Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Treffpunkt Ortsmitte“ im Deutschen Architektenblatt 03.2025 erschienen.
Ortsmitte Mitwitz: Eine Halle in Lowtech
An der Hauptstraße der Marktgemeinde Mitwitz unweit von Coburg klaffte nach dem Abriss eines Fachwerkhauses eine Lücke. Eigentlich nichts Besonderes – doch der junge Bürgermeister sah das Potenzial, den Ort als neue Mitte der 2.850 Einwohner zählenden Gemeinde umzugestalten. Städtebaufördermittel standen bereit.
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Im oberfränkischen Mitwitz entstand anstelle eines abgerissenen Altbaus ein Pavillon aus lokalem Käferholz als Projekt der Hochschule Coburg.
Stefan Meyer
Design-Build-Projekt der Hochschule Coburg
Ein Glücksfall, dass an der Hochschule Coburg im Rahmen eines Design-Build-Projektes zugleich Ausschau gehalten wurde nach einem konkreten Ort im ländlichen Raum, der „repariert“ werden könnte. Verwendet werden sollte dafür Käferholz aus der Region, das in den letzten Sommern zahlreich angefallen ist.
So fanden Gemeinde und Hochschule zusammen, und 13 Teams aus angehenden Architektinnen und Bauingenieuren machten sich unter Leitung der Professoren Markus Schlempp und Martin Synold an die Arbeit. Am Ende wählte eine unabhängige Jury unter Beteiligung des Gemeinderates einen Entwurf aus.
Er nimmt die Umrisse des Vorgängerbaus auf, interpretiert sie aber als halb offene Halle neu. Auf rund 100 Quadratmetern ist nun Platz für Marktstände, kleine Feste und Versammlungen oder schlicht einen Unterstand für diejenigen, die auf den Bus warten.
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Die neue Mitte im fränkischen Mitwitz bietet Platz für Märkte, zum Feiern und zum Warten auf den Bus.
Stefan Meyer
Einfache Bauprodukte und Bauweise
Lowtech lautet dabei die Devise – die Konstruktion sollte weitgehend lokal und ohne hoch verarbeitete Produkte entstehen. Vom Gießen der Fertigteil-Fundamente über den handwerklichen Abbund der Balken, das Aufrichten der Dreigelenkrahmen bis zur Deckung mit transparenten Polycarbonatplatten, die unter einem Lattenrost verschwinden, war das Team aus rund zehn Studierenden mit von der Partie.
Sogar ein effektvolles Lichtkonzept, in aufwendigen Mock-ups getestet, konnte umgesetzt werden. Die Platzgestaltung, die auch das benachbarte Ärztehaus mit einbezieht, übernahm das Landschaftsarchitekturbüro freiraumpioniere aus Weimar.
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Schwarzplan der Ortsmitte von Mitwitz mit dem Neubau.
Cosima Kaiser
Holzbau von Studierenden selbst gebaut
Das studentische Team, darunter ein gelernter Tischler, baute die Konstruktion am Ende tatsächlich selbst – die Ausschreibung der Handwerksleistungen hatte der Gemeinde nämlich nur überhöhte Angebote eingebracht. Es fand sich aber ein Zimmermann, der Technik und Sachverstand beisteuerte.
Cosima Kaiser sagt stellvertretend für die Gruppe: „Zu sehen, wie unsere Ideen praktisch realisiert werden und Gestalt annehmen, ist fantastisch.“ Die Gemeinde, als „Tor zum Frankenwald“ an einer kreativen Holznutzung besonders interessiert, ist sehr zufrieden und wirbt heute auf ihrer Webseite mit dem markanten Gebäude in ihrer neuen Mitte.
Ortsmitte Rottenbach: Der Bahnhof als Treffpunkt
Ähnlich stolz auf die geschaffte Veränderung ist man 50 Kilometer nördlich von Mitwitz, am „Tor zum Schwarzatal“, wie sich die kleine Stadt Königsee nennt.
Vom Bahnhof in ihrem Ortsteil Rottenbach zweigt eine touristisch sehenswerte Strecke in den Thüringer Wald ab – das historische Bahnhofsensemble selbst war aber arg vernachlässigt. Die Kommune erwarb es und einer lokalen Initiative gelang 2014 mit der Idee seiner Reaktivierung früh die Aufnahme in die IBA Thüringen (Thema: Perspektive StadtLand).
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Eine lokale Initiative erreichte im thüringischen Rottenbach mithilfe der IBA Thüringen die Reaktivierung ihres vernachlässigten Bahnhofs.
Atelier ST
Neuer Gemeindesaal neben dem historischen Bahnhof
Inmitten der Hügellandschaft gibt das Ensemble eine so harmonische Szenerie ab, „wie man sie als Kind nur von seiner Modelleisenbahn kennt“, schreibt das Architektenpaar von Atelier ST aus Leipzig, das hier wortwörtlich zum Zuge kam.
