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Statt Abriss: Die Häuserretter sanieren Fachwerkhäuser und Scheunen

Baufällige Scheunen oder leer stehende Fachwerkbauten haben viel Charme, aber oft wenig Fürsprecher. In Brandenburg nehmen sich eine Architektin und ein Zimmermann seit Jahren solcher Bauten an – und zeigen mit viel Durchhalte­willen, Herzblut und der richtigen Technik, was selbst bei scheinbar hoffnungslosen Fällen noch möglich ist

28.04.202212 Min. Kommentar schreiben

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Rettungskräfte“ im Deutschen Architektenblatt 05.2022 erschienen.

Von Nils Ballhausen

Die Architektin Kiri Westphal und der Zimmermann Mats Ciupka nennen sich selbst „Häuserretter“. Ihr Motiv ähnelt engagierten Naturschützern, die verletzte Wildtiere aufpäppeln. Nordöstlich von Berlin finden die Häuserretter ruinöse historische Gebäude, darunter viele Baudenkmäler, die ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt sind. Bevor sie kollabieren oder beseitigt werden, nehmen sich Westphal und Ciupka ihrer an. Über dreißig erhaltenswerte Häuser konnten sie bereits sichern, ertüchtigen und an neue Nutzer vermitteln.

Erst Sicherung, dann Konzept und Förderung

„Alte Bausubstanz löst oftmals Befürchtungen aus. Schon die restauratorische Unter­suchung und Dokumentation eines Baudenkmals erzeugt Kosten, aber die Bauherren ­stehen danach immer noch vor einem unbewohnbaren Gebäude. Das kann frustrieren“, sagt Kiri Westphal, die sich in ihrem Büro hauptsächlich mit Sanierung im Bestand und Denkmalschutz beschäftigt. „Wir können die Substanz realistisch einschätzen und gehen notfalls auch in Vorleistung.“

Mats Ciupka verfügt über mehr als dreißig Jahre praktische Sanierungserfahrung und führt – quasi als Erste Hilfe – die dringlichsten Sicherungsmaßnahmen in Eigenregie durch. Auch ungefragt, wenn er sieht, dass niemand sonst sich kümmert. Ist ein Bauherr für das alte Haus gefunden, wird ein Sanierungskonzept erarbeitet und Fördergeld akquiriert, um die Arbeit zu verstetigen. Je nach Bewilligungszeitraum und Höhe der Eigenmittel wird repariert und restauriert, im Schnitt braucht es drei bis fünf Jahre, jährlich etwa zwei Monate am Stück pro Bauvorhaben. Das Ziel: einen intakten Rohbau zu übergeben.

Sanierung eines alten Fachwerkhauses
Die Sanierung eines der letzten neun Vorlaubenhäuser Brandenburgs in Lüdersdorf dauerte von 2015 bis 2019. Das Fachwerk des 330 Jahre alten Denkmals stellte Mats Ciupka nach Zapfenlochbefund wieder her. Die marode Untermauerung des seitlichen Erdgeschosses baute er zurück. Im Bild: Einbau des Ecklaubenstiels mit acht gezapften Verbindungen.

Systembrüche am Haus ablesbar

Beim aktuellen Häuserretter-Projekt in Bruchhagen, einem Ortsteil der Stadt Angermünde, sind das Land Brandenburg, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und der Landkreis Uckermark involviert. In der Denkmal­liste stehen das Herrenhaus, ein Angestellten-Wohnhaus, ein Großviehstall, die Zufahrt und der Park sowie die Straßenpflasterung. Der funktionale Zusammenhang des Ensembles ist nur noch zu erahnen. „Die Systembrüche 1945 und 1989/90 haben Gebäuden wie diesem besonders zugesetzt“, sagt Mats Ciupka. Nach der Enteignung der Gutsbesitzer und teils rabiaten Zweckentfremdungen zu DDR-Zeiten seien viele dieser abgewirtschafteten Immobilien nach der Wiedervereinigung hastig verkauft worden, was vielerorts zu irrwitzigen Grundstücksteilungen, komplizierten Eigentumsverhältnissen und Ratlosigkeit in der Lokalpolitik führte. Nachdem sich niemand für das verputzte Fachwerkhaus begeistern ließ, erwarben Ciupka und Westphal es selbst, was die Rettung erleichterte.

