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Spieltrieb frei Haus

Die Vielfalt gegenwärtiger Erziehungsmodelle spiegelt sich auch in der Kindergarten-Architektur wider. Die ist so bunt wie nie zuvor

30.10.20159 Min. Kommentar schreiben
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Wachstumsraum: Das Kinderhaus Freising in Bayern überzeugt mit einer klaren Struktur…

Text: Cornelia Dörries

Kindergärten, Kitas, Krippen: In diesen Einrichtungen erleben kleine Kinder spielend und lernend erstmals Gesellschaft jenseits der vertrauten Familie und probieren sich tastend und neugierig als soziale Wesen aus. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Gestaltung und Einrichtung dieser Orte. Sie sollen kindgerecht und anregend sein, zugleich als geschützter Raum für die ungestörte und freie Entfaltung kindlicher Bedürfnisse funktionieren und sich trotzdem nicht als realitätsfernes Niedlichkeitsghetto von der Außenwelt abschotten. Die Bauaufgabe Kindergarten ist auch wieder stärker in den Fokus der zeitgenössischen Architektur gerückt, da der Gesetzgeber jedem Kind in Deutschland seit 2013 einen rechtlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz garantiert.

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…und angenehm zurückhaltender Gestaltung.

Während in den östlichen Bundesländern dank der aus DDR-Zeiten überlieferten Betreuungsstrukturen meist ausreichende Kapazitäten vorhanden sind, besteht in den alten Bundesländern sowie in Großstädten mit wachsender Einwohnerzahl ein zum Teil beträchtlicher Nachholbedarf. Das rege Baugeschehen konzentriert sich schon lange nicht mehr nur auf Neubau, sondern bietet auch viele Beispiele für den Umgang mit Bestand. Ob eine alte Fabrikhalle, ein Parkhausdach oder leer stehende Ladenlokale – Platz für Kinder lässt sich mit gestalterischer Phantasie und planerischem Geschick nahezu überall schaffen. Sechs Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Architekten dieser Aufgabe gerecht werden.

Kinderhaus Freising: Ein Zentrum des Wachstums

Das Kinderhaus in Freising bei München entstand nach dem Entwurf des Büros nbundm* Architekten (München/Ingolstadt), der in dem 2010 ausgelobten Wettbewerb als Sieger hervorging. Das Ensemble ist in einem parkartigen Areal platziert, zwischen einer bestehenden Wohnsiedlung aus den 1960er-Jahren im Osten und einem zu Wohnzwecken umgewidmeten und baulich ergänzten Kasernenstandort. An diesem Ort wird es ganz von selbst zum belebten Zentrum eines neu geordneten Stadtviertels. Das Gefüge besteht aus fünf separaten, unterschiedlich großen Baukörpern, die Krippe, Kindergarten und Hort sowie Personal- und Mensabereich beherbergen und sich wie eine autarke Mini-Siedlung eng um eine gemeinsame, überdachte Piazza scharen.

Was wie feinsinnige städtebauliche Absicht aussieht, ist jedoch dem polygonalen Zuschnitt des Grundstücks geschuldet, dem die sternförmige Gebäudeanordnung folgt. Ihr ist es auch zu verdanken, dass jedes Haus gleich über drei Flanken mit der grünen Umgebung verbunden ist. Die Häuser für Krippe, Kindergarten und Hort orientieren sich zu dem nach Norden anschließenden Park mit seinem gewachsenen Baumbestand. Den südlichen, an der Straße gelegenen Abschluss bilden die Trakte für den Speisesaal und die Personalräume. Die baulich-strukturelle Kleinteiligkeit entspricht wie die interne Gestaltung dem Konzept der Reggio-Pädagogik, bei dem möglichst viele verschiedene und aktivierende Raumsituationen sowie unverstellte Ein- und Ausblicke eine große Rolle spielen. Dieses ideologisch unverdächtige Konzept, inzwischen eines der weltweit bekanntesten elementarpädagogischen Formate, geht auf sehr praxisorientierte Ansätze zurück, die erstmals in kommunalen Kindergärten im italienischen Reggio Emilia ausprobiert wurden.

Die separaten, schlichten Kuben signalisieren Zusammengehörigkeit durch ihre Gestaltung: helles Holz, freundliche, maßvolle Farbigkeit, große Fenster, viel freie Fläche. Die jeweiligen Spiel- und Bewegungsräume sind dem Alter ihrer jeweiligen Nutzer angepasst. So haben die größeren Kinder Zugang auf die Dachterrasse, während die Kleinen sich ebenerdig über viel Platz und die blaue Dreirad- und Bobbycar-Piste zwischen Schaukel und Sandkasten freuen.

