Eden, Arkadien, Paradies: Die Vorstellung von Glück und Erlösung ist seit Menschengedenken an das Sehnsuchtsbild des Gartens geknüpft. Das Streben nach dieser selig machenden Verschmelzung mit der Natur liegt auch der irdischen Gartenkunst zugrunde, die begann, als der Mensch ein Stück Erde umzäunte und kultivierte. Der „hortus conclusus“, der abgeschlossene Garten, ist das Urbild dessen, was wir heute als Garten oder Park kennen. War das Privileg eines eingehegten und gestalteten Stücks Natur über Jahrhunderte auf die Bewohner von Klöstern und Palästen beschränkt, öffneten sich mit dem Anbruch der Moderne nicht nur die Klassenschranken, sondern auch die buchstäblich verschlossenen Gärten. Das ästhetische Prinzip des weiträumigen, scheinbar entgrenzten englischen Gartens nahm diese Öffnung gestalterisch vorweg. Es diente als Leitbild auch für den im späten 19. Jahrhundert entstandenen Typus des öffentlichen Parks, der allen Bürgern ein Ort der Kontemplation, Erbauung und Erholung unter freiem Himmel sein sollte.
Bis heute hat sich an diesen Grundsätzen nicht viel geändert. Doch das klassische Gartenideal des „locus amoenus“, des lieblichen Ortes, das den Volks- und Stadtparks noch bis weit in unsere Zeit hinein eingeschrieben war, ist als gestalterisches Prinzip inzwischen ins Hintertreffen geraten. Die Gestaltung öffentlicher Freiräume gehorcht heute weniger bestimmten planerischen Grundsätzen als den Erwartungen und Wünschen einer vielstimmigen, unübersichtlichen Nutzerschaft – dem demokratischen Souverän. Um welche Ansprüche es sich dabei handelt, lässt sich an einem warmen Sommertag in einem beliebigen städtischen Park beobachten, der Austragungsort von Grillfesten, Sportwettkämpfen, Kindergeburtstagen, Familienbrunches und Qigong-Kursen ist. Dort wird gespielt, flaniert, getanzt und getrommelt, und die Kleiderordnung erlaubt alles zwischen (fast) nichts und voll verschleiert. Wenn es ein Sinnbild der sozialen Utopien unserer Gegenwart gibt, dann sind es die bunt genutzten Parks der multikulturellen Gesellschaft.
Doch mit den vielfältigen, selbstbewusst reklamierten Ansprüchen an den öffentlichen, gemeinsam zu nutzenden Freiraum stehen nicht nur die vorhandenen Parks vor neuen, teils strapaziösen Herausforderungen, sondern auch die Landschaftsarchitektur. Denn sie ist jene Disziplin, die all die konkurrierenden Wünsche in Planungen und Gestaltungskonzepte übersetzen muss – und zwar nicht abgeschottet im stillen Architekturbüro, sondern im Dialog mit einer fordernden, anspruchsvollen Öffentlichkeit.
Mauerpark: Massenbetrieb und Sonderwünsche
Wahrscheinlich hätte sich Gustav Lange nie träumen lassen, dass der von ihm geplante Mauerpark, ein gut sieben Hektar großer Grünzug zwischen den Berliner Stadtbezirken Prenzlauer Berg und Wedding, dereinst zum Geheimtipp internationaler Reiseführer avancieren würde und sich an Wochenenden dort mitunter 50.000 Menschen drängen. Der Hamburger Landschaftsarchitekt hatte Anfang der 1990er-Jahre den Auftrag erhalten, den ehemaligen Todesstreifen zwischen Ost und West in einen grünen, luftigen Park zu verwandeln. Die Anlage, im Prinzip nicht mehr als ein lang gestreckter, grasbewachsener Hang entlang einer Piste aus historischem Straßenpflaster, wurde mit schnell wachsenden Bäumen und robusten Kleingehölzen bepflanzt und mit großen Schaukeln und einem aus groben Granitquadern skizzierten Amphitheater bestückt. Ein schöner, offener Park, in dem man die Weite der von Mauern befreiten Stadt genießen kann. Theoretisch. Denn was man dort vor allem erlebt, sind die Folgen von massenhaft und selbstbewusst reklamierten Ansprüchen auf ein kleines Stück Freiraum in der großen Stadt. Damit sind nicht allein der tonnenweise anfallende Müll, die Zerstörung von Pflanzen oder die kahl gescheuerten, versteppten Rasenflächen gemeint, auf denen schon im Mai kein Gänseblümchen mehr wächst. Auch die Bedürfnisse und Vorstellungen der Nutzer und Anwohner haben die ursprüngliche Gestaltung inzwischen überformt und verändert. Hatte Architekt Lange noch einen freien, fließenden Raum mit wenigen Ruhe- und Rückzugswinkeln vor Augen, klagten die zahlreichen Nutzerparteien im Laufe der Zeit jeweils ein Stück Park für eigene Begehrlichkeiten ein. Und so gibt es auf dem Gelände nun eingezäunte Hundeauslauf– und Kinderspielflächen, Sportfelder und eine vom AlpinClub Berlin betriebene 15 Meter hohe Kletterwand, von der aus man sicher einen schönen Blick auf die Ziegen- und Schweinegatter des parkeigenen Kinderbauernhofes hat. Der von Naturköstlern aus der Nachbarschaft bewirtschaftete Kräutergarten hat jedoch aufgegeben. Vielleicht deshalb, weil sich beim Jäten im Lärm des von mehreren tausend Menschen besuchten, wöchentlich stattfindenden Mauerpark-Karaokes einfach keine Entspannung einstellen wollte?
