?
Dr. Eckart John von Freyend, 68, ist einer der renommiertesten Vertreter der deutschen Immobilienbranche. Er war Vorstandsvorsitzender des Bonner IVG-Konzerns und ist heute unter anderem Ehrenpräsident des von ihm gegründeten Interessenverbandes „Zentraler Immobilienausschuss“, Präsident des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln und Vorsitzender des Gremiums Architektur im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft, in dem rund 400 Unternehmen Mitglied sind.