„Herrenhaus, erbaut um 1800“ steht in der Denkmalliste, „Konsum“ am Portal. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hier viele kleine Räume für Vertriebene eingebaut. Als Schwesternwohnheim habe es später gedient, heißt es, aber eben auch als Kaufladen. Gut vier Meter hohe Räume, die typische „schwarze Küche“ mit Mantelschornstein ist noch vorhanden. Die repräsentative, ungewöhnlich steile Holztreppe: verbrettert. Der mächtige Dachstuhl zeigt Spuren von Gauben, die einer späteren Eindeckung zum Opfer gefallen sind. Im Gewölbekeller stehen Baustützen, um das notwendige Stützkonstrukt im Erdgeschoss zu verstärken, das wiederum die Deckenbalken hält. Der Bau ähnelt im Inneren einer archäologischen Stätte.

Sanierung von unten nach oben

Von außen besehen: ein schiefes Gebiss, das dringend gerichtet werden muss. „Wir gehen immer von unten nach oben vor, weil sich der Dachstuhl durch die Reparatur der Tragstruktur noch bewegen wird“, erklärt Ciupka. Wenn eine zerstörte Schwelle ausgetauscht werden muss, wird die Fassade mit Stützen abgefangen, die Gefache werden mit Spanngurten gesichert, dann das Fundament darunter so weit abgetragen, dass die neue Schwelle passgenau unter die Stiele mit Zapfen geschoben und hydraulisch angehoben werden kann. Danach wird das Fundament wieder aufgemauert. Das Holzfachwerk wird akribisch auf Schäden untersucht und ausgebessert, seien es ganze Balken oder handtellergroße Passstücke. Für jede Außenwand sind zwei Monate Bauzeit einkalkuliert.

Ist dieses radikal entschleunigte Vorgehen, das die Originalsubstanz fast wie eine Reliquie verehrt, überhaupt wirtschaftlich? „Ja“, sagen die Häuserretter, denn ein Haus in dieser Größe, Bauweise und Qualität neu zu errichten, kostet ein Vielfaches der Sanierungskosten. Zudem denken sie in anderen Zeiträumen: „Unsere Motivation besteht darin, die Existenz eines schönen Hauses um hundert Jahre oder mehr zu verlängern.“ Häuserretten ist wertegeleitetes Handeln. Als ich die Baustelle verlasse, schallt von dort wieder Musik durch die leeren Straßen von Bruchhagen: erst Schubert, dann Punkrock. Und beides passt.


Kiri Westphal und Mats Ciupka

„Wir sichern diese Häuser für die nächste Generation“

Kiri Westphal und Mats Ciupka im Interview über lokales Know-how, strukturelle Mankos und gefährliche Häuser

Interview: Nils Ballhausen

Frau Westphal, Herr Ciupka, die Nachfrage aus den Metropolregionen nach Immobilien auf dem Land und in den Kleinstädten ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Welche Veränderungen haben sich für Sie als Häuserretter ergeben?

Westphal: Die Häuser, mit denen wir uns beschäftigen, haben weiterhin ihre speziellen Probleme: unauffindbare Erben, Grundschulden oft noch in Goldmark, Zwangsverwaltung, insolvente Baufirmen und diverse Gläubiger oder andere Komplikationen. Von solchen Häusern gibt es noch viele. Oft ist ihr Zustand ruinös, das Grundstück winzig oder absurd geschnitten. Also bleiben sie unberührt.

Ciupka: Häufig sind die Eigentümer auch nicht auffindbar und reagieren nicht auf die Anschreiben der Kommunen. Dabei bleibt es dann oft. Aus datenschutzrechtlichen Gründen darf der Eigentümer auch nicht bekannt gegeben werden. Das erschwert die Recherche nach den Ansprechpartnern und die Häuser verfallen weiter, weil sich niemand zuständig fühlt. Wir bleiben dann dran.

Und wenn sich niemand diese Mühe macht?

Ciupka: Dann steht irgendwann ein Bauzaun auf dem Gehweg davor, weil es als „Gefahrenhaus“ gilt. Manchmal zeigt ein Nachbar die Gefahr an und die Kommune ist dann verpflichtet, diese Gefahr, und seien es nur ein paar lose Dachziegel, abzuwehren. Wenn die Behörde niemanden zur Verantwortung ziehen kann, wird das Haus früher oder später abgerissen. Wir haben 2018 in Greiffenberg und in den letzten Jahren auch in Angermünde, Crussow, Oderberg und in Lüdersdorf im Landkreis Märkisch-Oderland an mehreren Häusern mit Schildern auf dieses Problem hingewiesen und uns dadurch nicht gerade beliebt gemacht. Abgerissen wurde trotzdem.

Sehen Sie eine Überforderung der Kommunen?

