Nils Hille
Seitenweise Paragrafen, zahlreiche Vorschriften, die sich wiederum in etliche Unterpunkte aufteilen, und dazu noch Androhungen von hohen Geldbußen bei Verstößen – Gestaltungssatzungen lesen sich eher abschreckend. Doch bei genauerem Studium finden sich auch unreglementierte Themen. Dazu kommen Ausnahmen, die bei guter Überzeugungsarbeit immer einmal möglich sind.
Professor Christoph Mäckler vom Dortmunder Institut für Stadtbaukunst hält die stark diskutierten Gestaltungssatzungen für eine wichtige Kompromisslösung zwischen architektonischer Innovation und Stadtbilderhaltung. Bei einer von seinem Institut organisierten Tagung meinte er: „Gestaltungssatzungen können nicht alle Fehler beheben, aber Ansätze dafür schaffen.“ Beispiele aus drei Städten zeigen die aktuelle Praxis.
Wismar: Satzung für den Unesco-Status
Im mecklenburg-vorpommerischen Wismar verficht Heike Isbarn eine klare Regulierung. Die Leiterin des Bauordnungs- und Denkmalamts der 780 Jahre alten Stadt versucht vor allem, den historischen Bereich vor Gestaltungssünden zu schützen. Die 68 Hektar große Altstadt hat seit 1992 eine Satzung, die zur „Sicherung und Förderung der geschichtlichen, städtebaulichen und architektonischen Eigenart des Stadtbildes“ dienen soll.Darin ist zum Beispiel geregelt, dass der Verlauf der überlieferten Baufluchten aufzunehmen oder wiederherzustellen ist. Dass nur Giebel- und Traufseittypen als Gebäude zugelassen sind. Und dass die Baukörper sich in der Breite nach der vorhandenen, historisch gewachsenen Parzellenstruktur richten müssen.
Durch letztere Vorgabe hat sich allerdings ein Problem mit dem Einzelhandel ergeben. „Im Durchschnitt sind die Ladenlokale 150 Quadratmeter groß. Für größere Ketten ist dies viel zu klein“, so Isbarn. Das erschwert die Entwicklung des Handelsstandorts. Auch an anderen Stellen erfuhr sie die Grenzen der Umsetzbarkeit. Eigentlich sind Größe und Anzahl von Dachfenstern in der Altstadt genau geregelt. Doch bei der Sanierung und Instandsetzung des Fürstenhofs, eines in Teilen 600 Jahre alten denkmalgeschützten Ensembles, musste das Bauordnungsamt eine Ausnahme machen. Das Amtsgericht, das hier einziehen sollte, wollte das Dach einzeilig mit zahlreichen Fenstern versehen, um Büros unterzubringen – sonst komme der Standort nicht infrage.
Daraufhin ließ die Stadt mehr und größere Fenster bei der vom Hamburger Büro Simonsen und von Elverfeldt geplanten Sanierung zu – und das Gericht ist eingezogen.
Isbarn sieht aber nicht die Schwierigkeiten, sondern vor allem die positive Entwicklung durch die Satzung: „Ein fast schon chaotisch zu nennender Antennenwald auf den Dächern ist verschwunden. Einfache Fenster wurden durch dem jeweiligen Baustil der Gebäude entsprechende moderne Ausführungen ersetzt. Und die eintönige Farbigkeit der Mehrzahl der Fassaden wurde durch eine der historischen Umgebung entsprechende, dezente Gestaltung ersetzt.“
Durch diese und weitere Ergebnisse hat die Gestaltungssatzung nicht nur ihren eigentlichen Zweck erfüllt. „Sie hat auch zur Erhaltung der historischen Bausubstanz und damit zur Erreichung des Welterbestatus der Unesco beigetragen“, erklärt Isbarn.Nicht alles ist in Wismars Altstadt geregelt. Für Werbeanlagen gibt es nur grobe Vorgaben, für die Außenbestuhlung der Gastronomie gar keine und zu Solaranlagen gibt es bisher nur eine Einschränkung. Sie dürfen auf keinen Fall von öffentlichen Straßen aus sichtbar sein. „Wir überlegen zurzeit noch verwaltungsintern, genauere Regelungen zu Solar- und Fotovoltaikanlagen aufzunehmen.“
Bei den Geschäften hat dagegen ein ganz anderes Mittel den Zweck erfüllt: „Eine Selbstverpflichtung der Einzelhändler der Altstadt übt nun viel größeren Druck auf den Einzelnen aus, als wir das mit einer Satzung erreicht hätten.“
Lübeck: lästige Eigenbrötler
Der Stadtbildpfleger Hans-Achim Körber beschäftigt sich im Lübecker Rathaus mit einer über 850-jährigen Geschichte und einer 27 Jahre alten Gestaltungssatzung mit Vorgaben zu Gebäuden, Giebeln, Fassaden, Dächern, Fenstern und Türen. Körber sieht seitdem positive Veränderungen – „da wo historische Bausubstanz saniert und erhalten werden konnte, wo Baulücken durch Neubauten geschlossen wurden, die die Maßstäblichkeit der Straße und der Nachbarhäuser respektieren, und wo der verloren gegangene Stadtgrundriss und Stadtraum wiedergewonnen werden konnten.“
Probleme mit Abweichungen von einzelnen Regeln hat Körber nicht, wenn sie das Ergebnis eines Dialogs aller am Bau Beteiligten sind. Das Wettbewerbsergebnis für die Kunsthalle auf dem Grundstück der Kirchenruine St. Annen von Ingo Siegmund ist ein Beispiel dafür.
