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Städtisch handeln

Filialketten, Center und das Internet bedrohen den innerstädtischen Handel. Doch es gibt auch Hoffnung: Geschäfte kehren von der grünen Wiese zurück. Alte Kaufhäuser werden neu belebt – und ausgerechnet Amazon, Google und Zalando suchen jetzt die physische Präsenz in der City

29.09.20159 Min. Kommentar schreiben
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Vorgesorgt: Die Stadt Iserlohn sicherte sich mit dem Kauf der Karstadt-Immobilie den Zugriff auf einen wichtigen Ort. Sie kann über dessen zukünftige Gestalt selbst entscheiden.

Text: Cornelia Dörries

In die Stadt gehen. So hieß es noch vor einer Weile, wenn kleine oder größere Besorgungen anstanden oder man sich den Nachmittag mit einem Schaufensterbummel vertreiben wollte. Aber das Einkaufen ist längst keine rein urbane Verrichtung mehr. Die neuen, virtuellen Verkaufs- und Vertriebsformen des Online-Shoppings scheinen die tradierte Einheit von Stadt und Warentausch aufzulösen und die einst im kleinteiligen Einzelhandel organisierten Abläufe von den Schaufenstern, Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen in virtuelle Web-Shops und entseelte Fracht- und Logistikzentren zu verlagern.

Doch der Innenstadt-Handel wandelt sich schon seit Jahrzehnten: Die Konzentration in Sortimenten wie Drogerie- und Kurzwaren, Elektro- und Haushaltstechnik sowie Lebensmitteln ließen nach und nach die kleinen inhabergeführten Fachgeschäfte aus der innerstädtischen Ladenzone verschwinden. Jetzt geben auch viele Anbieter von Büchern, Mode oder Spiel- und Sportartikeln auf, die der Konkurrenz von Filialketten bislang noch trotzen konnten. Auch eine weitere traditionelle Handelsform schrumpft: Hertie und Horten sind längst verschwunden; Karstadt hat die Schließung von elf Standorten bekannt gegeben. Große Kaufhaus-Konzerne sind der Macht der Center und der Konkurrenz des Internets so wenig gewachsen wie mittelständische Händler. Der deutsche Einzelhandelsverband HDE fürchtet, dass bis zum Jahr 2020 etwa 50.000 stationäre Einzelhändler schließen werden. Die Gründe für diesen historisch beispiellosen Aderlass sehen die Experten zum einen in der zögerlichen Bereitschaft und den begrenzten wirtschaftlichen Mitteln vor allem kleiner Händler, auch in den E-Commerce zu investieren. Zum anderen fehlt es in einer schrumpfenden, alternden Bevölkerung, zumal in kleinen und mittleren Städten, an hinreichender Nachfrage.

Dort kann man sich schon lange nicht mehr darauf verlassen, dass in die aufgegebenen Läden ein Nachfolger zieht; stattdessen sehen sich dort viele Kommunalpolitiker und Stadtplaner mit den Folgen eines „Trading Down“ konfrontiert: je lückenhafter der vormals kleinteilige Branchenmix, desto unattraktiver der ganze Standort für die Kunden. Bleiben sie irgendwann weg, müssen auch die letzten verbliebenen Geschäfte dichtmachen. Besonders gravierend wirkt sich für solche Orte die Schließung eines großen Frequenzbringers aus: Wenn die lokale Karstadt-Filiale schließt, geraten auch die kleinen Händler in der Nachbarschaft ins Strudeln. Weil der Einzelhandel vor allem in mittelgroßen Kommunen mit stagnierender oder abnehmender Einwohnerzahl und schwacher wirtschaftlicher Dynamik kein sicherer Wachstumsmotor mehr ist, bedarf es vielerorts alternativer Konzepte für die Entwicklung der Innenstädte.

Factory-Outlets – Fluch oder Segen?

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Schnäppchentown: Das Idyll in Bad Münstereife dient heute als Kulisse eines innerstädtischen Factory-Outlet-Konzepts.

Während attraktive Großstädte genug Sogwirkung nach innen entfalten, treten die Zentren in weniger attraktiven Kommunen nicht nur untereinander in Konkurrenz um Käuferscharen, sondern zunehmend auch gegen das Handelsformat „Factory Outlet Center“ (FOC). In der Ansiedlung von Fabrikverkaufsflächen für angesehene Markenhersteller sehen nicht wenige Bürgermeister die Rettung. Die verkehrsgünstig auf der grünen Wiese gelegenen Schnäppchen-Exklaven simulieren mit Fachwerk-imitaten, falschen Giebeldächern, Plätzen und Stadttoren jene städtischen Qualitäten, mit denen die zahlreich strömenden Kunden offenbar nach wie vor ein attraktives Verkaufserlebnis verbinden. In Deutschland buhlen derzeit elf FOC-Standorte um Käufer; Experten sehen mittelfristig noch Potenzial für mindestens 15 weitere.

