Von den einst tierischen Bewohnern gibt es keine Spur mehr. Denn wo früher Stall und Stadel ihren Platz fanden, beherbergt der denkmalgeschützte Einfirsthof in Rimsting am Chiemsee nun ein sportwissenschaftliches Kompetenz- und Therapiezentrum. Für den feinfühligen Umbau ist der junge Architekt Vinzenz Mayer verantwortlich, der den Hof seiner Familie seit 2021 als Landwirt im Nebenerwerb betreibt.
Das könnte Sie auch interessieren
Seltene Bautypologie Itakerhof
Der fast 180 Jahre alte Bau ist ein sogenannter Itakerhof – eine seltene Bautypologie, die nur im Chiemgau vorkommt und von bayerischen Baumeistern und Architekten geplant wurde. Sie vereint den Wohnbereich im vorderen Teil des Hauses sowie den Stall und den Heuboden auf der hinteren Seite unter einem Dach.
Vinzenz Mayer nahm sich den Wirtschaftsteil des alten bürgerlichen Bauernhauses vor, der noch bis 2006 der Milchviehhaltung diente. Nachdem er das Gebäude innerhalb eines halben Jahres in Eigenregie entkernt hatte, konnte der Umbau im Frühjahr 2021 beginnen und im März des darauffolgenden Jahres fertiggestellt werden.
Freigestellt wie im Originalzustand
Einen im Zweiten Weltkrieg hinzugefügten Querbau, der nicht unter Denkmalschutz stand, ließ der Architekt abreißen: „Der Hof sollte wieder frei stehen, so wie es auch ursprünglich war.“ Auf Teilen seiner ehemaligen Fläche befindet sich nun ein eingeschossiger Betonkubus, der dem Landwirt als Maschinenhalle und Werkstatt dient. „Mein Anspruch war es, mit einem schlichten Baukörper nicht in Konkurrenz zum Hof zu treten und doch die notwendige Fläche für die Landwirtschaft zu generieren“, erklärt Vinzenz Mayer.
Über Brücken geht es in die Tenne
Die Eingangssituation sollte so wiederhergestellt werden, wie es für die Typologie charakteristisch ist. In Anlehnung an die im Obergeschoss gelegene historische Ein- und Ausfahrt für Pferdekutschen zum Abladen des Heus in der Tenne ermöglichen nun zwei neue Brücken den Zugang zur Gewerbeeinheit im ersten Geschoss. Den Brücken vorgelagert führt eine Rampe, die den Höhenunterschied im Außenraum überwindet, entlang des Betonkubus zum Eingang.
Historisches Holztragwerk erhalten
Ein hoher Luftraum, dominiert vom historischen Holztragwerk, nimmt die Patientinnen und Patienten im Eingangsgeschoss in Empfang. Ein 20 Meter langes, neu eingebrachtes Oberlicht öffnet den Blick vom ehemaligen Heu-Lagerplatz, wo sich nun Wartebereich und Theke befinden, in den Himmel.
Zu den Seiten liegen Therapieräume und eine Umkleide, in der Mitte sind Nebenfunktionen und die Treppe angeordnet, die in das zweite Obergeschoss führt. Dieses wurde im Zuge des Umbaus unter Verwendung von 18 Zentimeter starken Brettsperrholzdecken neu eingezogen, um den 5,50 Meter hohen Raum optimal auszunutzen. Weitere Therapieräume und der Mitarbeiterraum mit Ausblick auf den See finden dort Platz.
Flexible Grundrisse möglich
Die Grundrisse sind offen und die Konstruktion ist für die Zukunft flexibel gestaltet. Zum Beispiel stehen die neuen Trennwände, eine Holzständerkonstruktion mit beidseitiger Beplankung aus Holzmehrschichtplatten, nicht auf dem Rohboden, sondern auf dem Fertigfußboden. So besteht die Möglichkeit, ohne allzu großen Aufwand Raumgrößen auf neue Nutzungen anzupassen.
Bretter entfernt für offenere Fassade
Um ausreichend Tageslicht in den 16 Meter tiefen Baukörper zu bringen, ließ Vinzenz Mayer jedes zweite Brett der denkmalgeschützten Fassade entfernen (siehe erstes Foto). Dieser Intervention ging viel Diskussion mit dem Denkmalamt voraus, bevor sie letztlich genehmigt wurde. Die gedämmte Ebene befindet sich circa 30 Zentimeter hinter der historischen Fassade: Fenster zwischen einer neuen Holzkonstruktion mit schwarzem Anstrich, der sie von außen so wenig sichtbar wie möglich machen soll – eine behutsame Lösung, die den Erhalt des Bestehenden und einen modernen Anspruch erfolgreich vereint.
Brandschutz und Statik erfüllt
Der angestellte Architekt Vinzenz Mayer, der das Projekt neben seiner Teilzeit-Tätigkeit in einem nahe gelegenen Büro umgesetzt hat, legte auf diese Verbindung von Alt und Neu besonderen Wert: „Mir war es wichtig, den alten Dehner ablesbar zu machen, sprich, dass man sowohl von außen als auch innen sieht, wie er früher genutzt wurde.“ Dafür war es von Vorteil, dass das historische Tragwerk sowohl die Tragwerks- als auch die Brandschutzanforderungen an die Gebäudeklasse 3 vollends erfüllt und somit räumlich pur wirken kann.
Die komplett erhaltene Holzkonstruktion übernimmt nicht nur eine tragende Funktion für das Dach und alle eingebrachten Holzeinbauten, sondern tritt im Innenraum in einen Dialog mit neuen Elementen: Glastrennwände, Stahlelemente und ein geschliffener Sichtestrichboden kontrastieren das dominierende Material Holz.
