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Thoraschrein statt Trafo

Vom Umspannwerk zur Synagoge: Die Konversion von Gotteshäusern ist keine Einbahnstraße.

01.12.20074 Min. Kommentar schreiben
Kreative Umnutzung von Industriearchitektur: Erhalten bleibt die Raumstruktur. Die würdevolle Schwere der horizontalen Raumstreifen ist durch Lichtfugen aufgelockert.

Dr. Jürgen Tietz

Die Bauten der Berliner Elektrizitätsversorgung, die beim Aufstieg der Stadt zur „Elektropolis“ im frühen 20. Jahrhundert entstanden, gelten seit Jahren als gute Beispiele für eine kreative Umnutzung von Industriearchitektur. Eine Tradition, die der einstige Energieversorger Bewag begonnen hat und die nun auch von seinem Erwerber Vattenfall fortgeführt wird. Der Phantasie sind auf diesem Gebiet kaum Grenzen gesetzt, denn die einstigen Industriehallen bieten nicht nur Platz für Hightech-Arbeitsplätze oder das Wohnen im Denkmal. Das Umspannwerk an der Münsterschen Straße in Berlin-Wilmersdorf dokumentiert nun eine der interessantesten Umnutzungen eines alten Bewag-Gebäudes: Seit September dient es als Bildungs- und Familienzentrum der jüdisch-orthodoxen Chabad-Lubawitsch-Vereinigung samt Synagoge.

Der Bau entstand 1922 nach Entwurf von Otto Hanke als Umspannwerk. Mit seiner klassizistischen weißen Pilasterfassade samt Dreiecksgiebel gab es sich von außen nicht als technisches Bauwerk zu erkennen, sondern fügte sich harmonisch in die Villenbebauung in der Nähe des Kurfürstendamms ein.

Bei dem aktuellen Umbau durch das Berliner Architekturbüro nps Tchoban Voss blieb denn auch die alte Fassade des Hauses fast unverändert erhalten. Lediglich eine neue, prägnante Eingangsachse hat der Architekt Sergei Tchoban eingefügt, die sich vom historischen Bestand abhebt: Es ist eine plastische Glaswand aus punktgehaltenen dreieckigen Scheiben in Weiß und Blau, die eine Erinnerung an die Fahne Israels mit Davidsstern wachruft.

Von der einstigen technischen Nutzung und Ausstattung ist im Inneren des Hauses ist heute nichts mehr zu sehen. Erhalten blieb jedoch die Raumstruktur, der Tchoban in gewohnt anspruchsvoll-souveräner Manier eine neue Gestaltung verliehen hat. Dabei ist eine interessante Mischung aus organisch-geschwungener Nierentischreminiszenz im Eingangsbereich und Art-déco-Nachklang im eigentlichen Gebetsraum entstanden. Elegant geschwungen zeigt sich der Eingangstresen, ebenso das großzügige Sitzmöbel mit seinem roten Bezug im Foyer. Gleich daneben hat Tchoban ein gleichfalls bohnenförmig geschwungenes multifunktionales Garderoben- und Vitrinenmöbel platziert, dessen Form auch von den Lichtelementen an der Decke aufgenommen wird.

Spannungsvoller Raum: Von der einstigen technischen Nutzung und Ausstattung ist im Inneren des Hauses nichts mehr zu sehen.

Die Synagoge selbst wird durch eine Bruchsteinwand eingefasst. Sie ist aus jenem goldgelben Stein gefügt, aus dem auch die Klagemauer in Jerusalem besteht. Ihre unterschiedlichen Bearbeitungsspuren lassen eine interessante, haptisch wirkende Textur entstehen und geben dem Foyer im Zusammenklang mit den geschwungenen Möbeln eine reizvolle Wirkung. Zwei Flügeltüren führen in den zentralen Gebetsraum, der Platz für 250 Gläubige bietet. Tageslicht erhält er nur durch ein Okulus in der Decke. Ansonsten sind die Wände nahezu vollständig mit dunklem Nussbaumholz verkleidet. Breite Streifen mit einer horizontalen Bänderung gliedern die hohen Wände. Das verleiht dem Raum eine würdevolle Schwere. Im Kontrast dazu sorgen die über die Wände verteilten schmalen Lichtfugen für eine Auflockerung und unterstreichen zugleich die noble Raumwirkung. Eng aneinander gereiht, sind die Sitzplätze mit ihrem roten Bezug streng auf die Rückwand des Raumes mit dem Thoraschrein und dem davor platzierten Lesepult ausgerichtet. An der nicht mit Holz verkleideten Rückseite des Andachtsraumes ist die Frauenempore eingefügt, die vom Obergeschoss aus erschlossen wird.

Die Synagoge bildet zwar den zentralen Raum des Gemeinde- und Familienzentrums der Chabad Lubawitz, doch das Haus ist zugleich ein neuer jüdischer Treffpunkt in Wilmersdorf. So schließt sich rückwärtig ein Café an, dessen Tresen dynamisch geschwungen die Formensprache des Foyers aufnimmt. Neben einer Mikwe, dem traditionellen jüdischen Ritualbad im Untergeschoss, ergänzen Konferenz- und Festräume sowie eine Bibliothek in den Obergeschossen das Nutzungsangebot des Hauses, das eine geradezu atemberaubende Transformation vom Industriedenkmal zum Gebetsort erlebt hat.

Buchtipp

Hans Achim Grube: New Power

Das Buch zeigt neben dem Umbau des Umspannwerks auch anhand weiterer aktueller Beispiele, welches Potenzial das Erbe der Elektropolis Berlin für Um- und Nachnutzer ­bietet. 28 Euro, 128 Seiten, Jovis Verlag.

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