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Tag der Architektur 2022: zurück vom Virtuellen ins Gebaute

Nach zwei Jahren, in denen die Veranstaltungsformate aufgrund der Pandemie eingeschränkt waren, zog es Architekturinteressierte nun wieder in die ganz realen Häuser, die zum Tag der Architektur 2022 besichtigt werden konnten

Von: Lars Klaaßen
Lars Klaaßen betreut als freier Redakteur vor allem Interviews und...

15.07.202210 Min. Kommentar schreiben

 

Endlich wieder präsent – die Freude darüber schwang bei den Besucherinnen und Besuchern wie bei den Organisierenden am Tag der Architektur 2022 mit. Unter dem Motto „Architektur baut Zukunft“ luden im Juni zahlreiche Büros zu Projektbesichtigungen ein. Nach zwei Jahren, die durch Corona-Einschränkungen und damit durch Online-Angebote geprägt waren, bot die bundesweite Veranstaltungsreihe nun wieder explizit eine Gelegenheit, Projekte direkt vor Ort zu besichtigen. An vielen Orten diskutieren Interessierte mit Architektinnen und Architekten zudem über die komplexen Anforderungen an unsere gebaute Umwelt.

Baden-Württemberg: Update im Bestand, Behnisch in der Retrospektive

Zu Fuß, mit dem Bus oder mit dem Rad kamen zahlreiche Architekturinteressierte am 25. Juni dann etwa in Baden-Württemberg zu den präsentierten Projekten. Bauen und Sanieren bestehender Gebäude lautete der Schwerpunkt des diesjährigen Aktionstages, „BESTÄNDig BAUen” das Motto dazu. Auf dem Programm standen dabei zahlreiche Projekte des herausragenden Stuttgarter Architekten Günter Behnisch, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, darunter seine Schul- und Hochschulbauten in Göppingen, Dettingen, Ulm und Freiburg. Ein Kino in Baden-Baden zeigte den Film „Häuser machen Menschen. Der Architekt Günter Behnisch“, den Klaus Doldinger 1994 für den NDR gedreht hatte. Dieser lief auch im Rathaus Heidenheim, zusammen mit drei weiteren Filmen. Dort wurden zudem die Ergebnisse des gerade entschiedenen städtebaulichen Realisierungswettbewerbs zum Rathausquartier kommentiert. Obwohl der Tag der Architektur nach langer Pandemie-Zurückhaltung mit vielen Parallelveranstaltungen konkurrieren musste, waren die Angebote oft ausgebucht.

 Der Schulcampus Schäfersfeld, entworfen von Günter Behnisch, der dieses Jahr 100 geworden wäre
Baden-Württemberg: Günter Behnisch wäre dieses Jahr 100 geworden. Einige Projekte von ihm konnten daher wiederentdeckt werden: Schulcampus Schäfersfeld, Lorch. Foto: Christian Kandzia

Bayern: Nachhaltigkeit und ein Schloss zum Mieten

167 Projekte an 114 Orten wurden am sogenannten Architektouren-Wochenende in Bayern besucht. Besonderen Wert hatte der unabhängige Beirat bei der Auswahl der Projekte auf das Thema Nachhaltigkeit gelegt. Das stieß auf reges Interesse. So ließen sich gut 1.200 Besucherinnen und Besucher von Architekt Stephan Koch die Generalinstandsetzung von Schloss Geltofing zeigen, in dem heute 14 Mietwohnungen Platz finden. Es fanden Bustouren statt und bis ins kommende Frühjahr wird die Wanderausstellung Architektouren 2022 gezeigt.

Auch die kinderArchitektouren regten zur nachhaltigen Auseinandersetzung mit der Architektur an: Dank eines Faltbogens und mithilfe eines Anleitungsvideos entstanden und entstehen „Gwachse“, die alten Pappen oder Milchkartons zu neuem Leben verhelfen und die Welt ein bisschen bunter machen. Alle 167 in diesem Jahr präsentierten Projekte sind weiterhin online abrufbar.

