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Sisyphos am Bau

Ein Bau für nur 18 Monate? Gerade weil sie kurzlebig sind, schätzt Adolf Krischanitz Projekte wie die Kunsthalle „White Cube“ auf dem Berliner Schlossplatz.

01.04.20084 Min. Kommentar schreiben
White heißt nicht weiß: Nach Entwürfen Berliner Künstler…

Dr. Klaus-Jürgen Bauer
Der Wiener Architekt Adolf Krischanitz errichtet auf dem Berliner Schlossplatz die Kunsthalle White Cube, die einen Schönheitsfehler hat: Das Bauwerk wird nur kurze Zeit existieren. Nach eineinhalb Jahren soll es wieder verschwinden. Was bedeutet es für einen Architekten, wenn Bauwerke temporär und provisorisch sind? Gleicht die Arbeit des Architekten dann nicht einer Sisyphos­arbeit?
Die Legende schildert Sisyphos als besonders listigen Menschen, den die Götter deshalb bestrafen wollen. Er wird mit Gewalt ins Totenreich gebracht, wo ihn seine berühmte Strafe ereilt. Der Felsblock, den er einen Hang hinaufschieben muss, entgleitet immer wieder kurz vor dem Ziel.

…soll die Halle auf dem Schloßplatz…

Der Sisyphosmythos scheint geeignet, um die Arbeit von Architekten zu beschreiben. List ist oft genug notwendig, um Bauaufgaben zu erhalten, zu behalten, zu verwirklichen. Neben der List stellt vor allem das Motiv der Strafe die Verbindung zu Sisyphos her. Viele Architekten empfinden Eingriffe in die empfindliche, schöpferische Werkautonomie des Bauens als Strafe. Es gibt noch eine dritte Verbindung des Sisyphosmythos mit der Architektur. Gerade die über den Tellerrand der Routine weisende Architektur ist oft mit einem Mehraufwand verbunden, der nur durch leidenschaftliche Hingabe und durch Selbstausbeutung zu erreichen ist.

… immer wieder neu gestaltet werden.

Die Volkswirtschaft nennt das Sisyphismus: ein System, das die Arbeit um ihrer selbst Willen als schätzenswert bezeichnet – ungeachtet des ökonomischen Erfolges. Unter diesen Gesichtspunkten erscheint ein Werk wie das von Adolf Krischanitz, das stark von temporären Bauwerken geprägt ist, als Inkarnation des Sisyphosprinzips.

Das Haus als Schmetterling

Gerade Pavillons können, so Krischanitz, den Diskurs und die Fantasie oft mehr anregen als fertig ausformulierte, scheinbar ewige Gehäuse. Für ihn ist die Beschäftigung mit vorübergehender Architektur nicht deprimierend, sondern – im Gegenteil – entlastend, weil durch die begrenzte Dauer Verantwortung wieder abgegeben werden kann. ­Diese Leichtigkeit ist bereits im Wort Pavillon (von Papil-lon = Schmetterling) repräsentiert.

Dass Krischanitz weiß, wie man Pavillons kostengünstig, termingerecht und funktionell baut, trägt zur Rufbildung bei. Natürlich ist dieser Wert nur durch einen idealistischen Mehraufwand zu erreichen: Kosten und logistischer Aufwand sind im Verhältnis zur Lebensdauer hoch und erfordern zusätzliche Durchgänge im Planungsprozess.

Der Reigen beginnt mit dem…

Der wesentlichste Wert der Pavillonkultur besteht darin, spektakuläre Bauten an besonderen Orten errichten zu können. Immer schon entwickelten Architekten dafür Strategien. Besonders der Fest- und Triumphzug mit seiner Tradition bis in die Antike wirkte auf den städtischen Raum. Hauptsächliches Ausdrucksmittel waren ephemere, also vergängliche Bauwerke, die nach Ende des Festzugs wieder abgebrochen wurden. Die bekanntesten sind die triumphbogenartigen Ehrenpforten, die es in Italien seit dem 12. Jahrhundert gab und die besonders in Wien – der Heimatstadt von Adolf Krischanitz – ihre prächtigste Blüte erlebten.

Nur die bedeutendsten Architekten errichteten ephemere Bauwerke. Heute, da Städte nicht zuletzt zu Schauplätzen gigantischer Massenspektakel geworden sind, hat diese Architektur einen neuen Stellenwert gewonnen. Adolf Krischanitz steht in der Tradition ephemerer Bauwerke. Selbst mit nüchterner Formensprache und einfachen Materialien platziert er bedeutungsvolle Bauten in undefinierten oder vergessenen Stadträumen. Der Häufung von Pavillons in Krischanitz’ Werk liegt also keine Strafsituation im Sinne des Sisyphos zugrunde, sondern eine bewusste und positive Strategie.

… blau-weißen, als…

Glück des Neuanfangs

Von dieser Gabe wird auch Berlin profitieren, wenn am Schlossplatz ab Herbst die Kunsthalle White Cube stehen wird. Das engagierte Projekt – von der Künstlerin Coco Kühn und der Kulturmanagerin Constanze Kleiner betrieben – finanzieren private Spender. In diesen idealistischen Ansatz fügt sich der pragmatische Kubus von Krischanitz, mit Referenz an die mittlerweile wieder abgerissene Wiener Kunsthalle, gut ein. Auch diese war für eine kurze Standzeit konzipiert, besetzte dann aber den zentralen ­Wiener Karlsplatz mehr als zehn Jahre lang. Der Berliner Kubus wird von den Erfahrungen des Wiener Vorbildes profitieren. Der schlichte, lang gestreckte Pavillon, ein Kunstfelsen, wird seine Wirkung besonders auch durch die künst-lerisch bespielte, leichte Gewebemembrane, die als Fassade dient, entfalten. Renommierte Künstler wie Gerwald Rockenschaub werden abwechselnd dafür Kunstwerke entwickeln. Mit ungefähr 1 000 Quadratmeter Größe wird die Kunsthalle selbstbewusst den historischen Stadtraum mitbestimmen. Das bekanntlich immer neu zu begeisternde Berliner Publikum wird sicher den spröden, liegenden Felsen des White Cube über den Platz wuchten helfen.

… „Wolken“ bezeichneten Motiv von Gerwald Rockenschaub.

Albert Camus schreibt über Sisyphos, dass dieser, trotz seiner Last, letztendlich nicht wirklich leidet: Er bezeichnet ihn sogar als einen glücklichen Menschen, weil der immerwährende Kampf sein Menschenherz erfülle. Das Glück des Bauens wirkt im Bewusstsein jedes Architekten. Dies gilt sicher auch für temporäre Bauten mit ihrer kurzen Verweildauer. Für die Stadt Berlin scheint der White Cube das richtige Bauwerk am richtigen Ort zu sein: jetzt, zu seiner beschränkten Zeit.

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