Das vermeintliche Erfolgsformat mag kurzfristig Gewerbesteuern in die Kasse spülen; einer nachhaltigen Entwicklung der Innenstädte und ihrer Handelsstrukturen ist damit nicht gedient. Nach Ansicht von Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg werden lediglich Käuferströme zu Lasten anderer Gemeinden umgeleitet. Auch der HDE sieht die Entwicklung weiterer Outlets mit Skepsis. Denn sie ziehen vor allem jenen Standorten die Kunden ab, die ohnehin schon mit Kaufkraftverlusten und Umsatzrückgängen zu kämpfen haben. So ging es auch Bad Münstereifel. Das Städtchen in der Eifel hatte mit den landläufigen Problemen des Einzelhandels und der Schrumpfung des Kurbetriebs zugleich zu kämpfen und setzte für eine Schubumkehr ebenfalls auf das Erfolgsrezept Fabrikverkauf. Nur mit dem Unterschied, dass dafür kein Center vor den Toren der Stadt entstand, sondern private Investoren große Teile der Innenstadt mit damals beträchtlichem Leerstand in ein sogenanntes City-Outlet verwandelten. Die Bilanz ein Jahr nach der Eröffnung im Sommer 2014 sei erfreulich, ließ Joachim Will, Geschäftsführer der Branchenberatung ecostra, wissen. Das hat sich herumgesprochen: Kleinstädte wie Feuchtwangen, Dinkelsbühl und Oettingen hegen Ambitionen, ihre Innenstadt auch zum FOC umzuwidmen. Der Vorteil: Anders als Center auf der grünen Wiese muss man in kein Raumordnungskonzept passen und braucht in der Regel keine Bebauungspläne.

Doch als flächendeckendes Allheilmittel taugt das Konzept City-Outlet nicht. So betonte Will gegenüber der Immobilienzeitung, dass es sich um eine kleine ­Nische innerhalb des FOC-Marktes handele, die für international agierende FOC-Investoren mit hohen Renditeerwartungen aufgrund der limitierten baulichen Strukturen und der auf das Einzugsgebiet beschränkten Kaufkraftpotenziale uninteressant ist. Fachleute rechnen damit, dass das Factory-Outlet-Entwicklungsland Deutschland mit einer FOC-Fläche von 2,1 Quadratmeter pro Kopf innerhalb der kommenden zehn Jahre zu den euro­päischen Spitzenreitern Großbritannien (8,6 Quadratmeter) und Schweiz (10,1 Quadratmeter) aufschließen wird.

Dass kleinere Städte mit der Krise des Einzelhandels auch anders umgehen können, zeigt das Beispiel Iserlohn. Die Stadt im Sauerland mit ihren knapp 93.000 Einwohnern entschied schon im Sommer 2013, das seit 1967 bestehende Karstadt-Kaufhaus zu erwerben, obwohl der Betrieb nicht von der Schließungswelle betroffen war. Doch Thomas Junge, Leiter der städtischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung, betont, „man wolle das Zepter des Handelns in der Hand behalten“. Denn die Kaufhausimmobilie nimmt eine Schlüsselfunktion für die gesamte Innenstadt ein; ein Leerstand hätte fatale Folgen für das Zentrum mit einer noch intakten, über Jahrzehnte gewachsenen Einzelhandelsstruktur.

Mit dem Kauf des Karstadt-Hauses als Herzstück eines in die Jahre gekommenen, sanierungsbedürftigen Quartiers sichert sich Iserlohn die Gestaltungshoheit und kann das Haus selbst in die Planungen für eine Neuordnung der gesamten Innenstadt einbeziehen. Solche Strategien finden auch Anklang beim Branchenverband HDE. „Manchmal ist es sinnvoller, über Alternativen zu einer Einzelhandelsnutzung für leer stehende Flächen nachzudenken“, sagt Michael Reink, Bereichsleiter für Standort- und Verkehrspolitik. Er gehört nicht zu den Wachstumsbeschwörern, wenn es um taugliche Einzelhandelskonzepte vor allem für kleine und mittelgroße Städte geht: „Gerade an problematischen Standorten sind oft Nutzungen besser, die den vorhandenen Einzelhandel unterstützen.“ Das können neben publikumsträchtigen öffentlichen Angeboten wie Arztpraxen, Bibliotheken und Kultureinrichtungen auch Behörden mit hoher Besuchsfrequenz oder Dienstleistungen sein.