Wriezener Freiraumlabor: Demokratie an der Graswurzel
Was den Mauerpark erst nachträglich prägte, bildete im Falle des Wriezener Freiraumlabors im Berliner Bezirk Friedrichshain gleich den Ausgangspunkt der Planung: die Erwartungen, Vorstellungen und Wünsche der Nutzer. Der Name dieses 1,8 Hektar großen Grüngeländes war Programm: Auf der räudigen Brache eines ehemaligen Güterbahnhofs entstand in einem Beteiligungsverfahren ein Park, der die Wünsche der studentisch-alternativen Nachbarschaft ebenso erfüllt wie die Hoffnungen von alteingesessenen Rentnern, jungen Familien und nahe gelegenen Kindergärten und Schulen in dem dicht bebauten Quartier.
Angesichts eines verschwindend geringen Budgets war die Aufgabe für die Planer vom tx-Büro für temporäre Architektur letztlich, die mehr oder weniger skurrilen Vorschläge und Ideen in einem gemeinsamen Konzept zu integrieren und dafür ein gestalterisches Passepartout zu finden. Während das zuständige Bezirksamt sich mangels finanzieller und personeller Ressourcen auf die Verwaltung des Projektes beschränkt, obliegen Pflege, Wartung und Unterhalt des Geländes den Aktivisten selbst. In dieser Freiluft-Versuchsanordnung gedeihen die Setzlinge des „grünen Klassenzimmers“, betrieben vom benachbarten Gymnasium, in Sichtweite eines BMX-Parcours, während die sich selbst überlassenen Nutzpflanzen auf dem experimentellen Fukuoka-Feld beweisen, dass auch im märkischen Sand mehr wächst als Kartoffeln. Nur aus der Idee eines „Freifunkhains“, der die Parkbesucher kostenlos mit WLAN-Zugang versorgen sollte, ist am Ende nichts geworden.
Das Projekt, das mit seinem abenteuerlichen Ansatz auch in das Förderprogramm für Experimentellen Wohn- und Städtebau (EXWOST) aufgenommen wurde, bezeichnet die Architektin Ines-Ulrike Rudolph vom verantwortlichen tx-Büro für temporäre Architektur im Rückblick als gelungene Sache: „Da ist zusammen mit den beteiligten Initiativen ein neuer Freiraum für das Viertel entstanden, der als Sport- und Spielgelände, als Garten- und Vereinsland und als sozialer Treffpunkt genutzt wird.“
Zugleich wird am Freiraumlabor auch deutlich, zu welchen beruflichen Kompromissen Planer heute bereit sein müssen. Die finanziell ausgezehrten Kommunen sind zwar schnell bereit, auf ungenutzten Flächen öffentliches Grün auszuweisen, doch die entsprechenden Haushaltsmittel reichen kaum für den Unterhalt der schon bestehenden Grünanlagen. Kosten dürfen die neuen Freiräume daher nur wenig. Landschaftsarchitekten können sich unter solchen Voraussetzungen entweder für die Planung einer anspruchslosen, pflegeleichten Anlage entscheiden, oder sie stellen sich – weniger als kreative Entwerfer als vielmehr in der Funktion eines Beraters und Koordinators – in den Dienst von Initiativen und Anwohnergruppen, die sich die Beschaffenheit ihrer Grünanlagen und Parks nicht vorschreiben lassen wollen – weder von Behörden noch von Fachplanern. In dieser basisdemokratisch organisierten Eroberung von Freiräumen für eine gemeinschaftliche Nutzung kommt den Landschaftsarchitekten die manchmal undankbare Rolle zu, den Mangel an Geld mit einem Überschuss an Wünschen und Ideen der Nutzer in eine Balance zu bringen.
