Text: Roland Stimpel
Ein Architektenwettbewerb fürs Firmenprojekt? Zu der Idee fällt auch Großunternehmen oft nur dreierlei ein: Kosten, Zeitverzug, Risiko. Und fertig ist der Direktauftrag. Vergeigt ist die Chance, alternative Denkweisen, Haltungen und Kreativpotenziale für den bestmöglichen Entwurf zu nutzen. Es gibt aber auch Privatunternehmen, die das anders sehen und gern Wettbewerbe veranstalten. So gut wie nie offene, international ausgeschriebene. Aber doch wenigstens Einladungen an fünf, acht oder auch mal zehn Büros, in einem fairen Verfahren in die Ideenkonkurrenz einzutreten. Manche machen das auf Druck ihrer Stadt, aber manche auch ganz aus eigenem Antrieb.
Besonders nahe liegt der Gedanke an einen Wettbewerb, wenn beim Bauherrn selbst ein Architekt an verantwortlicher Stelle sitzt. Einer wie Armin Wittershagen zum Beispiel, der früher bei HPP und gmp Projektleiter war und jetzt in der Niederlassung Rhein-Ruhr der Hochtief Projektentwicklung GmbH große Vorhaben verantwortet. Sein jüngstes ist der Umbau der früheren „Königlichen Eisenbahndirektion“ am Rhein nördlich der Kölner Altstadt, die nach einer neuen Nutzung suchte. Klar war von vornherein: Die denkmalgeschützte neoklassizistische Fassade würde bleiben, das Innere entkernt und für den heutigen Bürobedarf neu gebaut werden. Der Knackpunkt jedoch war das Dach – früher ein drei Geschosse hohes, nicht ausgebautes Mansarddach, das im Krieg zerstört und danach nur provisorisch wieder aufgebaut wurde. Jetzt sollten es seine alte Grundform bewahren, aber ebenfalls Büros erhalten – und mit der historischen Fassade darunter korrespondieren. Armin Wittershagen spricht von einer „klassischen Wettbewerbsaufgabe“.
Er arbeitete hier aber schon vor der Auslobung mit externen Kollegen zusammen. „Es ist unsere gängige Vorgehensweise bei großen Projekten, zunächst gemeinsam mit einem Architekturbüro die Grundlagenermittlung zu betreiben, die Möglichkeiten des Gebäudes zu ermitteln und die Randbedingungen der Aufgabe zu klären.“ Dass dies nicht zu einem Direktauftrag führen würde, stand von vornherein fest: Die Stadt hatte es anders gewünscht und auch Hochtief war vom Sinn eines aufwendigeren Verfahrens überzeugt. Die Projektentwickler hatten gute Wettbewerbs-Erfahrungen beim „maxCologne“ gemacht, der früheren Lufthansa-Zentrale, die das Büro HPP im Auftrag von Hochtief modernisiert hatte.
Grund genug zur Wiederholung bei der Eisenbahndirektion. Hier nahm Hochtief schon vor dem Erwerb des Baus im Jahr 2011 mit der Stadt Kontakt auf, brachte den Dachaufbau und dafür einen Wettbewerb ins Gespräch – noch bevor Vertreter der Stadt ihrerseits diesen Wunsch aussprechen konnten. „Die Auslobung haben wir dann gemeinsam formuliert“, sagt Wittershagen. „In sie sind die Vorbedingungen der Stadt direkt eingeflossen, was die spätere Planung und Genehmigung sehr erleichtert.“ Außerdem beauftragte er Fassaden- und Energieberater – „alles Themen, die in die Auslobung hineinspielen und zu denen wir technisch klare Vorgaben machen. Das ist wie ein Lastenheft für den Industriedesigner.“
Betreut wurde der Wettbewerb vom Kasseler Büro ANP, zu dessen Schwerpunkten das Verfahrensmanagement zählt. Noch vor der Einladung der Teilnehmer stand die Jury-Besetzung fest. „Wenn ich mit Büros spreche, die infrage kommen, dann erkundigen die sich immer rasch, wer sie beurteilen wird.“ In diesem Fall waren es die Kölner Architektin Dörte Gatermann als Juryvorsitzende, weitere Fachpreisrichter sowie Kölns Baudezernent und Vertreter der Ratsfraktionen – „das schafft uns noch höhere Sicherheit“. Und nicht zuletzt Hochtief-Vertreter – nach den Worten von Wittershagen „zwar nur zwei von elf Juroren, aber das war genau so von uns gewollt“.