Berlin: Kultur, Wohnen und Freiraum am Tag der Architektur

Mit einem Podiumsgespräch zum Thema „Stadtquartiere als Vernetzungsbeispiele“ und der Vorführung des Films „Die Architekten“ (DDR 1990) in Anwesenheit des Regisseurs Peter Kahane hatte der Tag der Architektur in Berlin gleich einen doppelten Auftakt. Am 25. und 26. Juni wurden Termine bei 81 Projekten und 36 offenen Architekturbüros angeboten. Ob bei der Erkundung der auf einem alten Trümmerberg entstandenen „Himalaya”-Gebirgslandschaft im Tierpark Berlin, im zum Kulturhaus mit Gastronomie und Beherbergung umgenutzten Steglitzer Gefängnis „The Knast“, bei Quartiersführungen wie dem in Holzmischbauweise errichteten „Quartier Wir” in Weißensee oder der interaktiven Ausstellung „Wald.Berlin.Klima“ der Berliner Forsten im Grunewald: Das Interesse war so enorm, dass viele der über 10.000 Besuchenden sich einen zweiten Tag der Architektur im Jahr wünschten.

Nicht nur in den Innenstadtbezirken begegnete sich das Publikum, auch Treptow-Köpenick konnte mit „revisited“ viele Architekturinteressierte zu Führungen locken. Das neue Format will die künftig je ein Spotlight auf einen der Außenbezirke richten. Den Anfang macht Treptow-Köpenick. Neben fünf neuen sind dort auch fünf Projekte zu sehen, die bereits in der Vergangenheit beim Tag der Architektur dabei waren. Zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren wurde der Wohnungsbau von Platz Eins verdrängt. Wenn auch nur knapp war die Kategorie Sozial-, Kultur- und Bildungsbauten 2022 stärker vertreten. An dritter Stelle folgten landschaftsarchitektonische Projekte, was in der Hauptstadt als erfreulich wahrgenommen wurde, nachdem Freiraum 2021 gar nicht im Programm vertreten gewesen war.

Brandenburg: Holz und Energie

Auf besonderes Interesse in Brandenburg stießen Führungen durch Einfamilienhäuser, vor allem, wenn sie aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz errichtet und mit modernen Energieerzeugungsanlagen ausgestattet waren. Holzbauten stellten ein Drittel der gezeigten Projekte. Das Thema ging über Wohnungsbau hinaus, etwa in Luckenwalde mit einem dreigeschossigen Hort: Das Holzgebäude für 250 Kinder bietet eine offene Spiellandschaft mit vielfältigen Erlebnisbereichen, wie einer Kletterwand oder einem Kinderrestaurant mit Experimentierküche. Die „Villa Lustig“ in Kleinmachnow – auch ein Schülerhort – nutzt schon lange ein Doppelhaus der Sommerfeldsiedlung. In einem Update wurde der Bestand aus den 1930er Jahren respektvoll saniert und eine moderne hölzerne Erweiterung eingefügt, mit der die Transformation vom Wohn- zum Kinderhaus ablesbar wird.

Ebenfalls umgenutzt ist eine Remise in Wiesenburg, die früher als Stall und Scheune diente. Die offenen Ebenen auf denen etwa Heu gelagert wurde, bieten nun Raum für Wohnen, Essen und Schlafen. Eine geothermische Wärmepumpe und eine Photovoltaikanlage plus Batteriespeicher erzeugen Heizenergie und Strom. In der Brandenburgischen Broschüre werden die 39 Projekte und drei offenen Büros des diesjährigen Tages der Architektur vorgestellt.

Kühe fressen im Mutterkuhstall in Clausthal-Zellerfeld
Niedersachsen: Mutterkuhstall in Clausthal-Zellerfeld, Schulte Maron Architekten. Foto: Bettina Höll

Bremen: Den Tag der Architektur mit dem Rad geschickt kombinieren

Im Nordwesten wurde darauf gesetzt, dass viele Besucher mit dem Fahrrad unterwegs sein werden. In der Regel ließen die Objekte sich ohne vorherige Anmeldung besichtigen, sodass die individuellen Routen frei und spontan zusammengestellt werden konnten. Wer die einzelnen Stationen geschickt kombinierte, konnte bis zu vier Führungen über den Tag verteilt besuchen. 18 Objekte in Bremen und drei in Bremerhaven nahmen am Tag der Architektur teil – vom Erweiterungsbau des Auswandererhauses in Bremerhaven bis zum neuen Klimaquartier Ellener Hof in Bremen-Osterholz.