Tempelhofer Freiheit: Viele Pioniere und große Pläne
Dass sich auch aufwendige Planungsvorhaben mit den manchmal exzentrischen Ideen von kleinen Initiativen und Einzelaktivisten verbinden lassen, beweist die Umwandlung des 2008 stillgelegten Berliner Flughafens Tempelhof. Auf Deutschlands wohl spektakulärster Brache soll es gelingen, große bauliche Entwicklungsvorhaben von gesamtstädtischer Bedeutung mit der Entwicklung eines riesigen innerstädtischen Parkareals zu verbinden, in dem so verrückte wie belebende Nutzungen wie eine interaktive Minigolf-Bahn, biodynamische Gemüsehochbeete oder ein Trainingsplatz für den derzeit angesagten Mannschaftssport namens Jugger einen Platz bekommen.
Doch der Reihe nach. Schon lange vor der Öffnung des ehemaligen Flugfeldes für das Publikum im Mai gab es viele, die nicht nur über die leere Landebahn spazieren wollten, sondern mit eigenen Ideen und Vorschlägen für die Nutzung des riesigen Areals auf den Plan traten. Die einen wollten mehr Sportflächen, die anderen etwas Platz für ihre Urban-Gardening-Projekte, während die Schulen und Kindergärten der Umgebung auf ein paar Quadratmeter für einen Schulgarten oder ein Blumenbeet hofften.
Bürgerbeteiligung hin, Bürgerbeteiligung her – wie sollten die Partikularinteressen von Hobbyimkern, Gemüsegärtnern, Minigolf-Spielern oder Kite-Skatern angemessen in einem Entwicklungsprozess berücksichtigt werden, für den ein internationaler Planungswettbewerb ausgerufen war und an dessen Ende neue Stadtteile, eine Landesbibliothek und Gewerbestandorte rund um einen Park entstehen sollten?
In Berlin mit seiner ausgeprägten Kultur der Zwischennutzung fand man eine Lösung: Die zahlreichen Initiativen und Interessengruppen wurden einfach Teil des Ganzen. Und an dieser Stelle kommt wieder Ines-Ulrike Rudolph ins Spiel, die nach ihrer erfolgreichen Arbeit im Wriezener Freiraumlabor nun auch für die gut 300-mal so große „Tempelhofer Freiheit“ zuständig ist.
Die mit allen Wassern der Bürgerbeteiligung gewaschene Landschaftsarchitektin betreut hier die sogenannten Pionierfelder, jene Parzellen, die auf dem Lageplan des ehemaligen Flughafens an den Rändern des zukünftigen Parks liegen und temporären oder Zwischennutzungen dienen: Garten-Projekte aller Art, ein Segway-Verleih, Sport- und Spielflächen, Freiluft-Shiatsu-Massagen und Meditationsangebote. „Allen, die sich mit ihren Projekten bei uns um ein Pionierfeld bewerben, ist klar, dass es sich um eine Zwischennutzung auf künftigem Bauland handelt und sie deshalb mobil bleiben müssen“, erklärt Ines-Ulrike Rudolph. Deshalb wird das Gemüse in transportablen Hochbeeten angebaut, deshalb gibt es nur Bauwagen oder Container und keine Gebäude, und deshalb wirkt auch alles so provisorisch zusammengeschustert.
Doch die Pioniere sind mehr als nur Platzhalter, die den entstehenden Park bis zu seiner Fertigstellung ein bisschen mit Farbe und Leben füllen. „Das Ganze ist auch ein Experiment, in dem neue Formen städtischen Lebens und der gemeinschaftlichen Nutzung ausprobiert werden“, so Rudolph. Sie sucht zusammen mit den Fachleuten der verantwortlichen Behörde nach Ideen, die zu den sechs Leitbildthemen passen, nach denen das Großprojekt Tempelhof entwickelt werden soll: Dialog der Religionen, Sport und Gesundheit, Wissen und Lernen, Bühne des Neuen, Integration der Quartiere, saubere Zukunftstechnologien. Das Interesse am Mitmachen in Tempelhof ist groß. In den beiden abgeschlossenen Verfahren standen jeweils etwa 130 Projekte zur Auswahl, 22 wurden mittlerweile realisiert.
Landschaftsplanerische oder gestalterische Kriterien bei der Konzeption und Umsetzung der Pionierprojekte gibt es allerdings nicht. „Anfangs wurde überlegt, ob wenigstens die Container alle in einer Farbe sein sollten“, sagt Ines-Ulrike Rudolph. „Doch dann haben wir uns darauf geeinigt, keine Regeln aufzustellen.“ Ein Frei-Raum eben.
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