Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Panzer raus, Wohnraum rein“ im Deutschen Architektenblatt 07.2023 erschienen.
Von Simone Kraft
Keine einfache Aufgabe, vor der die Stadt Landau in der Pfalz in den 2000er-Jahren stand. Nach dem Abzug des französischen Militärs und der Freigabe ihres Baubestandes galt es, eine Lösung für die Konversion eines ehemaligen Kasernen-Areals mit mehr als 300 Hektar Land und 36 Gebäudekomplexen zu finden. Jahrzehntelang hatte die Kaserne Estienne et Foch die Entwicklung der Stadt nach Süden eingeschränkt, wie ein Riegel schlossen die Militärbauten das Gelände zur städtischen Mitte hin ab.
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Konversion von Kasernen
Im Zuge der Landesgartenschau 2015 wurde das Areal in ein beispielhaftes Wohngebiet überplant und in den Folgejahren umgewandelt. Mittlerweile ist der „Wohnpark Am Ebenberg“ fast abgeschlossen. Entstanden ist ein sozial durchmischtes Quartier mit aufgelockerter Bebauung und großzügigen Grünflächen, das unter anderem auch erfolgreich Baugruppenprojekte initiiert hat – und das in einer spannenden Mischung, die Neubauten mit Umnutzungen der historischen Kasernenbauten kombiniert.
Panzerhalle stand 25 Jahre leer
Unter dem für heutige Augen ästhetischen Mauerwerk der historischen Gebäude sticht ein Altbau hervor. Gedrungen, eingeschossig, mit massiven Betonpfeilern fällt die Industriehalle aus dem Rahmen der Bestandsbauten: eine Panzerhalle mit kolossalen Betonstützen, geplant in einem strengen Raster, errichtet als rein funktionales Gebäude. Nach gut 25 Jahren Leerstand war sie in ruinösem Zustand. Eine Bürgerinitiative erreichte ihren Erhalt.
Seit 2020 ist die Halle nicht nur saniert, sondern komplett umgewidmet und um zwei Neubauten ergänzt, ein Punkthaus und einen Riegelbau. Das Umbau- und Sanierungskonzept stammt vom Karlsruher Büro krüger architektur, das sich bei einem Investorenwettbewerb durchsetzte. Der Anspruch des Architekturbüros, dessen Schwerpunkt auf Bauen im Bestand, Altbausanierung und Denkmalpflege liegt, war, möglichst viel vom ursprünglichen Erscheinungsbild zu bewahren.
Energiestandards erfüllt
Eine Haus-in-Haus-Lösung erhält den rauen Charakter und schafft zugleich Wohnraum nach zeitgemäßen Ansprüchen und Energiestandards. René F. Krüger erläutert: „Wir haben in die weit gespannte ‚leere‘ Stahlbetonkonstruktion der Halle ein statisch und energetisch eigenständiges Gebäude eingestellt. Damit sind wir zum einen der Empfehlung des Statikers gefolgt, zum anderen konnten wir so die unterseitige Dämmung des vorhandenen Hallendachs, deren Schadstoffbelastung unklar war, unangetastet lassen.“
Am Ende sind auf der Grundfläche von 48 mal 24 Metern 15 Wohnungen zwischen 78 und 126 Quadratmetern entstanden, davon neun als Maisonetten. Die Netto-Baukosten dafür beliefen sich auf rund 3,2 Millionen Euro (Kostengruppen 300 und 400). Mittlerweile sind die Eigentumswohnungen verkauft und zu 70 Prozent vermietet.
Beton und Holz dominieren
Die eingestellten „Wohnboxen“ sind mit einer vorgehängten, als Boden-Deckel-Schalung ausgeführten Holzfassade aus heimischer Lärche verkleidet. Durch das Wechselspiel zwischen Beton und Holz entsteht von außen eine mehrschichtige, kontrastreiche Fassade mit Tiefenwirkung, die den Charakter der Panzerhalle beibehält und sie zugleich wohnlich-warm erscheinen lässt.
Sprossenfenster erhalten
Ein Großteil der Betonoberflächen der Halle ist sichtbar geblieben und wurde behutsam repariert, geschliffen und lasiert. „Wir sprechen von einer ‚harten‘ Gebäudehülle außen im Gegensatz zum ‚weichen‘ Kern“, berichtet René F. Krüger. „Auch die großen Fensteröffnungen mit Sprossenkonstruktion haben wir erhalten. Lediglich die Verglasung haben wir auf Vorgabe der Feuerwehr entfernt“, ergänzt die projektleitende Architektin Vanessa Mussgnug.
Barrierefreie Wohnungen
Die Stahltore an den Längsseiten wurden in geöffneter Position festgeschweißt und lackiert, sie dienen nun als Einfassung der Terrassen der Erdgeschosswohnungen, die in private Gärten übergehen. Ein von den Architekten gemeinsam mit dem Bauherrn gestalteter Gemeinschaftsbereich mit unterschiedlichen Spielzonen für Kinder verbindet die Panzerhalle und die benachbarten Neubauten.
