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Stark in späten Phasen

Es gibt erfolgreiche Architekten, die freiwillig aufs Entwerfen verzichten – und sich ganz auf Ausschreibung, Baumanagement und Überwachung konzentrieren.

30.06.201610 Min. Kommentar schreiben

Text: Frank Peter Jäger

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Ist der Entwurf die architektonische Kür, sind die heiklen Leistungsphasen danach nur noch eine lästige Pflicht – Kostenplanung, Ausschreibung, Vergabe und vor allem die Objektüberwachung und Bauleitung? Das sieht der Kölner Architekt Michael Stein ganz anders: „Die Leistungsphasen 6 bis 8 sind entscheidend für das Gelingen eines Bauvorhabens. Davor findet es am Schreibtisch statt, mit der Leistungsphase 8 geht es ans Bauen und man hat es mit Menschen zu tun.“ Er beschäftigt rund 20 Architektinnen, Architekten und Bauingenieure und bearbeitet nahezu ausschließlich diese Phasen, mit Schwerpunkt in der Objektüberwachung. Er wird tätig für die Katholische Kirche, Wohnungsbaugesellschaften und andere private und öffentliche Auftraggeber, zudem für Architekturbüros, die einen Partner zur Umsetzung ihres Wettbewerbserfolges suchen. Für Peter Zumthor betreute Stein bis 2010 die Errichtung des Kölner Kunstmuseums Kolumba. Stein, mittelgroß, grauhaarig, Anfang 50, erinnert sich lebhaft an den hohen handwerklichen Anspruch und die zahlreichen baulichen Unikate des Schweizers – denkt aber auch gerne daran zurück, denn er konnte Zumthors Anspruch auf der Baustelle umsetzen.

Warum spezialisiert man sich auf einen kräftezehrenden, risikoreichen Job, für den am Ende andere die Lorbeeren gereicht bekommen? Stein reagiert auf diese Frage mit ähnlichen Worten wie die anderen Gesprächspartner: „Mit der Zeit bin ich immer mehr in diese Aufgabe reingewachsen.“

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Michael Stein: „Die Leistungsphasen 6 bis 8 sind entscheidend für das Gelingen des Bauvorhabens“, weiß der Kölner Architekt.

Bauverzug durch zu viel Tempo

Nach 25 Jahren Berufserfahrung kennt er viele Gründe, warum Bauprojekte aus dem Ruder laufen, aber einer davon scheint ihm der allerwichtigste und er kommt wie aus der Pistole geschossen: „Baubegleitende Planung.“ Eine Baustelle also, die schon läuft, während die Planung und damit auch Ausschreibung und Vergabe noch lange nicht abgeschlossen sind. Fast alle Bauherren drückten heute aufs Tempo; in einer solchen Konstellation sei Ärger regelrecht programmiert, betont Stein. „Am besten hat man die Vergaben zu 70 bis 80 Prozent abgeschlossen, bevor man in die Leistungsphase 8 einsteigt. Er habe aber in letzter Zeit nur einen einzigen Auftraggeber gehabt, bei dem es auch so gehalten wurde. „Wenn vor Baubeginn ein Großteil der Submissionsergebnisse vorliegt, gewinne ich an Kostensicherheit, und je präziser die Ausschreibungen, desto weniger Angriffspunkte gibt es später für Nachträge.“

Wenigstens die Schlüsselgewerke mit starker Abhängigkeit zu anderen Gewerken im Zeitplan der Baustelle sollten zu Baubeginn vollständig ausgeschrieben sein. Da viele seiner Auftraggeber dem öffentlichen Vergaberecht nach VgV unterliegen, muss er die zu beauftragenden Leistungen nach dessen Regularien durchführen. Diese aber führen in Steins Projekten immer wieder zu vermeidbaren Reibungen.

Günstige Anbieter, die die Kosten treiben

Stein hat inzwischen einen Blick für Angebote von Firmen, die nicht auskömmlich kalkuliert sind und nur wirtschaftlich werden, wenn man von vornherein auf umfangreiche Nachträge spekuliert. Ebenso fallen ihm häufig Angebote auf, die zwar den formalen Kriterien entsprechen, bei denen die Firmen den Aufgaben aber fachlich höchstwahrscheinlich nicht gewachsen sind. Wenn er dann zur Vergabe einen anderen als den günstigsten Anbieter empfiehlt, dann habe die Auftraggeberseite häufig „nicht den Mumm“, dieser Empfehlung zu folgen und den billigsten Anbieter abzulehnen. Ihr sitzt die Vergabestellen im Nacken, die rein nach Aktenlage entscheiden und weder Anbieter noch Anforderungen des Auftrags kennen. Zudem fürchten viele Vertreter der öffentlichen Hand wegen des öffentlich einsehbaren Submissionsprotokolls eine Klage des nominell günstigsten Anbieters – und die sich daraus ergebenden Verzögerungen bei der Vergabe.

Bei einem Kulturbauwerk in Nordrhein-Westfalen, das Stein betreut, war die Herstellung und Montage einer stählernen Dachkonstruktion zu vergeben. Obwohl dem günstigsten Bieter bereits bei anderen öffentlichen Bauvorhaben aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit gekündigt worden war, musste er als Bieter mit dem niedrigsten Preisgebot erneut beauftragt werden.

