Roland Stimpel
Beste Absichten verfolgte München auf dem Gelände des früheren Flughafens Riem, der 1991 stillgelegt wurde. „Kompakt – urban – grün“ hieß der Leitgedanke, der das neue Quartier gegen ältere Vorstädte profilieren und die Umwelt schonen sollte. „Ökologische Nachhaltigkeit, ökonomische Tragfähigkeit und soziale Ausgewogenheit“ waren vorgesehen. Tatsächlich sieht es damit in Riem besser aus als in den meisten Gebieten, die in den Jahrzehnten zuvor entstanden. Allerdings wurden die guten Absichten manchmal allzu dogmatisch verfolgt.
Und die Bauherren im Stadtteil waren meist so groß und stark auf ihre Einzelsegmente fixiert, dass es an Lebendigkeit und Flexibilität fehlte. Im Groben bietet Riem die wichtigsten Funktionen der gemischten Stadt – Wohnen, Arbeiten, Erholen, Einkauf und ein bisschen Kultur und Gemeinschaft. Im Feinen aber ist es funktional fast so streng zergliedert, als gälte noch die Charta von Athen: Es gibt eine Zone für Bürohäuser, eine für Messehallen und Parkplätze, eine fürs Quartierszentrum und eine für Wohnen und Grün.
Für kleineres, lokales Gewerbe ist in Riem kaum Platz, feinkörnige urbane Mischung gibt es nicht. Im Gegenteil: Handel und Dienstleistungen sind gnadenlos zentralisiert im Einkaufszentrum „Riem Arcaden“. 2004 gab es eine „Stadtteilevaluation“ zum Vergleich von Planungszielen und Wirklichkeit. Ihre Autoren bemängelten, es seien „nahräumliche Versorgungsangebote ,an der Ecke‘ nicht umgesetzt“. Auch Discounter fehlen. Die gut gemeinte Kompaktheit und Dichte in der teils engen, nicht überall geglückten Block-Zeile-Mischung hier und da übertrieben; an Privatheit mangelt es dann. Auch beim Grün freute sich nicht jeder über die strikt durchgezogenen Leitgedanken – etwa über Baummonokulturen in den Straßen und strenge Pflanzregeln. Jedem Quartier wurde ein „Leitbaum“ verordnet; Büsche mussten eher bienen- als bewohnergerecht sein.
München-Riem mit Adressen namens Mutter-Teresa-Straße, Platz der Menschenrechte oder Maria-Montessori-Straße ist auch ein Quartier des erhobenen Zeigefingers. „Der pädagogische Ansatz ist im Stadtteil unverkennbar“, bemerkte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Planer nahmen ihre Leitgedanken auch da am wichtigsten, wo sie mit Alltagsbedürfnissen der Bewohner kollidierten.
Hin und wieder schlägt deshalb das gut Gemeinte ins nicht so gut Gemachte um. Viele Probleme einer wachsenden Stadt sind ambitioniert und anständig gelöst. Aber die monostrukturierten Teilquartiere sind teils allzu steril und lassen wenig Spielraum für urbanen Wandel. Eine Chance dafür bietet aber der gerade ausgelobte Wettbewerb für die letzten zwölf Hektar im Westen des Gebiets.