Text: Christoph Gunßer
Am Anfang stand das Unbehagen. Als die Satellitenstädte immer monströser, die Autobahnen immer breiter und die Staus trotzdem oder gerade deshalb immer länger wurden, erschienen Anfang der Siebziger Bücher mit Titeln wie „Small is Beautiful“ (von Ernst F. Schumacher, kürzlich neu erschienen), „Bauen als Umweltzerstörung“ (von Rolf Keller) und natürlich: „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome – es konnte nicht so weitergehen. Davon waren gerade auch Architekten überzeugt.
Auf der Suche nach Alternativen blickten sie gen Westen, in die USA, wo man wie immer schon weiter war: Orte wie Frank Lloyd Wrights Taliesin West oder, aktueller, die Aussteigerstadt Arcosanti, 1970 in Arizona gegründet, führten vor, wie sich anders wohnen, anders leben ließe, in Erdhügel- und vor allem: Solarhäusern. Die Kultbücher hießen bald „Home Sweet Dome“ von Wolfgang M. Ebert (1978) und, zu den Nachfolgeprojekte daheim, „Einfache Paradiese“ von Manfred Sack (1984).
Das zeigt auch Beispiele der „Solarhäuser Landstuhl“. Die Bonner Bundesregierung war nämlich in der tiefen Rezession der späten Siebziger auch nicht untätig geblieben und hatte 1979 von namhaften Architekten 48 Entwürfe für Energiesparhäuser angefordert. Trotz hoher finanzieller Anreize verlief die Initiative indes weitgehend im Sande, denn es fanden sich am Ende nur neun Bauherren, die Solarhäuser bauen wollten. Zu neu und unerprobt war die teure Technik, darunter auch Solarkollektoren und erste Wärmepumpen.
Die meisten Entwürfe namhafter Architekten setzten hier auf die Pufferwirkung von Wintergärten. Vor ein kompaktes Kernhaus wurden teils haushohe Glasflächen gestellt. So architektonisch reizvoll die filigrane Mehrschichtigkeit auch war – in vielen Fällen war sie bauphysikalisch nicht sinnvoll, ja problematisch: Überhitzung im Sommer, eine negative Energiebilanz im Winter, Tauwasserprobleme gerade in Verbindung mit dem damals überaus beliebten Baustoff Holz.
Dass solch suburbanes Bauen an sich nicht wirklich energiesparend sein könne, dämmerte indes auch den Regierenden, und so fand das nächste Modellprojekt im urbanen West-Berlin statt: Die Energiesparhäuser der IBA am Landwehrkanal von 1983/84 wurden als „Stadtvillen“ konzipiert, recht kompakt, aber wieder in offener Bauweise. Erstmals kam in den Häusern eine Dreifachverglasung zum Einsatz, abermals zierten Wintergärten die Fassaden. Ihr Effekt war ähnlich problematisch wie zuvor: In der Auswertung maßen Wissenschaftler in den Puffern Temperaturen von minus 13 bis plus 58 Grad – Sibirien und Arizona in einem…
In einer ziemlich vernichtenden Analyse der frühen Energiespar-Initiativen schrieb der Architekt Vladimir Nikolic 1988, die Architekten hätten „ideologisch“ Modelle aus ganz anderen Klimazonen kopiert. Er sah allein in einer kompakteren Bauweise Abhilfe. Diese Maxime sollte denn auch die Folgezeit bestimmen, gegen den anfänglichen Widerstand vieler Architekten.
Dass aus den Achtzigern auch etliche gelungene „alternative Architekturen“ überkommen sind und viele Anstöße zu ressourcenschonendem, sozialerem, also insgesamt „nachhaltigerem“ Bauen gegeben wurden, bleibt dennoch festzuhalten. Einiges davon, vor allem das Pathos, die Welt zu retten, war gewiss übertrieben. Bedauerlich ist, wie wenig vom ganzheitlichen Anspruch jener Jahre geblieben ist
Architektur sparen, Energie gewinnen
1990 entstand in Darmstadt-Kranichstein das erste „Passivhaus“ von Helmut Bott und anderen, gefördert vom Land Hessen: Das schmucklose weiße Pultdachhaus mit Lochfassade setzte komplett auf die Minimierung der Energieverluste durch Wärmedämmung und ergänzende Technik; es kommt bis heute mit weniger als 10 kWh/m²a an Heizwärme aus – gemessen am damaligen Standard ein Bruchteil des Üblichen – und diente dem neuen Passivhaus-Institut fortan als Referenzprojekt.
Das im Kern uralte Prinzip war bereits in den frühen Siebzigern in Skandinavien und den USA erprobt worden. Nun sollte es zur Grundlage der weiteren Entwicklung werden, auf welches seit der Wärmeschutzverordnung von 1995 und der EnEV seit 2002 auch der rechtliche Rahmen zugeschnitten wurde. Ohne Superdämmung und Zwangslüftung ist inzwischen kaum ein Neubau mehr denkbar. Nicht wenige sehen darin den Sieg der Bauchemie- und Haustechnik-Industrie über die Architektur.
Zweifellos hat der Primat der Kompaktheit, gemessen im Verhältnis von Hüllfläche zum beheizten Volumen eines Gebäudes, in den Neunzigerjahren eine ganz und gar andere Architektur hervorgebracht als in der Experimentierphase zuvor. Die proklamierte „neue Einfachheit“ äußerte sich am Ende in sozial wie physisch isolierten Kisten.