Ciupka: Die Ämter können oder wollen diese langwierigen Recherchen nicht leisten. Auch mögliche Käufer aus der Metropole verlieren allzu schnell das Interesse. Viele möchten das Objekt lieber auf dem Tablett serviert bekommen, als sich selbst darum zu kümmern. Statt sich zu beklagen, es gebe zu wenig Immobilienangebote oder nur überteuerte, sollten Interessenten sich engagieren und eigene Nachforschungen anstellen. Zumal die Recherche ja nicht nur mit dem Gebäude, sondern auch mit dem Ort, seiner Geschichte und den Leuten in der Nachbarschaft verbindet. Mit den Großstädtern kommen jetzt Menschen aufs Land, die die alte Substanz schätzen und Qualitäten erkennen, die Einheimische leicht übersehen.

Woran liegt das?

Westphal: In vielen Kommunen gelten diese ortsbildprägenden, aber aus den genannten Gründen höchst problematischen Immobilien als Schandfleck. Warum sollte man sich darum noch kümmern? Abriss und Neubau wirken auf den ersten Blick wie Fortschritt. Die bauliche Qualität eines historischen Gebäudes und seine Bedeutung für den Ort werden zu selten erkannt. Selbst die unter Schutz stehenden Häuser haben nicht die entsprechende Lobby. Die Denkmalbehörde, die das Wissen hat und in diesem Sinne agieren könnte, ist chronisch unterbesetzt. Dabei fordern unsere Denkmalgesetze den aktiven Eingriff der Kommunen, sofern Eigentümer ihrer Pflicht zu Pflege und Erhalt eines Denkmals nicht nachkommen. Aber Sicherungsmaßnahmen verursachen Kosten, die sich ohne eine konkrete Entwicklungsperspektive scheinbar nicht rechtfertigen lassen.

Ciupka: Auch die Regularien des Bauens machen es de facto immer schwieriger, sich mit alter Bausubstanz ernsthaft zu befassen. Bauherren und Handwerker wollen wegen der Gewährleistung lieber neu bauen statt ortstypisch und nachhaltig. Die Kataloghäuser an den Dorfrändern sprechen für sich. Und welcher Statiker berechnet ein Feldsteinfundament, das vielleicht schon seit dreihundert Jahren hält? Eher wird für Zehntausende Euro eine neue Pfahlgründung geplant. Wir erleben eine Bauindustrie, die an der Schonung der Ressourcen nicht interessiert ist.

Wie gehen Sie damit um?

Westphal: Wir ermutigen unsere Bauherren, sich frei zu machen von diesen Zwängen. Die DIN-Welt hat sicher ihre Berechtigung, aber bei unseren Bauvorhaben ist es hin und wieder besser, man stellt die Fachplaner und Verarbeiter frei von Haftung und vertraut auf altbewährte Methoden.

Führt die gestiegene Nachfrage aus dem Ballungsraum zu Problemen?

Ciupka: Oft beklagt man sich im Dorf, dass die zugezogenen Städter den Rasen nicht akkurat mähen, am Sonntagabend wieder verschwinden und sich nicht ins Dorfleben einbringen. Übersehen wird dabei, dass diese Leute sich den Ort über einen längeren Zeitraum aneignen möchten, um eines Tages ihren Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen. So werden die Dörfer und Kleinstädte nachhaltig gestärkt mit Menschen, die sich hier wohlfühlen. Am Beginn dieses Prozesses steht meist ein Haus, um das man sich kümmert. So war es übrigens auch bei uns. Um die Kommune auch finanziell zu unterstützen, wäre es hilfreich, wenn der Erstwohnsitz aufs Land verlegt würde.

Westphal: Für solche „schwierigen“ Gebäude ist es gut, wenn man Zeit mitbringt, also nicht in sechs Monaten die schlüsselfertige Übergabe erwartet, sondern in sinnvollen Abschnitten saniert. Die Reihenfolge wird vom Zustand der Substanz vorgegeben. Welche Schäden müssen zuerst behoben werden, welche sind nicht ganz so dringlich? Das schrittweise Vorgehen erleichtert außerdem die Finanzierung, die bei Baudenkmälern mitunter von Angst geprägt ist. Wichtig ist uns auch die Eigenleistung. Wer selbst Hand anlegt, verbindet sich stärker mit einem Haus, weil dabei jede Ecke angefasst wird.

Passen sich die Bauherren dem Haus an oder ist es umgekehrt?