Nachdem das Hauptgebäude bereits vom baubüro lehniger aus Gotha (nach Ideen von Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar und der HTWK Leipzig) zu einem schmucken Bahn-Hofladen für regionale Produkte umgebaut worden war, ersetzte Atelier ST nun das marode Toilettenhäuschen neben dem Bahnhof durch einen kleinen Gemeindesaal, vom Fußabdruck gerade so groß wie die Mitwitzer neue Mitte. Auch hier prägt Holz traditionell das Baugeschehen, gepaart mit Schiefer aus lokalen Brüchen.
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Der kleine Gemeindesaal neben dem Bahnhof ist ein Ort der Begegnung geworden.
Thomas Müller
Dach mit regionaltypischem Schiefer eingedeckt
Der einstöckige Neubau ordnet sich mit flachem Walmdach dem Bahnhofsgebäude unter und übernimmt von dort auch Duktus und Farbgebung. Allerdings verkleiden grau lasierte Dreischichtplatten die rationell auf einem Raster von 1,25 Metern aufgebaute Konstruktion, die sich in roten Deckleisten und Kassetten abzeichnet. Nur das bergend auskragende Dach, das auch einer sommerlichen Überhitzung vorbeugt, ist mit Schieferplatten bekleidet.
Der Saal nimmt im Inneren fast den gesamten Baukörper ein. Der hell lasierte offene Dachstuhl zeigt ehrlich Sparren und stählerne Abspannungen über einem dunkel gehaltenen Betonboden. Für den leichten Bau genügten Streifenfundamente. Alles ist bewusst einfach gehalten. Und wie im Vorgängerbau gibt es wieder zwei Toiletten gleich am Eingang.
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Lageplan des Bahnhofs im thüringischen Rottenbach mit dem neuen Gemeindesaal (grau hervorgehoben)
Atelier ST
Bahnhof erfolgreich wiederbelebt
Auch hier entstand also eine angemessene, multifunktionale Mitte (Landschaftsarchitektur: atelier le balto, Berlin). Als die Allianz pro Schiene das Ensemble unlängst zum „Bahnhof des Jahres“ kürte, hieß es in der Begründung: „In Rottenbach hat das große Engagement der Bürger einen Bahnhof erfolgreich wiederbelebt. Entstanden ist ein toller Ortsmittelpunkt, von dem Bewohner und Reisende gleichermaßen profitieren.“
Ortsmitte Ruitsch: Steinerner Bürgertreff vor Felskulisse
Ein solcher Bürgertreff fehlte auch im 520 Einwohner kleinen Ort Ruitsch, einem Stadtteil von Polch westlich von Koblenz. Zunächst wollte man diesen auf der grünen Wiese bauen, wo hier die A48 ziemlich laut vorüberdröhnt – doch im Rahmen der Dorfmoderation entschied sich die Stadt glücklicherweise, den Treff ähnlich wie in Mitwitz anstelle eines alten Hauses im Ortskern zu errichten.
„Off’m Eck“, sagt man hier – und so heißt denn auch der Bürgertreff heute. Bei einer beschränkten Ausschreibung bekam die junge Architektin Vanessa Neukirch aus Trier den Auftrag, den sie durch alle Leistungsphasen realisierte.
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Der neue Bürgertreff in Ruitsch war erst auf der „grünen Wiese“ geplant. Im Rahmen einer Dorfmoderation entschied sich die Gemeinde aber doch für die Ortsmitte als Standort.
Rolf-Erich Rehm / Patty Neu
Schlichter Baukörper auf kleinem Grundstück
Hier in der Eifel ist Stein das prägende Baumaterial, genauer: Schiefer. Gleich hinter dem kaum 200 Quadratmeter kleinen Bauplatz ragt ein Fels daraus empor. Den galt es zunächst zu stabilisieren. Sodann überbaute die Architektin das Areal mit einem schlichten traufständigen Baukörper, der sich in das Straßenbild einfügt, sogar unter den First des Nachbarn duckt. Er nimmt im raumhaltigen Dach den neuen, mit sechs Metern Höhe erstaunlich großzügigen Saal auf. Im Hof, wo zuvor eine Scheune stand, birgt ein Flachbau die Nebenräume.
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Der Gemeindesaal in dem kleinen Gebäude wirkt mit sechs Metern Höhe erstaunlich großzügig.
Rolf-Erich Rehm / Patty Neu
Fassade aus Schiefersteinen
Das Grundstück wird so fast komplett überbaut. Die einzige Fassade des Neubaus, die nach Süden zur Straße weist, verkleidete Neukirch mit einem Sichtmauerwerk aus schmalen Schiefersteinen. Handwerklich sorgfältig ausgeführt, kontrastiert es, durch eine Schattenfuge getrennt, mit den Laibungen der drei schmalen, fast rahmenlosen Fenster aus dunklem Stahl. Allein die Tür hebt sich davon in hellem Holz ab. Das Schindeldach tritt hinter einer Attika zurück. Das sieht alles sehr edel aus.
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Schwarzplan der Ortsmitte von Ruitsch mit dem Neubau.