Doch nicht immer laufen Bauvorhaben in der Lübecker Altstadt so positiv ab. Körber erlebt zwei Typen von Architekten, mit denen er Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit hat: „Es gibt die, die sich für herausragende Baukünstler halten und für sich keine Vorschriften zur Gestaltung akzeptieren wollen. Sie erkennen in der Satzung nicht den Bezug zur übergeordneten städtebaulichen Einheit, an der sie nicht allein, sondern nur mitgestalten. Es gibt aber auch die Architekten, die den Weg des geringsten Widerstands suchen, die die Vorschrift unkritisch und unreflektiert anwenden und dabei ihre Verantwortung für den eigenen Entwurf an die Autoren und Wächter der Gestaltungssatzung abgeben. Das dadurch entstehende Mittelmaß wird gerne zu Unrecht der Gestaltungssatzung angelastet.“
Dazu kommen Diskussionen mit Bauherrn und mit Vertretern aus den Reihen von Politik und Verwaltung. Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Entbürokratisierung und Deregulierung arbeiten, so Körber, gegen die Stadtbaukunst: „Ein Ausdruck dessen ist zum Beispiel die Tatsache, dass nach der Landesbauordnung Schleswig-Holstein auch innerhalb des Geltungsbereichs von Gestaltungssatzungen die Änderung der äußeren Gestaltung von Gebäuden genehmigungsfrei ist.“
Nicht zuletzt die Vertreter wirtschaftlicher Einzelinteressen machen ihm zusätzlich Sorgen. „Sie reden maßstabssprengenden Grundstücksausnutzungen das Wort, billigen Varianten der Bauausführung, austauschbare Standards von Filialisten und rücksichtslose Werbeanlagen“, sagt Körber. So arbeitet er mit seinen Kollegen aktuell an einer eigenständigen Werbesatzung. Wichtig ist die Tauglichkeit der Satzung für die tägliche Verwaltungspraxis.
Rückmeldungen aus der Geschäftswelt gehen dahin, dass verbindliche Regeln im gemeinsamen Interesse an einer attraktiven Stadt akzeptiert und sogar gefordert werden. Großen Unmut erregen dagegen Regelverstöße, die ohne Folgen bleiben und das Bild der Straßen mitprägen.
Regensburg: Satzung in Kooperation entstanden
Das größte mittelalterliche Ensemble Deutschlands, die Regensburger Altstadt, unterliegt schon seit 1975 einer Gestaltungssatzung. Vor drei Jahren beschloss die Planungs- und Baureferentin Christine Schimpfermann, diese zu erneuern. Die Altstadt ist nicht nur Monument, sondern Wohnort von zehn Prozent der Regensburger.
Für die neue Satzung kooperierten Stadtplaner und Denkmalpfleger. Ihren ersten Entwurf stimmten sie mit Architekten- und Ingenieurverbänden, dem Einzelhandelsverband, der IHK und der Handwerkskammer ab. 2007 hat der Stadtrat die Neufassung der Altstadtsatzung einstimmig beschlossen. „Neu aufgenommen wurden insbesondere Regelungen zum Dachgeschossausbau, der erst seit Mitte der 80er-Jahre größere Bedeutung erlangt hat und in der alten Fassung nur rudimentär geregelt war“, so Schimpfermann.
Außerdem wurde in der neuen Fassung die Ausführung von technischen Aufbauten geregelt. Doch diese bereiten teilweise Probleme, wenn gleichzeitig die Anforderungen aus der EnEV berücksichtigt werden sollen. „Wir haben Solaranlagen in der Altstadtschutzsatzung ausgeschlossen, um das weitgehend intakte Bild der Regensburger Dachlandschaft mit ihren roten Ziegeln zu erhalten. Der Einsatz von Solarenergie wird jedoch auch in diesem Teil der Stadt immer wieder gefordert“, so Schimpfermann. Da ihr aber bisher überzeugende Gestaltungsbeispiele fehlen, will sie bei der restriktiven Haltung bleiben.
Kritisiert wird die Satzung gelegentlich von Bauherren, Bauträgern oder Architekten. Und auch in Regensburg bedeutet ein stringentes Festhalten an der Satzung nicht automatisch eine gute Architektur. Doch Schimpfermann sieht eine positive Entwicklung: „Die Zahl guter Beispiele, in denen Architekten kreative Lösungen gefunden haben, die mit der Altstadtschutzsatzung vereinbar sind, gibt mir immer wieder Mut und Hoffnung, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.“