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Von wegen behindert: In der Kita Sinneswandel hört man nicht nur die Kinder, sondern auch die Farben lachen. In den großzügig gestalteten Räumen auf drei Geschossen verbringen hörgeschädigte Kinder vom Krippen- bis zum Vorschulalter ihre Zeit mit Toben, Spielen und Lernen.

Kita Sinneswandel: Mit den Augen hört man auch

Nicht selten materialisieren sich sonderpädagogische Anforderungen in ihrer gestalterischen Umsetzung in einer gut gemeinten Rehabilitations-Atmosphäre. Die kommt zwar den besonderen Bedürfnissen ihrer Nutzer entgegen, wirkt in ihrer betonten Vorsicht jedoch schaumgebremst und überbehütend. Wie man den Ansprüchen gerade von kleinen Menschen mit einer Behinderung auch anders nachkommen kann, zeigt die Kindertagesstätte Sinneswandel in Berlin-Charlottenburg. Dort hat das ortsansässige, auf Kindereinrichtungen spezialisierte Büro baukind eine Integrationskita für hörgeschädigte Kinder gestaltet. Die Räume, verteilt über drei Geschosse, sollten fröhlich, heiter und kindgemäß werden und dennoch den besonderen Bedürfnissen von 65 gehörlosen Kindern im Alter von eins bis sechs genügen.

Weil die Kommunikation in diesem Kindergarten vor allem über visuelle Wahrnehmung läuft, lag das Hauptaugenmerk der Gestaltung auf klaren, unverstellten Sichtbeziehungen und einer optisch eindeutigen, farbstarken Signaletik. Entsprechend der vertikalen Organisation der Räume wurde ein Baum als Leitmotiv gewählt – er zieht sich von der Wurzel über den Stamm bis zur Krone vom Erdgeschoss bis in die zweite Etage. Jeder Ebene wurden dort lebende Tiere zugeordnet, nach denen auch die Kleingruppen benannt sind: Füchse, Hasen und Eichhörnchen. Für den Speisesaal im ersten Stock entwickelte das Büro eigene Möbel, die mit ihrer schlichten Kastenanmutung zu den robusten Holzeinbauten passen, die in den Räumen als Spiel- und Stauraum dienen. Im zweiten Stock, mithin in der Baumkrone, regieren Eule und Eichhörnchen über eine Tobe-, Kuschel- und Traumlandschaft, die sich über ein aus frei kombinierbaren Modulen bestehendes Podest erstreckt.

Kita Traumbaum: Willkommen bei Alice im Wunderland

Die überfällige Renovierung einer Kindertagesstätte in Berlin-Kreuzberg nutzte das Büro dieBaupiloten für eine atmosphärische Verzauberung des 1990 errichteten zweigeschossigen Gebäudes. Als Ausgangspunkt dieser Metamorphose diente der düstere Flur im Erdgeschoss, der bis dahin weder freundliche Empfangs- noch kindgerechte Aufenthaltsqualitäten vorweisen konnte. Dieser Bereich wurde zum zentralen, gemeinschaftsübergreifenden Kommunikationsflur umgewandelt, der mit seinen wild verschachtelten Wänden und dem überraschenden Licht- und Schattenspiel wie eine phantastische Traumkulisse wirkt. Dank der bühnenmeisterlichen Verknüpfung von raumbildenden Elementen und Licht lässt dieser Raum völlig vergessen, dass man es hier mit einem schlichten Zweckbau zu tun hat. Schräg installierte Gipskartonwände lassen einen prismatisch gebrochenen Raum entstehen; das Tageslicht wird über eigens installierte Reflektoren aus dem Atrium in den Flur gelenkt. Einer sinnlichen Überforderung beugen die sanften, cremigen Farben vor, in denen die aus robusten Textilien gefertigten, wie Blumenkelche geformten Sitzelemente leuchten. Sie laden zum Verweilen und Verstecken ein. Die Stimmung in diesem Bereich wandelt sich je nach Tageszeit und Sonnenstand und sensibilisiert die Kleinen selbst für die geringsten Änderungen. Wenn sie es genauer wissen wollen, ist es nicht weit bis nach draußen: Am Ende des Flurs öffnet sich eine weite Tür zum Garten.

 

Kinderhaus Franziskus: Licht und leicht

Das 2015 eröffnete katholische Kinderhaus Franziskus in Stuttgart-Kaltental ergänzt das bestehende Ensemble aus Kirche und Gemeindehaus und beherbergt in Ganztagsbetreuung nicht-schulpflichtige Kinder im Alter von eins bis sechs. Der Neubau mit einer Bruttogeschossfläche von 1.015 Quadratmetern ist ein dreigeschossiger, schlichter Kubus in leichter Holzständerbauweise. Seine südlich-heitere Anmutung verdankt sich den umlaufenden Balkonen, die dem mit unbehandelter Lärche verschalten Bau nicht nur Luftigkeit, sondern auch konstruktiven Holzschutz gewähren. Sie verwandeln sich an der etwas verschlossen wirkenden Eingangsfront zu Fluchttreppen.