Hamburg: Blicke in die Zukunft und in die Vergangenheit

In diesem Jahr hat der Tag der Architektur und Ingenieurbaukunst auch in Hamburg wieder mit Führungen vor Ort stattgefunden: zu Hochbauten und Ingenieurbauwerken sowie Touren zu historischen und aktuellen Themen der Stadtentwicklung und Architektur. In der Rubrik „Zeitzeugen“ präsentierten Planerinnen und Planer Projekte, deren Fertigstellung 25 Jahre oder länger zurückliegt. Premiere hatte 2022 der „PROJEKTOR – Der Tag der Architektur und Ingenieurbaukunst für junge Leute“. Planungsbüros luden Kinder und Jugendliche zu sich ein, um mit ihnen in eigens entwickelten Aktionen selbst Architektur und Ingenieurbaukunst herzustellen und ihnen einen Einblick in ihre Arbeit und ihren Berufsalltag zu geben.

Hessen: offene Türen aus drei Jahren Tag der Architektur

Über die 69 Projekte der Innen-, Landschafts- und Hochbau-Architektur hinaus, die 2022 von einem Expertengremium ausgewählt wurden, war in Hessen auch eine ganze Reihe von Bauten aus den Jahren 2020 und 2021 für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Hierbei thematisierten die Planer Aspekte der Nachhaltigkeit, der Re­ssourcenschonung und der Kreis­lauf­wirt­schaft ebenso wie die Realisierung bau- und wohnungspo­li­ti­scher Ziele. Die gezeigten Projekte reichen von Wohnhäusern über Schulen und Kitas bis zu Verwaltungs- und Kulturbauten. Alle Projekte können zusätzlich virtuell auf den Baukultour-Seiten der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen besichtigt werden.

Mecklenburg-Vorpommern: Touren, Filme, Diskussionen

An mehreren Standorten in Rostock, Stralsund, Greifswald, Anklam, Neubrandenburg, Schwerin und Ludwigslust tauschten sich Interessierte mit Expertinnen und Experten über Architektur und Baukultur in Mecklenburg-Vorpommern aus. Dort konnten nicht nur Neubauten besichtigt werden, sondern darüber hinaus wurden thematische Stadtrundgänge, Radtouren, Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen durchgeführt.

Das sogenannte „Haus aus Häusern“ in Beelen, von innen beleuchtet
Nordrhein-Westfalen: „Haus aus Häusern“ in Beelen, Architekten Spiekermann. Foto: Frank Vinken

Niedersachsen: Stoffkreisläufe für einen kleineren Fußabdruck

Das Thema Nachhaltigkeit rückte am Tag der Architektur 2022 in Niedersachen in den Vordergrund und damit auch die wachsende Bedeutung von Holzbauten, Stoffkreisläufen und des ökologischen Fußabdrucks des Bauens. Die Angebote der „ArchitekturZeit“ reichten von Stadtführungen auf dem Rad bis hin zu Vorträgen zur Geschichte einzelner Stadtquartiere. Zahlreiche Institutionen, Museen, Galerien, Verbände und Vereine machten sich mit diversen Veranstaltungen für die Vielfalt von Architektur und Baukultur stark. Online sind die Projekte aus Niedersachsen und aus Bremen weiterhin zugänglich: insgesamt 110 Objekte an 54 Orten.

Nordrhein-Westfalen: boden- und ressourcenschonendes Bauen

Rund 10.000 Interessierte wollten in Nordrhein-Westfalen endlich wieder Architektur live vor Ort erleben. Dort waren am Tag der Architektur 139 Objekte geöffnet: private Wohnhäuser und Bürogebäude, Bildungsbauten und Gebäude anderer Nutzungen, außerdem Quartiere, Privatgärten und Parks. Gezeigt wurden Neubauten, aber auch zahlreiche Bestandsgebäude, die saniert, modernisiert oder weiterentwickelt worden waren.

Einen Schwerpunkt bildeten die Herausforderungen des Klimawandels: Wohnungsbau als Nachverdichtung und Sanierungsobjekte sowie gute Beispiele für boden- und ressourcenschonendes Bauen standen besonders im Fokus des Interesses. Alle Objekte der Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung, die in diesem Jahr zu sehen waren, können weiterhin über eine Internet-Datenbank mit Fotos und vielen Detailangaben abgerufen werden. Dort lässt sich auch nach Städten selektiert recherchieren.

Rheinland-Pfalz: auch für Wein gebaut

Nach zwei Jahren digitaler und hybrider Formate öffneten 57 baufrische Projekte in Rheinland-Pfalz ihre Türen. Die Vorzeichen standen auf nachhaltigem und klimagerechten Bauen, vom kleinen Anbau bis zum Großprojekt. Das Spektrum der Bauaufgaben umfasste Privathäuser, Miet- und Eigentumswohnungen, Bauwerke für Büro und Verwaltung, für Schule und Bildung, für Kunst, Handwerk und Gewerbe, für die Weinwirtschaft und den Tourismus, bis hin zu Freianlagen.