Beim Formulieren des baurechtlichen Rahmens hätte die Politik durchaus andere Prioritäten setzen können. Die bahnbrechenden Forschungen etwa des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie zur „grauen Energie“ der Baustoffe fanden hierzulande – im Gegensatz etwa zur Schweiz – keinen Eingang in die Gesetzgebung. Nähme man bei Dämmschaumplatten oder Alu-Paneelen den Herstellungsaufwand und die Entsorgung mit ins Kalkül, sähe deren Energiebilanz teilweise miserabel aus. Drum wird auch viel zu viel brauchbare Bausubstanz abgerissen. Keine Rede ist jemals davon, dass die halbe Tonne Zement, die pro Erdenbürger jährlich produziert wird, neben dem Verkehr den Löwenanteil der Energie verschlingt. Bis heute sind die einschlägigen Industrieverbände aufs Engste mit der Politik verbandelt, etwa in der Allianz für Gebäude-Energie-Effizienz (geea). Sie propagiert in ihrer aktuellen „Hauswende“-Initiative die Dämmchemie weiterhin als Nonplusultra.
Doch zurück in die Neunziger: Als ein weiterer früher Pionierbau darf das energieautarke Solarhaus von 1992 des Instituts für solare Energiesysteme in Freiburg gelten. Dank zusätzlich aktiver Solarnutzung und aufwendiger Wasserstoff-Speichertechnik benötigte es überhaupt keine Energiezufuhr mehr. Das Problem der Langzeitspeicherung solarer Energie-Einträge ist indes bis heute nicht zufriedenstellend gelöst, vor allem nicht wirtschaftlich.
Auf dem Weg zur Normalität
Seit den Neunzigern gelingt es Architekten mehr und mehr, die Rigidität der Versuchsbauten zu überwinden und quartierstaugliche Passivhäuser zu entwickeln. Ein Leuchtturmprojekt in dieser Hinsicht war die Plusenergiesiedlung in Freiburg von Rolf Disch. Minimierungsprinzip und Technik verschwinden hier hinter freundlichen Fassaden. Dabei erzeugt man hier, autofrei, 420.000 kWh Strom pro Jahr. Erstmals wurde das Ensemble durch ethisch-ökologische Fonds finanziert.
Der Fortschritt bei Fassadenbau (Doppelfassaden), Haustechnik und Werkstoffen („Kunststoff Holz“) hat auch architektonisch manch neue Perspektiven innerhalb der immer strengeren Energiestandards eröffnet. Der Passivhaus-Standard ist mittlerweile in vielen Kommunen ein Muss, (weshalb viele Kinder heute kaum mehr die Zugangsschleuse ihrer Kita aufkriegen). Seit die Energiekosten in die Höhe schnellten, legen auch gewerbliche Investoren Wert auf niedrige Bedarfe. Der Gipfel der Ölförderung ist erreicht, das Ende des fossilen Zeitalters absehbar.
Seltsam nur, dass der Energiebedarf in den Industriegesellschaften insgesamt keineswegs sinkt. Bestenfalls stagniert er auf hohem Niveau. Grund ist der Rebound-Effekt: Wer günstiger heizt, leistet sich mehr Wohnfläche oder reist mehr. Wer ein sparsameres Auto fährt, legt mehr Strecken zurück – und so weiter. Viele Wissenschaftler hegen deshalb Zweifel, ob Effizienzsteigerungen überhaupt den Energiehunger der Welt mäßigen können. Geht es doch nicht ohne Verzicht, wie ihn die Kritiker der siebziger Jahre forderten? Nicht einmal grüne Politiker trauen sich heute, das Wort in den Mund zu nehmen.
Generation Umbau
Gerade im Baubereich wächst denn auch erneut Unbehagen. Die Fixierung auf das Zauberwort Effizienz blendet aus, dass es auch qualitative Kriterien gibt, das Wohnklima etwa. Dieses wird durch Zwangslüftungssysteme nicht unbedingt besser (schon Alvar Aalto sprach von „kastrierter Luft“). Und sie werden oftmals auch nicht richtig benutzt, weshalb die wahren Energiebedarfe wie bei den Autos deutlich höher ausfallen. Wer in den luftdichten Kisten oder noch so „grünen“ Hochhäusern lebt, wie sie derzeit als Wohnmodelle propagiert werden, fliegt womöglich doch öfter in den Urlaub. In der Summe ist das dann gar nicht mehr energiesparend. Ein wenig ganzheitlicher dürfte man da schon denken.
Es gibt nämlich auch Alternativen zum immer effizienteren, immer technisierteren Gebäude. Ganz normal massiv gemauerte Häuser zum Beispiel. Bauten aus Stampflehm oder Strohballen, Holz- oder Recycling-Häuser. Low Tech-Lösungen, die es seit langem gibt und die sich modernen Ansprüchen entsprechend modifizieren lassen (wie im Bild rechts).
Sicher sind dies keine „schnellen“ Häuser, wie sie gerade wegen der „Wohnungsnot“ wieder verlangt werden. Eher besondere Ideen, die dem Wunsch der Menschen nach Freiraum, Sinnhaftigkeit und Individualität entgegenkommen und sogar Selbsthilfe ermöglichen, regionale Kreisläufe statt globaler Anonymität. Warum gibt es sie so wenig? Weil die Regelungsdichte gerade im Energiesektor zu Überkomplexität und Engstirnigkeit geführt hat, sagen die Kritiker.
Es führen also auch Nebenwege zum nachhaltigen Bauen. Effizienzhäuser sind längst keine gebauten Bekenntnisse mehr. Etwas mehr Eigensinn und Experimentierfreude täten aber ganz gut.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor in Bartenstein (Baden-Württemberg).
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