Den Zuschlag erhielt dann nach einer Elf-zu-null-Entscheidung das Aachener Büro kadawittfeldarchitektur für einen Entwurf, der das einst monolithische Mansarddach in drei Etagen gliedert, dabei die Vertikalen deutlich betont und auf den Bau aus dem frühen 20. Jahrhundert eine klare Markierung aus dem frühen 21. setzt. Wittershagen resümiert: „Wir sind nicht nur mit dem Entwurf sehr glücklich, sondern auch mit der Einigkeit dafür. Es ist ein sehr guter Effekt eines solchen Wettbewerbs, dass er einen breiten Konsens erzeugt.“ Als wichtigste Erfolgsbedingungen nennt er „Klarheit über die Aufgabenstellung und eine hohe Verbindlichkeit der Randbedingungen.“ Aber auch auf das Timing komme es an: „Die Realisierung sollte konkret bevorstehen. Zu frühe Verfahren verpuffen oft.“
„Ideen unter Kostenaspekten sehen“
Mit vollem Herzen beim Wettbewerb war ein bayerischer Auslober aus der Industrie: Karl Haeusgen, Geschäftsführer und Mitinhaber der Hawe Hydraulik in München. Für ein neues Werk in Kaufbeuren im Allgäu lobte er vor fünf Jahren einen Einladungswettbewerb aus. Sein Motiv war marktwirtschaftlich im doppelten Sinn, wie er 2008 erläuterte: „Wir erzeugen Konkurrenz. Dadurch werden gestalterische Ideen noch stärker unter Kostengesichtspunkten gesehen.“ Allerdings wählte Haeusgen am Ende nicht den Entwurf mit den niedrigsten Baukosten aus. „Ausschlaggebend sind natürlich auch die Betriebskosten – oder auch die Frage, wie die Fassade wohl in zehn Jahren aussieht.“
Den Wettbewerbsteilnehmern hatte er „sehr, sehr präzise Vorgaben“ gemacht – an die Größe und Zuordnung der einzelnen Produktionsbereiche und an die Quadratmeter der Einzelbereiche. Auch Materialflussdiagramme waren Grundlagen für einen funktionalen Entwurf. „Mich hat überrascht und gefreut, dass sie für die Aufgaben in unserem detaillierten 45-Seiten-Papier so unterschiedliche Lösungen gefunden ha-ben – eben mehr als reine Kisten. Das war auch für uns ungemein bereichernd.“
Den Zuschlag bekamen Barkow Leibinger aus Berlin; kürzlich hatte das Werk Richtfest. Die Fassade aus Trapezblech und Glas und das Sheddach bieten Lichtblicke im Gewerbegebiets-Einerlei. Und wenn Karl Haeusgen erneut bauen sollte, will er sich an seinen guten Vorsätzen aus dem Jahr 2008 messen lassen: „Wenn wir wieder einmal eine entsprechende Bauaufgabe haben, sofort. Trotz des bei uns ungefähr ein Drittel größeren Zeitaufwands im Vergleich zu einer Direktvergabe.“
„Eine neue Richtung für das Projekt“
Der Hamburger Projektentwickler und Einkaufszentren-Betreiber ECE unterhält selbst eins der größten deutschen Planungsbüros mit rund 200 Architekten. Es kann sich sogar hausinterne Wettbewerbe leisten – zum Beispiel für einen siebengeschossigen Bürobau für 650 Angestellte der ECE-Europazentrale. Der Wettbewerb hatte keine feste Organisationsform; die ECE-Architekten konnten sich einzeln und in selbst gebildeten Teams daran beteiligen.
Weit häufiger sind aber die ECE-Wettbewerbe für externe Projekte – etwa der für das private Stuttgarter Quartier „Milaneo“ mit Einkaufszentrum, Büros, Hotel und 415 Wohnungen. Geplant wurde es 2010 – in der heißesten Phase des Stuttgart-21-Krachs und nahe an den umkämpften Gleisen. Der Projektort Mailänder Platz liegt nebenan auf bereits geräumtem Ex-Bahngelände. Zehn Büros waren zum Wettbewerb eingeladen, den das Dortmunder Büro Norbert Post und Hartmut Welters organisierte – „hochprofessionell“, wie der ECE-Architekt Markus Schedensack lobt. Die Jury war prominent besetzt: unter den Fachpreisrichtern Baden-Württembergs Architektenkammerpräsident Wolfgang Riehle, unter den Sachpreisrichtern der ECE-Eigentümer Alexander Otto. Und das Verfahren brachte eine Überraschung: Die Investoren und die meisten Architekten hatten ein Quartier mit geschlossenen Blöcken vor Augen. Doch das Düsseldorfer Büro RKW präsentierte einen Entwurf, in dem die Blockstruktur zumindest in den oberen Geschossen in Einzelbauten aufgelöst war, ohne das Gesamtkonzept zu zerstören. Unten blieb es freilich bei drei Center-Blöcken, die jetzt im Blockinneren die Basis für Quartiersgrün zwischen den Wohnhäusern bilden. „Das war städtebaulich so anregend wie kein anderer Entwurf“, sagt der ECE-Architekt Markus Schedensack. „Der Siegerentwurf von RKW war städtebaulich so herausragend wie keiner der anderen im Wettbewerb. Er hat eine Maßstäblichkeit und Qualität in das Projekt gebracht, die für die Stadt wie für uns ein großer Gewinn sind. Durch den Wettbewerb hat das Projekt eine ganz neue Richtung bekommen.“ Die Projektentwickler arbeiteten rasch ihre Pläne nach dem RKW-Entwurf um; Schedensack spricht von einem „intensiven Change-Management. Trotz hohem Zeitdruck lässt sich ein Investor von einer guten Planung begeistern.“
