Text: Christoph Gunßer
Wir sind doch nur Schrotthändler, da haben wir keine Chance!“, entgegneten die Bauherren, als sich die jungen Schweinfurter Architekten Stefan Schlicht und Christoph Lamprecht mit ihrem Neubau für die Firma Lesch Recycling um den städtischen Theodor-Fischer-Architekturpreis 2015 bewerben wollten. Doch die Gestalter beharrten darauf – und setzten sich gegen namhafte Konkurrenz durch. Nun kennt auch der Oberbürgermeister die kleine Firma im hintersten Winkel des Hafens, und bei Schlicht und Lamprecht häufen sich die Anfragen. Unlängst bekamen sie auch den BDA-Preis Bayern im Fach Gewerbebau. Das Gebäude stehe für die „poetische Verbindung von Schrott und Idyll“, schrieb die Jury.
Erfolg auf dem Schrottplatz
Die Recyclingfirma Lesch schafft täglich einige Hundert Tonnen Metall-Abfälle der örtlichen Industrie herbei, sortiert, zerschreddert, presst und brikettiert sie, um sie dann als handliche Pakete an die Schmelzöfen weiterzureichen. „Nichts verdirbt ganz, nichts wird vollkommen neu geschaffen, alles ist nur Wandlung“, schreibt sie sanftmütig im Selbstportrait.
Das Spezifische rauskitzeln
Also wandte man sich vertrauensvoll an die Architekten, die gerade erst ihr eigenes Büro eröffnet hatten. An diesem staubigen Unort „schön“ oder „repräsentativ“ zu bauen, schien schlicht unmöglich. Jede Putzfassade wäre in kürzester Zeit verdreckt oder gar durch die vielen Vibrationen rissig geworden. Warum also nicht auf das naheliegende Material zurückgreifen, „das Spezifische rauskitzeln“, wie Stefan Schlicht es nennt. Eine Metallfassade kam ins Spiel. Stanzformen aus der Automobilindustrie inspirierten zu spielerischen Skizzen: Dreißig, vierzig Studien wurden durchprobiert, und die Bauherren, gestalterisch eigentlich zunächst ohne große Ambitionen, zeigten sich von Anfang an begeistert.
Am Ende stand keine Schrottfassade, das wäre gar zu vergänglich. Aber das Wesentliche an altem Eisen, der Rost, prägt die Oberflächen des Neubaus. Cortenstahl war die gewählte Lösung. Er bietet zugleich Rost und Beständigkeit. Seine spezielle Legierung lässt die Korrosion im Inneren zum Stillstand kommen, so dass ein tragfähiger Querschnitt bestehen bleibt. Den in den 1960-er-Jahren neu entwickelten Baustoff machten damals Eero Saarinen mit der Hauptverwaltung für John Deere und Mies van der Rohe mit dem Civic Center in Chicago bekannt. Bald darauf bauten Candilis, Josic und Woods in Berlin den Berliner FU-Campus in Cortenstahl – „Rostlaube“ lautet sein respektloser Spitzname.
Ein Kleid aus Edelrost
Seit ein paar Jahren tauchen wieder vermehrt Rostlauben unter den anspruchsvollen Neubauten auf. Der Trend zum „shabby chic“ verlangte raue, erdige Materialien, die eine Geschichte versprachen. Viele haben die gestylten, aseptisch-glatten Oberflächen satt und suchen stattdessen das Authentische, das in der zunehmend virtuellen Welt verloren zu gehen droht. Die realen Rostgürtel sind hierzulande abgestreift, die schmutzigen Industrien stehen längst anderswo. Niemand denkt bei Rost mehr an Maloche.
Cortenstahl rostet rasch, aber kontrolliert; man kann ihn auch vorpatiniert kaufen. Die Patina ist lebhaft, rau und erdig. Nach etwa vierzig Jahren ist er fast schwarz und lässt sich problemlos recyceln, da keine Anstriche oder Zusatzstoffe im Spiel sind. Er kostet nur halb so viel wie Edelstahl. Seine poröse Oberfläche changiert im Licht, er wirkt bei aller Beständigkeit samtig und weich, man will ihn ständig streicheln (wenngleich er dabei natürlich abfärbt).
Zwei Geschosse plus Staffelgeschoss lehnen sich quaderförmig an eine benachbarte offene Halle, deren heftig angeschrammte Schottenmauern auch in der Bronx stehen könnten. Daneben umschließt der feine, drei Millimeter dünne Corten-„Panzer“ ein überschaubares Raumprogramm von gerade mal 845 Quadratmetern Nutzfläche: Zentrales, von außen aber kaum sichtbares Element des Stahlbetonbaus ist ein schmaler Hof, der sich über die Etagen zieht. Gekiest und mit Büschen und einer Zwergkiefer bepflanzt, strahlt er die Zen-mäßige Ruhe aus, die sich die Bauherrin wünschte. Über raumhohe Fenster bringt er zudem Licht und Luft in Empfangshalle und Büros. Seine Nordseite, wo der Bereich der Mitarbeiter anschließt, ist vollflächig mit schräg gestellten Lärchenholzlamellen belegt. Sie brechen wirkungsvoll den Schall und sorgen dafür, dass der Hof eine wahre Oase ist, den auch die Mitarbeiter für die Pausen nutzen.
Raue Schale, glatter Kern
Die Cortenstahlfassade ist über ein Gerüst demontabel an der Innenfassade befestigt; sie könnte also bei Verschleiß in einigen Jahrzehnten einfach auf einem der Schrotthaufen vis-à-vis landen. Grau lackiert wie das Gerüst bildet die allein thermisch wirksame und in den geschlossenen Partien mit Mineralwolle gedämmte Innenfassade einen klaren Kontrast zur rostigen Hülle.
Im Inneren setzt sich diese Finesse fort: Tresen und Treppenwände sind weiß lackiert, der Fußboden polierter Muschelkalk im Foyer, ansonsten Eichenparkett. Die Büros trennen kommunikative Ganzglaswände vom Flur. Oberlichtkuppeln bringen zusätzlich Licht ins Innere. Die gerade, einläufige Treppe mündet im zweiten Obergeschoss in einem lichten Besprechungspavillon, dem stadtwärts eine Dachterrasse vorgelagert ist. Das Flachdach ist aus Edelstahl, die Anschlüsse und Übergänge sind stahlbautechnisch solide gelöst. Alles zeugt von einer guten Zusammenarbeit mit der fachkundigen Bauherrschaft.
Auch knapp zwei Jahre nach Bezug zeigt man sich hier sehr zufrieden. Und die Architekten freut vor allem, dass sie der Schrotthändlerfamilie zu mehr Selbstbewusstsein verholfen haben. Wenn unter den Kreativen indessen über die Abwesenheit echter Bauherren geklagt wird, so lässt sich hier lernen, wie persönlich und schöpferisch eine solche Zusammenarbeit selbst an einem schroffen Unort gelingen kann.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor in Bartenstein (Baden-Württemberg).
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