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Soziale Räume schaffen

Andreas Hegenbart ist nicht nur Innenarchitekt, sondern auch Kommunikations- und Archi­tekturpsychologe. Er fordert, dass wissenschaftliche Erkenntnisse über Raumwahrnehmung und Sozialverhalten Teil des Berufs werden. Beratung und Evaluation sollen mehr Gewicht bekommen.

Von: Frank Maier-Solgk
Frank Maier-Solgk ist von der Gartenkunst auf die Architektur gekommen....

01.10.20185 Min. Kommentar schreiben

In einem Aufruf an die Innenarchitekten sprechen Sie von einem notwendigen Perspektivwechsel der Disziplin. Das klingt sehr grundsätzlich. Was ist Ihr Ziel?

Es geht mir um eine neue Fundierung unserer Arbeit. Wir können und sollten stärker von der Psychologie profitieren. Das wird umso wichtiger, als heute mehr denn je Fragen der Nutzungsbedürfnisse im Vordergrund stehen, die analysierbar wären. Unsere Arbeit ist eben keine „Schönheitsoperation“, kein entbehrlicher Zusatz zur Architektur. Um solchen Vorurteilen entgegenzuwirken, müssen wir sie wissenschaftlicher als bisher fundieren.

Was kann die Psychologie beitragen?

Die Psychologie liefert Erkenntnisse über nahezu sämtliche Details unserer Arbeit, über die Wirkung von Farben, Oberflächen, Beleuchtung. Und sie kann deutlich machen, dass der gebaute Raum als eine Art der „Sozialergonomie“ unser Verhalten beeinflusst.

Sind diese Erkenntnisse neu?

Wir können da auf einer guten Basis aufbauen: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesen Aspekten reichen teilweise zurück bis in die 1970er- und 1980er-Jahre. Damals wurde vor allem das Verhältnis von gebauter Umwelt und menschlichem Verhalten untersucht. Die Schlussfolgerungen daraus müssen wir heute den Architektinnen und Architekten des Innenraums in verständlicher Weise  zur Verfügung stellen. Und, ganz wichtig: Wir müssen die theoretischen Grundlagen in praktischer Hinsicht fruchtbarer machen!

Das heißt konkret?

Ein wichtiger Ansatz betrifft die Prozessqualität. Unsere Arbeit als Innenarchitekten ist neben allem technischen Know-How auch eine  Beratungsleistung; je besser diese gelingt, desto besser das Ergebnis. Wir verfügen jedoch nicht über ausreichende Kenntnisse über soziale Interaktion – das ist mein Fazit aus 30-jähriger Praxis und vielen Gesprächen.

Was muss ein Innenarchitekt also unbedingt lernen?

Der Bauherr, der ja in den technischen Fragen und den Details der Umsetzung Laie ist, muss Vertrauen zu uns und unseren Vorschlägen entwickeln. Innenarchitekten sollten daher Kenntnisse darüber erlangen, wie dies im Gespräch vermittelt werden kann; sie sollten über Methoden und Techniken der Kommunikation Bescheid wissen.

Das klingt nach einer psychologisch fundierten Fortbildung in Sachen Gesprächsführung, die bei jeder Kommunikation zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wichtig ist. Warum ist der Beratungsaspekt gerade bei Innenarchitekten so wichtig?

Sie gestalten den Raum, der unmittelbar das tägliche Leben der Nutzer beeinflusst. Wir brauchen dafür ein möglichst umfassendes Bild des gelebten Alltags und wie er gewünscht wird. Die Vorstellungen der Bauherren darüber, was sie wollen und brauchen, konkretisiert sich dabei oft erst im Gespräch. Mit einem privaten Bauherrn müssen wir beispielsweise erst einmal Klarheit über die Anforderungen an alle Raumtypen, vom Wohnzimmer bis zum Kinderzimmer, gewinnen – und uns dabei nicht mit vagen Angaben begnügen. Auch bei Büros wird sich die optimale räumliche Umsetzung der speziellen betrieblichen Anforderungen erst in Gesprächen herauskristallisieren – am besten mit Personen auf verschiedenen Ebenen. Erst dann bildet sich eine adäquate Vorstellung über Organisationsstrukturen, Hierarchien und das soziale Gefüge eines Unternehmens.

Wann sollte diese Beratung am besten stattfinden?

Wir brauchen eine Art „Leistungsphase 0“.  Dazu gehört auch, dass wir Innenarchitekten im Hinblick auf die Arbeit unserer Kollegen vom Hochbau nicht zu spät hinzugezogen werden. Wir stehen häufig vor der Situation, dass die Gebäudehülle fertiggestellt ist, wichtige Aspekte einer nutzungsangepassten Raumsituation oder Raumfolge dann jedoch nicht mehr realisiert werden können.

Wie funktioniert es, wenn es gut läuft?

Sehr eindrücklich für eine erfolgreiche Beratung war für mich die Planung eines Vortrags- und Versammlungsraumes für eine Wohnungsbaugenossenschaft, die ihren Mitgliedern gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Die Rechenschaftspflicht findet in einer jährlichen Versammlung statt, die daher viel Gewicht hat. Nun sollte entschieden werden, ob das Podium oder besser das Auditorium erhöht sein sollte. Der Auftraggeber favorisierte die erste Variante, da die zweite mit deutlich höheren Baukosten verbunden war.

Was sprach für die teurere Variante?

Die soziale Wirkung! Wenn die Menschen auf dem Podium von oben herab blicken, wirkt das übermächtig und begünstigt eine passive Haltung der Zuhörerschaft. Erhöht man hingegen das Auditorium gegenüber einem ebenerdigen Podium, führt das zu einem Blick auf Augenhöhe zu den ersten Reihen mit ansteigendem Blick zu den folgenden. Das aktiviert die Zuhörerschaft und regt ihre Teilnahme am Geschehen an – was auch dem Selbstverständnis der Genossenschaft entsprach.

Sie fordern neben der „Leistungsphase 0“ eine „Leistungsphase 10“. Was hat es damit auf sich?

Von Leistungsphasen spreche ich weniger konkret im Sinne der HOAI als symbolisch, um die Bedeutung der Leistung zu unterstreichen. In „Leistungsphase 10“ sollte etwas stattfinden, was leider auch meist fehlt, aber nach einem gewissen Zeitraum der Nutzung unbedingt erfolgen sollte: eine Evaluierung der Räume im Hinblick auf ihre Nutzungen. Um die Qualitäten unserer Arbeit wissenschaftlich zu belegen, wäre eine Befragung der Nutzer sehr sinnvoll; vorstellbar wäre auch eine Verhaltensanalyse durch die Beobachtung der Aufenthaltsfrequenz und des Bewegungsprofils an bestimmten Orten.

Ist diese Diagnostik und Evaluierung von den Innenarchitekten zu leisten?

Ein grundlegendes Wissen darüber ist wichtig. Aber wir können – und sollten – nicht alles allein machen wollen. Für wissenschaftlich brauchbare Evaluationen benötigt man eine statistische Kompetenz, die Teil der Ausbildung von Psychologen und Soziologen ist. Auch deshalb rege ich den interdisziplinären Fachaustausch und Kooperationen an.


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