Im Laufe mehrmonatiger, kräftezehrender Auseinandersetzungen mit dem Unternehmen zeigte sich, dass der Auftragnehmer bereits mit Erstellung der Werkplanung überfordert war. Auch die spätere Ausführung wies gravierende Mängel auf. Schon in dieser Phase entstand eine mehrmonatige Verzögerung. Michael Steins Vorschlag, der Firma zu kündigen, wurde erst spät gefolgt. Die anschließende gutachterliche Bewertung der erbrachten Leistungen, die Neuausschreibung und Überarbeitung der Konstruktion führten zu weiterem Verzug – wodurch sich die Fertigstellung des betreffenden Gebäudeteils um mehr als ein Jahr verzögerte. Er erlebt das oft: Ein Unternehmen tritt schon früh zweifelhaft in Erscheinung, doch der Bauherr zögert lange, energisch durchzugreifen; und oft muss dem Unternehmen Monate später dann doch gekündigt werden oder es wird insolvent.

Bieter im Büdchen

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Dirk Bohnstedt: Der Abteilungsleiter Baumanagement profitiert vom „großen Pool an Erfahrungen, auf die wir zurückgreifen können“.

Zunehmend hat Stein den Eindruck, dass das öffentliche Vergabewesen dubiose Anbieter regelrecht anzieht. Als man unlängst einen großen Fensterauftrag ausgeschrieben und an den mindestfordernden Bieter vergeben hatte, stellte sich bei Prüfung der Adresse heraus, dass der Sitz des Unternehmens ein Kiosk war, ein „Büdchen“ wie man in Köln sagt, und die Firma aus nur einer Person bestand.

Das präsentierte Musterfenster war technisch einwandfrei. Die dann angelieferten Fenster ließ der Ein-Mann-Fensterbauer unangekündigt und bevorzugt an Wochenenden dutzendfach einsetzen. So wurde die Bauleitung mehrfach vor vollendete Tatsachen gestellt, um dann festzustellen, dass die Fenster von weitaus schlechterer Qualität und zudem fehlerhaft montiert waren.

Andere Probleme treten vor allem bei den Massengewerken auf – Trockenbau, Malerarbeiten, Putzarbeiten. Hier wird die Leistung oft von Subunternehmen erbracht, deren Befähigung kaum jemand prüfen kann. Die Einzelvergabe von Leistungen sei – bei aller Chancengleichheit – zugleich eine Gefahr für den Bauprozess: „Jeder zusätzliche Projektbeteiligte erhöht das Risiko für den Projektverlauf“, sagt Stein. Ein „Riesenvorteil“ sei dagegen die Objektüberwachung im Auftrag privater Investoren, die im Rahmen beschränkter Ausschreibungen ihre Einzelgewerke oder Generalunternehmer frei wählen könnten. Die Bauherren müssten aber entscheidungsfreudig sein und sich beraten lassen.

Gegenseite klopft Ausschreibungen ab

Von den Vorzügen erfahrener, professioneller Bauherren profitiert der Architekt Dirk Bohnstedt bei der Mehrzahl seiner Projekte. Der 52-Jährige leitet im Frankfurter Büro KSP Jürgen Engel Architekten die zwölfköpfige Abteilung „Baumanagement“. Bohnstedt und sein Team bearbeiten zentral für alle vier deutschen Niederlassungen des derzeit 260 Mitarbeiter zählenden Büros diesen Teil der Projekte. Mitarbeiter in den inländischen Zweigbüros sowie externe Nachunternehmer, die mit Bauüberwachungen beauftragt worden sind, arbeiten ihm zu.

Warum arbeitet man bei KSP Jürgen Engel so? Sein Vorteil gegenüber den Planungsteams, so Dirk Bohnstedt, sei die Routine und die Wiederholung. Zum Beispiel bei der Kostenschätzung: „Unser Datenfundus bietet uns einen grossen Pool an Erfahrungswerten, auf die wir zurückgreifen können – das gibt uns Sicherheit in der Kalkulation und in der Bewertung der Submission“, erklärt der Architekt. Aber natürlich geht es um mehr als fundierte Berechnungsgrundlagen und Erfahrung. Wenn ein Unternehmen es mit den Nachträgen zu dreist treibt, haben Bohnstedts Bauherren immerhin die Freiheit, den Anbieter beim nächsten Projekt schlicht auszuschließen. Steins Eindruck von öffentlichen Bauherren teilt er: „Bloß keine formalen Fehler machen, bloß keine unpopulären Entscheidungen treffen.“ Wenn die Probleme dann eskalieren, sucht man die Schuld bevorzugt bei den Planern. Dirk Bohnstedt vergibt bei den privatwirtschaftlichen Projekten Leistungen in der Regel als Pakete an General-Unternehmer, seltener an Einzelgewerke. Das reduziert deutlich die Zahl der Projektbeteiligten – und damit die Koordinationsrisiken. Aber er weiß, dass die GUs seine Ausschreibungen sorgfältig und „mit hoch qualifizierten Leuten, zum Teil auch schon mit Juristen“ auf Ungenauigkeiten und Schwachstellen absuchen, an denen sie später ansetzen können.