Weniger dramatisch verlief der ECE-Wettbewerb für die neue Zentrale der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft am Bahnhof vom Hamburg-Barmbek. „Hier haben wir das Wettbewerbsverfahren auch durchgeführt, um das Planungsrecht abzusichern“, sagt freimütig der ECE-Architekt Niels Otzen. APB. Architekten aus Hamburg gewannen den 1. Preis für einen bis zu 15-geschossigen Bürokomplex. APB und seine neun Mitbewerber waren nach den bei Privatfirmen üblichen Kriterien eingeladen, die Otzen schildert: „Wir müssen uns bei unseren Planungspartnern sicher sein, dass sie die Aufgabe formal, funktional, mit ihrer Manpower und ihrer Qualifikation bewältigen können.“ Da träfen sich Fairness und Zeitnot: „Der Wettbewerbssieger soll schließlich auch den Auftrag erhalten – und zwar sofort nach der Entscheidung in der Jury. Es wäre verantwortungslos gegenüber dem Projekt, wenn das prämierte Büro das nicht aus dem Stand leisten könnte.“
Sein eigenes Unternehmen agiere hanseatisch-vorsichtig, bemerkt Otzen: „Die ECE will unnötige Risiken vermeiden – auch im Wettbewerb. Wir geben uns viel Mühe, ein Verfahren so zu gestalten, das eine gewisse Steuerung in diesem Sinn möglich ist.“ Keine Steuerung der Preisrichter natürlich, aber der Jury-Vorsitzende soll dafür sorgen, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft. Gesucht wird stets „eine Persönlichkeit, die für maximale Übereinstimmung sorgt“. Wichtig fürs Steuern ist auch die Auslobung. „Da läuft ein halbes Jahr vorher die Konsensmaschine auf Hochtouren.“ Über das Wichtigste soll schon Einigkeit mit der Stadt erzielt sein, wenn die Architekten anfangen. Und sie sollen nicht über die Stränge schlagen: „Wir machen Vorgaben in der Auslobung, die das Einhalten des Rahmens sicherstellen.“ Nüchtern seien dann auch die Kriterien für den 1.Preis in Barmbek gewesen: „Der Siegerentwurf hatte neben der städtebaulichen Qualität funktional die meisten Pluspunkte.“
„Das Verfahren muss zu uns passen“
Noch einmal zur anfangs mit ihrem Kölner Verfahren dargestellten Hochtief Projektentwicklung GmbH. Deren Frankfurter Niederlassung leitet der gelernte Wirtschaftsingenieur Markus Brod. In dieser Stadt kaufte Hochtief im Frühjahr 2013 die sogenannte Marieninsel, ein 6.500 Quadratmeter-Grundstück gegenüber der Zentrale der Deutschen Bank. Hier sieht der Hochhaus-Rahmenplan einen weiteren Turmstandort. „Es ist Wunsch der Stadt, bei Projekten nach diesem Rahmenplan einen Wettbewerb zu veranstalten. Und jeder hält sich daran.“
Allerdings konnte sich Hochtief in diesem Fall nicht zu einem Wettbewerb nach den Regeln der RPW durchringen, sondern lediglich zu einem Gutachterverfahren ohne Bindung an Regeln. Solche Verfahren werden von Kammern und vielen Architekten abgelehnt; Hochtief fand aber Tempo wichtiger. Brod: „Wir haben das Verfahren so gestaltet, dass es den Vorstellungen der Stadt und unserer internen Aufgabenstellung entspricht.“ Hochtief spricht von einem „freien Auswahlverfahren“. Mit der Stadt einigte man sich auf neun Teilnehmer – Brod: „Bei mehr Teilnehmern wäre die notwendige umfangreiche Prüfung extrem schwierig geworden.“ Für die Auswahl gab es einen Schlüssel: drei lokale Größen, drei bekannte auswärtige und drei junge Büros. „Wir haben zunächst mögliche Teilnehmer aufgelistet; die Stadt hat das dann kommentiert. Den Auslobungstext und die Parameter haben wir mit der Stadt abgestimmt.“
Am 1. Juli 2013 kaufte Hochtief das Grundstück; am 2. Juli gingen die vorbereiteten Unterlagen an die eingeladenen Teilnehmer. Am 18. September tagte das Preisgericht. Brod: „Wenn es in dem Tempo laufen kann, dann finde ich so ein Verfahren gut – für den Entwurf und für den Konsens mit der Stadt. Wir nehmen dafür ein richtiges Stück Geld in die Hand.“ Bei der Marieninsel seien es rund 250.000 Euro gewesen, über die Hälfte davon für Preisgelder.
Die Architekten präsentierten ihre Entwürfe im 20-Minuten-Takt mündlich, also nicht anonym. „Wir haben relativ schnell die ersten vier identifiziert und uns dann sieben zu null entschieden.“ Die Wahl fiel auf einen Entwurf des Berliner Büros Müller Reimann. „Die Teilnehmer haben den Rahmen alle unterschiedlich interpretiert. Müller Reimann haben das in einer Weise getan, auf die wir ohne ein Verfahren bestimmt nicht gekommen wären.“