Sport im Kuhstall: außergewöhnliche Lösungen
Im Erdgeschoss, dem ehemaligen Kuhstall, hebt sich eine knallig blaue Laufbahn vom Weiß der großen Bögen des Böhmischen Kappengewölbes ab. Auf dieser offenen Trainingsfläche werden die Sporteinheiten durchgeführt.
So einzigartig die hellen Räumlichkeiten sind, so außergewöhnlich mussten teils die baulichen Lösungen für den Umbau sein. So zum Beispiel für das neue Treppenhaus, das an der Trennwand zum Wohnbereich verläuft: Nachdem das entsprechende Gewölbefeld herausgerissen war, wurde über ein kleines Loch im Dach ein Betonschlauch eingeführt, durch den die Treppe vor Ort mittels einer Pumpe gegossen werden konnte.
Da das Dach während des Umbaus nie abgebaut wurde, musste man Bauteile durch seitliche Eingänge und Fenster ins Gebäudeinnere bekommen – auch den 17 Meter langen Stahlträger zur Ertüchtigung des Bodens.
Ausgangspunkt war die Masterarbeit
Bereits in seiner Masterarbeit an der Technischen Universität München beschäftigte sich Vinzenz Mayer mit dem elterlichen Hof. Er recherchierte zu dessen Geschichte, vermaß das Gebäude und spielte mögliche Umnutzungsszenarien durch. Die Entscheidung gegen Wohnungen im Einfirsthof traf er aufgrund der hohen Anforderungen an Schallschutz, Brandschutz und der Menge an Installationen relativ schnell. Sein Entwurf schlug damals eine Büronutzung mit klassischen Zellenbüros und einem Kombibereich in der Mitte vor.
Auf Immobilienseiten inseriert
Nachdem er einige Jahre Berufserfahrung in einem Architekturbüro in Traunstein gesammelt und sich in die Architektenkammer hatte eintragen lassen, wollte er nun seine Masterarbeit in die Realität umsetzen. Auf das Gebäudeexposé, das er auf Immobilienseiten online stellte, meldete sich auch der jetzige Mieter „Sports Innovated“, der an Räumlichkeiten für seine individuelle Trainings- und Rehabilitationstherapie interessiert war. Es war, abgesehen von drei zuvor privat geplanten Einfamilienhäusern, Vinzenz Mayers erstes großes Umbauprojekt als Selbstständiger.
Niedrige Zinssätze begünstigen Finanzierung
„Natürlich stellt man sich bei einem eigenständigen Projekt dieser Größe die Frage, ob das alles gescheit funktioniert und ob es auch technisch hinhaut“, so Vinzenz Mayer. „Es kostet am Ende eben Geld, was auch irgendwie wieder reinkommen muss. Es muss also passen, muss vernünftig sein.“ Der Umbau kostete insgesamt circa 2,1 Millionen Euro, wovon das Denkmalamt einen Zuschuss von 50.000 Euro und die KfW 270.000 Euro beisteuerten, da ein hoher Energiestandard, genauer: ein denkmalgeschütztes Effizienzhaus 70, realisiert wurde. Die zu der Zeit günstigen Zinssätze und die Grundschuld, die auf den Hof aufgenommen wurde, begünstigten die Finanzierung.
Vom Landwirt zum „Energiewirt“
Vinzenz Mayer selbst generiert laut eigener Aussage den größeren Teil seines Einkommens mit der Landwirtschaft, so zum Beispiel auch mit der hauseigenen Biogasanlage, die bereits seit 2006 in Betrieb ist. Sie versorgt das gesamte Gebäude mit Strom und Wärme. Und noch mehr – so wie es früher die Milch war, ist es heute die Energie: Der Großteil des Ertrags wird nämlich in das öffentliche Netz eingespeist und beliefert nun weitere 200 Haushalte in der Gegend mit Strom und einige Nachbarn mit Wärme.
Enge Zusammenarbeit mit Handwerkern
Anders als bei der Detailplanung für einen Neubau üblich, erwies sich beim Umbau die Kommunikation mit den Gewerken direkt vor Ort als unumgängliche Voraussetzung: „Man kann nicht alles im Büro planen, weil halt alles krumm und schief ist. Beispielsweise fällt der Hof in Längsrichtung 30 Zentimeter ab und eine Wand wölbt sich schräg nach innen – das kann man nicht alles vom Schreibtisch aus berücksichtigen“, so Vinzenz Mayer.
„Am einfachsten ist es deswegen, sich direkt vor Ort zum Beispiel mit dem Zimmermann hinzusetzen und für Detailpunkte zusammen Lösungen zu finden.“ Den Umbau hat er zu 90 Prozent mit Firmen aus der näheren Umgebung umgesetzt, zudem packten auch er selbst und sein Vater aktiv vor Ort mit an.
Immobilienentwicklung auf dem Land: Historische Höfe umwandeln
Für den Bauern und Architekten geht es dabei um mehr als den reinen Erhalt der Gebäudesubstanz: „Insbesondere Höfe überdauern oft schon mehrere Hundert Jahre und sind prägend für die Identität und Geschichte der Ortschaft. Klar ist ein Umbau mit mehr Kosten und mehr Aufwand verbunden. Aber es macht einfach was her!“
Das finden leider nicht alle. Die Gerüche, Emissionen und die fehlende Möglichkeit, sich zu erweitern, sind oft Auslöser für das Aussiedeln der Höfe an den Ortsrand – vielerorts stehen dann wertvolle Gebäuderessourcen leer oder verfallen sogar. Um sie zu retten, ist es dringend nötig, in Zukunft geeignete Nutzungen zu finden, die die Höfe erfolgreich in die heutige Zeit transferieren. Das Beispiel in Rimsting zeigt, wie es gehen kann.
Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Jung!