Das Erdgeschoss mit Zugang zum Garten ist den gemeinschaftlich genutzten Bereichen wie Werkraum, Küche und Speisesaal vorbehalten; im ersten Obergeschoss befinden sich neben dem Foyer auch die beiden Gruppenräume für die Kindergartenkinder. Das zweite Geschoss beherbergt den Krippenbereich für die ganz Kleinen. Das Treppenhaus öffnet sich nach oben und dient damit nicht nur der Erschließung des Gebäudes, sondern sorgt auch für eine freundliche Belichtung. Dieser offenen Atmosphäre kommen auch die vielfältigen Blickbeziehungen zugute.

Kindergarten Wolke 10: Der Stadt aufs Dach steigen

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Phantastischer Überbau: Der Kindergarten Wolke 10 in Nürnberg, eine Konstruktion in Leichtbauweise, nimmt die zwei obersten Ebenen eines innerstädtischen Parkhauses ein und bietet viel Platz und begrünte Freiflächen.

Man kann es nicht anders sagen: Mit dem Kindergarten Wolke 10 in Nürnberg ist dem ortsansässigen Büro querwärts ein Coup gelungen. Denn der Neubau für 50 Kinder sowohl im Krippen- als auch Kindergartenalter befindet sich auf dem Dach eines Parkhauses. Dieses naturgemäß leblose Gebäude erwarb ein Musikalienhändler, dem recht bald auffiel, dass es an innerstädtischem Platz für soziale Zwecke fehlt. Seine Idee: Das Parkhaus, in dessen Erdgeschoss er seinen Laden betreibt, sollte zum Standort eines musikorientierten Kindergartens werden – und zwar ganz oben. Architekten und Bauherr mussten bei den Verantwortlichen in der Stadt zwar viel Überzeugungsarbeit leisten, doch nach weniger als einem Jahr Bauzeit war das Haus in leichter Holzständerbauweise errichtet. Der über einen eigenen Aufzug erreichbare Kindergarten verfügt mit 1.200 Quadratmetern Freifläche, sicherheitsgerecht von einer drei Meter hohen Mauer begrenzt, über reichlich Auslauf unter dem fränkischen Himmel. In der darüberliegenden Ebene erstreckt sich der längliche, mit großen Panoramafenstern versehene Neubau, der über eine Treppe mit dem Gartenbereich verbunden ist. Das Innere korrespondiert mit seiner klaren, in warmen Tönen gehaltenen Einrichtung mit dem holzverkleideten Äußeren. Die übersichtliche Raumstruktur hilft bei der Orientierung, und die großen Fenster erlauben einen weiten Blick über die Dächer Nürnbergs. Die kindgerecht gestalteten, bepflanzten Außenanlagen lassen vergessen, dass hier bis vor Kurzem der nackte Beton regierte. Was für ein Gewinn.

KinderUniversum/ KIT Karlsruhe: Vorschule für den Ernst des Lebens

Manchmal kommt man um neue Wortschöpfungen nicht herum. Und so lässt sich das Kinderuniversum in Karlsruhe vielleicht am besten mit „Architektenkindergarten“ beschreiben – ein Bau, der zumindest die Freunde des minimalistischen Sichtbetons frohlocken lässt. Das Berliner Büro Bruno Fioretto Marquez bekam im Zuge eines VOF-Verfahrens die Aufgabe, für das Karlsruhe Institute of Technology (KIT) eine Kindertagesstätte auf dem ­Universitätscampus zu errichten. Der 2013 fertiggestellte Neubau, ein viergeschossiger roher Quader, geriert sich inmitten der gewachsenen Bebauung als selbstgewisser Solitär und lässt zumindest in dieser ­Hinsicht keinen Verdacht aufkommen, dass es sich dabei um einen Kindergarten handeln könnte. Leider beharrt er auch im Inneren auf dieser extravaganten Pose. Ob die nackten Betonwände, die kühlen Oberflächenmaterialien und die Abwesenheit jeglicher Farbigkeit eine geschmacks­bildende Maßnahme sein sollen oder ­wirklich einer Art baukünstlerisch unbestechlicher Konsequenz geschuldet sind, bleibt hier offen. Wir hoffen auf furcht­losen Forschernachwuchs und buntes Spielzeug.

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