Der Eingang ins Gebäude befindet sich an der Südost-Ecke und erfolgt über ein Foyer, das die ganze Höhe der Panzerhalle ausnutzt. Über einen Aufzug und eine Treppe ist es an eine Tiefgarage angebunden. Diese – ebenso wie verschiedene Kellerräume – befindet sich unter den beiden benachbarten Neubauten, ein unterirdischer „Stichflur“ verbindet beide. Oben in der Halle erschließt ein Mittelgang 13 der 15 Wohnungen barrierefrei.
Technische Vergangeheit sichtbar
In der Mitte weitet sich dieser zu einem zentral gelegenen Raum, der sich über zwei Geschosse erstreckt. Hier ist die Panzerhalle in ihrer ursprünglichen Dimension ablesbar, das Oberlichtband und die markanten Betonstützen sind erlebbar. Auf den Konsolen der Stützen liegen hier noch die Stahlträger der alten Kranbahn auf.
Im Inneren entstand durch die Verschachtelung der einzelnen „Wohnboxen“ ein Wegenetz mit Lufträumen und Galerien, die zu Kommunikations- und Gemeinschaftszonen werden. Weitestgehend unbehandelte Materialien des Ursprungsbaus prägen auch die Innenräume.
Sichtbar belassene Betonelemente des Bestandes wurden mit Sichtestrich und rohen Stahltreppen ergänzt. Nur stellenweise wurde die notwendige Bewehrungsüberdeckung wiederhergestellt. Die Dachuntersicht – im Foyer und der Mittelhalle zu sehen – ist unbehandelt geblieben.
Beton, Stahl und Dämmung gespart
Auch in energetischer Hinsicht haben die Architekten die Panzerhalle behutsam saniert. Erreicht wurde ein KfW-55-Standard. Konstruktiv wurde durch die einfache Tragstruktur mit geringen Spannweiten Beton und Stahl eingespart. Der mit 42,5 Zentimeter Porenbeton und Holzverschalung einfach gehaltene Aufbau der nach außen gerichteten Wände des „Innenhauses“ reduziert die Menge des im Projekt verwendeten Dämmmaterials. Die „innen liegenden“ Außenwände der Einbauten bestehen aus Kalksandstein und einem WDVS.
Innen liegender Außenraum
Der thermische Schutz wird von der neuen inneren Fassade übernommen, in die dreifachverglaste Holzfenster eingebaut wurden. Nur im Foyer hat die ursprüngliche Ebene der alten Fenster eine wärmedämmende Funktion – hier mussten lediglich die Mindestanforderungen für einen „Hausflur“ erfüllt werden. Das Foyer wird damit gewissermaßen zu einem „innen liegenden Außenbereich“. Mit seiner neuen Einfachverglasung aus Verbund-Sicherheitsglas in den originalen Stahlrahmen kommt dieser Bereich dem ursprünglichen Aussehen der Halle am nächsten.
Thermische und wasserdichte Hülle getrennt
Nach oben wird der Neubau durch eine Holzbalkendecke abgeschlossen, die Abdichtung wird durch das Dach der Bestandshalle darüber übernommen. So sind die thermische und die wasserdichte Hülle zwei getrennte und eigenständige Bauteile. „Für den Einsatz einer Holzbalkendecke sprach die leichtere und wirtschaftlichere Realisierbarkeit – die Holzbalkendecke konnte vom Zimmermann überwiegend aus dem Obergeschoss eingebaut werden“, betont Architekt René F. Krüger.
Dezentrale Warmwasserbereitung
Eine Photovoltaik-Anlage auf den Dächern der beiden benachbarten Neubauten übernimmt einen Teil der Energieversorgung. In einem zentralen Technikraum befindet sich der Anschluss an das örtliche Fernwärmenetz, von hier aus werden alle drei Gebäude versorgt. Jede Wohneinheit besitzt eine eigene Wohnungsstation zur dezentralen Warmwasserbereitung, zudem verfügen alle Räume über eine Fußbodenheizung.
Industriecharme in schwierigem Gebäude
Die grundsätzliche Entscheidung für einen schonenden Umgang mit dem Bestand, die flexible Grundrissgestaltung und die Verwendung hochwertiger Baustoffe sorgen für eine lange Nutzbarkeit des Gebäudes. Entstanden ist so ein gelungenes Beispiel dafür, wie ein historischer Industriebau umgenutzt und zeitgemäß bewohnt werden kann, ohne seinen ursprünglichen Charakter zu verlieren – noch dazu ein Bau, der zuvor alles andere als Behaglichkeit und ästhetischen Charme ausstrahlte.
Alle Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt „Wohnen“.
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