Als Hauptsünde der Bauherren macht Dirk Bohnstedt wie Michael Stein falsche Schnelligkeit und parallel bearbeitete Leistungsphasen aus. Sprengstoff für Kosten- und Terminrahmen sind zudem nachträgliche Änderungswünsche des Bauherrn. Weil Bohnstedt aber die Risiken, die Interessenlage und die Tricks der Auftragnehmer kennt, ist KSP Jürgen Engel Architekten mit der internen Baumanagement-Abteilung über die Jahre recht gut gefahren.

Stützungsprozess im Büro des TGA-Planers

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Stefan Beck: Der Berliner Architekt muss in Notfällen externe Planer „regelrecht über die Ziellinie tragen“.

Stefan Gräf, studierter Bauingenieur, war für den Generalübernehmer Züblin tätig, bevor er vor 17 Jahren mit der IGP Ingenieur AG sein eigenes Unternehmen gründete. 240 Mitarbeiter arbeiten heute an drei deutschen Standorten für das Unternehmen. Ein leitender Mitarbeiter ist der Architekt Stefan Beck, der viele Jahre für Baumschlager Eberle gearbeitet hat.

Die IGP AG ist im gleichen Segment wie Stein Architekten und Dirk Bohnstedt von KSP tätig, mit dem Unterschied, dass Gräfs Unternehmen – meist von Bauherrenseite – engagiert wird, wenn Projekte in Schieflage geraten sind. Es komme vor, erinnert sich Stefan Beck, dass sogar einzelne Planer „regelrecht über die Ziellinie getragen werden“. So im Fall eines TGA-Planers, der mit einem Projekt völlig überfordert war. Jede Woche fuhr ein Mitarbeiter von IGP in sein Büro, um dort die Mitarbeiter anzuleiten und die nächsten Schritte vorzubereiten. „Stützungsprozess“ nennt Gräf diese Praxis, Fachleute in die Planungsunternehmen zu entsenden. Manchmal reiche das nicht – dann sei es unvermeidlich, die bisherigen Fachplaner oder ausführenden Firmen ganz abzulösen.

IGP rechnet oft seine Leistungen auch nach Aufwandskalkulation ab, also den voraussichtlich notwendigen Mitarbeiterstunden, sowie nach HOAI. Stefan Gräf hatte eine Zeit lang einen Lehrauftrag an einer Fachhochschule inne und gewann den Eindruck, dass die Architektenausbildung kaum noch auf die Ausführung hin orientiert ist.

„Architektur ist aber mehr als ein guter Entwurf; es darf nicht der Bezug zum Bauprozess verloren gehen.“ Jedoch, fügt Gräf zur Ehrenrettung der Architekten an, habe er es weitaus häufiger mit überforderten TGA-Planern als mit ratlosen Architekten zu tun. Und wie Stein und Bohnstedt wissen auch Gräf und Beck ein Lied zu singen von Entscheidungsproblemen des Bauherrn; nicht selten erleben sie eine unglückliche Kombination aus übereilter Planung und fehlenden Entscheidungen.

Die Projekthoheit verteidigen

Ist die tradierte Vorstellung, dass ein Architekt sein Bauprojekt durch alle Leistungsphasen hindurch betreut, überhaupt noch zeitgemäß, vor allem bei großen oder komplexen Projekten? „Doch, das ist sehr zeitgemäß“, sagt Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer Berlin. „In jedem Fall müssen alle Leistungsphasen bei den Architekten bleiben. Das ist der wichtigste Kampf, den wir in den nächsten Jahren führen werden!“, betont Edmaier. Professionalität und Erfahrung in Baumanagement-Aufgaben haben in ihren Augen daher auch eine berufspolitische Dimension, weil sie das Ansehen der Architekten stärkten. Nach wie vor betreuen nicht wenige Kollegen ihre Bauten durch alle Leistungsphasen. Wenn aber ein Architekturbüro ein anderes beteilige, oder sich Büros auf Bauausführungen spezialisierten, dann finde sie das nicht weniger begrüßenswert. Denn, so Edmaier: „Wir müssen die Realität anerkennen, dass Büros mit wenig Baumanagement-Erfahrung es vorziehen, diese Leistungen an Kollegen abzugeben.“ Das ist ihr ungleich lieber als die Perspektive, die Architekten in Zukunft auf bloße Architekturdesigner reduziert zu sehen, die mit der Leistungsphase 4 die Projekthoheit an einen Generalübernehmer abgeben müssen, wie es in vielen Ländern schon Realität ist. „Wir stehen aber für eine andere Kultur – und werden uns dafür einsetzen, dass Architekten und Architektinnen bis zum Schluss bestimmen, wie ihr Entwurf verwirklicht wird.

Frank Peter Jäger Dipl.-Ing. Stadtplanung,ist Redakteur beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) in ­Zürich, ­Journalist und Buchautor.

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