Ciupka: Wir haben beobachtet, dass Bauherren anfangs viele eigene Ideen in das alte Haus einbringen wollen – einen Wanddurchbruch hier, eine Fensteröffnung dort –, am Ende aber wieder bei der ursprünglichen Raumstruktur landen. Das wurde ja alles bereits durchdacht und lange Zeit erprobt: wo das Sonnenlicht zu welcher Jahreszeit hineinfällt, durch welche Fenster die Landschaft am besten zu sehen ist, wo Herd und Öfen stehen müssen, welches Baumaterial dauerhaft und gut für das Raumklima ist. Gravierende Überformungen wie Dachterrassen oder große Glasflächen würden meist zu Problemen führen, etwa zu Überhitzung, was wiederum Energie für die Kühlung erfordert.

Ist diese hyperregionale Strategie auch in anderen Regionen anwendbar?

Westphal: Ja, sofern man sich in der jeweiligen Region vernetzt und mit dem Material arbeitet, das die Region bietet. Probleme entstehen dann, wenn überregionale Ausschreibungen gefordert sind, weil die öffentliche Hand oder Fördermittel im Spiel sind. Wenn dann das preiswerteste Angebot aus großer Entfernung kommt, geht der Bezug zum Know-how der lokalen Handwerkerschaft und Baustoffhändler verloren. Die vermeintliche Kostenersparnis wird jedoch meist von Nachträgen aufgefressen und bei einer späteren Reklamation ist niemand mehr vor Ort. Bei den Vergaberichtlinien muss sich insofern dringend etwas ändern!

Wo sehen Sie den Gesetzgeber sonst noch in der Pflicht?

Westphal: Wir fordern seit Langem ein Verbandsklagerecht bezogen auf die Belange des Denkmalschutzes. So wie Naturschutzverbände für bedrohte Tier- oder Pflanzenarten vor Gericht ziehen können, so müssten Baudenkmäler, die laut Gesetz gesellschaftsrelevant sind, ebenso gegen Einzelinteressen juristisch geschützt werden können.

Ciupka: Zumal oft schon kleine Maßnahmen genügen, um ein Gebäude vor weiterem Verfall zu bewahren und an spätere Generationen zu übergeben, denen wahrscheinlich etwas Besseres einfallen wird als ein Abriss. Wer weiß, ob man angesichts der gegenwärtigen Förderung regionaler Landwirtschaft nicht bald wieder Scheunen und Ställe gebrauchen kann? Momentan wird hier viel zu kurz gedacht.

Westphal: Hinderlich ist auch die Kopplung von Fördermitteln an eine Nutzung. Es kann schließlich nicht aus jedem alten Gutshaus ein Tagungszentrum gemacht werden. Die Sicherung und der Erhalt für die nächste Generation müssen im Vordergrund stehen. Ein weiteres strukturelles Manko ist, dass die Fördermittel jedes Jahr neu beantragt werden müssen. Dadurch fehlt jegliche Planungssicherheit. Wenn die Gelder dann auch noch erst im Frühjahr genehmigt werden, haben die Bauunternehmen das Jahr bereits weitgehend verplant.

Ciupka: Unsere Projekte sind meist Fachwerkbauten, sie benötigen einen relativ präzisen Vorlauf. Lehm lässt sich eigentlich nur in den warmen Monaten gut verarbeiten, das Holz wird im Winter geschlagen und sollte vor dem Einbau zwei, drei Jahre trocknen. Wäre es zu frisch, würde es sich verziehen und man müsste warten, bis es sich im Fachwerk wieder gesetzt hat.

Wie wirken sich der aktuelle Rohstoff­mangel und die unterbrochenen Lieferketten auf Ihre Arbeitsweise aus?

Ciupka: Wir sind relativ frei davon. Unser hiesiges Sägewerk hat seine Preise gehalten, die Kosten für Lehm sind stabil geblieben, nur die Transportkosten sind leicht gestiegen. Leider wurden auch bei uns in den letzten Jahrzehnten sämtliche Ziegeleien und viele Gleise stillgelegt. Aber es spricht gegenwärtig alles für kurze Wege und regionales Bauen. Wäre es politisch gewollt, die Entsorgungskosten in die Materialpreise einzubeziehen, dann wäre der Erhalt von alter Bausubstanz immer preiswerter als ein Neubau.

Westphal: Im Zeichen von Krieg und Corona zeigen sich die Schwäche der Globalisierung und die Abhängigkeit von Märkten und Lieferketten. Regionales und nachhaltiges Bauen wird wieder zukunftsfähig. Sanieren im Bestand ist ressourcenschonend und nachhaltig. Mit jedem Anstieg der Baupreise steigen nun auch die Überlebenschancen unserer „Pro­blemfälle“.

 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Nachhaltig.

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