Cordula Rau
Unterirdische Passagen aus den 70er-Jahren sind oft gestalterische und soziale Problemzonen – egal ob die „B-Ebenen“ unter Frankfurts Hauptbahnhof und Hauptwache, in der Stuttgarter Klettpassage oder in München unter Bahnhof, Marienplatz und Stachus. Einerseits bieten sie manchem eine Nische, Schutz vor Regen oder Kälte. Doch sie wirken teils so unattraktiv bis grauenhaft, dass allein das Durchqueren zum Albtraum wird. Einige Städte haben sich ihrer tristen Unterführungen bereits angenommen, etwa Hannover mit seiner Passerelle, die schlitzförmig in einer Ladenstraße unter dem Hauptbahnhof hindurch in die Fußgängerzone führt. Sie ist seit 2006 renoviert und soll unter dem Namen „Niki-de-Saint-Phalle-Promenade“, benannt nach der Popbildhauerin, die frühere Tristesse vergessen machen. Frankfurts und Nürnbergs Hauptbahnhöfe sind seit einigen Jahren für Fußgänger wieder zu ebener Erde erreichbar. Auch am Berliner Alex darf man wieder oben laufen, ebenso am Schnellstraßenring um Kassels Innenstadt, die jahrelang zu Fuß nur durch Tunnel erreichbar war.
Wo aber oben der Verkehr zu stark ist und unten Bahnhöfe liegen, müssen die Passagen bleiben. Das ist die Situation am Münchener Stachus (Karlsplatz). Er liegt zwischen zwei Fußgängerzonen, die der stark befahrene Altstadtring trennt, und ist ein Knotenpunkt von S- und U-Bahn. Bis zu 160 000 Menschen durchqueren täglich das Untergeschoss. Die Passage wurde1970 als Verbindung zwischen Verkehrsknotenpunkt, Parkierungsbauwerk und Einkaufszentrum in Betrieb genommen und wird seit Anfang 2007 von der Stuttgarter LBBW Immobilien GmbH betrieben. Sie verpflichtete sich, das modernisierungsbedürftige Objekt zu sanieren und dafür einen Wettbewerb auszuschreiben. Neben technischen Erneuerungen bedarf es eines attraktiven Erscheinungsbilds mit neu gestalteten Zugängen, Wegeleit- und Orientierungssystem, Beleuchtung und Oberflächengestaltung. Charakteristisch für den Gesamtraum unter der Erde sind heute überlange Hauptwege und die im Verhältnis dazu geringe Raumhöhe von drei Metern. Die Orientierung in dem unübersichtlichen Geflecht ist ohne Wegweisung unmöglich.
In einem Gutachterverfahren konkurrierten fünf Büros. Die Jury gab mit elf zu einer Stimme dem Konzept der Münchner Architekten Allmann Sattler Wappner den Vorrang. „Das Projekt besticht durch seine klare Grundhaltung, die sich durch die drei Maßstabsebenen Städtebau, Gebäudegestaltung und Details ablesen lässt“, sagt ihr Vorsitzender Carl Fingerhuth. Er lobt den gekonnten Umgang mit der Komplexität des Themas. Im Mittelpunkt des Entwurfes steht eine so einfache wie überzeugende Kreisform. Sie fasst die einzelnen Ladeninseln im Untergeschoss zu einer Figur zusammen und gibt gleichzeitig Orientierung. Das System des Kreisverkehrs für den Fußgänger verweist auf den hybriden Charakter der Verbindung zwischen Verkehrsbauwerk und Einkaufspassage. Es setzt sich bis in das Leitsystem fort, das Ruedi Baur aus Zürich entworfen hat. Aus dem Kreis entwickelte er ein identitätstiftendes Logo.
Überwiegend in Glas mit hinterleuchteten Flächen stellen sich die Wandoberflächen dar. Das Motiv der gläsernen Deckengestaltung entspricht einem Seerosenteich. Die Seitenwände der Eingangsbereiche entfalten sich im Stachus-Rondell aus dem Untergrund nach oben und strahlen nachts hell erleuchtet.
Der Entwurf der ippolito fleitz group aus Stuttgart mit seiner dynamisch bewegten Decke erhält würdigend eine Stimme. Zweifelhaft erschien hier, ob die Höhenentwicklung in der Umsetzung ausreichen würde. Auch Graft aus Berlin fokussierten sich auf die wellenförmige Gestaltung der Decke, wobei leider die eher konventionelle Grundrisskonzeption zu kurz kam. Der Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft Botti Meck aus München wurde durch die Experten des Einzelhandels kritisiert, die Wegeführung als nicht geeignet erachtet.
Ralf P. Nisar, Geschäftsführer der LBBW Immobilien GmbH, beziffert die Gesamtkosten der Modernisierung auf 30 Millionen Euro. Die derzeitige Verkaufsfläche von 6 500 Quadratmeter wird nur wenig vergrößert. Läuft alles nach Plan, erscheint der Stachus ab Ende 2009 in neuem Licht.
Dipl.-Ing. Cordula Rau ist Architektin und Journalistin in München.