Neukirch Architektur
Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung
Im Inneren dominiert dagegen über dem Parkettboden schlichtes Weiß. Dachfenster und etwas wild arrangierte Leuchtstoffröhren sorgen für Helligkeit. Die Lage im bewohnten Ortskern brachte es mit sich, dass das Lüften über die Fenster nur bis 22 Uhr abends zulässig ist.
Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sorgt daher dafür, dass das gesellige Beisammensein nicht frühzeitig abgebrochen werden muss. Wenn Kommunen heute vielerorts Methoden gegen Abwanderung und Verödung suchen, ist dies ein weiteres erfolgreiches Beispiel.
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Schiefersteine und dunkles Metall umhüllen einen schlichten Innenraum.
Rolf-Erich Rehm / Patty Neu
Ortsmitte Münsing: Wohnen und Gemeinbedarf
Um solch eine vorbildliche Innenentwicklung betreiben zu können, müssen allerdings auch die entsprechenden Grundstücke zur Verfügung stehen. Dass sich hier vorausschauendes Handeln auszahlt, belegt die Marktgemeinde Münsing in Oberbayern mit im Kern 1.600 Einwohnern.
Als vor über zwanzig Jahren eine stattliche, 1,6 Hektar große Hofstelle gleich neben Rathaus und Kirche brachfiel, griff die Kommune zu und widmete die Fläche dem Wohnen und Gemeinbedarf. Der Siedlungsdruck in der Gegend südlich von München ist groß, und so war dies eine Chance für eine sinnvolle Stärkung des Ortskerns.
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Im oberbayrischen Münsing sicherte sich die Kommune frühzeitig das Grundstück neben Rathaus und Kirche. Eine auf zwei Bauten verteilte Baugemeinschaft und ein Bürgerhaus stärken nun die Ortsmitte.
Florian Holzherr
Widerstand gegen neue Einfamilienhäuser
Die ersten Pläne waren hingegen baukulturell weniger wertvoll: Es sollte ein konventionelles Neubaugebiet aus Einfamilienhäusern entstehen. Dann kam aber in der Bürgerschaft Unmut auf: Wie sollten sich einheimische Bürger die teuren Einfamilienhaus-Grundstücke leisten? Wie fügt sich solch ein Neubaugebiet in die gewachsene Dorfstruktur ein? Also ließ sich die Gemeinde ab 2012 städtebaulich-architektonisch beraten: Arc Architekten aus München und Bad Birnbach entwickelten ein Alternativmodell für den Ort.
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Das vom Architekturbüro Peck Daam geplante neue Bürgerhaus von Münsing orientiert sich wie der Gesamtplan an den langen Hofstrukturen der Gegend.
Florian Holzherr
Baugruppe mit verschiedenen Wohnungstypen
In ihrem Konzept nahmen sie die landschaftsprägenden, bis zu 60 Meter langen Hofstrukturen der Region auf. Unter zwei großen Dächern sollten ganz unterschiedliche Wohnungstypen Platz finden. Tatsächlich stieß die Idee auf Resonanz in der Bürgerschaft. Es fanden sich bald genug Interessenten, um die Baugemeinschaft Pallaufhof zu gründen – zu über siebzig Prozent waren es Einheimische.
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Schwarzplan von Münsing mit dem neuen Bürgerhaus (obere rote Fläche) und den zwei Wohngebäuden.
Arc Architekten
Sozial gemischtes Quartier
Statt zwölf Einzelhäusern konnten so bis 2019 in einer rationell errichteten Struktur mit Holz als prägendem Material 33 Wohneinheiten entstehen. Zwei- bis Siebenzimmerwohnungen gruppieren sich heute harmonisch in der Anlage zu einem sozial gemischten, verkehrsberuhigten Quartier, das sich ins Ortbild einfügt (Landschaftsarchitektur: Valentien + Valentien, München). Inzwischen wurde es vielfach mit Architekturpreisen bedacht.
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In zwei langen Gebäuden hat die Baugemeinschaft insgesamt 33 Wohnungen mit zwei bis sieben Zimmern geschaffen.
Vinzenz Dufter (Bay. Landesverein f. Heimatpflege)
Nahwärmenetz für Wohnungen und Bürgerhaus
2024 kam dann im vorderen Teil noch das Bürgerhaus hinzu, nach Wettbewerb geplant von Peck.Daam Architekten aus München mit den Freisinger Landschaftsarchitekten ver.de. An einem einladenden Vorplatz gelegen, umfasst es einen geräumigen Bürgersaal sowie Rathausnutzungen. Auch dieses Gebäude nimmt die alte, lang gestreckte Hofanlage wieder auf und kleidet sich in filigranes Holz.
Wie das Wohnquartier hängt es am mit Hackschnitzeln betriebenen Nahwärmenetz der Gemeinde. Die prosperierende Gemeinde hat sich hier ein ebenso wohnliches wie repräsentatives Zentrum geschaffen.
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Das Bürgerhaus interpretiert den ländlichen Vorgängerbau neu, es birgt einen Saal und Rathausfunktionen.
Florian Holzherr
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