Saarland: Feuerwehr im Holzbau

Von der Umnutzung eines Fördermaschinenhauses über eine Co-Working-Space-Halle bis zu einer Werksfeuerwehr in Holzbau präsentierten sich im Saarland 14 Projekte. Die Objekte werden auch online vorgestellt, das Booklet lässt sich auch nach dem Tag der Architektur noch herunterladen.

Besucher am Tag der Architektur im Neubau der Mensa des Ökumenischen Domgymnasiums Magdeburg
Sachsen-Anhalt: Knapp 40 Teilnehmer ließen sich von Architekt Prof. Ralf Niebergall am Tag der Architektur durch den Neubau der Mensa des Ökumenischen Domgymnasiums Magdeburg führen. Großflächige Verglasungen und ein Glaserker bringen Licht in die Speiseräume, die im Obergeschoss um eine Terrasse erweitert sind. Foto: Jana Halbritter

Sachsen: auch Wassermanagement am Tag der Architektur im Blick

Das Programm in Sachsen umfasst rund 60 Objekte, offene Büros und Veranstaltungen wie Führungen, Besichtigungen, Ausstellungen und andere Events. Viel diskutierte Themen waren bezahlbarer Wohnraum und lebenswerte Quartiere. Grünräume und Biodiversität fanden mit Blick auf das Stadtklima und die Umsetzung eines nachhaltigen Wassermanagements Aufmerksamkeit. Auch Bauaufgaben wie Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden spielten eine relevante Rolle. Alle Projekte werden auch nach dem Tag der Architektur online präsentiert.

Sachsen-Anhalt: Bildungsbauten und Baustellenbesuche

Mehr als 35 Objekte konnten in Sachsen-Anhalt zum Tag der Architektur 2022 „in aller Öffentlichkeit“ in Augenschein genommen werden. Nach zwei digitalen Jahren war und ist der unmittelbare Austausch auch dort hoch erwünscht. Das Angebot spiegelte gleichermaßen zeitgenössische Gestaltung sowie Umsetzungsstrategien nachhaltiger Planung und Nutzung. Es zeigte Beispiele für gelebte Denkmalpflege und die besondere Herausforderung, Vorhandenes weiterzudenken. Mit elf Führungen war Halle (Saale) dieses Jahr Spitzenreiter. Geöffnet wurden landesweit unter anderem Bildungsbauten wie Museen, und Gedenkstätten, Kindergärten und Schulen. Auch Baustellenbesuche waren Teil des Programms. Zu den Projekten kann man sich auch jetzt noch jederzeit begeben – zumindest virtuell.

Schleswig-Holstein: mit Stadtplatz und Aussichtsturm

Den neu gestalteten Stadtplatz vor der Lessinghalle in Kiel und den 2021 errichteten Aussichtsturm am Yachthafen auf Fehmarn können Interessierte sich auch unabhängig vom Tag der Architektur angucken. Bei vielen anderen der 28 Projekte in Schleswig-Holstein ist dies nicht möglich. Entsprechend groß war die Zahl der Besucher, die in diesem Jahr wieder die Möglichkeit hatten, sich Häuser ganz real von Innen anzusehen, die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Eindrücke von den einzelnen Objekten kann man auch jetzt noch im Web gewinnen.

Thüringen: Strohballenhaus und Heizwerk machten neugierig

In Thüringen wurden an den 54 Objekten mehr als 4.000 Interessierte und Architekturfans gezählt. Vor Ort erläuterten die Planenden ihre jüngsten Arbeiten, oft in Bauwerken, die sonst nicht zugänglich sind. Das Feedback war durchweg positiv. Zu den größten Anziehungspunkten mit je mindestens 300 Besucherinnen und Besuchern zählten das Strohballenhaus in Weimar, die Kaufmannskirche und das Heizwerk in Erfurt sowie die Niedermühle in Kapellendorf. Alle Objekte, die in diesem Jahr zum Tag der Architektur zu sehen waren, sowie zahlreiche weitere Projekte in Thüringen und von Thüringer Architekt(inn)en können dauerhaft im Architekturführer Thüringen mit Fotos, Plänen und vielen Detailangaben abgerufen werden.

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