Ein ähnliches Konzept strebt auch Mönchengladbach an, wo die Karstadt-Filiale eigentlich Mitte 2016 schließen sollte. Doch nach der Übernahme des Hauses durch die stadteigene Entwicklungsgesellschaft bleibt das Kaufhaus bestehen und soll als attraktiver Einzelhandels- und Dienstleistungs-standort weiterentwickelt werden. Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg kommentierte den Fall Mönchengladbach mit einiger Skepsis: „Die Stadt geht auf jeden Fall ein hohes Risiko ein. Denn ob der verkleinerte Karstadt noch ausreichend kritische Masse hat, um auf Dauer zu bestehen, ist ungewiss.“

Weniger Sorgen indes müssen sich die Verantwortlichen in den attraktiven Universitätsstädten und Metropolen des Landes machen. So verzeichnen die sogenannten Big Seven – München, Stuttgart, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Hamburg und Berlin – nicht nur ein dynamisches Bevölkerungswachstum, sondern auch erfreuliche Handelsumsätze sowie eine vielgestaltige Mixtur aus großen Filialisten und gut gehenden Kaufhäusern, individuellen Boutiquen in Gestalt von Concept-Stores und temporären Pop-up-Formaten sowie allen möglichen Varianten des Multi- und Omnichannel-Handels. E-Commerce und stationäre Strukturen ergänzen einander.

Wenn dort, wie jüngst in der Stuttgarter Königstraße, ein Kaufhaus schließt, bleibt das für den Handelsstandort ohne traurige Folgen. So konstatiert Joachim Stumpf von der BBE Handelsberatung in München: „Die Verwertungschancen für Handelsimmobilien in solchen Lagen sind sehr gut.“

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Vom Kaufhaus zum Wohn- und Geschäftshaus: Die lange leerstehende Hertie-Filiale in Berlin-Moabit wurde erfolgreich wiederbelebt und ist wieder ein städtischer Ort.

Welche Nutzungsalternativen aufgegebene Handels-standorte bieten, lässt sich am Beispiel eines ehemaligen Hertie-Kaufhauses in Berlin-Moabit besichtigen, das im Zuge der Firmeninsolvenz im Jahr 2009 geschlossen wurde. Während viele der insgesamt 73 Hertie-Häuser nach mehr oder weniger langen Phasen des Leerstands mit neuen Sortimenten als reine Kaufadresse wiedereröffneten, wurde die Immobilie in der Turmstraße komplett umgebaut und beherbergt nun neben Geschäften und Restaurants auch 46 Wohnungen, für die das Berliner Büro Thomas Müller die ehemaligen Verkaufsetagen neu strukturiert und gestaltet hat. Darüber hinaus verweisen neue Trends im Einzelhandel, zumal in Regionen mit wachsender Bevölkerungszahl, auf eine wachsende Nachfrage nach Innenstadt. Zum einen hat eine restriktivere Genehmigungspraxis der Kommunen dazu geführt, dass die Verkaufsflächen auf der grünen Wiese nicht weiter wachsen, zum anderen drängen neue Akteure in die Stadt. „Es gibt nicht wenige Händler, die von der grünen Wiese zurück in die Innenstädte streben“, sagt Experte Reink vom HDE. „So geht beispielsweise bei Media Markt oder Saturn der Flächenbedarf tendenziell zurück. Diese Anbieter könnten als potenzielle Nutzer der leer stehenden Karstadt-Flächen infrage kommen.“ Auch den E-Commerce zieht es in die Fußgängerzone. Klassische Onlinehändler wie Amazon oder Zalando eröffnen Ladengeschäfte, und sogar ein Internet-Gigant wie Google mietet sich für den analogen Kundenkontakt im Elektrofachmarkt Saturn ein.

Mit einer Verkaufsfläche von durchschnittlich etwa 8. 000 Quadratmetern in bester Innenstadtlage sind klassische Warenhäuser auch attraktiv für den Lebensmittelhandel oder lassen sich, wie die einstige Karstadt-Filiale in Hamburg-Altona, sogar für Möbelhäuser wie Ikea umwandeln. Der schwedische Konzern hat hier mit der Eröffnung seines weltweit ersten innerstädtischen Standortes dafür gesorgt, dass die dahinsiechende Große Bergstraße zu neuem Leben erwacht ist. Kleine Einzelhändler und Cafés siedelten sich an; die Gegend ist spürbar lebendiger geworden. Sogar ein eigenes Verkehrskonzept wurde erarbeitet, um die fehlenden Anfahrts- und Parkplatzmöglichkeiten quartiers- und umweltverträglich zu kompensieren. Die Kunden transportieren ihre Möbeleinkäufe nun nicht mehr im eigenen Auto nach Hause, sondern mithilfe von Lastenfahrrädern, Handwagen oder Miettransportern. Für dieses Pionierprojekt wurde Ikea mehrfach ausgezeichnet; auch vom deutschen Einzelhandelsverband. Dort hofft man auf mutige Nachahmer.


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